Hospitation in einer Hautarztpraxis – ein Erfahrungsbericht
Streifzug einer jungen Hausärztin durch die Dermatologie

Hospitation in einer Hautarztpraxis – ein Erfahrungsbericht

Lehren und Forschen
Ausgabe
2017/04
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2017.01460
Prim Hosp Care (de). 2017;17(04):68-70

Affiliations
a Universitäres Zentrum für Hausarztmedizin beider Basel, Liestal
b Hautarzt Zentrum, Liestal

Publiziert am 22.02.2017

Während sechs Monaten durfte ich während meiner Weiterbildung zur Hausärztin an jeweils einem halben Tag pro Woche zwei Dermatologen über die Schulter schauen. Vermittelt und finanziell unterstützt wurde die Hospitationsstelle durch das Universitäre Zentrum für Hausarztmedizin beider Basel (uniham-bb) und ­meinen damaligen Praxisassistenzlehrarzt. Ein Modell, das würdig ist, Schule zu machen.
Wie arbeitet der Spezialist, in diesem Fall der Dermatologe? Ich habe es im Wahlstudienjahr erfahren, die ­Erinnerungen daran sind aber abgeblasst und ich bin beeindruckt von der Beharrlichkeit, mit der er jeden Patienten auf seine Behandlungsliege setzt, um bei idealer Beleuchtung mit oder ohne Dermatoskop Hautveränderungen oder Haarausfall zu inspizieren und – fast noch wichtiger – zu berühren und ertasten.
Dienstagnachmittag kurz vor 14 Uhr in einer Dermatologiepraxis. Der Sprechstundenbetrieb läuft bereits. Die Homepage konstatiert klar, dass hier keine kosmetischen Behandlungen wie Lasertherapien oder Botox­injektionen durchgeführt werden. Dementsprechend wird die Diagnose-Hitliste angeführt von Akne, dicht gefolgt von Warzen jeglicher Lokalisation und aktinischen Hautveränderungen. Die Patientenpopulation ist sehr gemischt, behandelt werden Säuglinge, Betagte, Asylsuchende und Manager gleichermassen.
Juckreiz ist ebenfalls ein regelmässiger Gast im Sprechzimmer, so auch bei Herrn E., 26-jährig. Er infizierte sich vor einigen Wochen bei seinem Trainingspartner mit Scabies und wurde vor ca. fünf Wochen mit Permethrin lokal und Ivermectin p.o. behandelt. Vor zwei Wochen bat er um einen zeitnahen Kontrolltermin wegen persistierend starkem Juckreiz und rotbraunen Flecken im Genitalbereich. Die Beschwerden beeinträchtigten den Pa­tienten derart, dass er nicht bis zum verfügbaren Termin am Folgetag warten mochte und sich notfallmässig im Universitätsspital vorstellte. Dort wurde ein Pruritus postscabies diagnostiziert und eine Behandlung mit topischem Steroid empfohlen. Dies linderte den Juckreiz, jedoch nur solange eine Applikation stattfand. Herr E. ist mittlerweile sehr gut informiert über Scabies und entsprechend verunsichert über seinen Zustand. Tage ­später sucht er deshalb erneut die Dermatologiepraxis auf. Nachdem sich im Genitalbereich, abgesehen von den bekannten rotbraunen Flecken, weiterhin keine Anzeichen für eine Krätzmilben-
Infestation finden liess, weist der Patient auf zwei Stellen im Bereich der Finger hin und siehe da, dermatoskopisch zeigt sich tatsächlich ein Milbengang und im Direktpräparat eine lebende Milbe. Die Behandlung mit Permethrin und Ivermectin zweimal im Abstand von 14 Tagen wird wiederholt. Bei der Verlaufskontrolle drei Wochen später ist der Juckreiz regredient, die braunroten Flecken am Genitale sind verschwunden, ein erfolgreicher Behandlungsausgang kann angenommen werden.
Was wünsche ich mir als junge Hausärztin von der Spezialistin? Einen lehrreichen, kollegialen Austausch, damit ich das nächste Mal die Akne oder den Fusspilz adäquat und zeitgemäss selbst therapieren kann, meine Behandlungspalette breiter und mein beruf­licher Alltag als Hausärztin farbiger wird, ich dem ­Pa­tienten mit mehr Selbstvertrauen und Kompetenz ­begegnen kann, weniger oft überweisen muss und dadurch wenigstens im Kleinen zur Reduktion der Gesundheitskosten beitragen kann. Uns jungen Hausärzten fehlt der Erfahrungsschatz gestandener Kollegen. Durch eine fundierte und breit gefächerte Weiterbildung können wir einen Teil davon Wett machen, einen in Pension gehenden Grundversorger gleichwertiger ersetzen und aus Patientensicht besser bestehen.
Was wünschen sich meine dienstälteren Kollegen aus dem Grundversorger-Qualitätszirkel vom Spezialisten? Sie möchten, dass der Spezialarzt nur macht, worum im Überweisungsbericht gebeten wird, dass er den Patienten nach erfolgter Beurteilung mit einem Behandlungsvorschlag wieder zum Hausarzt zurückschickt, und dass der Spezialarztbericht einen Plan B beinhaltet. – Die Dermatologen finden diese Forderungen in vielen Fällen schwierig zu realisieren, insbesondere, was den erwähnten Plan B betrifft, da oft verschiedene weitere Verläufe und Behandlungs-
alternativen denkbar sind. Sollte Plan A nicht funktionieren, wäre allenfalls ein kurzer telefonischer Austausch einfacher und sinnvoller, schlagen sie vor.
Was wünscht sich der Dermatologe vom Hausarzt? 
Einen «anständigen» Überweisungsbericht mit Verdachtsdiagnose, bisherigen Behandlungsversuchen, Fragestellung und aktueller Medikamentenliste – «Das kann man doch einfach aus dem PC rauslassen!», so sein Kommentar. Missmutig stimmt ihn ein Zettel, auf dem neben den ­Adressen von Überweiser und Patient einzig das Wort «Warzen» steht. – Ich merke, dass dem Dermatologen wohl nicht bewusst ist, dass elektronische Patientendossiers noch nicht in jeder (Haus-)Arztpraxis Einzug gehalten haben und denke, dass wir wohl zu oft das uns Vertraute als allgegenwärtig und ein Massstab ansehen, wir aber im Grunde weniger oft werten und voraussetzen sollten, sondern besser daran täten, miteinander zu reden, um zu verstehen.
Frau R., 33-jährig, wird vom Hausarzt zugewiesen. Sie präsentiert am Unterarm rechts eine dunkelrote, schmerzhaft-juckende, mit Vesikeln besetzte Rötung von ca. 3 × 5 cm. Die Hautveränderung bestehe seit ca. zehn Tagen und sei nach dem Grillieren aufgetreten. Initial wären «Bibeli» wie bei einer Sonnenallergie beobachtet worden. Der Hausarzt vermutete einen Herpes Zoster und verordnetet Valacyclovir 3 × 1 g/d, Bepanthen plus und eine Tinktur – ohne Erfolg. Anamnestisch bestehen eine Tierhaar- und Sonnenallergie sowie eine Therapie mit Cipralex. Pflanzenkontakt wird verneint, die Patientin hält Meerschweinchen. Im Direktpräparat findet sich ein Fadenpilz. Ursächlich dafür war möglicherweise der Kontakt zu oben erwähnten Nagern. Eine Behandlung mit Terbinafin Creme wird eingeleitet. Sollte darunter eine Besserung ausbleiben, würde eine systemische anti­mykotische Therapie notwendig (Abb. 1).
Abbildung 1: Tinea.
Wo informiert sich der Spezialist? Welche Medien nutzt er? Natürlich werden auch vom Dermatologen nach wie vor Lehrbücher wie zum Beispiel der Lebwohl [1] zu Rate gezogen. Bei Fragestellungen zu sexuell übertragenen Krankheiten hilft www.iusti.org und für Magistralrezepturen wird das Manual «Dermatologische Magistralrezepturen der Schweiz» [2] oder www.magistralrezepturen.ch konsultiert.
Notfallmässige hausärztliche Zuweisung zur Beurteilung bullöser Hautveränderungen vornehmlich an Händen, axillär, Hals, Ellenbeugen, Beinen und im ­Bereich der Lippen. Der 54-jährige Herr F. berichtet, Pollenallergiker zu sein und vor einigen Tagen nach Erdbeergenuss einmalig Durchfall gehabt zu haben. In den letzten drei Tagen Eruption zahlreicher schmerzhafter, juckender Papeln resp. Blasen, die vor allem an den Händen und enoral beeinträchtigen. Vermutlich auch ein Herpes labialis, ansonsten keine Symptome. Klinisch zeigen sich zahlreiche einzeln stehende, herpetiforme, teilweise hämorrhagische grössere und kleinere Blasen unter Aussparung der Füsse und Kopfhaut. Der Dermatologe tippt auf ein bullöses paravirales Exanthem, zum Beispiel im Rahmen einer Coxackie-Infektion und initiiert eine Behandlung mit Cortison 40 mg p.o. und Fucicort lokal. Zwei Tage später präsentiert sich der Patient mit progredientem ­Befund und in subjektiv vermindertem Allgemeinzustand. Stellenweise imponieren die Hautläsionen nun urtikariell bis kokardenförmig. Die Initialdiagnose wird verworfen, die Verdachts­diagnose eines bullösen Erythema exsudativum multiforme im Rahmen eines Herpes simplex-Ausbruchs gestellt (Abb. 2). Empfehlung zur Weiterführung der systemischen Kortisontherapie 60/40/20 mg für je drei Tage und zusätzlich Etablierung einer ­Behandlung mit Valacyclovir. Darunter schnelle Besserung. Zur Diagnosesicherung Durchführung einer Biopsie. Bei histologischer Differentialdiagnose bullöses Pemphigoid (BP) Ausschluss desselben mittels Serologie auf BP180 resp. BP230, die beide negativ resultieren. Für nächste Herpes simplex-Ausbrüche wird die Einnahme von Valaciclovir 2 g bei ersten Anzeichen und ­Wiederholung derselben Dosis zwölf Stunden später empfohlen. Bei gehäuften Herpes simplex Manifestationen bietet sich eine Valaciclovir-Prophylaxe mit 1 × 500 mg/d an.
Abbildung 2: Erythema exsudativum multiforme.
Mit welchen anderen Spezialärzten pflegt der Dermatologe eine Zusammenarbeit? Grossflächigere Exzisionen und operative Eingriffe im Gesicht lässt der Hautarzt von einem erfahrenen plastischen Chirurgen durchführen, weil die Resultate schöner werden. Die Behandlung ausgedehnter Condylomata acuminata-Herde in der Analregion überlässt er einem Allgemeinchirurgen. Zweitmeinungen werden an den regelmässigen Treffen des facheigenen Zirkels oder über die dermatologische Abteilung des nahen Universitätsspitals eingeholt.
Kann sich ein Dermatologe vorstellen, als Gastarzt den facettenreichen Alltag einer Hausarztpraxis zu erleben? Was könnte er dabei lernen, was profitieren? Beide Dermatologen zeigen sich interessiert für eine solche Idee, sei es, weil sie die Abwechslung mögen, sei es, um zu ­sehen, wie der Hausarzt arbeitet und mit welchen Problemen er konfrontiert ist, und um Brücken zu schlagen und ­Beziehungen zu festigen. Wie wäre es, wenn ein solches Gastspiel wechselseitig und unbürokratisch mit Credits honoriert würde?
Welches spezialärztliche Equipment eignet sich für die Hausarztpraxis, welche Behandlungen überlasse ich gerne oder besser dem Dermatologen? Ein Direktpräparat beispielsweise lässt sich gut und einfach auch in der Hausarztpraxis anfertigen (traditionelle Mikroskopie, Position 3357.00, 22 Taxpunkte). Biopsiestanzen und Ringküretten habe ich bereits angeschafft. Den Gebrauch von Bleomycin zur Warzenbehandlung, Diphenylcyclopropenon (DPCP) zur Therapie der Alopezia areata, die Phototherapie und vermutlich auch ­Kauter und Kryotherapie überlasse ich aber dem Spezialisten, da die entsprechenden Patientenzahlen in der Hausarztpraxis zu gering und die Amortisationskosten zu hoch sind.
Diese sechs Monate waren für mich eine klare Bereicherung. Allen Beteiligten danke ich ganz herzlich für ihre Offenheit und ihr Engagement. Ich wünschte, es gäbe zwischen Grundversorgern und Spezialisten mehr Bereitschaft und Möglichkeiten für solche Einblicke, «On-The-Job Trainings» und interdisziplinären Austausch – zum besseren gegenseitigen Verständnis, zur Wissensvermehrung, für Wissenserhalt und mehr Sicherheit und Spass im Beruf, sowohl während der Weiterbildung, als auch nach Erlangung des Facharzt­titels.
Prof. Dr. med. Andreas Zeller
Universitäres Zentrum
für Hausarztmedizin
beider Basel
Rheinstrasse 26
CH-4410 Liestal
andreas.zeller[at]unibas.ch
1 Treatment of Skin Disease. Comprehensive Therapeutic Strategies. M. Lebwohl, W. Heymann, J. Berth-Jones, I. Coulson, 2013; Saunders Verlag; ISBN: 978-0-7020-5236-1
2 Dermatologische Magistralrezepturen der Schweiz. C. Deplazes,
F. Möll (†), St. Gloor, R. Panizzon, 2010; 3. erweiterte Auflage.