Häufig verpasste sekundäre Hypertonieformen
Wann und wie suchen?

Häufig verpasste sekundäre Hypertonieformen

Lernen
Ausgabe
2017/20
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2017.01523
Prim Hosp Care (de). 2017;17(20):389-391

Affiliations
Hypertonie- und Adipositassprechstunde, KPIM, UniversitätsSpital Zürich, Zürich

Publiziert am 25.10.2017

Auch wenn bei über 95% der diagnostizierten Hypertonien eine essentielle Hypertonie vorliegt, muss zumindest theoretisch bei jeder etablierten Hypertonie an die Möglichkeit einer sekundären Hypertonie gedacht werden [1]. Entsprechend ist die Kenntnis der «häufigen der seltenen» sekundären Hypertonieformen, die man im Alltag leicht verpassen kann, hilfreich. In diesem Artikel sollen drei «oft verpasste Hypertonieformen» diskutiert werden.

Einleitung

Zu den drei am häufigsten verpassten sekundären Hypertonieformen gehören die Nieren­arterienstenose, der primäre Hyperaldosteronismus sowie das Phäochromozytom. Diese Hypertonien werden verpasst, weil sie oftmals «lediglich» eine Hyper­tonie als Leitsymptom haben und weil sie so «selten» sind, dass man gar nicht daran denkt. Die wichtigsten Engramme, die zur Suche einer sekundären Hyper­tonie verleiten sollten, sind in Tabelle 1 zusammengestellt. Andere Formen der sekundären Hypertonie, die ­typischerweise für die Diagnose wegweisende Begleitsymptome aufweisen, finden sich in Tabelle 2. Eine ­genaue klinische Untersuchung ist bei diesen ­Hypertonieformen in der Regel zielführend.
Tabelle 1: Klinische Engramme für das Vorliegen einer sekundären Hypertonie (von Suter et al. [17] übernommen).
Je höher der Blutdruck, desto höher die Wahrscheinlichkeit für eine sekundäre ­Hyper­tonie (>180/110 mm Hg).
Auftreten einer Hypertonie vor dem 30. Lebensjahr, respektive nach dem 50. Lebensjahr.
Fehlen einer Familienanamnese für Hypertonie.
Plötzliches Auftreten von hohen Blutdruckwerten ohne ­Erklärung.
Jede Form der Therapieresistenz und schwieriger Einstellbarkeit (bei sichergestellter Medikamentencompliance).
Indikatoren einer aktiven Nierenerkrankung (Sediment, ­Entzündungszeichen etc.).
Zeichen einer endokrinen Erkrankung.
Kreatininanstieg nach Gabe von RAAS-Hemmern.
Andere verdächtige Symptome (Schwitzen, Schnarchen).
«Gut-Feeling» (Bauchgefühl)
Tabelle 2: Weitere Ursachen einer sekundären Hypertonie.
Cushing-Syndrom
Akromegalie
Hypo- bzw. Hypertyreose
Hyperparathyreoidismus
Koarktation der Aorta
Kompression der rostralen ventrolateralen Medulla
Erhöhter intrakranieller Druck
Barorezeptordysfunktion
Schlafapnoesyndrom / gestörte zirkadiane Rhythmik / ­Desynchronisation
Drogen (u.a. Alkohol, Kokain)
Medikamente (u.a. NSAR, Ciclosporin, Tacrolimus, ­Erythropoietin)
Hypertonie assoziiert mit Schwangerschaft
Einnahme von Östrogenen
Adipositas

Die «häufigen der seltenen» sekundären Ursachen, die verpasst werden

Nierenarterienstenose

Bereits 1934 konnte Harry Goldblatt mittels Experimenten an Hunden zeigen, dass bei Drosselung der Durchblutung der Nierenarterien mittels Klemmen die resultierende Ischämie und Minderdurchblutung in den Nieren mitunter zu einer Hypertonie führen [2]. Der Mechanismus ist durch die Aktivierung des Renin-­Angiotensin-Aldosteron Systems (RAAS) erklärbar. Im Gegensatz zu intrinsischen Nierenerkrankungen führen renovaskuläre Veränderungen der zuführenden Nierenarterien viel seltener zu einer Hypertonie. Die Häufigkeit beläuft sich je nach Literaturangabe zwischen 1–5% aller diagnostizierten Hypertonien [3], wobei das Alter des Patienten sowie Begleitrisiken zentrale Modulatoren der Prävalenz darstellen.
Im Wesentlichen werden zwei Hauptformen unterschieden: Die fibromuskuläre Dysplasie, die sich typischerweise bei jungen Frauen findet (aber grundsätzlich auch im höheren Alter auftreten kann) sowie die klassische arteriosklerotische Nierenarterienstenose beim älteren Patienten [4, 5].
An die Möglichkeit einer Nierenarterienstenose muss proaktiv gedacht werden, da kaum spezifische Begleitsymptome oder klinische Leitbefunde bestehen. Bei Verdacht auf eine Nierenarterienstenose hat sich die Durchführung eines Dopplerultraschalles bewährt. Als Alternative kann auch eine Magnetresonanzangiographie (MRA) oder eine computertomographische Angiographie (CTA) erwogen werden [6, 7]. Erhöhte Plasmareninwerte können allenfalls wegweisend sein, sind jedoch in der Regel erst bei einer luminalen Stenosierung von 70–80% relevant erhöht [8].

Primärer Hyperaldosteronismus

Der primäre Hyperaldosteronismus ist selten (ca. 1% aller Hypertonien). In neueren Studien – unter anderem auch in Abhängigkeit der Definitionskriterien und der studierten Population – wird jedoch eine höhere Prävalenz beschrieben. Der primäre Hyperaldosteronismus (Conn-Syndrom) ist die häufigste endokrine Hypertonie-Ursache [9]. Pathophysiologisch besteht beim primären Hyperaldosteronismus eine Überproduktion von Aldosteron in der Zona glomerulosa der Nebennieren. Der Hauptgrund für das Verpassen der Diagnose ist das im Klinikalltag oftmals nicht zutreffende Engramm der «hypokaliämischen Hypertonie». Tat­sächlich besteht bei nur ca. 50% der Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose eine Hypokaliämie [9]. Bei Verdacht wird die Bestimmung des Plasma-Aldosterons und des Reninspiegels nüchtern nach 30 Minuten Ruhe empfohlen. Aufgrund der Effekte von Orthostase, Volumen- und Salzzufuhr sollte die Blutentnahme idealerweise früh am Morgen erfolgen. Ein Verlass auf den sogenannten Aldosteron-Renin-Quotienten (ARQ) ist oftmals irreführend, da der Quotient durch den Nenner, das heisst das Renin, dominant determiniert wird; kaum ein Hormon des Körpers weist eine grössere (auch kurzfristige) Variabilität auf als Renin, weshalb der Quotient verfälscht werden kann. Entscheidend ist somit nicht die alleinige Erhöhung des ARQ, sondern insbesondere die pathologische Erhöhung des Aldosterons bei gleichzeitiger Supprimierung des Renins. Eine zeitgleiche Messung des Plasma-Kaliums ist zur korrekten Interpretation unumgänglich [10, 11]. Bei klassischer Hormonkonstellation sollte zur weiteren Abklärung der Ursache eine Bildgebung (MRI oder CT) der Nebennieren durchgeführt werden mit der Frage nach der Ursache der Aldosteron-Überproduktion: Conn-Adenom versus Hyperplasie. Die Interpretation der Renin- und Aldosteronwerte ist oftmals schwierig, sodass eine Rücksprache mit einem Hypertoniespezialisten oder Endokrinologen sinnvoll ist, bevor die ganze diagnostische Maschinerie gestartet wird.

Phäochromozytom

Mit einer geschätzten Prävalenz von bis zu 5/1000 Pa­tienten ist das Phäochromozytom selten [12], wobei verschiedene Autopsiestudien eine deutlich höhere Prävalenz aufweisen. Aufgrund der Gefährlichkeit des Krankheitsbildes und der hohen Mortalität bei fehlender Diagnose, sollte die Hemmschwelle zur weiteren Abklärung entsprechend tief angesetzt werden [13]. Wie kein anderes Krankheitsbild vereint das Phäochromozytom viele verschiedene «Leitsymptome der modernen Stress-Gesellschaft» wie Kopfschmerzen, Palpitationen, Schweissausbrüche und Blutdruckanstieg, Nervosität oder sogar Panikzustände. Episodenhaftes Auftreten wird nach wie vor als klassisch und typisch aufgeführt. Es darf aber nicht vergessen werden, dass Phäochromozytome Katecholamine auch kontinuierlich sezernieren können, somit die Anfälle fehlen und die Diagnose bei dominierendem obigen Engramm verpasst wird [14]. Die Bestimmung der Metanephrine (Abbauprodukte der Katecholamine) im Plasma ist eine Screeninguntersuchung mit einer hohen Sensitivität und Spezifität [15]. Normale Werte der Metanephrine im Plasma schliessen ein Phäochromozytom mit grosser Wahrscheinlichkeit aus [16]. Die Bestimmung der Katecholamine ist aufgrund der episodenhaften Sekretion und der kurzen Halbwertszeit nicht mehr empfohlen (ausser im Rahmen einer Diagnosestellung im Sinne eines postiktalen Katecholaminnachweises im Urin).

Schlussfolgerung

Wer sucht der findet. Bei den drei hier kurz abgehandelten sekundären Hypertonieformen steht die Hypertonie oftmals als alleiniges klinisches Zeichen im Vordergrund. Falls keine anderen typischen Symptome vorliegen, fehlt der «klinische Stimulus» zum weitersuchen. Die Nierenarterienstenose, der primäre Hyperaldosteronismus und das Phäochromozytom sollen bei jedem Workup einer neu aufgetretenen (im Besonderen schweren resp. schwierig einstellbaren) Hypertonie aktiv gesucht werden. Eine negative Abklärung ist in vielfacher Hinsicht hilfreich und erlaubt mitunter auch eine bessere Fokussierung auf eine wirksame und nachhaltige Hypertonietherapie. Man muss nicht mehr spekulieren, ob der Patient nicht doch eine sekundäre Hypertonie hat.
Prof. Dr. med. Paolo Suter
UniversitätsSpital Zürich
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin
Rämistrasse 100
CH-8091 Zürich
paolo.suter[at]usz.ch
 1 Mancia G, Fagard R, Narkiewicz K, Redón J, Zanchetti A, Böhm M, et al. 2013 ESH/ESC Guidelines for the management of arterial hypertension: The Task Force for the management of arterial hypertension of the European Society of Hypertension (ESH) and of the European Society of Cardiology (ESC). Journal of Hypertension. 2013:31(7):1281–1357 10.1097/01.hjh.0000431740.32696.cc.
 2 Goldblatt H, Lynch J, Hanzal RF, Summerville WW. Studies on experimental hypertension. I. The production of persistent elevation of systolic blood pressure by means of renal ischemia. J Exp Med. 1934;59:347–79.
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 8 Drieghe B, Madaric J, Sarno G, Manoharan G, Bartunek J, Heyndrickx GR, et al. Assessment of renal artery stenosis: side-by-side comparison of angiography and duplex ultrasound with pressure gradient measurements. Eur Heart J. 2008;29(4):517–24.
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