Bewegung ist ein wichtiger Pfeiler: die Behandlung der Arthrose 2016
Bewegung ist ein wichtiger Pfeiler

Bewegung ist ein wichtiger Pfeiler: die Behandlung der Arthrose 2016

Lernen
Ausgabe
2016/20
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2016.01346
Prim Hosp Care (de). 2016;16(20):380-383

Affiliations
Stadtspital Triemli, Zürich

Publiziert am 26.10.2016

Vor kurzem sind erneut Richtlinien zur konservativen Behandlung der Arthrose publiziert worden, die sich kaum von früheren unterscheiden. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass verschiedene internationale Gesellschaften, die sich auf die gleiche Literatur berufen, bei einzelnen Therapiemodalitäten zu durchaus widersprüchlichen Empfehlungen kommen. Dies weist darauf hin, dass die ­Evidenz der Behandlungen nicht überragend ist, zeigt aber auch die Grenzen der evidence based medicine auf.

Hauptpunkte der Therapie:
Mutimodal plus Bewegung

Bevor einzelne Therapiemodalitäten verordnet werden, soll das Krankheitsbild der Arthrose eingehend mit dem Patienten (bitte denken Sie bei der männlichen Form die weibliche mit) besprochen werden. Therapeutischer Hauptpunkt ist einerseits die Multimodalität sowie andererseits – abgesehen von physikalischen Massnahmen – die Motivation zu Bewegung, Kraft und Fitness. Falls der Patient einwendet, die Schmerzen (bei aktivierter Arthrose) hinderten ihn am Bewegen, kann mit Wassergymnastik begonnen werden. Nicht weiter besprochen werden hier operative Möglichkeiten wie beispielsweise der Gelenkersatz.

Paracetamol

Nach wie vor gilt Paracetamol als erster Schritt bei der Schmerztherapie der Arthrose. Wird sich dies bei der nächsten Revision der Richtlinien ändern? Die Effektstärke liegt unterhalb des als schwach definierten ­Wertes. Hinsichtlich Wirkung ist Paracetamol in vielen Studien den nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) und Coxiben leicht unterlegen. Zwar gilt die Substanz in weiten Kreisen als harmlos, doch ergeben Placebo-kontrollierte Studien, dass das Risiko für arterielle ­Hypertonie verdoppelt wird und jenes für Herzinfarkt oder Hirninfarkt um ein Drittel erhöht ist; auch die gastrointestinalen Nebenwirkungen sind hälftig häufiger. Jedenfalls ist diese Substanz, in hoher Dosierung (4 g/d) und über eine mittellange Zeit eingenommen, nicht harmlos.

Topische nicht-steroidale Antirheumatika

Für die Wirksamkeit von topischen NSAR gibt es gute Studien zur Gonarthrose sowie wenige zur Fingerpolyarthrose. Die Substanz ist dabei der Placebowirkung ­signifikant überlegen. Vergleichsstudien zu niedrig ­dosierten systemischen NSAR zeigen eine ähnliche Schmerzwirkung. Bei der Gonarthrose besteht wahrscheinlich eine Zusatzwirkung auf die oberflächlich gelegenen Strukturen wie Sehneninsertionen, Schleim-beutel und Seitenbänder. Dieses Jahr wurde erneut ­bestätigt, dass die Substanz Etofenamat die beste Hautpenetration aufweist und auch in tiefen Geweben, beim Knie bis zur Synovia und zu den Kreuzbändern, in messbarer Konzentration nachweisbar ist. Im Tiermodell kann die Gewebekonzentration mit Iontophorese gesteigert werden.

Systemische nicht-steroidale 
Antirheumatika

Die Schmerzwirkung der NSAR ist nicht überragend, und die NNT (number needed to treat) beträgt etwa ­
3–4. Die akute Wirkung ist sowohl gegenüber Paracetamol als auch gegenüber Chondroitinschwefelsäure und Glucosamin überlegen. Zu beachten sind die bestens bekannten gastrointestinalen, kardiovaskulären und renalen Nebenwirkungen, die insbesondere bei ­älteren Leuten den hochdosierten Einsatz verunmöglichen. Innerhalb der Substanzgruppe sind hinsichtlich gastrointestinaler Nebenwirkungen Coxibe und Diclo­fenac den Substanzen Ibuprofen und Naproxen deutlich überlegen. Hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse konnten vier Studien eine Überlegenheit von Naproxen belegen, die jedoch in einer neueren fünften Studie nicht bestätigt wurde. Eine diesjährige Netzwerk-Metaanalyse hat hinsichtlich Wirksamkeit dem Diclofenac den ersten Platz zugewiesen. Die individuelle Wahl des NSAR muss deshalb auf dem ­Abwägen von Wirkung und Nebenwirkungsprofil basieren.

Chondroitinschwefelsäure und ­Glucosamin

Die Studienlage zu diesen beiden Substanzen ist gross und nach wie vor nicht ganz eindeutig. Eine funktionelle Verbesserung für Chrondroitinschwefelsäure gegenüber Placebo konnte in einer Genfer Studie für die Fingerpolyarthrose gezeigt werden. Zur Gonarthrose zeigte eine frühere Zürcher Studie eine signifikante Schmerzverbesserung sowie eine strukturelle Wirkung (Gelenkspaltweite) nach zwei Jahren. Der geringere Knorpelverlust gegenüber Placebo ist ab sechs Monaten nachweisbar und wurde in einer australischen Gonarthrosestudie für Chrondroitinsulfat und Glucosaminsulfat nach zwei Jahren belegt. Die neueste, nordamerikanische (USA und Kanada) Studie zeigt ähnliche Schmerzwirkung von Chondroitinschwefelsäure wie 200 mg Celecoxib täglich. Andere Studien verpassten den Endpunkt. Die Metaanalysen ergeben nach wie vor eine signifikante Wirkung von Chrondroitinsulfat gegenüber Placebo. Glucosamin ist wohl als Glucosaminhydrochlorid nicht wirksam, als Glucosaminsulfat aber dem Chrondroitinsulfat ähnlich; in der Schweiz wird dieses Präparat von der Krankenkasse nicht übernommen, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen wird. Zu beachten ist, dass die Sofortwirkung hinsichtlich Schmerz gering und einem hochdosierten NSAR unterlegen ist, die Wirkung aber über sechs bis zwölf Wochen zunimmt und beim üblicherweise nachlassenden Effekt der NSAR sich mit jener Wirkung bei Woche acht überschneidet, das heisst anschliessend besser schmerzwirksam ist als NSAR.

Intraartikuläre Glukokortikoide

Bei akuten Arthroseschmerzen ist die intraartikuläre Glukokortikoidgabe den peroralen und topischen Medikamenten hinsichtlich Wirkung überlegen. Im Zeitalter der Ultraschall-gesteuerten Punktion und Injektion dürften die Nebenwirkungen gegenüber früher verringert sein. Allerdings ist bei multimorbiden Pa­tienten nach allfälligen antikoagulatorisch oder antithrombotisch wirkenden Medikamenten zu fragen, da eine Blutungsneigung gegenüber der nur kurzfristigen Wirkung intraartikulärer Glukokortikoide höher bewertet werden sollte. Eine Wiederholung ist grundsätzlich möglich und manchmal auch sinnvoll, doch halten wir uns – gestützt auf eine kleine kanadische Studie mit dreimonatigen Infiltrationen über zwei Jahre ohne Arthroseprogredienz – an die Regel, nicht mehr als drei Mal jährlich Glukokortikoide zu infiltrieren. Die systemischen Nebenwirkungen sind bei ­Patienten ohne ­Komorbiditäten weitgehend vernachlässigbar.

Intraartikuläre Hyaluronsäure

Hyaluronsäure ist ein Medizinalprodukt und wird von der Krankenkasse nicht bezahlt. Die Indikation für eine Hyaluronsäure-Infiltration – insbesondere ins Knie, aber auch ins Hüftgelenk oder bei einer Rhizarthrose – ist deshalb differenziert zu stellen. Meta­analysen zeigen einen geringeren Kurzzeiteffekt der Hyaluron­säure gegenüber intraartikulären Glukokortikoiden, jedoch ist der Langzeiteffekt hinsichtlich Schmerzen (nach zwei bis drei Monaten) überlegen. Mehrere Studien belegen die statistisch signifikante Schmerzwirkung bei Gonarthrose. Internationale Gesellschaften geben unterschiedliche Empfehlungen ab; vor wenigen Wochen hat die American Medical Society for Sports Medicine (AMSSM) die Hyaluronsäure-Infiltration empfohlen.

Orthesen

Gute Studien gibt es zur lateralen Schuhsohlenerhöhung (5 mm) bei medialer Gonarthrose, wobei eine neuere Studie allerdings keine Evidenz zeigen konnte. Eine valgisierende Orthese am Kniegelenk bei medialer Gonarthrose zeigte mit kleiner Fallzahl eine statistisch signifikante Besserung. Erfahrungsgemäss wird zu selten an die Möglichkeit einer Schuhversorgung oder Orthese gedacht: sie ist einfach, billig und oftmals wirksam, wird aber vom Patienten häufig als unangenehm empfunden.

Umstellungsosteotomie und ­Kniedistraktion

2013 wurde eine Studie mit 20 Patienten, die vor dem Alter von 60 Jahren eine Knie-Totalendoprothese erhalten sollten, publiziert, bei denen acht Wochen lang eine vollständige Entlastung mit einem Fixateur externe durchgeführt wurde. Die erwartete anschliessende Verbesserung der Funktion einerseits und der Schmerzen andererseits hielt erstaunlicherweise über zwei Jahre in genau gleichem Masse an. Diskutiert ­werden eine Veränderung des Kollagen Typ II sowie der Hyaluronsäure, die zu einer Regeneration des Knorpels führen. Dies könnte durchaus ein zusätzlicher ­Mechanismus bei der Umstellungsosteotomie sein, deren gute Resultate im 10-Jahresverlauf bei 75% und im 15-Jahresverlauf bei 50% liegen: einerseits verändert sich die Abstützfläche, und der Patient kann auf noch erhaltenem Knorpel gehen, andererseits wird die geschädigte Knorpeloberfläche dank der Entlastung teilweise auch wieder regeneriert. Hierzu sind weitere ­Daten erforderlich, die auch Hinweise auf die Regeneration des Knorpels und die Heilung der Arthrose bringen könnten.

Kräftigungsübungen / Training

Die günstige Wirkung von Training auf die Gonarthrose ist in einer Metaanalyse bestätigt. Die Datenlage hinsichtlich einzelner Studien ist allerdings schwierig. Im akuten Schmerzstadium empfiehlt sich Wassertherapie, damit im Hinblick auf die Knorpelregeneration das Gelenk mit geringer Belastung bewegt werden kann. Wichtig ist das muskuläre Training in beschwerdearmen Phasen.

Passive physikalische Therapie und weitere Therapiemodalitäten

Obwohl seit Jahrhunderten niemand an der wirkungsvollen (Selbst-)Applikation von passiven physikalischen Modalitäten zweifelt, ist die Datenlage spärlich und uneinheitlich. Eine Schmerzwirkung konnte bei transkutaner Elektro-Nervenstimulation (TENS) gezeigt werden. Patienten sollen motiviert werden, Selbst­applikationen entsprechend ihrem eigenen Erfahrungsstand durchzuführen. Auch für Traditionelle Chinesische Medizin und Akupunktur sowie für Tai Chi und Qi Gong wurden Arthrosestudien durchgeführt, ebenfalls für verschiedene Nahrungsmittel und für Pflanzenextrakte. Studien zur intraartikulären Gabe von platelet rich plasma (PRP) und autologem Interleukin-1-Rezeptor-Antagonist (IL-1Ra) sind im Gange. Viele Hoffnungsträger der letzten Jahre ergaben leider bisher keine in die Praxis umsetzbaren ­Resultate.

Edukation und Kombinationen von Therapiemodalitäten

Tabelle 1: Algorithmus 2016 der (ärztlichen) Arthrose-Behandlung.
– Die Behandlung ist in jedem Stadium multimodal
– Am Anfang steht: Edukation
– Bewegungstraining ist immer empfohlen (Wassertherapie bei starken Schmerzen)
– Selbstanwendung von physikalischen Massnahmen ist förderlich
1. SchrittParacetamol
Chrondroitinsulfat / Glucosaminsulfat
Topische NSAR (nicht-steroidale Antirheumatika)
2. SchrittOrale NSAR (nicht-steroidale Antirheumatika)
Intraartikuläre Glukokortikoide
Intraartikuläre Hyaluronsäure
3. SchrittOpioide, SNRI (Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer)
4. SchrittDistraktion, Umstellungsosteotomie, Totalendoprothese
Seit vielen Jahren beginnen alle Richtlinien zur Arthrosebehandlung mit dem Stichwort «Edukation» (Tab. 1). Die Aufklärung und Motivation des Patienten für das Selbstmanagement der Arthrose, allen voran die Gewichtsreduktion bei Übergewicht, ist nach wie vor im Zentrum jeder therapeutischen und präventiven Aktivität des Hausarztes. Für die Behandlung ergibt sich ein breites Spektrum von Substanzen und Möglichkeiten, die im Einzelfall unbedingt auch kombiniert angewendet und eben auch «ausprobiert» ­werden sollen. Der Hinweis auf vermehrte Aktivität (Wassergymnastik bei akuten Schmerzen) soll dem ­Ruhigstellverhalten des Patienten entgegenwirken. Schmerzmedikamente sind initial am besten wirksam und sollten später wieder reduziert oder ganz abgesetzt werden. Strukturerhaltende Möglichkeiten sind mit dem Patienten im Einzelfall zu besprechen.

Fazit für die Praxis

• Die Arthrose wird zu oft als «altersgegeben» hingenommen.
• Therapeutischer Nihilismus ist fehl am Platz.
• Die Therapiemodalitäten sind vielfältig und dankbar.
• Edukation und Gewichtsreduktion sollen motiviert werden.
• Wichtiger Pfeiler der Arthrosebehandlung ist – im Gegensatz zum Schonverhalten des Patienten – die Bewegung.
KD Dr. Marcel Weber
Stadtspital Triemli
CH-8063 Zürich
marcel.weber[at]
triemli.zuerich.ch
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