«Gestatten, ich bin Dr. Flippa – Traumdoktor»
Weihnachten im Spital

«Gestatten, ich bin Dr. Flippa – Traumdoktor»

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Ausgabe
2017/23
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2017.01687
Prim Hosp Care (de). 2017;17(23):445-448

Affiliations
Kommunikationsbeauftragte mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz, Bern

Publiziert am 06.12.2017

Kinder, die Weihnachten im Spital verbringen, können eine Aufmunterung gut gebrauchen. Die Spitalclowns der Stiftung Theodora erfreuen aber nicht nur Kinderherzen, sondern auch die der Eltern, Ärzte, Pflegefachleute und des Reinigungsfachpersonals. Weihnachten im Spital kann besinnlich und lustig sein, wie ein Augenschein von Primary and Hospital Care zeigt.
Im Gespräch mit Joy Winistörfer, die den Spitalclown Dr. Flippa seit vielen Jahren verkörpert, wird klar, dass arbeiten an Weihnachten etwas ganz Besonderes ist. Sie gerät nahezu ins Schwärmen, wenn sie von diesen Arbeitseinsätzen berichtet.

Das schönste Weihnachtsgeschenk: Zeit

Primär sei es sehr ruhig, erzählt Joy Winistörfer, und durchaus besinnlich und erfreulich. Das Besondere ­daran ist, dass alle viel mehr Zeit haben. Mehr Zeit im Leben zur Verfügung zu haben, das ist doch das grösste Geschenk überhaupt. Es hat natürlich deutlich weniger Kinder als sonst im Spital über die Feiertage, auch gibt es keine geplanten Eingriffe in dieser Zeit. Meist gehen die Kinder, deren Gesundheitszustand dies erlaubt, über Weihnachten nach Hause. Diejenigen, die bleiben, kennen Dr. Flippa schon gut und haben eine innige Beziehung zu ihr aufgebaut. «Das ist das Schönste an meinem Beruf», schwärmt Joy Winistörfer, «die intensiven Beziehungen, die sich aus der Arbeit ergeben.» Nicht nur zu kranken Kindern, sondern auch zu den Eltern, Pflegefachleuten oder dem Reinigungspersonal. Man kennt sich, tauscht sich aus, es bleibt nicht nur bei Small Talk.
Gerade zur Weihnachtszeit ist auch Raum für Besinnliches und Spässe. Der ganze Kommerz von Weihnachten, der Tumult auf Strassen und Läden, der bleibt draussen. Diese Dinge werden vollkommen unwichtig im Spitalalltag – gerade mit kranken Kindern. Ein Lachen, ein gemeinsames Spiel, Zuhören können, verzaubern mit Kunststücken, dies hat ­alles viel mehr Wert als ellenlange Wunschlisten von Plastikspielsachen, die bald wieder in Vergessenheit geraten.

Vom Alltagsmenschen zu Dr. Flippa

Die Spitalclowns, oder Traumdoktoren, wie sie sich selber nennen, der Stiftung Theodora arbeiten im Kinderspital Zürich immer im Viererteam. Ihre Einsätze sind jeweils nachmittags, da der Vormittag für Visite und Pflege reserviert ist. Zuerst ziehen sie sich gemeinsam um, legen ihre Strassenkleidung und damit auch den Alltag ab, verwandeln sich nach und nach in ihre Traumdoktor-Rolle. Damit aus Joy Winistörfer Dr. Flippa wird, braucht es nicht nur den «Arztkittel» mit den bunten Applikationen und kleinen Stofftieren dran, sondern auch die richtige Schminke und ihre ­violette Wollmütze. Jeder Spitalclown hat sein eigenes Merkmal und unverwechselbares Outfit. Nach der Verwandlung begeben sich alle ins Stationszimmer, um von den Pflegefachleuten auf den neusten Informationsstand gebracht zu werden. Wer ist in welchem Zimmer, wie ist der Gesundheitszustand, was braucht der kleine Patient im Moment besonders, wie ist die Stimmung heute – diese Einzelheiten sind wichtig für die Arbeit der Spitalclowns. So gelingt es ihnen immer wieder aufs Neue, auf die Patienten und ihre Tagesform einzugehen.
Danach teilen sich die Spitalclowns auf und ziehen von Zimmer zu Zimmer, von Kind zu Kind. Eines möchte mit Kunststücken aufgemuntert werden und einen Moment lang den Alltag vergessen, ein anderes ist gerade sehr aktiv und lässt sich auf eine Begegnung ein. Wieder andere sind sehr ruhig und möchten einfach eine schöne Geschichte hören. Dr. Flippa hat viel Erfahrung, bildet für die Stiftung Theodora auch neue Traumdoktoren aus. Auch ist sie selber Mutter von drei Kindern und spürt so genau, was die ihr anvertrauten kleinen Patienten im Moment gerade benötigen. Was sie immer wieder feststellt ist, dass sie und ihre Kollegen nicht nur auf die Kinder wirken, sondern mindestens so sehr auf die Eltern. Auch die sind froh, wenn sie für einmal kurz den Alltag vergessen und die Sorge um das kranke Kind mal auf der Seite lassen können.
Nach vier Stunden treffen sich alle Spitalclowns wieder und tauschen sich über ihre Erfahrungen und Erlebnisse aus. «Dieser Austausch ist sehr wichtig für uns», erzählt Joy Winistörfer. «So können wir auch mal abladen oder auch ein besonders lustiges Erlebnis teilen.» Danach schlüpfen sie wieder in ihre Alltagskleidung und nehmen ihre «richtige» Identität an.

Schöne Erfahrungen und schwere ­Momente

Kleine Geschenke wie ein Stofftier, Seifenblasen, Anstecker oder Mini-Spiele bringe sie eigentlich das ganze Jahr hindurch mit, erklärt Joy Winistörfer. So gibt es an Weihnachten nicht extra grosse Geschenke von Dr. Flippa und Co. Meist bekommen sie ja sowieso von den Eltern und Verwandten genug. Das erwarten die Kinder auch gar nicht von den Künstlern. «Die Zeit, die wir ihnen schenken, und das offene Ohr sind viel wichtiger für sie. Auch das ist eine schöne Erfahrung», schwärmt Joy Winistörfer. «Natürlich erleben wir auch traurige Momente», berichtet Dr. Flippa. «Zum Beispiel dann, wenn ein Kind, das schon das Spital verlassen konnte, plötzlich wieder da ist. Dann braucht es unsere Unterstützung umso mehr. Da hilft es auch sehr, dass wir uns im Team austauschen können.»

Operationsbegleitungen vom ­Traumdoktor

Am Vormittag ist Dr. Flippa seit kurzem auch im Operationssaal tätig. Natürlich nicht als behandelnde Ärztin, sondern als Begleiterin für Kinder, denen ein Eingriff bevorsteht. Dabei geht es darum, den Kindern und den Eltern die Angst davor zu nehmen. Für Operationsbegleitungen brauche es eine grosse Portion Gefühl, sagt Winistörfer: «Wir müssen uns im richtigen Moment auch wieder zurückziehen können, um den Eltern Zeit mit ihrem Kind zu geben.» Bei diesen komme ihre Unterstützung gut an: «Oft legen die ­Eltern Operationen ihrer Kinder gezielt auf die Tage, an denen wir in der Klinik sind.»

Alessios Operationstag

Wenn sich Kinderangst in Luft auflöst

Es ist früher Morgen im Kinderspital Zürich. Kinder, die sich einem Eingriff unterziehen müssen und ihre Eltern sind schon eingetroffen. Sie werden durch die Pflegefachpersonen empfangen und für die Operation bereit gemacht. Der Arzt kommt vorbei und erklärt den Eltern den Ablauf der Operation. Es ist alles klar und trotzdem bleibt ein beunruhigendes Gefühl. Genau hier kommen die Traumdoktoren zum Einsatz. Sie betreuen die Familien rund um die Operation, bringen Humor, Lachen und Poesie in die sterilen Operationssäle. Auch für die Mediziner und Pflegefachleute ist dies entlastend, da alle mit einem rundum guten Gefühl dabei sind.
Alessio ist vierjährig. Seine Eltern begleiten ihn und warten mit ihm im Vorbereitungszimmer. Alessio ist tapfer, hat aber auch grosse Angst vor der unbekannten Situation. Plötzlich taucht Dr. Dada auf. Mit seiner Matrosenmütze, seinem bunten Arztkittel und seiner Zauberbürste, die er auf dem Kopf balanciert, überrascht er den ängstlichen Bub und seine angespannten Eltern. Gebannt verfolgt Alessio das Geschehen und vergisst plötzlich, warum er hier ist. «Oh, du hast aber ein schönes Auto in der Hand», bewundert der Traumdoktor Alessios Mini-Metallauto. Das Eis ist gebrochen: Alessio unterhält sich jetzt ganz unbeschwert mit Dr. Dada und sie fahren gemeinsam Rennauto auf dem Spiel-Parkhaus, das die Pflegefachfrau auf seinem Bett platziert hat. Seine Eltern verfolgen die Szene sichtlich erleichtert und erfreut. Alessio ist in der Zwischenzeit wie verwandelt und lacht sogar ausgelassen. Die Angst ist besiegt, die Umgebung mit Menschlichkeit, Wärme und Lachen erfüllt. Dr. Dada begleitet Alessio und seine Eltern zur Anästhesie und der kleine Bub ist ruhig, fühlt sich geborgen und sicher – so begibt er sich vertrauensvoll in die Hände des Operateurs und seines Teams.
Alessio erwacht langsam aus der Narkose. Er ist nicht allein in der ungewohnten Umgebung. Seine Eltern streicheln ihm zärtlich über die Wangen. Sanfte Mundharmonika-Klänge beruhigen ihn und er sieht wie Seifenblasen am Bett vorbeiziehen. Seine Augen leuchten ...

Professionelle Artisten als Clowns

Alle Traumdoktoren sind professionelle Artistinnen und Artisten, die von der Stiftung Theodora nach strengen Richtlinien für die Arbeit im Spital beauftragt und geschult werden. Die intensive Grundausbildung wird fortlaufend mit obligatorischen Weiterbildungen ergänzt. Das Team trifft sich regelmässig zur Schulung über fachspezifische Themen, sowohl im künstlerischen als auch im psychologischen und medizinischen Bereich. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die Zusammenarbeit mit den Ärzten und dem Pflegepersonal optimal verläuft.
Die Stiftung Theodora stellt den Traumdoktoren zudem stets professionelle psychologische Unterstützung zur Seite und hilft ihnen, mit der oft starken emotionalen Belastung umzugehen. In der Schweiz besuchen die Traumdoktoren der Stiftung Theodora pro Jahr Tausende von Kindern. Sie sollen den kleinen Patienten den Spitalalltag erleichtern.

Stiftung Theodora

Die 70 Traumdoktoren der Schweizer Stiftung Theodora bringen bei ihren Spitalbesuchen pro Jahr rund 100 000 Kinder zum Lachen. Die Stiftung bildet Artisten und Künstler zu Spitalclowns aus, neu auch für Operationsbegleitungen. Die Tätigkeit der Stiftung finanziert sich durch Spenden. www.theodora.org

Frohe Weihnachten im Kinderspital?

Vier Fragen an Manuela Frey, Medienverantwortliche des Kinderspitals Zürich.
Wie wird Weihnachten im Kinderspital gefeiert?
Eine grössere Feier gibt es nicht. Die Kinder brauchen eher Ruhe als eine Feier. Wir dekorieren hingegen das Restaurant und ­einige Stationen sowie einen oder zwei Weihnachtsbäume im Freien. Die Seelsorgenden sind am 21. und 22.12. zudem mit ­einem mobilen Weihnachtsbaum auf den Stationen unterwegs; den Baum können Patienten und deren Familien mit zur Verfügung gestellten Materialien dekorieren.
Ist dies ein Tag wie jeder andere für Medizin, Pflege und Reinigungsfachleute, oder gibt es da schon Unterschiede?
Für unser Personal kann ich natürlich nicht sprechen. Es sind aber wohl trotzdem nicht ganz «Tage wie alle anderen». Jene Kinder, die vom Gesundheitszustand her stabil genug sind, dürfen Weihnachten zu Hause verbringen. Und dennoch: Notfälle machen nicht einfach Pause .
Wie ist es für die Kinder, die an Weihnachten im Spital sind?
Jenen Kindern, die im Spital bleiben oder ins Spital kommen müssen, geht es nicht besonders gut. Hier ist vor allem eine ­optimale Versorgung und Betreuung wichtig, und Weihnachten steht deshalb nicht im Vordergrund. Trotzdem versuchen wir, den Kindern und ihren Familien eine möglichst angenehme ­Umgebung zu schaffen. So gibt es neben den bereits erwähnten ­Dekorationen besondere Weihnachtsmenus und zudem noch Weihnachtsmänner aus Schoggi im Restaurant.
Bekommen die Kinder Geschenke oder wird mit ihnen ­gebastelt?
Am 5.12. kommt der «Samichlaus» auf die Stationen, und zusätzlich bieten wir in der Vorweihnachtszeit ein «Lebkuchenhaus-Bauen» für unsere Patienten an. Dies sind immer Highlights – neben dem mobilen Weihnachtsbaum auf Rädern, der geschmückt werden darf.
Die im Text eingestreuten Kommentare sind aus Social-Media-Spalten entnommen und stammen von Eltern, Pflegefachleuten und Ärzten, welche die Arbeit der Theodora-Traumdoktoren erlebt haben.
Sandra Hügli-Jost
Kommunikations­beauftragte mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz Geschäftsstelle
Effingerstrasse 2
CH-3011 Bern
Sandra.huegli[at]hausaerzteschweiz.ch