Pflegegeleitete Versorgungsmodelle in der Langzeitpflege
Das Projekt INTERCARE

Pflegegeleitete Versorgungsmodelle in der Langzeitpflege

Lehren und Forschen
Ausgabe
2017/14
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2017.01553
Prim Hosp Care (de). 2017;17(14):270-271

Affiliations
a Institut für Pflegewissenschaft, Departement Public Health, Universität Basel; b Universitäre Altersmedizin Basel, Felix Platter-Spital;
c Universitäres Zentrum für Hausarztmedizin beider Basel, Liestal; d Universitäre Forschung Pflege/Hebammen, Inselspital Bern

Publiziert am 26.07.2017

Die Stärkung der interprofessionellen Zusammenarbeit hat eine hohe Priorität im Schweizer Gesundheitswesen. Das Projekt INTERCARE – Pflegegeleitete Versorgungsmodelle in Schweizer Pflegeinstitutionen: Verbesserung der interprofessionellen Pflege für bessere Bewohnerergebnisse – hat das Ziel, geriatrische Expertise im Langzeit­bereich zu stärken und vermeidbare Hospitalisierungen zu reduzieren. INTERCAREwird vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) im Rahmen des NPF74 finanziert und vom Institut für Pflegewissenschaft (INS) der Universität Basel verantwortet.
Ältere Menschen in Pflegeinstitutionen treten zunehmend in einem fortgeschrittenen Stadium der Pflegeabhängigkeit und medizinisch instabileren Zustand in Pflegeinstitutionen ein [1]. Ungefähr 86% der Bewohner/-innen leiden unter mindestens zwei chronischen Krankheiten [2]. Mit der Zunahme der medizinischen Möglichkeiten in der Geriatrie, der Verantwortung in der Nachsorge nach Spitalaufenthalten in Pflegeinstitutionen und einer Zunahme der Bewohnerfluktuation mit vermehrten Austritten aus Pflegeinstitutionen steigen die Anforderungen an die geriatrische Kompetenz des interprofessionellen Pflege- und Behandlungsteams [3]. Gleichzeitig gefährdet ein Mangel an qualifiziertem Fachpersonal auf der Seite der Hausärzte/-innen und der Pflege die Versorgungsqualität. Zur Erhaltung einer sicheren, effektiven, integrierten und personenzentrierten Pflege braucht es neue Versorgungsmodelle, in denen hochqualifiziertes geriatrisches Personal wirksam eingesetzt und die interprofessionelle Zusammenarbeit wie auch Koordination unter den Leistungserbringern gestärkt wird [4].

Schlüsselelemente sind ­interprofessionelle Gesundheitsteams

Interprofessionalität in der Gesundheitsversorgung erlaubt im Zusammenkommen der verschiedenen ­Expertisen der Berufsgruppen gemeinsam bessere ­Gesundheitsergebnisse für die Bewohner/-innen zu erreichen. Zudem erhöht sich die Arbeitszufriedenheit der Beteiligten und Gesundheitskosten können reduziert werden [5]. International werden in der stationären Langzeitpflege seit längerem erfolgreich pflege-­geleitete, interprofessionelle Versorgungmodelle umgesetzt, in denen geriatrisch spezialisierte Pflege-experten/-innen in enger Kooperation mit den Hausärzten/-innen die klinische Führung übernehmen. Schlüsselelemente dieser Modelle sind interprofessionelle Gesundheitsteams mit einem Skillmix, der erlaubt, auf die spezifischen Gesundheitsbedürfnisse von älteren Menschen einzugehen, die Koordination von Übergängen an den Schnittstellen zu verbessern, das Pflege- und Betreuungspersonal in Pflegeinstitutionen in ihrer klinischen Expertise zu befähigen und die Pflegeentwicklung zu unterstützen [6]. Solche Teams werden oft von Advanced Practice Nurses (APN) geführt, also Pflegenden mit einem Masterabschluss und vertiefter klinischer Ausbildung. Sie zeigen Erfolge mit besserer Pflegequalität (z. B. besseres Schmerzmanagement, weniger Dekubitus, Stürze, Hospitalisierungen) und besserer Bewohnergesundheit und -zufriedenheit [6–9]. APN können vor Ort ­gezielt klinische Assessments durchführen und die ­Behandlung zusammen mit den Hausärzten/-innen und anderen Leistungserbringern koordinieren. Ihre Präsenz vor Ort ­erlaubt sowohl ein rasches Reagieren auf akute Verschlechterungen, als auch ein frühzeitiges Erkennen von Zustandsveränderungen und das Einleiten von ­geeigneten Massnahmen, sowie das Unterstützen des Advance Care Planning. Bisher ist wenig bekannt zum Einsatz von solchen Versorgungsmodellen in Schweizer Pflegeinstitutionen [10]. Zudem braucht es in der Schweiz einen breiten Ansatz, der nicht nur Pflegende mit Masterabschluss, sondern mit verschiedenen Ausbildungshintergründen ab Diplomniveau berücksichtigt, um den Bedarf decken zu können.

Die vierjährige INTERCARE-Studie

Hier setzt die vierjährige Studie INTERCARE zu pflegegeleiteten Versorgungsmodellen in Schweizer Pflege­institutionen an. Im Rahmen des NFP74 «Gesundheitsversorgung» geht es im ersten Schritt um die evidenzbasierte Entwicklung eines für die Schweiz passenden, pflegegeleiteten, interprofessionellen Versorgungsmodells, das in einem zweiten Schritt ab Mitte 2018 implementiert und evaluiert wird. Vor einer Implementierung ist es wichtig, sorgfältig den Kontext, die Rolle, Aufgaben, Kompetenzen der involvierten Personen, sowie Ziele und erwartete Wirkung des Modells mit Stakeholdern zu klären [11–13]. Dementsprechend wird INTERCARE im ersten Jahr zusammen mit Stakeholdern aus Pflege, Hausarztmedizin, Geriatrie, Berufsorganisationen, Behörden und Versicherungen ein für die Schweiz geeignetes Modell beschreiben sowie hinderliche und förderliche Faktoren für die ­Implementierung identifizieren. Wir bauen dabei auf internationale Literatur und Modelle und werden bereits umgesetzte Modelle einbeziehen, um aus ihren Erfahrungen zu lernen.
In einem zweiten Schritt wird das Modell in zwölf Pflege­heimen in der Deutschschweiz und der Romandie in einem Implementationsforschungsprojekt umgesetzt. Dabei leitet uns das Consolidated Framework for Implementation Research (CFIR), das die Implementation von Neuerungen in einen weiteren Kontext setzt [14]. Es zeigt insbesondere auf, dass es für eine nachhaltige Umsetzung notwendig ist, mögliche ­Barrieren sorgfältig zu eruieren und anzugehen und Implementationsoutcomes (z.B. Grad der Umsetzung, Machbarkeit) wie auch die Finanzierung zu über­prüfen. Über 18 Monate wird die Wirkung des Modells ­sowohl für das involvierte Personal aller Berufsgruppen als auch für die Bewohner/-innen untersucht. Wir erhoffen uns bei erfolgreicher Implementierung eine Stärkung der interprofessionellen Zusammenarbeit, ein Empowerment des involvierten Gesundheits­personals, eine Steigerung der Berufsattraktivität in der Langzeitpflege sowie eine Verbesserung der Bewohnerergebnisse (z. B. im Bereich von ungeplanten Hospitalisierungen, Schmerz, funktionalen Fähigkeiten, Lebens­qualität und Zufriedenheit). Die Ergebnisse zum Versorgungsmodell selbst und zu seiner Evaluation wird Stakeholdern von Alters- und Pflegeinstitu­tionen sowie der Politik das Rüstzeug geben, eine weitere Ausdehnung des Modells in geeigneter Form anzupacken.
PhD RN Franziska Zúñiga
Wissenschaftliche ­Mitarbeiterin – Scientific collaborator / PostDoc
Pflegewissenschaft – ­Nursing Science (INS)
Departement Public Health (DPH)
Medizinische Fakultät
Universität Basel
Bernoullistrasse 28
CH-4056 Basel, Schweiz
franziska.zuniga[at]
unibas.ch
 1 Widmer R. Zwischenbilanz: Wie wirkt sich die Einführung von SwissDRG auf die Langzeitpflege aus? 2013, Curaviva Schweiz: Bern.
 2 Bachmann N, Burla L, Kohler D. Gesundheit in der Schweiz – Fokus chronische Erkrankungen, Nationaler Gesundheitsbericht 2015. 2015 ISBN 978-3-456-85566-0]; Available from: http://www.obsan.admin.ch/sites/default/files/publications/2015/gesundheitsbericht_2015_d_0.pdf.
 3 Häsli T, Bieri G. Die medizinische Versorgung von Patientinnen und Patienten in Schweizer Pflegeheimen. Schweizerische Ärztezeitung. 2013;94(51/52):1956–8.
 4 Schweizerische Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) and Bundesamt für Gesundheit (BAG), Neue Versorgungsmodelle für die medizinische Grundversorgung. Bericht der Arbeitsgruppe «Neue Versorgungsmodelle für die medizinische Grundversorgung» von GDK und BAG. 2012, Bern.
 5 Barrett J, et al. CHSRF Synthesis: Interprofessional Collaboration and Quality Primary Healthcare. 2007; Available from: www.chrsf.ca.
 6 McAiney CA, et al. A unique practice model for nurse practitioners in long-term care homes. Journal of Advanced Nursing. 2008;62(5):562–71.
 7 Bakerjian D. Care of nursing home residents by advanced practice nurses: A review of the literature. Research in Gerontological Nursing. 2008;1(3):177–85.
 8 Donald F, et al. A systematic review of the effectiveness of advanced practice nurses in long-term care. Journal of Advanced Nursing. 2013;69(10):2148–61.
 9 Ouslander JG, et al. The interventions to reduce acute care transfers (INTERACT) quality improvement program: An overview for medical directors and primary care clinicians in long term care. Journal of the American Medical Directors Association. 2014;15(3):162–70.
10 Zúñiga F, et al. Entwicklung der Rolle der Advanced Practice Nurse in der stationären Langzeitpflege älterer Menschen in der Schweiz. Pflege. 2010;23(6):375–83.
11 Jones ML. Role development and effective practice in specialist and advanced practice roles in acute hospital settings: Systematic review and meta-synthesis. Journal of Advanced Nursing. 2005;49(2):191–209.
12 Vogelsmeier A, et al. Integrating Advanced Practice Registered Nurses Into Nursing Homes: The Missouri Quality Initiative Experience. Journal of Nursing Care Quality. 2015;30(2):93–8.
13 Bryant-Lukosius D, et al. Framework for evaluating the impact of advanced practice nursing roles. Journal of Nursing Scholarship. 2016;48(2):201–9.
14 Damschroder L, et al. Fostering implementation of health services research findings into practice: A consolidated framework for advancing implementation science. Implementation Science. 2009;4(1):50.