Interview mit Prof. Dr. med. Stefano Bassetti, Präsident der Weiterbildungskommission der SGAIM

«Wir wollen die Lust auf die Allgemeine Innere Medizin wecken»

Offizielle Mitteilungen
Ausgabe
2016/17
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2016.01372
Prim Hosp Care (de). 2016;16(17):312-313

Affiliations
Generalsekretärin SGAIM

Publiziert am 14.09.2016

Die Weiterbildungskommission der SGAIM hat zusammen mit einer Gruppe von Experten in den letzten Monaten ein neues Berufsbild Allgemeine Innere Medizin erarbeitet (s. Seite 314). Darin wird das Selbstverständnis aller Ärztinnen und Ärzte der Allgemeinen Inneren Medizin ­dargestellt, unabhängig davon, ob sie in der Hausarztpraxis, im Spital oder in der Wissenschaft tätig sind. Professor Dr. med. Stefano Bassetti, Präsident der Weiterbildungskommission, erläutert im Interview, wieso es ein solches Grundsatzpapier braucht und was damit vor allem auch jungen Medizinerinnen und Medizinern in Weiterbildung vermittelt werden soll.
Herr Professor Bassetti, wieso braucht es überhaupt ein Berufsbild Allgemeine Innere Medizin (AIM)?
Stefano Bassetti: Der Auslöser für die Formulierung des neuen Berufsbildes war die anstehende Akkreditierung des Facharzttitels, die im Jahr 2018 ansteht. Dies hat die Weiterbildungskommission zum Anlass genommen, das gemeinsame Selbstverständnis aller ­Allgemeininternistinnen und -internisten in einem Papier auszuformulieren. Mit dem Berufsbild kann den jungen Kolleginnen und Kollegen aufgezeigt ­werden, wie attraktiv, herausfordernd und vielfältig die Tätigkeit in der Allgemeine Inneren Medizin ist.
Inwiefern kann dieses Berufsbild junge Ärztinnen und Ärzte dazu motivieren, die Weiterbildung in Allgemeiner Innerer Medizin zu absolvieren und den Facharzttitel in diesem Gebiet zu erlangen?
Prof. Dr. med. Stefano Bassetti, Präsident der Weiterbildungskommision der SGAIM.
SB: Teilweise ist es den jungen Kolleginnen und Kollegen gar nicht bewusst, was das Fachgebiet der All­gemeinen Inneren Medizin alles beinhaltet und welche unterschiedlichen Karrieremöglichkeiten im Spital oder in der Praxis es einem eröffnet. Mit dem ­Berufsbild liefert die SGAIM nun eine wichtige ­Informationsgrundlage. Wir haben deshalb ent­schieden, das Berufsbild breit zu verteilen: An den ­medizinischen Fakultäten und an Unterassistenten ­sowie an ­Assistenzärztinnen in den Spitälern. Wir ­wollen damit bei jungen Medizinerinnen und ­Me­dizinern Lust auf die Allgemeine Innere Medizin wecken.
Im Berufsbild wird ausgeführt, dass die Allgemeine Innere Medizin eine tragende Säule des Schweizerischen Gesundheitssystems ist. Worin liegt diese zentrale Bedeutung Ihrer Meinung nach?
SB: Die Allgemeine Innere Medizin ist der Fachbereich, der eine ganzheitliche und kontinuierliche Betreuung der Patienten gewährleistet. Dank der sehr guten Weiterbildung der Allgemeininternisten haben wir in der Schweiz eine flächendeckende und hervorragende Grundversorgung, die der ganzen Bevölkerung zugänglich ist. Zudem garantieren die im Spital tätigen Allgemeininternisten eine optimale und effiziente ­Behandlung polymorbider Patienten und Menschen mit häufigen Erkrankungen im stationären Bereich. ­Natürlich geschieht dies auch in Zusammenarbeit mit Spezialisten anderer Fachgebiete, aber die Allgemeine Innere Medizin übernimmt eine wichtige koordinierende Rolle und garantiert, dass die Gesamtsicht nicht verloren geht. Die AIM ist zusätzlich eine optimale ­Basis für die Weiterbildung in anderen Spezialgebieten. Ich möchte auch die Rolle der allgemeininternistischen Forschung unterstreichen, die patienten­zentriert ist und das Ziel hat, die ­Qualität der Behandlung der allgemeininternistischen Patienten zu verbessern.
Viele Menschen haben in der Schweiz einen Hausarzt, der sie über Jahre begleitet und dem sie vertrauen. Ist es aber nicht so, dass sie dann, wenn ein ernsthaftes gesundheitliches Problem auftritt, trotzdem nach einem Spezialisten verlangen? Ist der Generalist in diesem Sinne also einfach der Schönwetterdoktor?
SB: Im Gegenteil. Wenn der Hausarzt oder der betreuende Internist im Spital das Vertrauen seiner Patienten gewinnen kann, übernimmt er eine wichtige Koordinationsfunktion und kann für seine Patienten eine grosse Stütze sein. Er berät und führt sie durch die ­vielen, für die Patienten oft auch verwirrenden Abklärungen und Behandlungen der modernen Medizin. Er ­begleitet den Patienten durch den ganzen Verlauf ­seiner Krankheit und unterstützt ihn dabei, die für ihn richtigen Entscheidungen zu treffen. Die Allgemein­internistin sieht nicht nur ein isoliertes Krankheitsbild, sondern den ganzen Menschen und sein Umfeld, und kann so auch die persönliche Situation des Patienten am besten einschätzen, was für die Fest­legung ­eines sinnvollen Therapieplans entscheidend ist.
Wie verändert die zunehmende Multimorbidität das Berufsbild der Allgemeinen Inneren Medizin?
SB: Die Koordinations- und Teamfähigkeit der Ärztin/des Arztes wird immer wichtiger. Um diese Aufgabe wahrnehmen und mit den Spezialisten im Team gut zusammenarbeiten zu können, braucht es eine sehr fundierte und breite Weiterbildung und dauernde Fortbildung. Die rasanten Fortschritte der Medizin ­machen eine immer ausgeprägtere Spezialisierung ­nötig. Auf der anderen Seite ruft die zunehmende ­Multimorbidität erst recht nach Allgemeininternisten, die in der Lage sind, die unterschiedlichen Probleme einzuordnen und die richtigen ­Prioritäten sowohl in der Diagnostik als auch in der ­Behandlung zu setzen. Damit kann der Patient durch Spezialisten und Allgemein­internisten zusammen optimal und effizient behandelt werden.
Inwiefern wird die wichtige koordinierende Aufgabe der Allgemeinen Inneren Medizin, die ja unter anderem wirkliche Führungsqualitäten und grosse kommunikative Fähigkeiten voraussetzt, in der Weiterbildung gefördert und geschult?
SB: Sowohl im ambulanten als auch im stationären ­Bereich arbeitet der Allgemeininternist in einem ­Netzwerk mit anderen Spezialisten, auch aus anderen Gesundheitsberufen wie zum Beispiel der Pflege, ­Physiotherapie, Ernährungsberatung, Sozialdienst oder der Spitex, zusammen. Die Kommunikations- und Koordinationsfähigkeiten werden also täglich «on the job» trainiert. Während der Weiterbildung werden an vielen Weiterbildungsstätten entsprechende Kommunikations- und Führungskurse angeboten.
Bruno Schmucki
Kommunikation, SGAIM, Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine
Innere Medizin
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