Beobachtungen und Gedanken
Weihnachten im Spital

Beobachtungen und Gedanken

Reflektieren
Ausgabe
2017/23
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2017.01688
Prim Hosp Care (de). 2017;17(23):449-450

Affiliations
a Pflegedienstleitung, Medizinische Universitätsklinik, Kantonsspital Baselland; b Mitglied der Redaktion, Leitender Arzt, Medizinische Universitätsklinik, Kantonsspital Baselland

Publiziert am 06.12.2017

Einleitung

Weihnachten im Spital! Für die einen – wahrscheinlich für die meisten Patienten, aber auch für nicht wenige Pflegekräfte und Ärzte – eine Horrorvorstellung, für andere die vielleicht angenehmste Zeit im Jahreslauf eines Spitals. Weihnachten steht zuallererst natürlich für fröhliche Stunden im Kreise der Familie oder mit Freunden, für den einen oder anderen vielleicht auch für die Möglichkeit, ein bisschen Luft zu holen, zu sich zu finden, und das eine oder andere, was einen das Jahr über beschäftigt und eventuell auch belastet hat, Revue passieren zu lassen; die Uhr scheint an Weihnachten ein bisschen langsamer zu laufen. Und irgendwie gilt dies – wenigstens manchmal – auch für’s Spital. Wahrscheinlich haben wir alle, die einmal einen Weihnachtsdienst gemacht haben, die Erfahrung gemacht, wie angenehm und bereichernd die Möglichkeit sein kann, die Zeit mit den Patientinnen und Patienten, aber auch die mit den Kolleginnen und Kollegen ein bisschen anders zu verbringen als an den üblichen Arbeitstagen.

Die Weihnachtsplanung – schon im Oktober?

Draussen scheint die Sonne, die letzten Kolleginnen und Kollegen sind gerade aus den Herbstferien zurück. Und da findet man doch allen Ernstes eine Mail im Briefkasten, in der man gebeten wird, seine Wünsche für den Weihnachts- und Neujahrsdienst einzutragen. Denn wie jedes Jahr ist ein Dienstplan zu zaubern, mit dem die Quadratur des Kreises gelingt, der die vielen Eventualitäten, die an den Weihnachts- und Neujahrstagen auftreten können, berücksichtigt, der vor allem anderen die medizinische und pflegerische Versorgung vollumfänglich gewährleistet und allen Mitarbeitern die Möglichkeit bietet, an den Feiertagen auch Zeit für ein bisschen Besinnlichkeit zu haben. Meist funktioniert das recht gut und es können die meisten Wünsche berücksichtigt werden. Und manchmal wird bei der Verteilung der Dienste eben auch das berühmt-berüchtige Dienstplan-Mikado gespielt («wer sich zuerst bewegt, hat verloren») – in der Regel recht abrupt beendet durch das Machtwort des Chefs oder der ­Chefin...

Advent

Wir schreiben diesen Text und es ist Ende November. Draussen wird es früh dunkel, die Adventszeit hat begonnen. Was man spätestens daran merkt, dass nun an jeder Fahrstuhltür Schilder hängen, die das Abbrennen von Kerzen verbieten – und natürlich daran, dass die Stationen und Flure der drei Standorte des Kantonsspitals Baselland zunehmend weihnachtlich geschmückt sind.
Das Spital ist, wie jedes Jahr um diese Zeit, übervoll – Pneumonien, Herzinfarkte, Herzinsuffizienz, exazerbierte COPD, das ganze Programm. Business as usual eben. Adventsstimmung bei den Pflegekräften, den Ärztinnen und Ärzten gleich Null.
Und trotzdem ist es ein bisschen anders als sonst. Vom Garten aus betrachtet erscheint das Spital zu dieser Jahreszeit mit dem Weihnachtsbaum davor und den hell beleuchteten Fenstern fast ein bisschen heimelig.
Drin sind die Patientinnen und Patienten manchmal nicht in ihren Zimmern zu finden. Und sie sind dann nicht bei Untersuchungen oder Therapien. Denn in den Wochen vor Weihnachten wird von der Spitalleitung und besonders von den Seelsorgern einiges geboten, um in den Spitalalltag eine festliche Stimmung zu bringen. An den Standorten Liestal und Bruderholz des Kantonsspitals Baselland wurde durch die gesangsbegeisterten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Chor initiiert, der sich in den Wochen vor Weihnachten trifft und mit stimmungsvollen Liedern die Spitalweihnachtsfeier bereichert. Die Patienten die nicht selbständig an der Feier teilnehmen können, werden durch unseren ehrenamtlichen Betreuungsdienst mit dem Bett oder im Rollstuhl zur Spitalkapelle begleitet.
Nicht nur die Patienten nehmen die Weihnachtsfeier sehr gerne an. Auch für uns Mitarbeiter ist diese Feier ein Ruhepunkt im hektischen Vorweihnachtsbetrieb und ein Raum, der zum Nachdenken einlädt. Und zum Abschluss sind alle eingeladen, mit Nüssli, Guetzli, Mandarinen und Punsch miteinander anzustossen (die Zusammenstellung ist unter ernährungsphysiologischen Gesichtspunkten – zugegebenermassen – nicht evidenzbasiert).

Heiligabend und die Weihnachtstage

Bald ist Heiligabend. Frau M., eine hochbetagte Dame, die vor einigen Tagen wegen einer Pneumonie hospitalisiert werden musste, hat Tränen in den Augen. Ihr Enkel wird ab Januar ins Ausland gehen – vielleicht sind dies die letzten gemeinsamen Weihnachten. Es geht ihr aus unserer Sicht noch nicht wieder so gut, als dass an einen Austritt nach Hause ernsthaft zu denken wäre – aber vielleicht für ein paar Stunden? Frau M. lächelt wieder. Und als ihr Enkel sie am Heiligen Abend zum Mittagessen abholt, ist das wahrscheinlich ihr schönstes Weihnachtsgeschenk. Und für uns irgendwie auch …
Natürlich möchten die meisten Patienten an den Feiertagen zu Hause sein. Wenn es medizinisch vertretbar ist, versuchen wir, dies von unserer Seite zu unterstützen, auch wenn es nur für ein paar Stunden möglich ist. So ist der Heilige Abend sogar im Spital – wenigstens auf den Bettenstationen – oft recht ruhig und manchmal fast besinnlich.

Weihnachten – die andere Seite …

Für die Patienten, die nicht austreten oder beurlaubt werden können, sind der Heilige Abend und natürlich die gesamte Weihnachtszeit allerdings oft sehr schwierig. Trotz Besuch der Familie, die mit ihren Angehörigen die Festtage im Spital feiern, fehlt die gewohnte Umgebung, die Familie, der Weihnachtsbaum, die Weihnachtslieder – eben das, was Weihnachten auch ausmacht. Für diese Patientinnen und Patienten sind die Pflegekräfte dann auch manchmal einfach Familienersatz, die mit ihnen die Weihnachtsgeschichte lesen, singen, reden oder einfach nur da sind. In dem Wissen, dass die Weihnachtstage oft sehr schwierige Tage sind, bemühen sich aber nicht nur die Pflege und der ärzt­liche Dienst, den Patientinnen und Patienten den – unvermeidlichen – Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Beispielsweise läuft unsere Gastronomie immer wieder zu Hochform auf und kreiert für die Weihnachtstage ganz besondere Gerichte, und dies nicht nur für die Patienten, sondern auch für die diensthabenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Am ersten Weihnachtsfeiertag gibt es für alle Patienten mit dem Frühstück ein Geschenk, um den Patienten, die Weihnachten im Spital verbringen müssen, eine kleine Freude zu bereiten.
Leider bedeuten die Weihnachtstage nicht immer nur eitel Frieden, Freude und Festlaune. Auch an Weihnachten werden Menschen krank, manchmal lebensgefährlich. Auch an Weihnachten versterben Menschen. Und gerade die Festtage mit der vermeintlich heilen Welt lösen bei vielen Menschen existenzielle Krisen aus. Dazu kommen reduzierte Feiertagsteams, Patientinnen und Patienten, die sich durch die Festtage quälen in der Hoffnung, doch noch durchzu­halten, bis der Hausarzt wieder Sprechstunde hat; dies ­fordert die Pflegekräfte und Ärzte der Notfall- und Intensiv­stationen häufig ganz besonders, vor allem das An-­allen-Stellen-gleichzeitig-sein-müssen.
Letztendlich sind aber alle an den Festtagen tätige Kolleginnen und Kollegen, seien es Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte, Gastronomie-, administratives oder technisches Personal und auch alle, die jetzt nicht erwähnt wurden, auf eine ganz spezielle Art und Weise gefordert. Die vom Grossteil der Bevölkerung als selbstverständlich angesehene Tage der Einkehr, der Ruhe mit Familie und Freunden, sind für die im Gesundheitswesen – insbesondere in Spitälern und der ambulanten Medizin – Tätigen keine Selbstverständlichkeit. Sie müssen alert sei, schnelle und kompetente Entscheidungen treffen, häufig viele Dinge gleichzeitig jonglieren, und trotzdem jedem und jeder unserer ­Patientinnen und Patienten das Gefühl vermitteln, für sie und ihre Belange da zu sein. Trotz dieses oft aussergewöhnlichen Einsatzes entsteht bei vielen Beschäftigten im Gesundheitswesen, auch und gerade in den Spitälern, immer wieder das Gefühl, dass genau dies als selbstverständlich erachtet wird und deswegen auch nicht weiter erwähnenswert ist. Aber glücklicherweise macht das – nicht immer, aber doch sehr häufige –Danke­schön unserer Patientinnen und Patienten die Belastung wieder einigermassen erträglich. Und gerade ­dieses Dankeschön kann ein sehr schönes Weihnachtsgeschenk sein …
PD Dr. med. Thomas Dieterle
Leitender Arzt, Medizinische Universitätsklinik, ­Kantonsspital Baselland
Rheinstrasse 26
CH-4410 Liestal
thomas.dieterle[at]ksbl.ch
silke.merkel[at]ksbl.ch