Johanniskraut, eine Alternative zu klassischen Antidepressiva
Interaktionen beruhen auf der Enzyminduktion durch Hyperforin

Johanniskraut, eine Alternative zu klassischen Antidepressiva

Lernen
Ausgabe
2017/21
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2017.01549
Prim Hosp Care (de). 2017;17(21):414-415

Affiliations
a Prof. emer. für Neuropharmakologie, Pharmakologisches Institut, Unviersität Bern; b Prof. emer. für Endokrinologie, Universitäre Kinderklinik, Bern

Publiziert am 08.11.2017

Johanniskraut wird als pflanzliches Antidepressivum genutzt. Nach zwei- bis vierwöchiger Einnahme von Johanniskraut­präparaten ist bei leichten bis mittelschweren Depressionen, vergleichbar mit der Wirkung synthetischer Antidepressiva, eine Besserung der Symptome zu erwarten.
In Deutschland war Johanniskraut (Hypericum perforatum; engl. St. John’s wort) während Jahren das meist angewandte Antidepressivum. Als Folge von Meldungen über Interaktionen mit gleichzeitig eingenommenen Arzneistoffen wich die Euphorie einer kritischen Haltung gegenüber der Verschreibung des Phytothera­peutikums. Das Ausmass der Interaktionen korreliert direkt mit dem Anteil des Inhaltstoffes Hyperforin, ­einem Phloroglucinol-Derivat [1, 2].

Die Extraktionsmethode bestimmt die Zusammensetzung

Die einzelnen Produzenten stellen die Extrakte mit unterschiedlichen Methoden her. Als Extraktions­mittel dienen entweder Ethanol oder Methanol in ­verschiedenen Konzentrationen, oder selten CO2. Dabei entstehen Extrakte mit unterschiedlichen Gehalten der einzelnen Inhaltsstoffe.
Gemäss Pharmacopoea Europaea (Ph. Eur) müssen ­jedoch sämtliche Präparate auf einen bestimmten Gehalt von Hypericin eingestellt werden. Abhängig von der Polarität des Extraktionsmittels variieren die Anteile an hydrophilen, resp. lipophilen Inhaltsstoffen. So nimmt der Gehalt an lipophilem Hyperforin mit zunehmender Apolarität des Extraktionsmittels zu.
Bei einer Dosierung von 1000 mg Extrakt pro Tag ­beträgt der Anteil an Hypericin – bei einem gemäss Ph. Eur geforderten Normgehalt von 0,2% – 2 mg. Die Menge Hyperforin darf maximal 6% betragen. Je nach Präparat, resp. Extraktionsmittel, können damit die Hyperforingehalte zwischen <0,5 und max. 60 mg pro 1000 mg Extrakt variieren (Tab. 1).
Tabelle 1: Extrakte aus Hyperici herba. Nach [3].
DCI NameDEVExtraktionsmittelHyperforingehaltDosierung 
mg/Tag
HYP 6113,5–6: 1Ethanol 60% v/v<6%650
LI 1603–6: 1Methanol 80% v/v4,50%900
WS 55622,5–5: 1Ethanol 60% v/v4–5%600–1200
WS 55703–7: 1Methanol 80% v/v3–6%600–1800
STW35–8: 1Ethanol 50% v/v3,3%612
STW3-VI3–6: 1Ethanol 80% v/v3%900
STEI 3005–7: 1Ethanol 60% m/m2–3%1050
LoHyp-575–7: 1Ethanol 60% v/v2–3%800
Ze 1174–7: 1Ethanol 50% m/m<0,5%500

Pharmakologische Wirkung

Die pharmakologische Wirkung von Johanniskraut­extrakten besteht in einer Hemmung der Wiederaufnahme der Neurotransmitter Serotonin, Noradrenalin und Dopamin in den Synapsen des zentralen Nervensystems. Sie ist vergleichbar mit dem Wirkmechanismus klassischer Trizyklika. Diese Effekte wurden sowohl in vivo in Tierversuchen, als auch in vitro an Hirnschnitten und -zellkulturen nachgewiesen [4, 5].

Geringe Nebenwirkungen

Generell sind bei einer empfohlenen Dosierung von Extrakten gemäss Ph. Eur kaum Nebenwirkungen zu erwarten. Es werden leichte Magen-Darm-Beschwerden, aber auch Müdigkeit, Erregung oder allergische Hautreaktionen beschrieben. Hypericin soll bei Überdosierung die Empfindlichkeit der Haut gegen UV-Strahlen erhöhen (Photosensibilisierung).

Gefahr von Interaktionen

Die Feststellung von Ende der 1990er Jahre, dass Extrakte von Johanniskraut den Abbau anderer, gleichzeitig eingenommener Arzneistoffe beschleunigen können, führte zu breit angelegten Studien. Diese zeigten, dass die Einnahme von Johanniskraut-Extrakten eine Aktivitätszunahme von Cytochrom P450, Sub­typen 3A4 und 2C9, bewirkt. Diese metabolisch aktiven Enzyme sind für den Abbau einer Vielzahl von Wirkstoffen verantwortlich. Ihre Aktivierung (Vermehrung) kann zu einem rascheren Abbau und damit zu ­einer signifikanten Verminderung der Wirkung dieser Arzneistoffe führen. Zudem wird auch eine Zunahme der Expression des membranständigen P-Glycoproteins gemessen. Dieses Protein steuert den Rücktransport von Wirkstoffen aus dem Organismus über die Mukosa des Gastrointestinaltraktes, was zu einer weiteren Reduktion der Verfügbarkeit von Arzneistoffen führen kann. Sowohl die mRNA-Expression von CYP-Enzymen als auch von P-Glycoprotein wird über den Pregnan-X-Rezeptor reguliert, an dem Hyperforin als Aktivator angreift [6–8].

Relevante Interaktionen von Johanniskraut-Extrakten mit Arznei­stoffen

Relevante Auswirkungen und damit Kontraindikationen wurden beschrieben für:
– Immunsupressiva (Cyclosporin, Tacrolimus, Sirolimus)
– Antiretrovirale Substanzen (Non-Nucleosid-Reverse-Protease-Inhibitoren, Proteinase-Inhibitoren)
– Zytostatika
– Antikoagulantien vom Cumarintyp
Warnhinweise und Vorsichtsmassnahmen bestehen bei folgenden Arzneimitteln:
– Digoxin
– Hormonale Kontrazeptiva
– Methadon
– Antiepileptika
– Theophyllin
Eine Interaktion kann durch erniedrigte Blutspiegel der zusammen mit Johanniskraut eingenommenen Medikamente nachgewiesen werden. Aus diesem Grund wurden von den Herstellern von Johanniskraut-Präparaten entsprechende Warnhinweise verlangt.
Zudem besteht die Gefahr, dass bei gleichzeitiger Einnahme gewisser Antidepressiva (SSRI, Trizyklika) ein Serotonin-Syndrom (Unruhe, Rigor und Fieber, in zum Teil bedrohlichem Ausmass) ausgelöst werden kann [9].

Bedeutung von Hyperforin für ­Interaktionen und Wirkung

Die in zahlreichen Studien gewonnenen Erkenntnisse zeigen, dass die Induktion von Cytochrom CYP450 durch Hypericum-Extrakte mit dem Gehalt an Hyperforin korreliert. Hyperforin ist auch in Tee-Aufgüssen sowie in öligen Präparaten enthalten. Die Mengen sind in diesen Zubereitungen aber so gering, einerseits aufgrund der wässrigen Extraktion, andererseits durch den Abbau während der Herstellung, dass keine signifikanten Effekte zu erwarten sind.
Die ursprüngliche Annahme, dass es sich bei Hyper­forin um das hauptsächliche Wirkprinzip handeln könnte, führte zur Präparation von Hyperforin-­reichen Extrakten. Zahlreiche klinische Studien haben aber eine vergleichbare antidepressive Wirksamkeit von Hyperforin-reichen und -armen Präparaten gezeigt. In verschiedenen Tierversuchsmodellen (forced swimming, locomoter activity, tail suspension tests) blieb die antidepressive Wirkung mit Hyperforin- resp. Hypericin-freien Extrakten erhalten. Dies erklärt auch, dass CO2-Extrakte mit einem Hyperforin-Anteil von über 38% im Tiermodell kaum wirksam waren. In ­in-vitro-Studien an Ratten-Hirnschnitten hatten die isolierten Inhaltsstoffe Hyperforin und Hypericin im Unterschied zum Johanniskraut-Gesamtextrakt und synthetischen Antidepressiva keine Hemmwirkung auf die Noradrenalin-Aufnahme [4]. Auch daraus ergibt sich, dass Hyperforin an der antidepressiven Wirkung nicht oder nur marginal beteiligt ist. Da neben Hyperforin- auch Hypericin-arme Präparate noch anti­depressiv wirken, muss das antidepressive Prinzip in Inhaltsstoffen des alkoholischen Restextraktes gesucht werden [10, 11].

Schlussfolgerung

Auf Hypericin quantifizierte Johanniskrautextrakte sind bei leichten bis mittelschweren Depressionen gleich wirksam wie klassische, synthetische Antidepressiva. Hingegen ist ihre Nebenwirkungsinzidenz um einen Faktor 10 geringer. Die klinisch bedeutsamen Interaktionen mit gleichzeitig eingenommenen Arzneistoffen beruhen nachweislich auf der Enzyminduktion durch Hyperforin. Je höher der Hyperforin-Gehalt eines Produktes, desto höher ist das Inter­aktionsrisiko. Die antidepressive Wirkung von Johanniskrautextrakten ist unabhängig vom Hyperforingehalt. Bei der Verschreibung von Johanniskrautpräparaten ist daher auf einen möglichst niedrigen Hyperforingehalt zu achten.
Es besteht kein Interessenskonflikt. Beide Autoren sind emeritiert und haben keine Bindung zur pharmazeutischen Industrie. Ihre Grundlagenforschung über den Wirkungsmechanismus von synthetischen und pflanzlichen Antidepressiva wurde in den Jahren 1979 bis 2005 von der Firma Max Zeller Söhne AG und weiteren Firmen unterstützt.
Prof. em. Dr. med.
Ulrich Honegger
Uehonegger[at]bluewin.ch
 1 Linde K, Berner MM, Kriston L. St. John’s Wort for treating depression. Cochrane database of systematic reviews of meta analyses 2008.
 2 Kasper S, Caraci F, Forti B, Drago S, Aguglia E. Efficacy and tolerability of Hypericum extract for the treatment of mild to moderate depression. Eur Neuropsychopharmacol. 2010;20:747–65.
 3 Länger R. Die HMPC-Monographie zu Hypericum Hintergründe, Entstehung, Inhalte. Wien Med Wochenschr 2010;160/21–22:557–563.
 4 Kientsch U,Bürgi S,Ruedeberg C,Probst S, Honegger UE. St. John’s Wort extract Ze 117 (Hypericum perforatum) inhibits norepinephrine and serotonin uptake rinto rat brain slices and reduces β-adrenoceptor numbers on cultured rat brain cells. J Pharmacopsychiatry. 2001;34(1):56–60.
 5 ButterweckV, Christoffel V, Nahrstedt A, et al. Step by step removal of hyperforin and hypericin: activity profile of different Hypericum preparations in behavioral models. Life Sciences. 2003;73:627–39.
 6 Hafner-Blumenstiel, V. Phytopharmaka als Ursache von unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Therapeutische Umschau. 2011;68(1):54–7.
 7 Borrelli F, Izzo, AA. Herb-drug interactions with St John’s Wort (Hypericum perforatum): An update on clinical observations. AAPS Journal. 2009;11(4):710–27.
 8 Madabushi R, Frank B, Drewelow B, et al. Hyperforin in St. John’s wort drug interactions. Eur J Clin Pharmacol. 2006;62(3):225–33.
 9 Whitten DL, Myers SP, Hawrelak JA, Wohlmuth H. The effect of St. John’s worth extracts on CYP3A: A systematic review of prospective clinical trials. Br J Clin Pharmacol. 2006;62:512–26.
10 Mueller SC, Majchen-Peszynska J, Uehleke B, et al. The extent of induction of CYP 3A by St. John’s wort varies among products and is linked to hyperforin dose. Eur J Clin Pharmacol. 2006;62:29–36.
11 Mueller SC, Majchen-Peszynska J, Mundkowski RG, et al. No clinical relevant CYP 3A induction after St. John’s wort with low hyperforin content in healthy volunteers. Eur J Clin Pharmacol. 2009;65(1):81–7.
Weitere Literatur-Referenzen bei den Autoren