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Publiziert am 09.11.2016
Tabelle 1: Metaanalyse von Risikofaktoren für Betagtenmisshandlung [3]. | |
Risikofaktoren | Odds-Ratio mit 25. und 75.Percentile |
Risikofaktoren von Seiten der Betroffenen | |
Psychische Probleme | 3,3; 1,5–7,1 |
Verhaltensstörungen bei somatisch Pflegebedürftigen | 2,3; 1,6–3,2 |
Verhaltensstörungen bei Demenz | 38.3, 4,6–326 |
Pflegebedürftigkeit | 4,4; 2,4–7,9 |
Gebrechlichkeit | 4,8; 3,3–7,8 |
Risikofaktoren von Seiten der Misshandelnden | |
Hoher Betreuungsstress resp. Belastung | 1,8; 1,2–2,7 |
Eigene psychische Krankheit oder Probleme wie Sucht | 3,1; 1,4–7,1 |
Risikofaktoren von Seiten der Familienbeziehung | |
Konfliktreiche Beziehung | 9,0; 4,8–16,8 |
Risikofaktoren von Seiten der Umwelt | |
Grosse soziale Unterstützung von aussen (gute soziale Unterstützung von aussen reduziert das Misshandlungsrisiko massiv) | 0,4; 0,2–1,07 |
Geringe soziale Unterstützung von aussen bei Pflegebedürftigkeit | 4,6; 2,4–8,9 |
Tabelle 2: Die fünf Fragen des Elder Abuse Suspicion Index (EASI) [6]. | |
Frage 1 | Benötigen Sie Unterstützung von anderen Personen für eine der folgenden alltäglichen Verrichtungen: Baden, Ankleiden, Einkaufen, Rechnungen bezahlen, Mahlzeiten zubereiten? |
Frage 2 | Hat Ihnen jemand je Esswaren, verordnete Medikamente, Ihre Brille, Ihr Hörgerät oder Medizinische Pflege vorenthalten oder Sie von Menschen, mit denen Sie sich gerne getroffen hätten, ferngehalten? |
Frage 3 | Waren Sie je aufgebracht, weil jemand so mit Ihnen geredet hat oder umgegangen ist, dass Sie das beschämt hat oder Sie sich bedroht gefühlt haben? |
Frage 4 | Hat jemand je versucht, Sie zu zwingen, gewisse Papiere zu unterschreiben oder Ihr Geld anders zu gebrauchen, als Sie es wollen? |
Frage 5 | Hat jemand Sie je in Angst versetzt, Sie berührt auf eine Art, die Sie nicht wollten oder Ihnen körperliche Schmerzen zugefügt? |
Tabelle 3: Anzeichen für eventuell vorliegende Gewalt gegen ältere Menschen und die notwendigen Abklärungen [1]. | |
Manifestationen | Abklärungen und Bemerkungen dazu |
Physische Gewalt | |
• Abschürfungen • Lazerationen • Blutergüsse • Frakturen • Spuren vom Gebrauch von Fixationsmaterial • Verbrennungen • Schmerzen • Depression • Delir mit oder ohne Verschlechterung von Verhaltensstörungen bei Demenz | • Direkt fragen, wie die Verletzungen entstanden sind (Widerspruch zum Verletzungsbild?)cave: Auch spontane Blutergüsse sind häufig im Alter • Verletzungen an Kopf, Hals und Oberarmen sind typisch für Gewalt, können aber auch Folge von Stürzen oder spontanem Anstossen sein • Kiefer- und Zygomafrakturen sind typisch für Schläge, Frakturen von Orbita oder Nase für Sturzfolgen cave: Frakturen von langen Knochen können bei lange Bettlägrigen auch bei sorgfältiger Pflege entstehen • Untersuchen Sie Handgelenk und Knöchel auf Fesselspuren • Achten Sie auf verschiedene alte Verletzungen (z.B. per secundam verheilte grosse Lazerationen oder ungerichtet verheilte Frakturen), solche sind verdächtig auf Gewalt • Untersuchen Sie den Mund auf Zahnfrakturen oder frische Zahnlücken • Benutzen Sie eine Schmerzskala (evtl. eine spezielle für Demenzspätstadien) • Untersuchen Sie auf Depression und Delir, z.B. wegen Schmerzen • Untersuchen Sie ohne Begleitperson: Die Anamnese kann sich von der der betreuenden Person unterscheiden → Verdacht auf Gewalt (ausser bei Demenz) |
Verbale oder psychologische Gewalt | |
• Direkte Beobachtung von verbaler Beschimpfung • Diskrete Zeichen von Einschüchterung, z.B. Fragen weiter geben an Begleitperson (=Täter?) • Hinweise auf Isolation von früheren Vertrauenspersonen (aus Familie oder Freundeskreis) • Depression oder Ängstlichkeit oder beides | • Fragen Sie spezifisch, z.B. «Werden Sie angeschrien oder beschimpft?», «Hat jemand gedroht, Sie in ein Heim einzuweisen?», «Ist Ihnen verboten, Freunde oder andere Familienmitglieder zu sehen?» • Fragen Sie nach der Grösse und Qualität des Beziehungsnetzes, z.B. «Wer Hilft Ihnen im Notfall?», «Wie viele Bekannte sehen Sie regelmässig oder wie vielen telefonieren Sie oft? Wer ist das?» • Nutzen Sie Standard-Assessments für Depression und Kognition cave: verbale Gewalt wird oft von anderen Gewaltformen begleitet • Klinische und administrative Mitarbeitende sollen ermuntert werden, unverzüglich und diskret verbale Beschimpfungen oder einen groben Umgang mit Patienten der Ärztin/dem Arzt zu melden |
Sexuelle Gewalt | |
• Blutergüsse, Schürfungen, Lazerationen im Anogenitalbereich • Frische venerische Erkrankung (speziell in Heimen und bei mehreren Personen auftretend) • Urininfekt | • Fragen Sie direkt nach erzwungener sexueller Aktivität oder Vergewaltigung • Untersuchen Sie Vagina und entnehmen Sie forensische Evidenz oder lassen Sie dies durch Spezialistinnen tun (wie bei jungen Menschen) • Fragen Sie bei Demenz nach hypersexuellem Verhalten und anderen Verhaltensstörungen (ev. auch bei Mitpatienten) |
Finanzielle Gewalt | |
• Kein Geld mehr für Krankenkasse, Spitex, Nahrung,
Miete, Strom, Gas etc. • Mangelernährung, Gewichtsverlust ohne medizinischen Grund dafür • Depression, Ängstlichkeit • Hinweise auf finanziell relevante Fehlentscheide gemäss eigener Angabe oder der von Dritten • Entlassung von Helfer- oder Spitex-Diensten • Kein Strom, Gas, Krankenkasse mehr wegen Nicht- bezahlen der Rechnungen trotz Mahnungen • Wohnungskündigung wegen Nichtbezahlen von Miete oder Hypotheken | • Fragen Sie direkt nach finanzieller Ausbeutung z.B. «Wurde Ihnen Geld, Wertsachen oder Eigentum ohne Ihre Zustimmung weggenommen?», «Wurden Ihre Kredit- oder Bank-karten ohne Ihre Zustimmung benutzt? Von wem?», «Wurden Sie telefonisch gebeten,
jemandem Geld zu überweisen oder zu übergeben?», «Haben Sie genug Geld, um alle nötigen Rechnungen zu bezahlen?» • Formelle Untersuchung der Kognition und Stimmung cave: Opfer sind oft aus Scham nicht kooperativ • Achten Sie auf plötzliche finanzielle Besserstellung von Betreuenden • Verdächtig sind unangemessen erscheinende Anträge auf Verbeiständung oder auf Einsetzen eines unqualifizierten Bekannten oder Angehörigen als Beistand. Mit Zustimmung der betroffenen Person kann dies direkt der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde KESB gemeldet werden |
Vernachlässigung/Verwahrlosung | |
• Dekubitus • Malnutrition • Dehydration • Mangelhafte Körper- und Kleiderhygiene • Nichtbefolgen der Medikamentenverordnungen • Delir mit oder ohne Verschlechterung von Verhaltensstörungen bei Demenz • Hinweise auf verwahrloste Wohnung von Dritten oder strikter Weigerung von Unterstützung im häuslichen Bereich, z.B. durch Spitex oder sogar einen unentgeltlichen Besuchsdienst | • Untersuchen Sie den ganzen Körper auf Druckstellen oder Dekubiti • Beurteilen Sie Hygiene und Sauberkeit • Ist die Kleidung der Situation und dem Wetter angemessen? • Untersuchen Sie Blutspiegel wichtiger Medikamente • Erheben Sie den Body-Mass-Index und das Albumin und suchen Sie nach Sarkopenie cave: Mangelernährung und Gewichtsverlust treten bei Demenzkranken oft auch bei bester Pflege auf und können einen Hinweis darauf sein, dass die Betreuenden besonders getreu die Abneigung vieler Demenzkranker gegenüber Essen und Trinken ernst nehmen • Untersuchen Sie Blut, Harnstoff und Kreatininspiegel als Hinweis auf Dehydratation • Befragen Sie den/die Hauptbetreuende nach ihrem Verständnis des Hilfs-, Betreuungs- und Pflegebedarfs, und durch wen und wie gut dieser erfüllt wird • Vernachlässigung und Verwahrlosung kann Absicht (selten) oder die Folge von psychischer oder körperlicher Überforderung der hauptbetreuenden Person sein, besonders bei Bedarf nach mehrfacher nächtlicher Hilfestellung, bei Verhaltensstörungen, Demenz, Gebrechlichkeit, psychischer Auffälligkeit, resp. bei kognitiver Beeinträchtigung der betroffenen Person |
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