Ein Grossteil der medizinischen Probleme kann in der Hausarztpraxis gelöst werden

Neue Daten zeigen: Hausärzte überweisen selten

Lehren und Forschen
Ausgabe
2017/07
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2017.01483
Prim Hosp Care (de). 2017;17(07):131-132

Affiliations
Institut für Hausarztmedizin Zürich

Publiziert am 05.04.2017

Hausärzte managen den Grossteil der medizinischen Probleme tagtäglich, ohne ­zusätzliche Abklärungen durch Spezialisten in Anspruch zu nehmen. Aktuelle Studiendaten belegen dieses politische Statement inzwischen.
Als die Initiative «Ja zur Hausarztmedizin» lanciert wurde, wurde oft ins Feld geführt, wie effizient Schweizer Hausärzte seien. Ein Grossteil der tagtäglich aufs Tapet gebrachten medizinischen Probleme könne in der Hausarztpraxis gelöst werden, wodurch Kosten durch unnötige Spezialistenkonsultationen vermieden würden. Die letzte Überprüfung dieser Hypothese mit wissenschaftlichen Methoden hatte 1989 stattgefunden [1].

Zeit für ein Update

Auf Initiative des «Qualitätszirkels Brugg» unternahmen 92 Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Schweiz unter wissenschaftlicher Anleitung des Instituts für Hausarztmedizin Zürich die Anstrengung, während dreier Monate in 2012 und 2013 neue Daten zu sammeln. Ziel war, die Evidenzlage zur Über­weisungsrate in Schweizer Hausarztpraxen zu aktualisieren. Dazu füllten die teilnehmenden Hausärzte zu jeder Patientenkonsultation an den definierten Werktagen ein Studienformular aus. Darauf dokumentierten sie die verschiedenen medizinischen Probleme, welche die Patienten zum Arztbesuch veranlasst hatten und erfassten, welche dieser Probleme jeweils eine Überweisung zur weiteren Abklärung beim Spezialisten nach sich zog.

Eine Konsultation, viele Probleme

So wurden Daten zu 24 774 Konsultationen gesammelt. Dies entsprach etwa 25 Konsultationen pro Arzt und vollem Arbeitstag. Innerhalb dieser Konsultationen wurden von den Patienten 42 890 medizinische Probleme vorgebracht, das heisst rund zwei Probleme pro Konsultation. Die Konstellationen werden jedem Praktiker vertraut sein: Je älter die Patienten, desto mehr Probleme aufs Mal waren pro Konsultation zu untersuchen. Am häufigsten waren es muskuloskelettale Beschwerden, gefolgt von kardiovaskulären und respiratorischen Problemen. Rund 6% der Probleme zogen eine Überweisung nach sich, wobei es klare Unterschiede gab, je nach Art des Problems: Endokrine, metabolische und ernährungstechnische Probleme wurden am seltensten überwiesen (1% der Fälle), während Augenbeschwerden die höchste Überweisungsrate aufwiesen (19% der Fälle).

Bestätigung einholen

In den meisten Fällen überwiesen die Hausärzte den Patienten an die Radiologie zum CT/MRI (21% der Überweisungen), gefolgt von der Gastroenterologie (9%) und Orthopädie (9%). Absicht der Überweisung war meist, sich eine Diagnose oder therapeutische Entscheidung bestätigen zu lassen (46% der Überweisungen) oder eine Bildgebung zu veranlassen (21%). Übrige Gründe waren eine Überweisung zur konservativen (12%) oder operativen (11%) Therapie.

Mehr Überweisungen als 1989

Gegenüber der ersten Studie zu Überweisungsraten in der Schweiz hat sich die Überweisungsrate pro Konsultation fast verdreifacht. Eine Erklärung dafür dürfte der Zuwachs an radiologischen Abklärungen sein, die 1989 noch nicht im selben Umfang verfügbar ­waren wie heutzutage.
Dem Zuwachs zum Trotz bleibt die Überweisungsrate gering. Wenn 6% der Probleme zu einer Überweisung führen, heisst dies, dass 94% durch den Hausarzt bearbeitet wurden.

Fragen bleiben

Diese hohe Rate an Problemen, die in der Hausarztpraxis betreut werden konnten und keiner Überweisung bedurften, wirft ein gutes Licht auf die Schweizer Hausarztmedizin. Die Studie untersuchte allerdings nicht die Angemessenheit der Überweisungen. Daher kann keine Aussage darüber getroffen werden, ob alle Überweisungen, die stattgefunden haben, tatsächlich notwendig waren und ob alle Patienten, die von einer ­Abklärung durch Spezialisten profitiert hätten, diese auch erhalten haben. Dies zu untersuchen ist Ausgangspunkt für neue Studien.
Dr. med. Sima Djalali
Universität Zürich
Pestalozzistrasse 24
CH-8091 Zürich
sima.djalali[at]usz.ch
Tandjung R, Hanhart A, Bärtschi F, Keller R, Steinhauer A, Rosemann T, Senn O. Referral rates in Swiss primary care with a special emphasis on reasons for encounter. Swiss Med Wkly. 2015 10.4414/smw.2020.14244
1 The European study of referrals from primary to secondary care. Concerned Action Committee of Health Services Research for the European Community. Occas Pap R Coll Gen Pract. 1992(56):1–75.