Teil 3: eHealth - Stand der Dinge aus Sicht der Primärversorgung
Serie IT und eHealth in der Hausarztpraxis – Teil 3

Teil 3: eHealth - Stand der Dinge aus Sicht der Primärversorgung

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Ausgabe
2017/18
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2017.01544
Prim Hosp Care (de). 2017;17(18):354-356

Affiliations
Medizinisches Zentrum, Chur

Publiziert am 27.09.2017

Unter eHealth versteht eHealth Suisse die elektronischen Gesundheitsdienste mit integriertem Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien. Diese gestalten, unterstützten und vernetzen alle Prozesse der Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Gesundheitswesen [1].

Einführung

Die Strategie «eHealth Schweiz 2007» setzte unter anderem folgende Ziele:
– Ab 2009 können die Kantone auf der Basis der Versichertenkarte Modellversuche zu elektronischen Gesundheitsdiensten durchführen;
– Bis Ende 2015 können alle Menschen in der Schweiz unabhängig von Ort und Zeit den Leistungserbringern ihrer Wahl den elektronischen Zugriff auf behandlungsrelevante Informationen ermöglichen (elektronisches Patientendossier) [2].
Diese Ziele waren zu ambitiös: Die Versichertenkarte konnte die ihr zugedachte Rolle nicht übernehmen und der «elektronische Zugriff auf behandlungsrelevante Informationen» von Patienten war Ende 2015 noch nicht möglich. Ein grosser Teil der technischen Grundlagen und erforderlichen Strukturen waren zu dieser Zeit aber spezifiziert und das komplexe Projekt als solches auf Kurs.
Die Verzögerung im Zeitplan erstaunt nicht, denn die Einführung von eHealth ist eine enorme Herausforderung, galt es doch, durch interprofessionelle und ­interinstitutionelle Zusammenarbeit in jahrelanger Arbeit ein tausendteiliges Puzzle zu einem Gesamtbild zusammenzutragen. Für die Primärversorgung rückt die Nutzung erster eHealth-Funktionalitäten jetzt in greifbare Nähe.

Voraussetzungen für eHealth

Die Voraussetzungen für den integrierten Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien lassen sich am besten über die Beschreibung der beiden Begriffe «eKommunikation» und «Interoperabilität» darstellen. Denn eHealth setzt, soll sie wirksam werden, interoperable eKommunikation voraus.

eKommunikation und Interoperabilität …

«eKommunikation» meint mehr als nur elektronischer Datenaustausch. Kommunikation, vom lateinischen communicare, bedeutet «teilen, mitteilen, teilnehmen lassen, gemeinsam machen, vereinigen» [3]. Erfolg­reiche Kommunikation ist ein Prozess, bei dem einem Empfänger klar wird, was der Sender meint. Dies setzt ein semantisches Verständnis, das heisst ein Erkennen der Bedeutung der ausgetauschten Daten voraus. So sollen zum Beispiel Impfdaten bei einem Datenaustausch im empfangenden System als solche erkannt, verarbeitet und gespeichert werden.
«Interoperabilität» ist die Fähigkeit unabhängiger heterogener IT-Systeme, untereinander zu kommunizieren, ohne dass dazu gesonderte Absprachen zwischen den Systemen notwendig sind [4], sowie Informationen und deren Bedeutung auf verwertbare Art und Weise den Benutzern zur Verfügung zu stellen. Das heisst, der Sender muss vom Empfänger weder dessen Hardware-Plattform noch das von ihm benutzte Primärsystem wie Klinik- oder Patienten-Informationssystem, Apotheker-Software oder Spitex-Software etc. kennen.

… setzen Standards voraus, ...

Interoperabilität und eKommunikation unabhängiger, heterogener Systeme setzen Standards voraus – das heisst Abmachungen, auf welchen technischen (Übermittlungsprotokolle, Datei-Profile, Sicherheit u.a.) und semantischen (Bedeutung der Inhalte) Grundlagen der Datenaustausch erfolgen muss, damit Sender um Empfänger sich verstehen.
Die Etablierung der technischen Grundlagen ist Sache der Software-Ingenieure. Für das elektronische Patientendossier (EPD) stützen sie sich auf das Rahmenwerk von Integrating Healthcare Enterprise (IHE) [5], einer not-for-profit Organisation, die viele öffentlich zugängliche Standards (wie HL7, Dicom, LOINC) für verschiedene medizinische Prozesse nutzbar macht und in so genanten Profilen abbildet (z.B. Rezeptierung, Austrittsbericht etc).
Die Definition der Daten-Inhalte ist hingegen Sache der eHealth-Anwender, wie beispielsweise der Interprofessionellen Arbeitsgruppe Elektronisches Patientendossier (IPAG) [6].
Das Produkt solcher bipartiter Entwicklungen sind ­sogenannte Austauschformate wie z.B. das «eImpfdossier» [7]. Können PS Austauschformat-konforme Dateien schreiben und lesen ist eine eKommunikation PS von zu PS sowie zwischen den PS und dem EPD möglich.

… die akzeptiert werden müssen

Sind die Infrastruktur gelegt und die Standards für die eKommunikation gesetzt, bleibt noch die letzte Meile zu gehen: Die Umsetzung von eHealth im Arbeitsalltag. Nicht alles, was innovativ oder technisch möglich ist, wird von den Anwendern auch akzeptiert! Innovationen wie eHealth müssen, um akzeptiert zu werden, beim Anwender einen spürbaren Nutzen generieren. Kurz, eHealth sollte sich in Arbeitsabläufe des Anwenders einfügen und in die von ihm genutzten PS nahtlos integrieren. Gelingt dies, wird eHealth die aktuellen PS aufwerten, dem Anwender wesent­liche Erleichterungen bringen und sich schnell durchsetzen – dazu braucht es allerdings die Mitarbeit der Anwender bei der Software-Entwicklung.

Zur Entwicklung eHealth in der Schweiz

«Top-down» oder «bottom-up»?

Bei der Entwicklung grosser Vorhaben stellt sich die Frage, ob ein Generalplan («top-down») oder Pragmatismus («bottom-up») besser zum Ziel führen. Einem Generalplan sind insofern Grenzen gesetzt, da zu Beginn der Planung zu vieles noch unbekannt ist, und sich im Verlauf dynamisch Komplexität entwickelt, die man nicht antizipieren kann. Der Generalplan garantiert zwar eine Einheitlichkeit, droht aber an der Komplexität zu scheiten. Es besteht die Gefahr, dass sich die Anwender mit grossen, teuren und in der Praxis insuffizienten Systemen auseinandersetzen müssen.
Das pragmatische Vorgehen, der «bottom-up»-Ansatz, hat den Vorteil einer Planung und Entwicklung entlang der konkreten Bedürfnisse der zukünftigen eHealth-Anwender, ohne aber Gewähr bieten zu können, dass alle Mitspieler zum Schluss im Orchester auch zusammenfinden.
Erfahrungen mit der Einführung eines EPD im Sinne von eHealth Suisse sind kaum vorhanden. In England, mit seinem zentralisierten Gesundheitssystem eigentlich prädestiniert für einen «top-down»-Ansatz, wurde das Projekt eines nationalen EPD nach einer mehrjährigen Entwicklungszeit und Investitionen von über 10 Mia Pfund im Jahre 2011 abgebrochen [8]. In der Schweiz zeigt sich, dass IT-Grossprojekte mit einem «top-down»-Ansatz Schwierigkeiten haben zu reüssieren. So gelang es zum Beispiel der Swisscom und der Post bisher nicht richtig, die Endanwender von ihren eHealth-Angeboten zu überzeugen.

«Middle-out»

eHealth Suisse, das Steuerungs- und Koordinationsorgan von Bund und Kantonen, setzte von Beginn weg auf einen Mix von «bottom-up» und «top-down» – den «middle-out»-Ansatz: Konkrete Anwendungsfälle mit einem hohen Potential an Anwender-Akzeptanz, wie das «eImpfdossier» oder die «eMedikation», wurden «bottom-up» als Pilotprojekte vorangetrieben. Bei dem Versuch der Realisierung dieser Projekte stiess man auf vielfältige, grundsätzliche Fragen aus ganz verschiedenen Bereichen. Die daraus entstandene Komplexität wurde in Teilprojekte zerlegt, einer systematischen Betrachtung unterzogen, Handlungsbedarf festgestellt, Expertise eingeholt und Handlungsempfehlungen erarbeitet (regulatorischer «top-down»-Ansatz). Die nach einer breiten Vernehmlassung verabschiedeten Handlungsempfehlungen dienten in der Folge als Vorlage für die Erarbeitung der Standards («middle-out»).
Ein solches Konsens-Vorgehen ist zeitraubend, sichert aber die Akzeptanz aller Beteiligten. Es involviert, im Gegensatz zum zentralen «top-down»-Ansatz, alle Gesundheitsdienstleister, die Techniker und den Regulator, motiviert zu gemeinsamen Projekten und sorgt für gegenseitiges Verständnis.
Mit einem solchen Vorgehen konnten, nach dem Start auf anfangs «offenen Feldern», Prozesse in verschiedenen Teilbereichen parallel verfolgt werden und Komponenten entstehen, die gleich Puzzle-Teilen zu «Patterns» zusammenwuchsen, um am Schluss ein Gesamtbild zu ergeben [9]. Mit einem solchen Vorgehen bleibt man nahe am konkreten Bedarf und den schon existierenden Anwendungen, Akteure und Anwender lernen sich notwendigerweise kennen und das Produkt bleibt gestaltbar und plastisch.

«eHealth Connector» – Anschluss an das EPD

Die Publikation des Austauschformates «eImpfdossier» im Januar 2014 war für Elexis Anstoss, die Implementierung dieser eHealth-Komponente in Angriff zu nehmen [10]. Der Versuch zeigte schnell, dass die Umsetzung des Vorhabens Spezialwissen erfordert, das in der Schweiz nur bei wenigen Software-Ingenieuren vorhanden ist. Es wurde klar, dass unter solchen Bedingungen die PS-Anbieter den Anschluss an die eHealth-Plattform nicht werden realisieren können (Kosten, Knappheit an Entwickler-Ressourcen).
Die Initianten dieses Versuches entschlossen sich deshalb, das Projekt «eHealth Connector» (eHC) [11] zu starten. Der eHC bündelt die technische Komplexität des Anschlusses an die eHealth-Plattform und bietet den PS-Herstellern eine vergleichsweise einfache Nahtstelle [12]. Der eHC ist Quellcode-offen, frei erhältlich und steht unter dem Patronat von eHealth Suisse [13] und IHE Schweiz [14]. Die Initiative stiess bei PS-Herstellern und Institutionen auf ein reges Interesse und hat sich in den letzten zwei Jahren gut entwickelt. Die Funktionalität des eHC beschränkt sich allerdings nicht auf den Anschluss ans EPD, sondern ermöglicht auch den «point-to-point»-Datenaustausch, zum Beispiel zwischen einzelnen Ärzten. So können auch ­Daten von Patienten, die kein EPD führen möchten, zwischen einzelnen Teilnehmern elektronisch ausgetauscht werden (z.B. ärztliche Einweisung ins Spital, Überweisung zu einem Spezialisten etc).

Stand der Dinge und Aussicht

Die technische Infrastruktur und die Werkzeuge für den Anschluss von PS an die eHealth-Plattform und eine Umsetzungshilfe «Anbindung Primärsysteme» liegen heute vor [15]. Das «eImpfdossier» und das kommende Austauschformat «eMedikation» [16] haben hinsichtlich Nutzen grosses Potential. Pilot-Versuche des elektronischem Austausches von Impfdaten ­zwischen PS (Triamed, Elexis, Ärztekasse) und ­«meineimpfungen» [17] verliefen erfolgreich.
Die Akzeptanz von eHealth hängt in der Primärversorgung jetzt von der letzten Meile ab, der anwenderfreundlichen Implementierung der eHealth-Funktionalitäten in die Benutzer-Oberfläche der PS. Dies ist eine grosse Herausforderung, und die PS-Anbieter sind auf die Mitarbeit der Software-Anwender angewiesen (vergleiche auch Teil 2 dieser Serie). Gelingt eine solche, wird eHealth nicht nur nahtlos eingebettet, sondern die PS werden dadurch auch deutlich aufgewertet.
Das Tempo der Entwicklung von eHealth wird von der Publikation weiterer Austauschformate bestimmt (eMedikation, eArztbericht u.a.) und vor allem von den Fortschritten bei der Realisierung des EPD (Bildung von interoperablen Gemeinschaften).
Dr. med. Franz Marty
Medizinisches Zentrum gleis d
Gürtelstrasse 46
CH-7000 Chur
franz.marty[at]mez-chur.ch
 3 Wikipedia [Internet]: https://de.wikipedia.org/wiki/Kommunikation
 4 Wikipedia [Internet]: https://de.wikipedia.org/wiki/ Interoperabilität
 5 Integrating Healthcare Enterprise [Internet]: https://www.ihe.net/
 8 TrishaGreenhalgh,JustinKeen: England’s national programme for IT  https://doi.org/10.1136/bmj.f4130
11 medsharePublikationen[Internet]: Alles einfacher danke eHealth-Connector. https://www.medshare.net/fileadmin/downloads/publikationen/d213.pdf
13 ehealth Suisse [Internet]: https://www.e-health-suisse.ch
14 ihe Suisse [Internet]: http://www.ihe-suisse.ch