Neues Behandlungskonzept, selbes Resultat

Feuchte Makuladegeneration: neues Behandlungskonzept, selbes Resultat

Lehren und Forschen
Ausgabe
2016/22
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2016.01349
Prim Hosp Care (de). 2016;16(22):410-411

Affiliations
Institut für Hausarztmedizin, Zürich

Publiziert am 22.11.2016

Im letzten Jahr berichteten wir in dieser Zeitschrift das erste Mal über die 
CHARMED-Studie zur Erforschung neuer Behandlungskonzepte bei feuchter 
Makuladegeneration [1]. Jetzt liegen die Ergebnisse vor [2].
Die altersbedingte feuchte Makuladegeneration (AMD) ist eine der häufigsten Ursachen für Erblindung. AMD hat seit der Entwicklung intravitrealer monoklonaler Antikörpertherapien allerdings viel von ihrem Schrecken verloren. In randomisierten Studien wurde gezeigt, dass sich die Krankheit nicht nur aufhalten, sondern sich die Sehkraft der betroffenen Patienten ­sogar wieder relevant verbessern lässt. Im richtigen ­Leben allerdings lassen sich diese aus Studien dokumentierten Therapieerfolge weniger häufig reproduzieren. Gründe dafür könnten in der Organisation der Gesundheitsversorgung liegen, die sich im richtigen Leben deutlich anders gestaltet als in klinischen Studien.

Chronic care – die Hypothese

CHARMED steht für «Chronic care for age-related ma­cular degeneration». Die Hypothese der CHARMED-Studie war, dass sich durch eine Reorganisation der ­Gesundheitsversorgung von AMD-Patienten, im Vergleich zur üblichen Behandlung, relevante Verbesserungen der Sehschärfe erzielen lassen. Die Reorganisation im Rahmen der Studie richtete sich nach dem gut etablierten Chronic Care-Modell (CCM), das bereits bei chronischen Krankheiten wie Diabetes oder COPD klare ­Erfolge erzielte.

Chronic care − die Intervention

Zwölf Ophtalmologiezentren in der Schweiz nahmen an der CHARMED-Studie teil. In diesen Zentren wurden für AMD-Patienten in der Interventionsgruppe spezielle Betreuungspfade geschaffen. Der Hauptunterschied zur üblichen Betreuung bestand darin, dass die Patienten durch speziell geschulte Chronic Care-Coaches betreut wurden. Diese standen den Patienten als kontinuierliche Ansprechpersonen bei, planten Arzttermine, führten proaktiv und regelmässig telefonische Kontrollen durch und instruierten die Patienten in der Selbstdurchführung von Amsler-Tests zur Früherkennung neuer Krankheitsaktivität. Ziel dieser Intervention war es, dass die Patienten die nötigen regelmässigen Injektionen mit grösserer Zuverlässigkeit erhalten und in der Lage sind, Rückfälle von AMD schneller zu bemerken, um so eine prompte Behandlung zu erhalten.

Eine gute Ausgangslage …

169 AMD-Patienten wurden rekrutiert. Die Patienten waren durchschnittlich 77 Jahre alt und überwiegend Frauen (63%). Verglichen mit AMD-Patienten aus internationalen Studien hatten Patienten in der CHARMED-Studie schon von Beginn an relativ gute Ausgangswerte: Von maximal 100 Buchstaben auf der standardisierten Prüftafel erkannten sie durchschnittlich 60, die Lebensqualität, bezogen auf die Sehschärfte, wurde mit einem validierten Instrument 
(NEI VFQ-25) geprüft und lag im Mittel bei 87 von 100 möglichen Punkten.

… ist schwer zu verbessern

Sowohl die Sehschärfe als auch die Lebensqualität veränderten sich nicht innerhalb des Studienjahrs, das ­Niveau blieb konstant hoch. Zwischen der Interventions- und Kontrollgruppe tauchten keine relevanten oder signifikanten Unterschiede der gemessenen Outcomes auf. Ein solches Ergebnis könnte bedeuten, dass die Intervention nicht richtig umgesetzt wurde.

Gute chronic care auch in der ­Kontrollgruppe

Um zu kontrollieren, ob die Intervention bei den ­Patienten auch ankommt, wurde mit einem speziellen Patientenfragebogen (PACIC Score) gemessen, ob die erlebte Gesundheitsversorgung in der Interventionsgruppe mit den Prinzipien des CCM übereinstimmt.
Zu Studienbeginn war die Übereinstimmung eher mässig, stieg aber bis zum Ende der Studie signifikant an – interessanterweise nicht nur in der Interventions-, sondern auch in der Kontrollgruppe. Am Ende beurteilten die Patienten die Übereinstimmung ihrer Behandlung mit dem CCM in beiden Gruppen gleich hoch.

Versorgung «zu» gut – Intervention unnötig

AMD-Patienten wurden in dieser Studie in einem frühen Stadium erkannt und behandelt. Nach einem Jahr war das relativ hohe Niveau der Sehfunktion unverändert und ohne Unterschiede zwischen den Studiengruppen. Resultate aus internationalen Studien, bei denen sich teilweise sogar der Visus verbessern liess, konnten nicht reproduziert werden. Allerdings gab es aufgrund der relativ guten Ausganssituation der Schweizer Pa­tienten auch sehr wenig Raum für solche Verbesserungen im Vergleich zu internationalen Studienpatienten. Dass die Übereinstimmung mit dem CCM in beiden Gruppen nach einem Jahr deutlich zunahm, deutet darauf hin, dass die an der Studie beteiligten Ophtalmologiezentren auch bei ihrer «üblichen Behandlung» bereits standardmässig Chronic Care-Elemente in der Behandlung implementiert hatten und diese erfolgreich zu den Patienten transportierten.
So oder so deuten die Resultate auf ein gut funktionierendes Gesundheitssystem bei AMD hin − kein Grund über das «Versagen» der Intervention betrübt zu sein.
Dr. med. Sima Djalali
Universität Zürich
Pestalozzistrasse 24
CH-8091 Zürich
sima.djalali[at]usz.ch
1 Djalali S, Markun S, Feuchte Makuladegeneration: die CHARMED-Studie. PrimaryCare. 2015;15(18):317-318.
2 Markun S, Dishy A, Neuner-Jehle S, Rosemann T, Frei A: The Chronic Care for Wet Age Related Macular Degeneration (CHARMED) Study: A Randomized Controlled Trial. PLoS ONE. Published: 2015;DOI:10.1371/journal.pone.0143085.