Die Grundlagen der Allgemeinen Inneren Medizin neu definieren

Das neue Berufsbild: eine Weiterentwicklung? Eine Überzeugung!

Editorial
Ausgabe
2016/17
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2016.01374
Prim Hosp Care (de). 2016;16(17):311

Affiliations
Co-Präsident SGAIM

Publiziert am 14.09.2016

«Panta Rhei», alles fliesst, lehrte Heraklit vor über 2500 Jahren. Auch der Berufsstand des Arztes hat sich in den letzten Jahrzehnten beachtlich verändert, vielleicht am stärksten die Fachrichtung der Allgemeinen Inneren Medizin. Der technische und pharmazeutische Fortschritt hat zwar auch zum Beispiel die Kardiologie revolutioniert; der Kardiologe weiss jedoch noch immer genau, mit welchem Organ er sich beschäftigt, und den Menschen fällt es nicht schwer, ihn als «Spezialist für das Herz» zu erkennen. Wie steht es aber beim Hausarzt und beim Spitalinternisten, diesen beiden Ausrichtungen der Allgemeinen Inneren Medizin? Welchen Ruf hat die Fachrichtung bei der Bevölkerung, in den Hörsälen der medizinischen Fakultäten und im Gesundheitssystem? Welche Rolle kommt dem Allgemeininternisten innerhalb einer Medizin zu, die sich immer mehr spezialisiert und fragmentiert und deren riesiger Wissens­umfang eine umfassende Übersicht immer schwerer macht? Eine neue Rolle für den Hausarzt? Ein Wandel für den Spitalinternisten?
Mit diesen Fragen hat sich eine Gruppe junger und ­erfahrener Allgemeininternisten beschäftigt, die aus allen Sprachregionen der Schweiz stammen und in Praxen in der Stadt oder auf dem Land, im Regional- oder im akademischen Milieu tätig sind. Das Berufsbild zu definieren: welche Herausforderung! Allerdings eine notwendige Aufgabe aufgrund der alle sieben Jahre erforderlichen Akkreditierung durch das Eidgenössische Departement des Innern, die für die Anerkennung unserer Facharzttitel zuständige Behörde. In dieser Ausgabe können Sie also das Ergebnis einer eingehenden, aktuellen Reflexion lesen: das neue Berufsbild des Facharztes für Allgemeine Innere Medizin.
Der Text zum neuen Berufsbild (s. Seite 314), der von den Führungsgremien der SGAIM verabschiedet wurde, ist sicherlich verbesserungsfähig, besonders in redaktionellen Details. Jenseits von Formulierungs­fragen sind darin aber eine Definition und ein ­Rollenbild des Hausarztes und des Spitalinternisten dargelegt, welche die Basis bilden für eine solide, umfassende, modulierbare und begeisternde Weiterbildung. Ziel ist es, die Attraktivität der Fachrichtung zu erhöhen und dadurch den notwendigen Nachwuchs in den Praxen und im Spital zu gewährleisten.
Weder innovativ noch konservativ, werden einige griesgrämig sagen. Ein unscharfes Profil des Hausarztes, werden manche erfahrene Kollegen mit festgelegten Vorstellungen versichern. Zu viele Zugeständnisse an die unseriösen Allgemeinmediziner, werden einige Hochschullehrer denken.
Im Endeffekt ein guter, helvetischer Kompromiss, werden die Pragmatiker schlussfolgern. Vielleicht keine beträchtliche Weiterentwicklung, aber eine Überzeugung, mit der notwendigen Erinnerung an grund­legende und unverrückbare Werte: Ein Mensch mit ­Gesundheitsproblemen muss beständig ein Mensch in seiner Ganzheitlichkeit bleiben; er darf nicht auf seine Krankheiten reduziert werden und er ist unendlich mehr als die Summe seiner Organe. In einem sich wandelnden Gesundheitssystem, das mit grossen technischen und demografischen Herausforderungen und mit deren Finanzierung konftontiert ist, müssen diese unabdingbaren Werte bekräftigt werden. Eine Fragmentierung des Lebens würde nicht nur die Integrität des Einzelnen, sondern auch seine Beziehung zum Nächsten und zu seinem Heimatplaneten bedrohen.
Deshalb ist ein Berufsbild unverzichtbar. Es erlaubt uns, die Grundlagen unserer Fachrichtung, der Allgemeinen Inneren Medizin, neu zu definieren, um ihr Sinn zu geben, um ihre zentrale Rolle auch über das Gesundheitswesen hinaus zu präzisieren und um sie auch für die kommenden Generationen faszinierend und motivierend zu gestalten.
Die Liebe zum Menschen und die Bereitschaft, anderen zuzuhören, müssen wir bewahren. Das darf sich nicht ändern. Dafür sind wir verantwortlich.
Dr méd.
François-Gérard Héritier
Faverge 21
CH-2853 Courfaivre
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