25 Jahre EQuiP (1991-2016)
Zwischen Qualitätskontrolle und Qualitätsförderung

25 Jahre EQuiP (1991-2016)

Reflektieren
Ausgabe
2016/18
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2016.01364
Prim Hosp Care (de). 2016;16(18):351-354

Affiliations
a MSc in Evidence Based Health Care, Santémed Gesundheitszentrum Wil; b Institut für Public Health und Pflegeforschung, Abteilung 1: Versorgungsforschung/Departement for Health Services Research, Universität Bremen, Deutschland; c EQuiP Manager, Faculty Service, Quality Assurance and Student Data Management, Universität Kopenhagen, Dänemark; d Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Jena, Friedrich-Schiller-Universität, Jena, Deutschland

Publiziert am 28.09.2016

EQuiP ist Teil des Netzwerkes von Wonca Europe. Das Netzwerk wurde 1991 gegründet und setzt sich seit 25 Jahren mit Themen der Qualitätsförderung und Pa­tienten­sicherheit auseinander. Dieser Artikel bietet eine Übersicht der Entwicklung von wichtigen Werkzeugen, Methoden, Produkten und Forschungsprojekten rund um das Thema Qualität im Spannungsfeld zwischen Qualitätskontrolle und Qualitätsförderung. Es geht dabei um die Auseinandersetzung zwischen einer statischen Qualitätskontrolle und einem dynamischen Prozess der Qualitätsförderung.

Einführung

EQuiP (European Society for Quality and Safety in ­Family Practice) ist ein Netzwerk innerhalb von Wonca Europe (World Organization of National Colleges, Academies and Academic Associations of General Practitioners/Family Physicians) und beschäftigt sich mit den Themen Qualitätsförderung und Patienten­sicherheit. EQuiP wurde 1991 von Professor Richard Grol aus den Niederlanden gegründet und geleitet. Ziel war es, gemeinsam mit führenden hausärztlichen Forschungseinrichtungen Werkzeuge und Methoden zur Qualitätsförderung in der hausärztlichen Praxis zu entwickeln. In diesem Jahr feiert EQuiP seinen 25. Geburtstag. Eine gute Gelegenheit für einen Rückblick und Ausblick auf die Entwicklung von Qualität und ­Sicherheit in der europäischen Hausarztmedizin.
In Bezug auf die Entwicklung von EQuiP können drei ­unterschiedliche Schaffensphasen unterschieden werden.
1. Die Produktionsphase (1991–2006)
2. Die Reflektionsphase (2006–2011)
3. Die Netzwerkphase (seit 2011)

Die Produktionsphase (1991–2006)

Diese erste Phase von 1991–2006 war gekennzeichnet durch die Schaffung von universell einsetzbaren Tools («one size fits all») die geeignet sind, die Qualität in der hausärztlichen Gesundheitsversorgung zu erfassen und zu verbessern. Die Entwicklung konzentrierte sich dabei auf Instrumente zur Evaluation aus der Patientenperspektive sowie zur Beurteilung der Organisation in einem top-down-Prozess.

EUROPEP

Als erstes EQuiP-Produkt dieser Phase entstand EUROPEP (European Patients Evaluate Patient Care), ein ­international erprobtes, validiertes Instrument zur ­Beurteilung von Arztpraxen durch Patientinnen und Patienten. Die im EUROPEP berücksichtigten Aspekte sollten in erster Linie die Prioritäten des Patienten in Bezug auf die Qualität der Praxis berücksichtigen. Diese Prioritäten wurden daher zunächst in einer ­systematischen Übersicht [1] sowie einer Befragungs­studie [2] in acht Ländern (Norwegen Schweden, Dänemark, Grossbritannien, Niederlande, Deutschland, Portugal und Israel) ermittelt.
Diese Entwicklung erlaubt EUROPEP einen internationalen Vergleich der Qualität in europäischen Praxen. Darüber hinaus ermöglicht das Instrument den Vergleich der hausärzt­lichen Versorgung über unterschiedliche Gesundheitssysteme hinweg.

Maturity Matrix

In den ersten Jahren des neuen Jahrtausends beteiligte sich EQuiP an der Entwicklung der International Family Practice Maturity Matrix (IFPMM). Bei der Maturity Matrix handelt es sich um ein Assessment Instrument zur Selbstbewertung der Praxis, das zwischen 1996 und 2003 von Glyn Elwyn und Kollegen mit Beteiligung der EQuiP-Mitglieder entwickelt wurde [3]. Das IFPMM-Werkzeug entspricht einer Reifematrix. Dabei wird der Grad der Umsetzung verschiedener organisatorischer Dimensionen wie Verschreibungsverhalten, Dokumentation oder Organisationsstruktur auf Basis vorab definierter Kriterien dargestellt. Im Assessment bewerten alle Teammitglieder den Grad der Umsetzung der organisatorischen Dimensionen und diskutieren ihre Bewertung im Team [4]. Die Matrix macht deutlich, dass die Qualifikationen des einzelnen Grundversorgers nur eine Dimension der Qualität ausmachen. Die Qualität der Versorgung sollte sich idealerweise an einem Modell orientieren, in dem Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität beteiligt sind [5].

EPA

Zwischen 2002 und 2005 wurde als weiteres Instrument EPA (European Practice Assessment) geschaffen. EPA baut auf der Erhebung einer Vielzahl von Indikatoren auf und wird inzwischen als Instrument zur Akkreditierung hausärztlicher Praxen in der Schweiz eingesetzt, und in Deutschland als Möglichkeit anerkannt, der gesetzlich geregelten Verpflichtung zur Qualitätssicherung in Praxen nachzukommen [6]. EPA misst Indikatoren zu Domänen der Infrastruktur, der Patientenperspektive und der Qualität und Sicherheit. Das System bietet konkrete Vorschläge zur Verbesserung, unter anderem im Umgang mit Patientenbeschwerden und zur Einführung von Recall- und Fehlermeldesystemen. Die Struktur der Indikatoren erlaubt einen sofortigen Vergleich mit anderen Praxen bezüglich möglicher Verbesserungen. Zentraler Bestandteil bei EPA ist der Besuch durch einen Visitor/eine Visitorin. Dieser Besuch unterstützt die Praxisteams, ihre eigene Qualität darzustellen und Verbesserungsmöglichkeiten zu erkennen und umzusetzen.

Die Reflexionsphase (2006–2011)

Bedingt durch den Weggang zahlreicher Akteure der ersten Stunde fehlten während dieser Phase inhalt­liche und organisatorische Strukturen. Im Jahre 2007 wurde Tina Eriksson nach Richard Grol, Joachim Szecsenyi und Martin Marshall zur 4. Präsidentin gewählt. Unter ihrem Vorsitz wurden die bisherigen Leistungen kritisch reflektiert und die Basis für eine langsame und stetige Umstrukturierung der Organisation gelegt.
In der Qualitätsentwicklung verschob sich der Fokus von individuellen, praxisbasierten Ansätzen zu Gesundheitssystem-basierten Ansätzen und zur Implementierung von Veränderungen. Dieser neue Trend erforderte eine Reihe von Werkzeugen, die dafür geeignet waren, Ziele festzulegen, Veränderungen einzuführen und die Umsetzung zu kontrollieren. Dies erfolgt durch die Anwendung des PDCA(Plan – Do –Check – Act)-Zyklus. Die Erhebung von Daten aus der Praxissoftware oder anderen Quellen sowie die Reaktion auf die erhobenen Werte gewannen an Bedeutung. Die Umsetzung und Nutzung dieser Daten beinhalteten allerdings einen Balanceakt: Auf der einen Seite das Bestreben, Hausärzte und ihre Patienten an definierten Zielen mittels Qualitätsindikatoren zu messen und eine politisch gewollte Transparenz zu schaffen. Auf der anderen Seite das hohe Gut der vertrauensvollen Arzt-Patienten-Beziehung und der damit verbunden Datenschutz und Anonymität zu bewahren.
An der 6. Konferenz in Kopenhagen 2011 stand das Thema «pay for performance» im Mittelpunkt. Unter dem Titel «Value for Money in General Practice – Management and Public Trust» gab es eine Vielzahl von Veranstaltungen und Poster sowie eine eindrucksvolle Diskussionsrunde mit Iona Heath (Grossbritannien) und José Braspening (Niederlande) zum Für und Wider des Konzeptes «pay for performance».
In den folgenden Jahren beschäftigten EQuiP die professionelle Kompetenz. Von Dezember 2010 bis Ende 2012 war EQuiP als Projektpartner am EU geförderten lebenslangen Lernen der Grundversorger (innovative lifelong learning of European gerneral practitioners in Quality Improvement supported by information technology, inGPinQI) beteiligt. Ziel des Projektes war die Verbesserung des «Training in Quality Improvement». Die Forschungsgruppe um EQuiP entwickelte IT-gestützte Werkzeuge, die von Lehrern und Hausärzten gleichermassen genutzt werden können. Neben einem theoretischen Rahmengerüst [7] wurden ein elektronisches Handbuch zur Umsetzung und Leit­linien für das Management der arteriellen Hypertonie und Diabetes mellitus entwickelt [8].
Im gleichen Zeitraum wurde die EQuiP Summer School als Konzept verabschiedet. Sie bildet eine Lern- und Austauschplattform zum Thema Forschung in und um Qualität in der Grundversorgung. Die Schulungen ­finden regelmässig in englischer und französischer ­Sprache statt.

Die Vernetzungsphase (2011–heute)

Die jüngste Phase begann im April 2011 und dauert bis heute an. Zu Beginn unterschied sich die Organisationsstruktur von EQuiP von anderen bereits bestehenden Netzwerken innerhalb von Wonca Europe dadurch, dass jedes Land zwei Delegierte als Vertreter ihres Fachverbandes ernannte. Nach intensiven Diskussionen wurden die Statuten geändert, und EQuiP öffnete sich für verschiedenste Interessengruppen. Seit 2013 können Individuen und Organisationen ohne Vorbedingungen die Mitgliedschaft erwerben.
Der Schwerpunkt verlagerte sich von der Entwicklung einzelner Produkte auf die Zusammenarbeit und Einbeziehung von Mitgliedern der Interessengruppen, um ein spezifisches Thema und damit eine stärkere Orientierung an der Basis zu erreichen. Beispielhaft für diese Entwicklung ist ein Forschungsprojekt zu «patient ­empowerment», das von EQuiP eingeworben werden konnte. Empowerment und die Befähigung dazu (promotion of patient empowerment and self-care) ist als 12. Kernkriterium in die Wonca-Definition hausärzt­licher Versorgung 2011 aufgenommen worden [9]. Das Projekt wurde 2012–2015 durchgeführt und offiziell während der Wonca Europe-Konferenz in Istanbul 2015 der Öffentlichkeit vorgestellt. Im Rahmen des Forschungsprojektes wurde eine Online-Datenbank erstellt, die eine Sammlung relevanter Werkzeuge enthält.
Die Sicherheit der Patienten in der Grundversorgung gilt als Kernkompetenz der Allgemeinmediziner. Gesundheit ist eine mit Risiken behaftete Industrie. Wichtige Bereiche sind hier die Qualität der Diagnose, Vermeiden von Patientenverwechslung, Vermeiden von Fehlern bei Medikamentenabgaben und Impfungen sowie Versagen elektronischer Systeme mit Gefährdung von Patienten [10]. Ziel ist, nicht eine Grösse als Mass der Sicherheit zu identifizieren, sondern die Messungen lokalen Verhältnissen und Umständen anzupassen, und Praktikern die Entwicklung solcher Messgrössen zu überlassen [11].
EQuiP engagiert sich für die Mitarbeiter der Gesundheitsberufe, die bei Fehlern im Gesundheitswesen als zweite Opfer, und deren Angehörige als dritte Opfer mitleiden. Zurzeit fehlen eine angemessene Anerkennung für diese Opfer wie auch geeignete Bewältigungsstrategien, um das Risiko für die Patientensicherheit durch überlastete, müde Allgemeinärzte und Praxispersonal zu minimieren. Neben Müdigkeit und Burnout sind diese Opferrollen häufige Ursachen von Leiden und gar Wechsel des Berufsstandes [12].
Im Jahr 2015 gründete EQuiP unter der Leitung des Autors eine neue Arbeitsgruppe für Qualitätszirkel, die untersucht, wie Qualitätszirkel in der Grundversorgung arbeiten und welche Voraussetzungen deren ­Arbeit hindern oder fördern. Es ist ein Beispiel dafür, dass nicht immer neue Werkzeuge entwickelt werden müssen, sondern es vielmehr eines umfassenden Verständnisses bedarf, wie die zur Verfügung stehenden Werkzeuge funktionieren, und welche Voraussetzungen für ein Gelingen notwendig sind. Die Experten um die Qualitätszirkelarbeit trafen sich 2015 in Fischingen in der Schweiz, um das Wissen zusammenzutragen.

Die Zukunft der Qualitätsförderung 
und die Rolle von EQuiP

Die Zukunft der Qualitätsförderung muss für die relevanten Interessenvertreter im schwierigen Umfeld von politischen Regelungen und Patientenerwartungen einen Mehrwert schaffen. Regelungen und nachfolgende Zentralisierung führen zu schlechterer Qualität im Gesundheitswesen, insbesondere, wenn Erfassen von Daten, Umsetzung von Guidelines, Praxis-Akkreditierungssysteme und Initiativen zur Pa­tientensicherheit die Arzt-Patienten-Beziehung stören. Es gilt, zwischen diesen beiden Polen ein Gleichgewicht zu finden, um der Gefahr der Ermüdung in der Grundversorgung vorzubeugen.
EQuiP und ihr gesamtes und stetig wachsendes Netzwerk wird in einer Werte-orientierten Qualitätsentwicklung eine wichtige Rolle spielen. Im Mai 2016 hatte EQuiP 89 engagierte Mitglieder aus 25 europäischen Ländern. Jährlich im Frühjahr wird ein Themen-bezogene Konferenz organisiert, zu denen Experten und interessierte Netzwerke eingeladen werden und die ­Öffentlichkeit Zugang hat. Qualitätsentwicklung muss von der Basis ausgehen; wir alle sind deshalb gefordert, uns aktiv an den Diskussionen zu beteiligen. EQuiP bietet Gelegenheit, sich mit Fachleuten an Konferenzen auszutauschen, als Mitglieder in den Gremien aktiv mitzuarbeiten oder sich in einer Summer School einem Qualitätsprojekt zu widmen.
Wichtige Links und Adressen
EQuiP Website 
Interaktives ePDF 
Ulrik Bak Kirk | EQuiP Managerequip.we[at]gmail.com
Adrian Rohrbasser
CH-Delegierter für EQuiP
adrian.rohrbasser[at]gmail.com
Korrepondenz:
Rohrbasser, Adrian MSc in Evidence Based Health Care
Santémed Gesundheits­zentrum Wil
Friedtalweg 18
Mitglied der Kommission Qualität SGAIM, EQuiP Delegierter der Schweiz, Department of Continuing Education, University of Oxford
CH-9500 Wil
adrian.rohrbasser[at]
gmail.com
 1 Wensing M, et al. A systematic review of the literature on patient priorities for general practice care. Part 1: Description of the research domain. Soc Sci Med. 1998;47(10):1573–88.
 2 Grol R, et al. Patients’ priorities with respect to general practice care: an international comparison. European Task Force on Patient Evaluations of General Practice (EUROPEP). Fam Pract. 1999;16(1):4–11.
 3 Elwyn G, et al. Assessing organisational development in primary medical care using a group based assessment: the Maturity Matrix. Qual Saf Health Care. 2004;13(4):287–94.
 4 Edwards A, et al. Assessing organisational development in European primary care using a group-based method: a feasibility study of the Maturity Matrix. Int J Health Care Qual Assur. 2010;23(1):8–21.
 5 Berwick DM, Enthoven A, Bunker JP. Quality management in the NHS: the doctor’s role – II. BMJ. 1992;304(6822):304–8.
 6 Szecsenyi J, et al. Effectiveness of a quality-improvement program in improving management of primary care practices. Cmaj. 2011;183(18):E1326–33.
 7 Czabanowska K, et al. Development of a competency framework for quality improvement in family medicine: a qualitative study.
J Contin Educ Health Prof. 2012;32(3):174–80.
 8 Tomasik T, et al. Treatment targets in patients with type 2 diabetes set by primary care physicians from Central and Eastern Europe. Eur J Gen Pract. 2014;20(4):253–9.
 9 Mola E. Patient empowerment, an additional characteristic of
the European definitions of general practice/family medicine.
Eur J Gen Pract. 2013;19(2):128–31.
10 Rubin G, et al. Errors in general practice: development of an error classification and pilot study of a method for detecting errors. Qual Saf Health Care. 2003;12(6):443–7.
11 Vincent C, Esmail A. Researching patient safety in primary care: Now and in the future. Eur J Gen Pract. 2015;21(Suppl):1–2.
12 Mira JJ, et al. Interventions in health organisations to reduce the impact of adverse events in second and third victims. BMC Health Serv Res. 2015;15:341.
Kommentar von Johannes Brühwiler,
Leiter der Arbeitsgruppe Qualität der SGAIM
Über die Grenzen hinausschauen
EQuiP ist ein dynamisches Netzwerk in Europa, das sich seit 25 Jahren mit Qualitätsförderung im Hausarztbereich befasst. Die Geschichte von EQuiP widerspiegelt die Entwicklung der Hausarztmedizin, in der das Bewusstsein der Qualität tief verankert ist. Der internationale Austausch mit engagierten Akteuren in unterschiedlich organisierten Gesundheitswesen bringt Erfahrungen und Anregungen auf einer sehr breiten Basis ein. Der Vergleich mit anderen Organisationen zeigt Stärken und Schwächen unseres eigenen Systems und hilft in der Erarbeitung von Lösungen. Insbesondere in der kleinen Schweiz mit den beschränkten Ressourcen sind wir auf internationale Kooperationen angewiesen, von denen wir einerseits profitieren, andererseits uns aber auch als gleichberechtigte Partner einbringen können. So ist das European Practice Assessment (EPA) als validiertes Instrument zur Qualitätsförderung in der Schweiz seit vielen Jahren verfügbar. Um sich aktiv einzubringen, sind wir auf engagierte Leute angewiesen, die bereit sind, diese Arbeit auch zu leisten. Deshalb gebührt Adrian Rohrbasser ein grosser Dank dafür, dass er diese Arbeit seit vielen Jahren sehr kompetent übernimmt.