Synkope: harmlos oder gefährlich?
Abklärung eines Bewusstseinsverlusts in der Praxis

Synkope: harmlos oder gefährlich?

Lernen
Ausgabe
2017/15
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2017.01407
Prim Hosp Care (de). 2017;17(15):293-295

Affiliations
a Arztpraxis St. Wolfgang, Hünenberg; b Kardiologe, Zug

Publiziert am 16.08.2017

Die Synkope ist eine detektivische Herausforderung in der Medizin, gerade das macht sie auch spannend.

Definition und Einleitung

Die Synkope ist ein rasch einsetzender Bewusstseinsverlust von kurzer Dauer (5–22 Sekunden) mit spontaner und vollständiger Erholung. Sie geht in der Regel mit einem Tonusverlust der Muskulatur einher, was häufig zu Stürzen und Verletzungen führen kann.
Die Prävalenz der Synkope erreicht während der Lebenszeit bis über 30%, 1–3% aller Notfälle an Notfall­stationen sind auf Synkopen zurückzuführen, 3–6% ­aller stationären Aufnahmen an Spitälern betreffen Synkopen [1, 2].
Pathophysiologisch ist die Synkope Folge einer transienten globalen zerebralen Hypoperfusion. Diese kann durch eine Asystolie nach 6–8 Sekunden oder durch ­einen Abfall des systolischen Blutdrucks unter 60 mm Hg bedingt sein. Die Differentialdiagnosen sind in Tabelle 1 aufgelistet.
Tabelle 1: Differentialdiagnose: Nicht-synkopale ­Sturzursachen mit und ohne Bewusstlosigkeit.
Ohne Bewusstlosigkeit
– Sturz (Morbus Parkinson, Stolpersturz)
– Drop attack
– Psychogene Pseudosynkope
– TIA im Carotis-Stromgebiet
– Kataplexie (Narkolepsie)
Mit Bewusstlosigkeit
– Epilepsie
– Vertebrobasiläre TIA (zusätzlich neurologische Symptome)
– Metabolische Störungen (Hypoglykämie, Hypoxie, ­Hyperventilation mit Hypocapnie)
– Intoxikationen
– Schädelhirntrauma
Abkürzungen: TIA = transiente ischämische Attacke

Einteilung

Die Einteilung der Synkopen erfolgt nach der Pathophysiologie. Man unterscheidet drei grosse Gruppen:
– Neurokardiogene Synkopen
– Orthostatische Synkopen
– Kardiale Synkopen

Neurokardiogene Synkopen

Bei neurokardiogenen Synkopen löst ein Trigger über einen Reflex eine Hypotonie und/oder Bradykardie aus. Das klassische Beispiel ist die vasovagale Synkope, ausgelöst durch emotionale Trigger, wie beispielsweise durch eine Akrophobie (Spritzenangst). Auch zählt das Carotis-Sinus-Syndrom dazu, wobei eine Stimulation des Carotis-Sinus zu Bradykardie und Hypotonie führt. Weitere Auslöser für neurokardiogene Synkopen ­können Pressen (Defäkation, Gewichtheber, Trompetenspieler, etc.), Husten, Niessen, Schlucken, viszeraler Schmerz, Miktion, postprandialer Zustand oder körperliche Anstrengung (Gewichtheber, Trompetenspieler etc.) sein.

Orthostatische Synkopen

Die orthostatische Synkope zeigt sich beim oder unmittelbar nach dem Aufstehen vom Liegen oder Sitzen. Dabei entsteht ein Blutdruckabfall, der nicht innert nützlicher Frist für die zerebrale Perfusion kompensiert werden kann. Gründe können Medikamente (Antihypertensiva, Alphablocker, Psychopharmaka) oder Alkohol sein. Ein Volumenmangel kann auch über eine sympathikotone orthostatische Hypotonie die Ursache für eine Synkope sein. Bei der autonomen Neuropathie resultiert eine asympathikotone orthostatische Hypotonie, die zur Synkope führt. Differenzieren lassen sich die beiden Mechanismen durch einen Orthostasetest (Schellong-Test). Bei einer sympathikotonen orthostatischen Hypotonie findet sich ein Anstieg der Herzfrequenz, bei der asympathikotonen Form nicht.

Kardiale Synkopen

Rhythmusstörungen

Dabei unterscheiden wir bradykarde Rhythmusstörungen als Auslöser von Synkopen wie beispielsweise das Sick-Sinus-Syndrom, den AV-Block II und III oder eine Pacemaker-Dysfunktion. Daneben gibt es tachykarde Rhythmusstörungen wie supraventrikuläre oder ventrikuläre Tachykardien als Grund für eine Synkope.

Strukturelle Herz-Lungen-Krankheiten

Beispiele für Auslöser von Synkopen können ein akuter Myokardinfarkt, eine akute Lungenembolie, eine akute Aortendissektion, obstruktive Herzkrankheiten (Klappenvitien wie Aortenstenose, Mitralstenose; Hyper­trophe obstruktive Kardiomyopathien (HOCM); Herz­tumoren) sowie eine Perikardtamponade sein.

Prognose: welche Synkope ist jetzt ­harmlos oder gefährlich?

In einer Studie konnte schön der Zusammenhang ­zwischen der Synkopenart und der Überlebenswahrscheinlichkeit gezeigt werden (Abb. 1) [1]. Dabei sehen wir, dass vasovagale Synkopen harmlos, Synkopen ­unbekannter Ursache eher harmlos, aber kardiale Synkopen gefährlicher sind.
Abbildung 1: Zusammenhang zwischen der Synkopenart und der Überlebenswahrscheinlichkeit. Printed with permission from: Soteriades ES, Evans JC, Larson MG, et al. Incidence and prognosis of syncope. N Engl J Med. 2002;347(12):878–85 [1].

Fazit für die hausärztliche Sprechstunde

Somit kommen wir zur Synkopenabklärung in unserer Praxis. Es ergeben sich drei Kardinalfragen:
– Ist es eine Synkope? Genaue Anamnese!;
– Liegt eine Herzkrankheit vor (gefährliche Synkope)? Status, EKG;
– Sind Anamnese und Befunde typisch für eine bestimmte Synkopen-Art? Carotis-Sinus-Massage (einseitig), weitere Beobachtungen und Untersuchungen.
Die Anamnese gibt uns die entscheidenden Hinweise:
– Für eine neurokardiogene Synkope sprechen Trigger, Prodromalsymptome, ein Auftreten nach einer körperlichen Belastung und eine anschliessende Müdigkeit (Vagus);
– Typisch für eine orthostatische Synkope sind das Auftreten beim Aufstehen, insbesondere nach Beginn oder einer Dosissteigerung eines Medikamentes;
– Für eine kardiale Synkope spricht ein Auftreten ohne Prodromalsyndrome und ohne Trigger, während einer körperlichen Belastung und das Fehlen von Müdigkeit nach dem Ereignis (Sympathikotonus).
In weiterhin unklaren Fällen können wir unsere Untersuchungen um einen Orthostase-Test (Schellong), ein Langzeit-EKG (24h-Holter; 7d, Reveal), einen Tilt-Test und eine elektrophysiologische Abklärung ergänzen.
Seit wenigen Jahren existiert zusätzlich ein implantierbarer Loop Recorder (ILR, Reveal) zur Suche nach bis dato unentdeckten Arrhythmien als Auslöser von Synkopen (Abb. 2). Dieses System liefert während 36 Monaten ein kontinuierliches EKG-Monitoring. In neun Beobachtungsstudien konnten 506 Patienten mit ungeklärten Synkopen weiter zugeordnet werden: 35% der Patienten hatten eine Korrelation zwischen Synkope und EKG, davon 56% eine Asystolie/Bradykardie, 11% eine Tachykardie und 33% keine Arrhythmie.
Abbildung 2: Funktionsweise des Reveal LINQ ICM der Firma Medtronic. Reproduced with permission of Medtronic, Inc.
Dr. med. Urs Hürlimann
Arztpraxis St. Wolfgang
St. Wolfgangstrasse 29
CH-6331 Hünenberg
uhuerlimann[at]hin.ch
1 Soteriades ES, Evans JC, Larson MG, et al. Incidence and prognosis of syncope. N Engl J Med. 2002;347(12):878–85.
2 Kapoor WN, Workup and management of patients with syncope. Med Clin North Am. 1995;79(5):1153–70.
– Syncope (guidelines on diagnosis and management of). European Heart Journal (2009) 30, 2631-2671, doi:10.1093/eheartj/ehp298. www.escardio.org/guidelines.
– Humm A. Synkopen – nicht epileptische anfallsartige Störungen auf kardiovaskulärer Basis. Epileptologie, Jahrgang 24, 4, 2007:184–92.
– Birrenbach T, Perrig M. Rationale Abklärung der Synkope. Swiss Med Forum. 2014;14(47):881–6.
– Sarasin FP. Synkope: woran denken, was abklären? Swiss Med Forum. 2008;8(49):957–60.
– Schaller B. Synkope als definierte pathophysiologische ­Entität. Swiss Med Forum. 2002;2(28):691–2.