Kommentar: Zweiter Tarifeingriff
Die Katze ist aus dem Sack

Kommentar: Zweiter Tarifeingriff

Offizielle Mitteilungen
Ausgabe
2017/21
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2017.01669
Prim Hosp Care (de). 2017;17(21):400

Affiliations
Vorstand mfe

Publiziert am 08.11.2017

Nun ist sie also aus dem Sack, die Katze, mit noch leicht abgeänderter Coiffure, aber doch in der erwarteten Gestalt. Auch die postwendend verschickten vielfältigen Kommentare zur definitiven Verordnung des Bundesrates können nicht weiter überraschen, weder die Klagen der Ärzteschaft noch die der Versicherer. Politiker aller Couleurs, Medien und Leserbriefschreibende äussern sich derweil zufrieden: Endlich geht etwas, endlich nimmt der Bundesrat seine Verantwortung war; er konnte gar nicht anders. Sogar die Kantone teilen diese Meinung. Und die meisten Prämienzahler erst recht.
Bundesrat und Bundesamt für Gesundheit haben das gemacht, was sie schon seit Jahren in Aussicht gestellt haben, und sind den Vorschlägen der Versicherer gefolgt: Aufhebung der Quantitativen Dignitäten und damit Gleichstellung der ärztlichen Leistungen aller Fachrichtungen, Taxpunktreduktion bei zahlreichen (gemäss ihren Ansichten) überteuerten Tarifpositionen und Limitationen bei verschiedenen Leistungen. Die im Vernehmlassungsverfahren von Seiten der ­Ärzteschaft geäusserten Kritikpunkte wurden vom Bundesrat in der definitiven Version teilweise aufgenommen, obwohl das Sparziel von ursprünglich 700 Millionen jährlich damit deutlich reduziert wurde. So werden zwar die im Tarmed schon vorhandenen Limitationen neu auch für elektronisch abrechnende Praxen gelten, die ursprünglich deutlich rigider geplanten Limitationen aber entschärft.
Nicht einmal der Bundesrat behauptet, dass sein Eingriff sachgerecht sei. Aber in einzelnen Punkten hat er doch mehr Sachgerechtigkeit erzwungen. Schon bei der Einführung von Tarmed konnte mit keinem sachlichen Argument erklärt werden, warum der Lohnunterschied zwischen verschiedenen ärztlichen Tätigkeiten bis zu 250% betragen sollte. Die Haus- und Kinderärzte forderten deshalb seit Jahren die Abschaffung dieser krassen Ungleichheit. Wir haben zu Genüge darüber berichtet. Jetzt ist es endlich soweit: Grundleistungen (Konsultation, Besuch, Beratung etc.) sind gleich viel Wert wie andere, alle Fachärzte sollen einander gleichgestellt werden. Das kommt einem eigentlichen Paradigmenwechsel in der Ausgestaltung von ärztlichen Tarifwerken gleich!
Auch die Anpassungen bei überteuerten Leistungen ist eine alte Forderung aus verschiedenen Kreisen. Der Bundesrat setzt sie jetzt durch und damit der seit vielen Jahren bestehenden, und in keiner Weise gerechtfertigten, Unterbewertung ärztlicher Grundleistungen ein Ende. Konsultation, Besuch und Beratung, Telefonkonsultation und Berichterstattung werden dadurch um 8,8% aufgewertet, und zwar für alle Fachärzte, unabhängig von der Fachrichtung.
Der Eingriff wird Auswirkungen haben, nicht nur auf die Einkommen der ambulant tätigen Ärzte, sondern vor allem auch auf die Spitalambulanz. Was die Patienten davon zu spüren bekommen, wird sich bald einmal weisen. Haus- und Kinderärzte werden sich ihrerseits mit den Limitationen (Konsultationsdauer, Untersuchung, Leistung in Abwesenheit) und den Anpassungen bei der Definition von Notfällen auseinandersetzen müssen. Und sowohl die Versicherer als auch der Bundesrat werden schnell einsehen, dass mit rigideren Limitationen unter dem Strich kein Geld gespart werden kann.
Der abgeänderte Tarif 1.09_BR tritt nun am 1. Januar 2018 in Kraft, daran werden weder Drohungen noch Gejammer etwas ändern. Nicht auszuschliessen ist ein gerichtliches Nachspiel. Zwar kann die Verordnung nicht als solche juristisch angefochten werden, einzelne Fachrichtungen haben aber bereits angekündigt, dass sie über konkrete Einzelfälle gegen den Tarifeingriff vorgehen und damit ein richterliches Urteil erzwingen wollen. Im übrigen gilt der neue Tarif nur für den KVG-Bereich. Im Bereich UVG/IV/MV gilt weiterhin 1.08_BR.
Wir konzentrieren uns derweil auf die laufenden Arbeiten an der Gesamtrevision im Rahmen des Projekts TARCO und damit auf das Ziel, die Tarifautonomie so rasch als möglich wiederherzustellen.
Sandra Hügli-Jost
Kommunikations­beauftragte mfe Haus- und ­Kinderärzte Schweiz­Geschäftsstelle
Effingerstrasse 2
CH-3011 Bern
Sandra.huegli[at]hausaerzteschweiz.ch