eHealth – ein Phantom in Schweizer Praxen
Stand der Implementierung von Praxisinformationssystemen und deren Nutzung

eHealth – ein Phantom in Schweizer Praxen

Lehren und Forschen
Ausgabe
2016/18
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2016.01350
Prim Hosp Care (de). 2016;16(18):341-342

Affiliations
Institut für Hausarztmedizin, Zürich

Publiziert am 28.09.2016

Immer mehr Schweizer Ärzte nutzen in der Praxis elektronische Krankengeschichten, allen voran die Hausärzte. Von effektiver eHealth-Nutzung und elektronischem Datenverkehr kann jedoch noch nicht die Rede sein.
Die gute Nachricht zuerst: Hausärztinnen und Hausärzte sind die Vorzeige-Disziplin, was die Implementierung von eHealth im Praxisalltag angeht. Im Mai 2013 führte das Institut für Hausarztmedizin der Univer­sität Zürich eine repräsentative Umfrage unter 1200 ­niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten aller Fachrichtungen durch, mit dem Ziel, den Stand der Implementierung von Praxisinformationssystemen und ­deren Nutzung in der Schweiz zu untersuchen.

Das Papier ist tot ...

Die Umfrage ergab, dass die Nutzung von elektronischen Krankengeschichten (eKG) unter Hausärztinnen und -ärzten am weitesten verbreitet war. Zudem nutzten sie signifikant häufiger als Vertreter anderer Fachgruppen Möglichkeiten des elektronischen Datenverkehrs, zum Beispiel, um Laborresultate, Befunde und Arztbriefe mit Kollegen und anderen Dienstleistern im Gesundheitswesen (Labors, Spitäler, Physiotherapeuten) auszutauschen. «Signifikant» heisst jedoch nicht automatisch «relevant». Die absoluten Zahlen sind im internationalen Vergleich noch immer niedrig und kein Paradebeispiel für effektive eHealth-Nutzung. Konkret heisst das: 44,8% der Hausärzte nutzten eine eKG, im Vergleich zu 17,5−36,4% der Gynäkologen, Pädiater, Psychiater und anderen Spezialisten (Abb. 1). ­Länder wie England oder die Niederlande haben diesbezüglich eine Abdeckung von fast 100% [1, 2].
Abbildung 1: Hausärzte haben die Nase vorn, aber viel bemerkenswerter ist das Gefälle zwischen Computerbesitz, eKG-Nutzung und Nutzung von vollelektronischem 
Datenaustausch.

... es lebe das Papier!

«Eine eKG nutzen» war auch nicht gleichbedeutend mit dem Nutzen von Funktionen zum Austausch ­medizinisch relevanter Daten und zur Unterstützung ­medizinisch relevanter Prozesse. Laborverordnungen an praxisinterne und externe Labors wurden beispielsweise nur von rund 23% der befragten Hausärzte (5−16% der anderen Fachgruppen) routinemässig über elektronische Formulare ausgeführt.
Der Empfang der entsprechenden Resultate von eigenen Laborgeräten oder externen Labors erfolgte auch in Hausarztpraxen selten ausschliesslich durch einen strukturierten Datenaustausch (rund 16% vs. 8−16% bei anderen Fachgruppen in Bezug auf interne Labor­ergebnisse; rund 40% vs. 2−24% bei anderen Fachgruppen in Bezug auf externe Laborergebnisse).
Selbst wenn sie eine eKG nutzten, gab die Mehrheit der Befragten an, die Kommunikation mit ärztlichen Kollegen, Spitälern, Labors und Physiotherapeuten über Brief und Fax zu regeln, und Briefe und Befunde auch in Papierform zu archivieren. Hier machten auch Hausärzte (97%) keine Ausnahme gegenüber anderen medizinischen Fachgruppen (94−96%). Die Zusammenschau aller Angaben zum Handling von Datenein- und ausgängen legt die Schlussfolgerung nahe, dass der Anteil von komplett papierlos funktionierenden Praxen in der Schweiz aktuell verschwindend gering resp. quasi nicht existent ist.

eHealth, das Phantom

Die Besonderheit dieser Umfrage war, dass berücksichtigt wurde, dass «eHealth», «eKG» und Co. Phantombegriffe sind, unter dem jeder Befragte etwas anderes subsummieren würde. Um Missverständnisse auszuschliessen, wurden daher konkrete Arbeitsschritte in der Administration und medizinischen Dokumentation des Praxisalltags abgefragt, zum Beispiel wie die Anamnese schriftlich festgehalten wird oder wie Untersuchungen (Labor, verschiedene Arten der Bildgebung etc.) verordnet, empfangen und archiviert werden. Bei elektronischen Arbeitsweisen wurde zudem zwischen strukturierten Daten und unstrukturierten Freitexteinträgen differenziert. Durch dieses «Sezieren» alltäglicher Praxisprozesse konnte aufgezeigt werden, dass sich die Schweizer Ärzteschaft nicht in generelle Computerverweigerer und Technikbegeisterte unterteilen lässt. Tatsächlich ist der Anteil der Computernutzer hoch, doch wird die Technik nur punktuell eingesetzt. Sei es, weil Schnittstellen zu anderen digitalen Systemen fehlen oder weil das Umfeld von Empfängern und Sendern den Ärzten weiterhin den Austausch von Papierdokumenten aufzwingt, ­deren nachträgliche Digitalisierung möglicherweise unpraktischer ist als das Führen einer parallelen papier­basierten Ablage.

Blick in die Zukunft

Hausärzte gaben immerhin zu rund 39% an, ihre ­Nutzung elektronischer Arbeitsweisen innerhalb der nächsten drei Jahre verstärken zu wollen. Vertreter anderer Fachgruppen äusserten diese Absicht nur in 20% (Psychiater) bis 35% (Pädiater) der Fälle. Hinkten die Hausärzte bei einer ähnlichen Befragung im Jahr 2007 noch weit hinterher, zeigten sie sich in der aktuellen Umfrage nun als «Motor» der eHealth-Implementierung [3].
Die Frage, innerhalb welcher Zeitspanne effektiv mit Zuwächsen der elektronisch arbeitenden «Peer group» gerechnet werden kann, lässt sich mit der vorliegenden Querschnittsstudie nicht beantworten. Legislative oder finanzielle Interventionen könnten ein Treiber sein; die grösste Motivation zum Umstieg wären allerdings eHealth-Lösungen, welche die Arbeit effizienter gestalten und sich mehr an den Bedürfnissen der Ärzteschaft orientieren.
Die Studie wurde finanziell vom Institut für Praxisinformatik (IPI) unterstützt. Die FMH unterstützte die Arbeit durch die Verfügbar­machung einer Zufallsstichprobe von Adressen niedergelassener Ärzte. IPI und FMH hatten zu keinem Zeitpunkt Einfluss auf die ­Datenerhebung, -analyse und Publikation der Arbeit.
Dr. med. Sima Djalali
Universität Zürich
Pestalozzistrasse 24
CH-8091 Zürich
sima.djalali[at]usz.ch
Djalali S, Ursprung N, Rosemann T, Senn O, Tandjung R. Undirected health IT implementation in ambulatory care favors paper-based workarounds and limits health data exchange. International Journal
of Medical Informatics 2015;15(84):920−32. DOI: 10.1016/
j.ijmedinf.2015.08.001.