Zweiter Tarifeingriff

Die Strafe des Bundesrates

Editorial
Ausgabe
2017/07
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2017.01540
Prim Hosp Care (de). 2017;17(07):125

Affiliations
Vorstandsmitglieder mfe

Publiziert am 05.04.2017

Mindestens ein Teil der Medien interpretiert den zweiten Tarifeingriff des Bundesrates in dieser Weise: endlich greift der Bundesrat ein, endlich stellt sich jemand den unangebrachten Forderungen der Ärzteschaft entgegen, ein Reförmchen genügt nicht, hoffentlich ist der Schock heilsam.
Die Katze ist aus dem Sack. Der von ungeduldigen Politikern längst geforderte zweite Tarif­eingriff [1] liegt zur Vernehmlassung bereit und soll per 1.1.2018 in Kraft treten.
Der Bundesrat begründet seinen Tarifeingriff mit der nötigen Wiederherstellung oder jedenfalls Verbesserung der gesetzlich geforderten Sachgerechtigkeit und Betriebswirtschaftlichkeit und der nun sieben Jahre dauernden Blockade um die Tarifrevision, deren Notwendigkeit von niemandem bestritten wird. Der Bundesrat stellt fest, dass sowohl die Anzahl der Konsultationen als auch die Kostenvolumenzunahme bei den Spezialisten deutlich stärker angestiegen ist als bei den medizinischen Grundversorgern, und dass sich die Einkommensunterschiede zwischen diesen Gruppen eher vergrössert hätten, ganz entgegen dem ursprünglichen Ziel von Tarmed.
Der Bundesrat will die Quantitative Dignität einebnen, die Ärztliche Leistung (AL) soll für alle gleich hoch sein. Er stützt sich auf das Medizinalberufe­gesetz MedBG, das nur noch zwischen Fachärzten mit fünf- und sechsjähriger und den Praktischen Ärzten mit dreijähriger Weiterbildung unterscheidet. Wie angekündigt, sollen die nach Auffassung des Bundesrates übertarifierten Leistungen korrigiert werden. Die Produktivität wird angepasst, in gewissen Sparten wird die Technische Leistung (TL) abgesenkt. Ein Teil der Handlungsleistungen wird durch eine reine Zeitleistung ­ersetzt, so der kleine und der grosser internistische Status. Die Leistung in Abwesenheit soll neu in sechs verschiedene Kategorien eingeteilt werden. Limitierungen sollen in Zukunft auch für elektronisch abrechnende Ärzte wieder gelten.
Der zweite Tarifeingriff des Bundesrates stützt sich ­unter anderem auf die Vorschläge von curafutura. Es erstaunt daher nicht, dass der Tarifeingriff als Spar­programm konzipiert ist. 700 Mio. Franken sollen eingespart werden, knapp 3% des gesamten Umsatzes in Bereich der ambulanten Medizin. Die Haus- und Kinderärzte sollen nach den Berechnungen des Bundesrates vom Tarifeingriff profitieren. Erst die detaillierten Analysen werden zeigen, ob dieses eine Hauptziel der Tarifrevision mit dem bundesrätlichen Tarifeingriff erreicht werden kann, und welche negativen Folgen sein Eingriff haben wird. Einsparungen in dieser Grössenordnung werden zweifellos die medizinische Versorgung verändern. Auch wird sich noch ­zeigen müssen, ob die Qualität trotz rigoroser Einsparungen im ambulanten Bereich tatsächlich aufrecht erhalten werden kann. Während die Spitäler H+ eine Zunahme der Unterdeckung von aktuell 600 Mio. Franken (vor allem im Bereich Notfall- und Kindermedizin) geltend machen, sorgt sich santésuisse in erster Linie um die Einhaltung der Sparvorgaben.
Die Auswirkungen des Tarifeingriffs müssen nun im Detail studiert werden. Nicht nachvollziehbar ist die Festsetzung der einheitlichen Quantitativen Dignität auf den Faktor 0.968 statt 1.0. Die Quantitative Dignität wurde dem Tarif kostenneutral übergestülpt. Wenn sie aufgehoben werden soll, muss sie wieder bei 1.0 liegen. Es darf nicht sein, dass der Bundesrat den ambulant ­tätigen Ärzten eine Lohnkürzung von mehr als 3% verordnet, um damit eine Reserve mit unbekanntem Zweck von 60 Mio. anzulegen. Dass es bei diesem Tarif­eingriff ums Sparen und nicht um Sachgerechtigkeit geht, zeigt sich auch darin, dass zwar eifrig gekürzt, ­erhöhte Infrastruktur- und Personalkosten aber nicht berücksichtigt werden.
Der Bundesrat bezeichnet den Tarifeingriff als Übergangslösung und fordert die Tarifpartner auf, die Revision des Tarifs voranzutreiben. Die Forderungen der Haus- und Kinderärzte liegen seit Jahren auf dem Tisch. Wir anerkennen die Bemühungen des Bundesrates, die medizinische Grundversorgung zu stärken und die Haus- und Kinderärzte anderen Spezialisten gleich zu stellen. Tarifkommission und Vorstand mfe werden den Tarifvorschlag im Detail prüfen und mit den Delegierten an der DV vom 18./19. Mai 2017 diskutieren.
Parallel dazu führen die Tarifexperten mfe die Arbeiten am Projekt Tarco, zusammen mit der FMH und den Tarifexperten der anderen Fachgesellschaften weiter mit dem Ziel, den Tarifpartnern und schlussendlich dem Bundesrat einen Vorschlag für einen den aktuellen Gegebenheiten entsprechenden Tarif vorlegen zu können. Unser Bestreben bliebt es, einen Tarif zu er­arbeiten, der zu korrekten Entschädigungen führt, die Unkosten richtig abbildet und unsere Arbeit für die Gesundheit der Bevölkerung anerkennt.
Sandra Hügli-Jost
Kommunikations­verantwortliche Hausärzte Schweiz, Geschäftsstelle
Effingerstrasse 2
CH-3011 Bern
Sandra.huegli[at]
hausaerzteschweiz.ch
1 https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/themen/versicherungen/krankenversicherung/krankenversicherung-revisionsprojekte/aenderung-verordnung-festlegung-anpassung-tarifstrukturen-krankenversicherung.html)