Management von Blutungen unter direkten oralen Antikoagulantien (DOAC)
Basismassnahmen und spezifische Massnahmen

Management von Blutungen unter direkten oralen Antikoagulantien (DOAC)

Lernen
Ausgabe
2017/14
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2017.01481
Prim Hosp Care (de). 2017;17(14):272-274

Affiliations
Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin, Inselspital, Bern

Publiziert am 26.07.2017

Blutungen unter DOAC sind im Allgemeinen zwar selten, gewinnen aber aufgrund des immer häufigeren Einsatzes dieser Medikamentenklasse zunehmend an Bedeutung. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die vier zurzeit erhältlichen DOAC und das Management bei Blutungskomplikationen.

Einleitung

Die neuen, zwischenzeitlich als direkte orale Antikoagulantien (NOAC/DOAC) bezeichneten Wirkstoffe zur oralen Antikoagulation werden zunehmend verwendet [1–3]. Die Einteilung erfolgt in zwei Klassen: Die «-xabane» (Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban) hemmen den aktivierten Faktor X (Xa), Dabigatran ist ein Thrombin-Antagonist (Faktor IIa = Thrombin) (Tab. 1) [1–3]. Zugelassen sind die DOAC bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern (AF), zur Therapie und Sekundär­prävention bei venösen Thromboembolien (VTE) sowie limitiert (Rivaroxaban, Apixaban) zur Thrombose­prophylaxe in der Orthopädie [4]. Zu den Vorteilen der DOAC gegenüber Vitamin-K-Antagonisten (VKA) gehört eine rasch einsetzende gerinnungshemmende Wirkung, eine fixe Dosierung ohne routinemässige ­hämostaseologische Laborkontrollen und eine mindestens non-inferiore Wirkung bei insgesamt weniger ­Hämorrhagien [1–3]. Nachteile sind unter anderem der eingeschränkte Einsatz bei Kontraindikationen, das heisst bei mechanischen Herzklappen, in der Schwangerschaft sowie bei schwerer Nieren- und Leberinsuffizienz. Limitierend, vor allem bei akuten Blutungen und vor Notfall-Operationen, ist das Fehlen eines spezifischen Antidots, wobei hier zwischenzeitlich bereits Änderungen erfolgt sind und noch erfolgen werden. Ziel dieses Artikels ist es daher, eine Übersicht über Blutungen generell und unter DOAC im Speziellen zu geben.
Tabelle 1: Übersicht der verschiedenen DOAC [1, 2, 4].
 Xarelto®
(Rivaroxaban)
FXa
Eliquis®
(Apixaban)
FXa
Lixiana®
(Edoxaban)
FXa
Pradaxa® 
(Dabigatran)
FIIa, Prodrug
Dosierung
Vorhofflimmern
1×20 mg
1×15 mg, falls 
CCL 30–49 ml/min
2×5 mg/d
2×2,5 mg, falls ≥2 Kriterien: 
Alter >80j, Gewicht ≤60 kg, Krea ≥133 µmol/l
1×60 mg/d
1×30 mg/d bei
– Gewicht <60 kg
– CCL 15–50 ml/min
2×150 mg/d
2×110 mg/d, falls
– >80j
– CCL 30–50 ml/min
Dosierung venöse
Thromboembolien
2×15 mg/d für 3 Wochen, dann 1×20 mg/d2×10 mg/d für 1 Woche, 
dann 2×5 mg/d für 6 Monate, dann 2×2,5 mg
Dosierung 
TVT-Prophylaxe1×10 mg/d solange 
CCL ≥30 ml/min2×2,5 mg solange CCL ≥30 ml/minkeine Zulassung
Kontraindikationen: Mechanische Herzklappen, Schwangerschaft, Leber-/Niereninsuffizienz, Komedikation mit starken ­Hemmern/Induktoren von CYP, p-GP, Kombination mit dualer Thrombozytenantiaggregation etc.
Abkürzungen: Krea = Kreatinin; CCL = Kreatinin-Clearance; TVT = tiefe Venenthrombose.

Blutungsrisiko unter DOAC

Die DOAC werden in unterschiedlichem Ausmass renal eliminiert, so dass eine Niereninsuffizienz zu Akkumulation und erhöhtem Blutungsrisiko führt. Dies ist für Dabigatran (ca. 80% renale Elimination) relevanter als für «-xabane» (ca. 50% renale Elimination). Ein weiterer Risikofaktor für Blutungen sind Interaktionen bei Komedikation mit Substraten, Induktoren und Hemmern von metabolisierenden Enzymen (p-Glykoprotein pGP, für «-xabane» zusätzlich Cytochrome CYP). Beispiele hierfür sind Clarithromycin, -azole, Verapamil, Diltiazem, Amiodaron, Johanniskraut, Carbamazepin, Phenytoin und Rifampicin. Ebenfalls ein ­erhöhtes Risiko für Blutungen ergibt sich bei koexistenten Störungen der Hämostase, seien diese hereditär oder (häufiger) erworben, auch medikamentös durch Kombination mit Thrombozytenaggregationshemmern, nicht-steroidalen Entzündungshemmern (NSAID) oder Steroiden. Subgruppenanalysen der grossen Vorhofflimmern-Studien ergaben bei zusätzlicher low dose Aspirin®-Therapie ein ca. zweifaches Blutungs­risiko im Vergleich zu einer alleinigen DOAC-Therapie [6–8]. Bei einer Kombinationstherapie DOAC und Aspirin®/NSAID ist daher eine regelmässige Nutzen/Risiko-Abwägung zwingend. Für eine Triple-Therapie (duale Thrombozytenantiaggregation und Antikoagulation) sind die DOAC nicht zugelassen, diese erfolgt bei gegebener Indikation mit Aspirin®, Clopidogrel und VKA – und möglichst kurz [23].
Um das Blutungsrisiko unter DOAC genauer zu analysieren, muss einerseits die Indikation und andererseits die Situation unterschieden werden. Unter Studien­bedingungen werden Hochrisikopatienten oft aus­geschlossen, so dass deren Resultate nicht 1:1 auf den ­klinischen Alltag übertragbar sind. Zusammengefasst haben die DOAC bezüglich Blutungsrisiko und Outcome bei Blutung ein äquivalentes bis besseres Sicherheitsprofil als VKA [5]. Relevant ist insbesondere die konsistent gezeigte Reduktion an intrakraniellen und letalen Blutungen, so dass das leicht erhöhte gastro­intestinale und uterine Blutungsrisiko in Kauf genommen wird. Eine detailliertere Übersicht über die Studienlage gibt Tabelle 2.
Tabelle 2: Studienlage Blutungsrisiko [6–9, 12, 13].
 Vorhofflimmern (AF)venöse Thromboembolie (VTE)
schwere Blutungen
– intrakraniell
– letal
1,4–3,6% / Jahr
0,1–0,5% / Jahr
RR 0,72 (0,62–0,85)
RR 0,43 (0,37–0,50)
RR 0,53 (0,43–0,64)
1% / JahrRR 0,6 (0,41–0,88)
RR 0,36 (0,15–0,87)
gastrointestinal RR 0,94 (0,75–1,9)*  
* Ausnahme: Personen >65-jährig unter 2×150 mg Dabigatran, vermehrt gastrointestinale Blutungen.
Abkürzungen: RR = relative Risikoreduktion (95%-Vertrauensintervall CI, confidence interval)
Zur Minimierung von Blutungskomplikationen sollten Indikation, Dosierung und Dosismodifikation sowie Kontraindikationen regelmässig überprüft werden.

Blutungen unter DOAC

Beim Auftreten einer Blutung muss der Schweregrad abgeschätzt werden, zum Beispiel anhand der ISTH (International Society on Thrombosis and Haemostasis)-Definition (Abb. 1).
Abbildung 1: Algorithmus Vorgehen bei Blutungen [1, 15, 16].
Dies entscheidet auch über die Priorität der diagnostischen und therapeutischen Schritte. Gerinnungsparameter werden durch DOAC-Einnahme nicht proportional verändert (Tab. 3), eignen sich ­jedoch nicht zur Kontrolle der Antikoagulation [14]. ­Mittlerweile können im Labor speziell für die jeweilige Substanz kalibrierte anti-FXa- resp. IIa-Aktivitäten ­bestimmt werden, was eine bessere Einschätzung der Wirkung und daher auch des Blutungsrisikos ermöglicht.
Tabelle 3: Veränderungen der Gerinnungsparameter unter DOAC und VKA [4, 14].
Gerinnungstests«-xabane»DabigatranVKA
PT, INR+(+)+
aPTT(+)++
TZ++
Fibrinogen+
anti-Xa-Aktivität++
Abkürzungen: PT = prothrombin time, Thromboplastinzeit; INR = international normalized ratio; (a)PTT: = (activated) partial thromboplastin time, (aktivierte) partielle Thromboplastinzeit; TZ = Thrombinzeit
Grundsätzlich haben die DOAC eine relativ kurze Halbwertszeit. Die Wirkung klingt ähnlich rasch ab wie unter niedermolekularem Heparin (LMWH), entspricht in etwa der Zeit bis zur INR-Normalisierung nach Gabe von Vitamin K (Konakion®) [4]und nach fünf Halbwertszeiten ist die Antikoagulation aufgehoben. Eine (vorübergehende) Pause der Medikamenteneinnahme genügt daher bei leichten, nicht jedoch bei schweren Blutungen. Aufgrund potenzieller Lebensgefahr, Komplexität vor allem beim Einsatz von Prokoagulantien und zunehmend neuen Erkenntnissen lohnt es sich, frühzeitig Kontakt mit einem Hämatologen aufzunehmen.

Blutungsmanagement

Beim Management von Blutungen unterscheidet man zwischen Basismassnahmen und spezifischen Massnahmen, die in Abhängigkeit von Lokalisation und Schweregrad der Blutung initiiert und kombiniert werden müssen (Abb. 1) [15, 16]. Die Basismassnahmen haben zum Ziel, die Blutung zu stoppen, den Blutverlust zu ersetzen [17]und die Hämodynamik aufrecht zu erhalten. Zu den spezifischen Massnahmen gehört die Gabe von Prokoagulantien wie Tranexamsäure (Cyklokapron®), Desmopressin (Minirin®, Octostim®) und Fibrinogen, letzteres insbesondere bei Hypofibrinogenämie im Rahmen einer disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC). Die Faktorkonzetrate wie Prothromplex® (PPSB = FII, VII, IX, X), Feiba® (aPCC = FII, IX, X) und NovoSeven® (rFVIIa) sollten je nach klinischer Situation und hämatologischer Indikation gewählt und verabreicht werden [4, 15–17]. Daten über die Wirksamkeit bei Blutungen unter DOAC sind für die erwähnten Substanzen bisher ungenügend [18, 19]. Spezifische Antidote sind teils bereits zugelassen und in Anwendung (Idarucizumab, neutralisierender Antikörper gegen Dabigatran) [20], in fortgeschrittener Entwicklung ­(Andexanet alfa, inaktives FX-Molekül, «-xaban»-Ant­agonist) [21]oder in Phase I-Studien (Ciraparantag, ­universelles Antidot) [22]. Die beschleunigten Zulassungsverfahren (FDA, EMA, Swissmedic) für Idarucizumab (Praxbind®) basieren auf Interimsergebnissen der RE-VERSE AD Studie [20]. In dieser Studie erhielten 90 Patienten unter Dabigatran, die innert acht Stunden eine Operation benötigten, im Abstand von 15 Minuten je 2,5 mg Idarucizumab intravenös. Die Gerinnungshemmung (Laborparameter) wurde innerhalb von Minuten vollständig und anhaltend während zwölf Stunden aufgehoben, und bei 92% (33/36 Patienten) wurde die Hämostase auch vom operierenden Chirurgen als «normal» eingestuft. Schwere Nebenwirkungen sind bisher nicht beschrieben, lokale Infusionsreaktionen sind häufig. Zudem ist bei Dabigatran auch eine Hämodialyse effektiv, dies im Gegensatz zu den «-xabanen» mit hoher Proteinbindung.

Die drei wichtigsten Punkte, die man sich merken sollte

– Blutungen unter DOAC sind im Vergleich zu VKA generell zwar seltener, gewinnen aber aufgrund des zunehmenden Einsatzes auch bei komorbiden Patienten an Relevanz.
– Das Management von akuten Blutungen umfasst sowohl Basismassnahmen wie auch spezifische Massnahmen (z.B. Prokoagulantien-Gabe) zur Optimierung der Hämostase.
– DOAC-Antidote sind in Entwicklung und für Dabigatran in Form von Idarucizumab (Praxbind®) bereits zugelassen und in Anwendung.
Dr. med. Sabrina Jegerlehner
Universitätsklinik für ­Allgemeine Innere Medizin
Inselspital, Bern
CH-3010 Bern
sabrina.jegerlehner[at]insel.ch
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