Schweizer Pilotstudie

Betreiben Hausärzte Tabakprävention?

Lehren und Forschen
Ausgabe
2016/14
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2016.01326
Prim Hosp Care (de). 2016;16(14):260-264

Affiliations
a Service de médecine interne, HFR-Fribourg; b Policlinique Médicale Universitaire, Lausanne

Publiziert am 27.07.2016

Die nachfolgend beschriebene Studie soll die Praxis der Schweizer Hausärzte bezüglich der Tabakprävention aufzeigen. Überdies untersucht sie Faktoren (ärztliche oder organisatorische), die diese Praxis begünstigen.
Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben jedes Jahr schätzungsweise 5 Millionen Menschen an Erkrankungen, die mit Tabakkonsum im Zusammenhang stehen. Bis 2030 soll diese Zahl auf über 8 Millionen Menschen ansteigen [1]. Im Jahr 2016 wird im Schweizer Parlament ein Gesetz zu Tabakprodukten diskutiert, unter anderem mit Anträgen, Werbung und Sponsoring für Tabakprodukte zu beschränken sowie ihre Abgabe an Minderjährige zu verbieten [2]. Diese Massnahmen entsprechen der nationalen Strategie Gesundheit2020, die zum Ziel hat, die Prävention und Gesundheitsförderung zu stärken, um die Inzidenz nicht übertragbarer, d.h. onkologischer, kardiovaskulärer und von Atemwegserkrankungen zu verringern [2]. Nebe­n diesen bundespolitischen Massnahmen zur Primärprävention spielen die Hausärzte bei der Tabakprävention eine entscheidende Rolle [3, 4]. An vorderster Front des Gesundheitssystems stehend haben sie direk­ten Zugang zu einem Grossteil der Bevölkerung. Tatsächlich konsultieren 70% der Schweizer Bevölkerung mindestens einmal pro Jahr einen Hausarzt [5]. Dies bietet zahlreiche Gelegenheiten zur Tabakprävention. Ein Rauchstopp im Alter von 35 Jahren kann die Lebenserwartung im Vergleich zum Weiterrauchen um durchschnittlich sieben Jahre erhöhen [6]. Die Beendigung des Tabakkonsums mit 65 Jahren erhöht die Lebenserwartung um ca. zwei Jahre [6].
Das Ziel der nachfolgenden Studie besteht darin, die Einstellung von Hausärzten in der Westschweiz gegenüber der Tabakprävention zu erforschen. Überdies wurden Faktoren untersucht, die mit dieser asssoziiert sind.

Methode

Es handelt sich dabei um eine Beobachtungsstudie. Im Oktober 2013 wurden elektronische Fragebögen an 67 französischsprachige Hausärzte des SPAM(Swiss Primary Care Active Monitoring)-Netzwerks versendet. Dies bestand im Jahr 2013 aus 200 Hausärzten aus der gesamten Schweiz, die in Bezug auf Geschlecht, Alte­r und regionale (ländliche/urbane) Verteilung der Praxen repräsentativ für alle Schweizer Hausärzte ware­n [7]. Das Netzwerk ist Teil des SPAM-Programms der universitären medizinischen Poliklinik Lausanne, das zum Ziel hat, ein Monitoring-Instrument für ein besseres Verständnis der Funktionsweise der Hausarztmedizin in der Schweiz zu entwickeln.
Mit Hilfe des Fragebogens haben wir Daten über die Organisation der Hausarztpraxen und die Massnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung, insbesondere im Bereich Tabakkonsum, gesammelt. Der Vorgang, den Raucherstatus der Patienten in Erfahrung zu bringen, und die Beratung rauchender Patienten zum Rauchstopp wurden abhängig der Konsulta­tionsart untersucht: einer Erstkonsultation mit einem neuen Patienten, einer Notfallkonsultation, unterteilt nach Erkrankung und Patient (4 Szenarien), und einer Routinekonsultation (insgesamt 6 Szenarien).
Überdies haben wir eventuelle Zusammenhänge zwischen ärztlichen (Geschlecht, Alter, Rauchstatus des Hausarztes) bzw. organisatorischen Faktoren der Praxis (Praxisort und -art, die Belastung durch adminis­trative Tätigkeiten und die für die Erstkonsultation eine­s neuen Patienten eingeplante Zeit) und der Erfassung des Rauchstatus der Patienten oder der Beratung zum Rauchstopp untersucht.

Beschreibung der Stichprobe

Zwei Drittel (66%) der 44 Hausärzte, die an unserer Studie teilgenommen haben (Beteiligung 66%), waren Männer. Ihr Durchschnittsalter betrug 57 Jahre. 59% der teilnehmenden Hausärzte waren in einer Gemeinschaftspraxis, 52% in ländlichen Regionen tätig. Ein Einziger war aktiver und ein Drittel (32%) waren ehemalige Raucher. Während ihrer beruflichen Laufbahn wurden 57% der Hausärzte über fünf Stunden in der Raucherberatung geschult.
Tabelle 1 zeigt die soziodemographischen Eigenschaften der Hausärzte, die an unserer Studie teilgenommen haben.
Tabelle 1: Soziodemographische Faktoren der teilnehmenden Hausärzte.
 N = 44%
Geschlecht
Frauen
Männer
15
29
34
66
Alter
<40 Jahre
40–60 Jahre
>60 Jahre
3
25
16
7
57
36
Durchschnittsalter57 Jahre57 Jahre
Praxisort
Urbane Region
Ländliche Region
21
23
48
52
Praxisart
Einzelpraxis
Gemeinschaftspraxis
18
26
41
59
Dauer der Schulung der 
Hausärzte in der Raucherberatung
≤5 Stunden
>5 Stunden

19
25

43
57
Rauchstatus der Hausärzte
Hat (fast) nie geraucht
Ehemaliger Raucher
Aktiver Raucher
29
14
 1
66
32
 2
N = Gesamtzahl der teilnehmenden Hausärzte.

Schulung in der Raucherberatung

Die Hälfte der Hausärzte, die an unserer Studie teilgenommen hat, beurteilte die Qualität ihrer Schulung in der Raucherberatung als ausreichend und 20% be­urteilten diese als gut. Auf die Frage, ob sie an einer ­Weiterbildung zum Ausbau ihrer Kompetenzen in der Raucherberatung interessiert wären, antworteten 
47% mit Ja.

Tabakprävention und Konsultationsart

Bei der Erstkonsultation eines neuen Patienten erfragen 84% der Hausärzte immer den Rauchstatus. In einer Notfallkonsultation von Patienten mit Atemwegs­symptomen, die üblicherweise nicht in der Praxis betreut werden, fragen 69% der Hausärzte systematisch nach, ob diese rauchen. Kommen die Patienten mit Problemen, die nicht die Atemwege betreffen, in die Notfallkonsultation, erfragen nur 9% der Hausärzte den Rauchstatus. Abbildung 1 zeigt das unterschiedliche Vorgehen bei der Erfragung des Rauchstatus der Patienten, entsprechend der Konsultationsart.
Abbildung 1: Anteil der Hausärzte, die den Rauchstatus ihrer Patienten erfragen, entsprechend unterschiedlicher 
Konsultationsszenarien.
Szenario 1: Erstkonsultation eines neuen Patienten
Szenario 2a: Notfallkonsultation, Patient wird in der Praxis betreut (PB), Atemwegssymptome
Szenario 2b: Notfallkonsultation, Patient wird in der Praxis betreut (PB), Symptome, die nicht die Atemwege betreffen
Szenario 3: Routinekonsultation, Patient wird in der Praxis betreut (PB)
Szenario 4a: Notfallkonsultation, Patient wird nicht in der Praxis betreut (PNB), Atemwegssymptome
Szenario 4b: Notfallkonsultation, Patient wird nicht in der Praxis betreut (PNB), Symptome, die nicht die Atemwege betreffen
Obwohl 84% der Hausärzte bei einer Erstkonsultation immer den Rauchstatus der Patienten erfragen, raten lediglich 32% ihren neuen rauchenden Patienten während dieser Konsultation auch systematisch zum Rauchstopp. Bei Notfallkonsultationen von Patienten mit Atemwegserkrankungen, die üblicherweise in der Praxis betreut werden, raten 48% der Hausärzte immer dazu, mit dem Rauchen aufzuhören. Im selben Kontext, jedoch bei Erkrankungen, die nicht die Atemwege betreffen, sinkt der Anteil der Hausärzte, die systematisch zum Rauchstopp raten, auf 7%.

Mit der Tabakprävention in Zusammenhang stehende Faktoren

In unserer Studie wurden mehrere Zusammenhänge zwischen ärztlichen bzw. organisatorischen Faktoren und Tabakprävention beobachtet.
Die jüngeren Hausärzte (≤57 Jahre) betreiben signifikant häufiger Tabakprävention als die älteren, wenn es sich um eine Erstkonsultation handelt (erfragen immer den Rauchstatus eines neuen Patienten: 96 vs. 73%; p <0,05). Abbildung 2 zeigt den Zusammenhang zwischen dem Alter des Hausarztes und der Erfragung des Rauchstatus der Patienten.
Abbildung 2: Zusammenhang zwischen der Erfragung des Rauchstatus der Patienten und dem Alter des Hausarztes, 
entsprechend unterschiedlicher Konsultationsszenarien.
Szenario 1: Erstkonsultation eines neuen Patienten
Szenario 2a: Notfallkonsultation, Patient wird in der Praxis betreut (PB), Atemwegssymptome
Szenario 2b: Notfallkonsultation, Patient wird in der Praxis betreut (PB), Symptome, die nicht die Atemwege betreffen
Szenario 3: Routinekonsultation, Patient wird in der Praxis betreut (PB)
Szenario 4a: Notfallkonsultation, Patient wird nicht in der Praxis betreut (PNB), Atemwegssymptome
Szenario 4b: Notfallkonsultation, Patient wird nicht in der Praxis betreut (PNB), Symptome, die nicht die Atemwege betreffen
*: Ergebnisse signifikant mit p <0,05
Bei einer Routinekonsultation betreiben diejenigen Hausärzte signifikant häufiger Tabakprävention, in deren Praxen für eine Erstkonsultation eine Dauer von über 30 Minuten eingeplant wird (während einer Routinekonsultation: erfragen immer den Rauchstatus der Patienten: 32 vs. 0%; p <0,05).
Die Arbeit in einer Einzelpraxis oder in einer ländlichen Region sind signifikante Faktoren, die mit Tabakprävention bei Notfallkonsultationen positiv asso­ziiert sind (erfragen immer den Rauchstatus der Patienten: Einzelpraxis: 88 vs. 54%; p <0,05; Praxis in einer ländlichen Region: 82 vs. 52%; p <0,05).

Was hat die Studie ergeben?

Die Resultate zeigen, dass die Tabakprävention in zwei Fällen, der Erstkonsultation in der Hausarztpraxis und bei einer Konsultation aufgrund von Symptomen, die mit Rauchen im Zusammenhang stehen könnten, ein fester Bestandteil der täglichen Praxis von Westschweizer Hausärzten ist. Unter anderen Konsulta­tionsbedingungen (insbesondere bei Notfallkonsul­tationen von Patienten mit Symptomen, die nicht die Atemwege betreffen) hingegen wird kaum Tabak­prävention betrieben. Überdies hat die Studie gezeigt, dass bestimmte demographische bzw. organisatorische Faktoren (entsprechend der Konsultationsart mehr oder weniger) positiv mit der Tabakprävention assoziiert sind. Zu diesen zählen jüngere Hausärzte (≤57 Jahre), die Ausübung des Hausarztberufs in einer Einzelpraxis, Tätigkeit in ländlichen Regionen sowie eine für die Erstkonsultation eines neuen Patienten geplante Dauer von über 30 Minuten.

Wie sind diese Unterschiede zu erklären?

Um die Unterschiede in der Tabakprävention entsprechend der Konsultationsart zu erklären, gibt es mehrere Hypothesen. Möglicherweise gehen die Hausärzte davon aus, dass eine Raucherberatung effektiver ist, wenn sie mit den aktuellen Symptomen des Patienten im Zusammenhang steht. Dies wird in einer britischen Studie bestätigt, die Faktoren untersucht hat, die europäische Hausärzte bezüglich der Raucherberatung beein­flussen [8]. Dabei gaben fast alle Hausärzte (97%) an, davon auszugehen, dass die Raucherberatung effek­tiver sei, wenn sie im Zusammenhang mit den Pro­blemen des Patienten stehe.
Darüber hinaus ist die Zeit, insbesondere bei Notfallkonsultationen, oft begrenzt, und die akuten Beschwerden des Patienten stehen natürlich im Vordergrund.
Und schlussendlich halten die Hausärzte Tabakprävention unter bestimmten Konsultationsumständen vielleicht für nicht gerade angemessen.

Was könnte verbessert werden?

Die Unterschiede in der Praxis der Tabakprävention können dazu führen, dass gute Gelegenheiten zur Prävention versäumt werden. Möglicherweise gibt es, insbesondere bei der Schulung zur Raucherberatung, Verbesserungspotential. Denn diese wurde lediglich von einer Minderheit der Hausärzte (20% in unserer Studie) als gut beurteilt. Angesichts des Interesses von fast der Hälfte der Hausärzte (47% in unserer Studie) an eine­r Weiterbildung im Bereich Raucherberatung ist eine Verbesserung möglich. In der Schweiz bietet das Projekt «Frei von Tabak» (www.frei-von-tabak.ch) Ärzten eine Schulung zur Rauchstoppberatung an. Das Ziel ist, die Qualität und Häufigkeit der Rauchstopp­beratung in Arztpraxen zu steigern und/oder aufrechtzuerhalten und so die Zahl der Patienten, die mit dem Rauchen aufhören, zu erhöhen [9]. Die Effektivität des Seminars «Frei von Tabak» wurde in einer randomisierten kontrollierten Studie nachgewiesen. Bei Ärzten, welche die Schulung absolviert hatten, betrug der Anteil der Pa­tienten, die mit dem Rauchen aufgehört haben, nach einem Jahr 13% (vs. 5% in der Kontrollgruppe) [10].
Und wenn diese Aufgabe an andere Gesundheitsfachleute als Hausärzte übertragen würde? Tatsächlich habe­n mehrere Studien [11] den potentiellen Nutzen eine­r Raucherberatung durch auf Prävention und Gesundheitsförderung spezialisierte Pflegefachpersonen gezeigt. Ihr Einsatz in Hausarztpraxen ist effektiv und erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Rauchstopps der Patienten [11]. Aktuell gibt es jedoch in Schweizer Hausarztpraxen nur sehr wenige bzw. gar keine auf Tabak­prävention spezialisierte Pflegefachpersonen (in un­serer Studie keine). Sollte dieses System also in der Schweiz eingeführt werden, wären dafür hohe Inves­titionen, insbesondere finanzieller Art, sowie Schu­lungen erforderlich.

Fazit

Die Tabakprävention ist, insbesondere bei neuen Patienten und wenn die Erkrankten Symptome aufweisen, die mit Rauchen im Zusammenhang stehen könnten, ein fester Bestandteil der täglichen Praxis von Westschweizer Hausärzten. Bei Notfallkonsultationen von Patienten mit Symptomen, die nicht die Atemwege betreffen, wird sie jedoch nur selten betrieben, wodurch unter Umständen potentielle Präventionsgelegenheiten versäumt werden.
Insbesondere aufgrund der geringen Teilnehmerzahl sollte man jedoch nicht zu viele Schlussfolgerungen aus dieser Studie ziehen. Interessant wäre hingegen, in einer grösseren Studie die Gründe umfassender zu untersuchen, weshalb die Tabakprävention von Hausärzten derart stark von der Konsultationsart abhängt und entsprechend unterschiedlich ausfällt.
Sophie Andrey
Médecin-assistante
HFR-Fribourg
Chemin des Pensionnats 2
CH-1708 Fribourg
sophiea88[at]gmail.com
 1 WHO | WHO Report on the Global Tobacco Epidemic, 2008 - The MPOWER package [Internet]. WHO. [abgerufen am 22. Juli 2014]. Abrufbar unter: http://www.who.int/tobacco/mpower/2008/en/.
 2 Bundesamt für Gesundheit. Faktenblatt: Was sich mit dem neuen Tabakproduktegesetz ändert [Internet]. 2015 [abgerufen am 29. November 2015]. Abrufbar unter: www.bag.admin.ch/themen/drogen/00041/14741/index.html
 3 Santé Canada. Enquête sur le tabagisme au Canada: Quartier 4. Ottawa: Santé Canada, 1995.
 4 Stead LF, Bergson G, Lancaster T. Physician advice for smoking cessation. Cochrane Database Syst Rev. 2008;(2):CD000165.
 5 BAG (2012). Schweizerische Gesundheitsbefragung 2012.
Santé 14 (213-1202).
 6 Taylor DH, Hasselblad V, Henley SJ, Thun MJ, Sloan FA. Benefits
of Smoking Cessation for Longevity. Am J Public Health. 2002;92(6):990–6.
 7 Selby K, Cornuz J, Senn N. Establishment of a Representative Practice-based Research Network (PBRN) for the Monitoring of Primary Care in Switzerland. J Am Board Fam Med. 2015;28(5):
673–5.
 8 Stead M, Angus K, Holme I, Cohen D, Tait G. Factors influencing European GPs’ engagement in smoking cessation: a multi-country literature review. Br J Gen Pract. 2009;59(566):682–90.
 9 Projekt Frei von Tabak [Internet] [abgerufen am 3. Dez. 2014] Abrufbar unter: http://www.vivre-sans-tabac.ch/index.php?IDcat=23&IDcat23visible=1&langue=D
10 Cornuz J, Humair J-P, Seematter L, Stoianov R, Van Melle G, Stalder H, et al. Efficacy of resident training in smoking cessation: a randomized, controlled trial of a program based on application of behavioral theory and practice with standardized patients. Ann. Intern. Med. 2002;136(6):429–37.
11 Rice VH, Hartmann-Boyce J, Stead LF. Nursing interventions for smoking cessation. Cochrane Database Syst Rev. 2013;8:CD001188.