Übersicht zu Abklärung und Therapie eines Hirnschlags
Vom Schlag getroffen

Übersicht zu Abklärung und Therapie eines Hirnschlags

Lernen
Ausgabe
2017/21
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2017.01521
Prim Hosp Care (de). 2017;17(21):408-410

Affiliations
a Bürgerspital Solothurn, b Medi-Zentrum Messen

Publiziert am 08.11.2017

Alle wissen es: Der Hirnschlag ist die dritthäufigste Todesursache, die zweithäufigste Ursache einer Demenz und die häufigste Ursache einer bleibenden Behinderung im Erwachsenenalter. Die Bedeutung des akuten Hirnschlags wird aber nach wie vor unterschätzt, vor allem, wenn die Beschwerden rückläufig sind und somit eine transiente ischämische Attacke vermuten lassen.

Einführung

Das Risiko, nach einer transienten ischämischen Attacke (TIA) einen gravierenden Hirninfarkt zu erleiden, liegt bei 10–20% innerhalb 90 Tagen, wobei das Rezidivrisiko in den ersten 24–48 h ­bereits 4–7% beträgt [1, 2].
Bei jedem Verdacht auf einen stattgehabten Hirninfarkt ist höchste Dringlichkeit geboten, das heisst auch wenn die Symptome des Hirnschlags rückläufig sind, müssen innert 24–48 Stunden die vollständige Ursachenaufbereitung und Therapieanpassung erfolgen. Eine dieses Jahr veröffentliche Publikation des TIAregistry.org-Projektes bestätigt, dass im Gesamtkonzept der Hirnschlagbehandlung mit rascher, umfassender Diagnostik und Therapieanpassung (78% der in die ­Kohorte eingeschlossenen Patienten wurden innert 24 Stunden nach Auftreten der ersten klinischen Zeichen eines Hirnschlags in spezialisierten Einrichtungen abgeklärt) eine deutliche Risikoreduktion von er­neuten und vor allem fatalen Hirnschlagereignissen erzielt ­werden kann [3].

Abklärung und Behandlung in der ­Akutphase

Eine Übersicht über die Abklärung und Behandlung ­eines akuten Hirnschlags in der Akutphase und in der Postakutphase finden Sie in Tabelle 1.
Tabelle 1: Abklärung und Behandlung beim akuten Hirnschlag.
Akutphase
 AnamneseUntersuchungAlarmierungDiagnostikTherapieBemerkung
Am TelefonSymptomatik und zeitlichen ­Verlauf erfragen (F.A.S.T)Direkteinweisung via 144Einweisung in Stroke Unit
In PraxisZeitlicher ­Verlauf
Medikamente
Begleiterkrankungen
Keine
(Ausnahme TIA ohne Symptome)
Umgehend 144 bei Hirninfarkt­verdachtBlutzuckerschnelltest (bei TIA EKG, Thorax-Rx, ev. Blutentnahme in Absprache mit Stroke Unit)30° Oberkörper­hochlagerung
Keine Medikamente
Keine Antikoagulanzien vor zerebraler Bild­gebung
Im SpitalIndikationen / Kontraindikationen einer LysetherapieNIHSSCT (oder MRI) Schädel mit ­AngiographieEv. Actilyse®
Blutdruckeinstellung
Fiebersenkung
Monitorüberwachung für 24 h
Postakutphase
 AnamneseUntersuchungAlarmierungDiagnostikTherapieBemerkung
Im Spital oder PraxisVaskuläre ­Risikofaktoren einschliesslich OSASInternistisch und neurologischHolter-EKG / R-Test ­Transthorakale (ev. transoesophageale) Echokardiographie
Neurovaskulärer ­Ultraschall
Respiratorische Polygraphie (oder Screening)
Lebensstiländerungen
Tc-Aggregations­hemmer ­(ev. ­Antikoagulation)
Statine
Blutdruckbehandlung
Intermittierendes Vorhofflimmern viermal innerhalb eines Jahres suchen
OSAS bei Risikoprofil ­abklären
Abkürzungen: CT = Computertomographie; EKG = Elektrokardiogramm; F.A.S.T. = Face Arm Speech Time-Algorithmus; MRI = Magnetresonanztomographie; NIHSS = National Institute of Health Stroke Scale; OSAS = Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom; TIA = transiente ischämische Attacke.
Da sich das therapeutische Fenster für eine venöse Thrombolyse-Therapie mit Actilyse® nach 412 Stunden (für die Thrombektomie nach 8 Stunden und für die Basilaristhrombose sogar 12 Stunden) schliesst, ist eine ausgedehnte körperliche und apparativ-technische Untersuchung in der Akutsituation angesichts der Dringlichkeit eventueller therapeutischer Interventionen nicht angebracht [4]. Im angloamerikanischen Raum wird das Akronym F.A.S.T. (für engl. fast = schnell) verwendet, wo nur drei häufige klinische Zeichen eines Hirnschlags (F = face für Gesichslähmung, A = arm für Armlähmung und S = speech für Sprach­störung) abgefragt und bei einem positiven Zeichen ­direkt die Notfalleinweisung über die Alarmzentrale (144) in ein Hirnschlagzentrum veranlasst wird. Das T steht für time, = Zeit: Jeder Zeitverlust, das heisst jede Verzögerung der Notfalleinweisung ins Hirnschlagzentrum ist zu vermeiden, respektive die Zeit sinnvoll zu nutzen. So ist die Zusammenstellung der essentiellen anamnestischen Angaben (Zeitpunkt des ersten Auftretens der Symptome, vaskuläre Risikofaktoren, Medikamente – insbesondere Antikoagulanzien, kürzlich stattgehabte Eingriffe oder Blutungen) für die ­Folgebehandlung äusserst hilfreich. Verbleibt noch Zeit bis zum Eintreffen der Ambulanz, kann eine Blutzuckermessung vorgenommen oder ein peripherer ­Venenkatheter gelegt werden.
Der Wake-up stroke (Hirnschlagzeichen beim Aufwachen mit unklarem Zeitfenster) ist keine absolute Kontraindikation, vielmehr kann auf die Computertomographie abgestützt werden (solange kein Infarkt-Ödem sichtbar ist, besteht eine geringe Gefahr für Blutungskomplikationen). Absolute Kontraindikationen für eine Lyse-Therapie sind nur der Sturz mit Kopfverletzung ­(Galea-Hämatom), weil es auch intrakraniell zu Gefässverletzungen kommt mit dann Gefahr der Blutung ­unter Lysetherapie, ausserdem die Antikoagulation mit direkten oralen Antikoagulantien (DOAK), weil auch die Gabe von Faktoren-Konzentrat die Gerinnung nicht ausreichend (und v.a. nicht ausreichend lange) stabilisieren kann. Hier ist die Thrombektomie noch eine denkbare Variante, sodass man grundsätzlich die Einweisung in eine Schlaganfall-Einheit zur Evaluation nicht ausschliessen würde.
Bei Vorstellung eines Patienten mit TIA in der Praxis sollten in Zusammenarbeit mit dem Hirnschlagzentrum noch gleichentags eine Elektrokardiographie und eine zerebrale Bildgebung mit Darstellung der hirnversorgenden Halsgefässen erfolgen.
Jeder Hirnschlagpatient sollte flach gelagert werden, das heisst Oberkörperhochlagerung von max 30°. ­Sauerstoff braucht es in über 3/4 der Fälle nicht. Erst bei einer Sauerstoffsättigung unter 93% machen 2–4 l Sauerstoff Sinn. Grundsätzlich sollte auf jede Medikamentengabe verzichtet werden, da diese oft nicht nur nutzlos ist, sondern sogar kontraproduktiv sein kann. Für die Gabe von Acetylsalicylsäure, Clopidogrel oder ­Heparin besteht in der Notfall­situation kein positiver Hinweis eines Nutzens. Bei Vorliegen einer Hirnblutung wären diese Medikamente sogar kontraindiziert, und insbesondere das Heparin kann auch eine Thrombolyse verunmöglichen. Desgleichen sollten keine intramuskulären Injektionen erfolgen. Auch die Senkung eines sehr hohen Blutdrucks sollte besser der Rettungssanität und der Notfallstation überlassen werden.

Abklärung und Behandlung in der ­Postakutphase

80–85% der Hirnschläge sind ischämische Hirninfarkte, 15–20% Hirnblutungen und davon die Hälfte Subarachnoidalblutungen in Zusammenhang mit ­einem intrakraniellen Aneurysma. Beim Hirninfarkt finden sich in 20–25% kardiale, 12–20% makroangio­pathische, 15–24% mikroangiopathische, in unter 8% andere und je nach Alter bis zu 30% keine sicheren ­Ursachen. Das intermittierende Vorhofflimmern und die atherosklerotische Karotisstenose sind diejenigen Ätiologien, die am häufigsten zu wiederholten Hirnschlägen führen [1, 2]. In der Akutphase wird die ­Karotisstenose mittels computer- oder magnetresonanztomographischer Angiographie gesucht, bei TIA-Patienten in der Praxis kann die Stenose-Suche auch mittels neurovaskulärem Ultraschall erfolgen. Wichtig ist die Wiederholung entweder eines 24-Stunden-Elektrokardiogramms und/oder eines R-Tests und zwar viermal verteilt über das erste Jahr nach stattgehabtem Hirnschlagereignis. Dies, um mit höherer Wahrscheinlichkeit das Vorhofflimmern zu detektieren, weil dieses den Einsatz von Antikoagulanzien in der Sekundärprophylaxe erforderlich macht. Auch eine transthorakale Echokardiographie sollte, sofern nicht in der Akutphase vorgenommen und von therapeutischer Bedeutung, nachgeholt werden.
Die Standard-Sekundärprophylaxe besteht neben der Anpassung des Lebensstils zur Beeinflussung der ­Risikofakoren (Ernährungsanpassung zur Gewichts­reduktion, Raucherstopp, mehr körperliche Aktivität) in ­einer Kombination aus Thrombozytenaggregationshemmer, Statin und in der Regel einem Antihypertensivum [5].
Die heutige Standard-Dosis der Acetylsalicylsäure beträgt 100 mg 1×1/d (z.B. Aspirin cardio®). Clopidogrel (75 mg) wird bei Unverträglichkeit gegenüber Acetyl­salicylsäure, bei gleichzeitiger peripher-arterieller Verschlusskrankheit (PAVK) oder bei Hochrisikopatienten eingesetzt. Eine Kombinationsbehandlung ist in wenigen Situationen angezeigt und sollte daher nur von Hirnschlagzentren eingesetzt werden.
Langfristiges Blutdruckziel für alle Hirnschlagpatienten liegt bei ≤140/90 mm Hg, wobei sich die Wahl des Antihypertensivums nach den Begleiterkrankungen richtet (gemäss den internationalen Richtlinien). Häufige Kombinationen sind ein ACE-Hemmer mit einem Diuretikum oder Kalzium-Antagonisten. Statine sind beim Hirnschlag unabhängig vom Ausgangscholesterin und einem Zielwert wirksam, allerdings müssen 258 Pa­tienten behandelt werden um einen zusätzlichen Hirnschlag pro Jahr zu verhindern [6]. Deshalb ist bei betagten Patienten sicherlich Zurückhaltung geboten und die Statin-Gabe sollte im Zweifelfall auf die ­Komorbität (peripher-arterielle Verschlusskrankheit, koronare Herzkrankheit) abgestützt werden. Statine können das intrazerebrale Blutungsrisiko erhöhen und sind darum beim hämorrhagischen Hirninfarkt nicht indiziert.
Beim intermittierenden Vorhofflimmern ist praktisch ausnahmslos eine orale Dauerantikoagulation indiziert, und die alleinige Gabe von Acetylsalicylsäure ­obsolet. Mit den DOAK ergibt sich gegenüber den Coumarin-Präparaten der Vorteil eines rascheren Wirkungseintritts und einer geringeren Komplikationsrate für intrakranielle Blutungen, was allerdings durch ein höheres gastrointestinales Blutungsrisiko bei bestimmten Präparaten teilweise wieder ausgeglichen wird. Von den vier in der Schweiz zugelassenen Präparaten eignen sich daher Apixaban (Eliquis®) und Edoxaban (Lixiana®) für die Antikoagulation beim ischämischen Hirninfarkt in Zusammenhang mit einem nicht-valvulären Vorhofflimmern, was in deren geringeren gastrointestinalen Blutungskomplikationen und Interaktionen mit anderen Medikamenten begründet ist. Wichtig ist das Monitoring der Nierenfunktion. ­Ungeeignet sind die DOAK somit bei Patienten mit stattgehabter gastrointestinaler Blutung, stark ein­geschränkter Nierenfunktion und kognitiven Beeinträchtigungen, die zu häufigem Vergessen von einzelnen Medikamentendosen führen. Ein genereller Wechsel von einem Coumarin-Präparat auf ein DOAK bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern ist ­somit nicht indiziert.
Gerne verweisen wir auf die Schlaganfallkampagne der Schweizerischen Herzstiftung: www.swissheart.ch/de/ueber-uns/kampagnen/hirnschlagkampagne.html
Dr. med. Robert Bühler
Neurologie Bürgerspital
Schöngrünstrasse 42
CH-4500 Solothurn
rbuehler_so[at]spital.ktso.ch
1 Grysiewicz RA, et al. Epidemiology of ischemic and hemorrhagic stroke: incidence, prevalence, mortality, and risk factors. Neurol Clin. 2008;26(4):871–95.
2 Slezak A, et al. Transiente ischämische Attacke (TIA) – ein Notfall! Schweiz Med Forum. 2014;14(16–17):333–38.
3 Amarenco P, et al. One-Year Risk of Stroke after Transient Ischemic Attack or Minor Stroke. N Engl J Med. 2016;374(16):1533–42.
4 Emberson J, et al. Effect of treatment delay, age and stroke severity on the effects of intravenous thrombolysis with alteplase for acute ischaemic stroke: a meta-analysis of individual patient data from randomized trials. Lancet. 2014;384(9958):1929–35.
5 Kernan WN, et al. Guidelines for the prevention of stroke in patients with stroke and transient ischemic attack: a guideline for healthcare professionals from the American Heart Association / American Stroke Association. Stroke. 2014;45(7):2160–236.
6 Amarenco P, et al. High-Dose Atorvastatin after Stroke or Transient Ischemic Attack. The Stroke Prevention by Aggressive Reduction in Cholesterol Levels (SPARCL) Investigators. N Engl J Med. 2006;355(6):549–59.