Informationsblatt für Ärztinnen und Ärzte - Factsheet 4: Zigarren und Zigarillos
Informationsblatt für Ärztinnen und Ärzte

Informationsblatt für Ärztinnen und Ärzte - Factsheet 4: Zigarren und Zigarillos

Lernen
Ausgabe
2018/04
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2018.01678
Prim Hosp Care (de). 2018;18(04):66-69

Affiliations
Klinik für Pneumologie, Universitätsspital Zürich

Publiziert am 21.02.2018

Die Toxizität beim Rauchen von Zigarren ist vergleichbar mit jener des Zigarettenrauchens, da sie einerseits mit einer Nikotinabhängigkeit und andererseits durch eine erhöhte Belastung durch Nitrosamine einhergeht. Da beim Rauchen von Zigarren normalerweise nicht inhaliert, sondern gepafft wird, überwiegen Mundhöhlen-, Pharynx, und Larynxkarzinome gegenüber Lungenneoplasien.

Einleitung

Während der Konsum von Zigaretten alltäglich ist, erfolgt der Genuss von Zigarren in besonderen, wertvollen Momenten. Zigarren stehen in der Vermarktung als Symbol für Luxus und einen erfolgreichen Lebensstil [1]. Entsprechend zeigt sich ein stetiges Wachstum im Zigarren- und Zigarillomarkt, bei gleichzeitigem Rückgang der Zigarettenverkäufe [2]. Die grossen Schweizer Zigarrenhersteller Villiger und Davidoff zum Beispiel erfreuen sich über zum Teil zweistellige Wachstumszahlen [3]. Studien in der Schweiz zeigen beim Zigarrenkonsum einen deutlichen Geschlechterunterschied. Zigarren (ausschliesslich oder in Kombination mit anderen Tabakprodukten) rauchen nur 1–2% der Raucherinnen, hingegen 11% der Raucher mit steigender Tendenz. Insbesondere bei nicht täglich rauchenden Männern sinkt mit zunehmendem Alter der ­Zigarettenkonsum mit entsprechender Steigerung des Zigarrenkonsums [4, 5]. Zahlenmässig ist der Zigarren- und Zigarillo-Konsum im Vergleich zum Zigarettenkonsum ein Randphänomen (Tabaksteuer 2015: 3 Mio. Franken resp. 2128 Mio. Franken), das aber aufgrund des Images und der steigenden Popularität bei Jugendlichen und jungen ­Erwachsenen den Einstieg in die ­Tabakabhängigkeit bedeuten kann.
Das Lagern und Rauchen von Zigarren und Zigarillos wird von Anwendern aufwendig zelebriert. Um richtig gelagert zu werden, brauchen Zigarren eine Luftfeuchtigkeit um die 70%. Bei zu feuchter Luft beginnen sie zu schimmeln, bei zu geringer Luftfeuchtigkeit werden sie trocken und verlieren gewisse Eigenschaften [6].
Was unterscheidet Zigarren von Zigaretten? Als Zigarren (in der Schweiz auch als «Stumpen» bezeichnet) und Zigarillos werden diejenigen Tabakprodukte bezeichnet, die im Gegensatz zu Zigaretten anstatt in Papier in ein natürliches Tabakblatt oder in ein tabakhaltiges Papier gehüllt werden [7]. Während Zigarettenrauch in die Lunge inhaliert wird, werden Zigarren meist lediglich gepafft. Dies liegt unter anderem am pH-Unterschied des Rauchs und dessen Resorptionsort. Zigarrenrauch liegt mehr im alkalischen Bereich, sodass das Nikotin gut über die Mundschleimhaut aufgenommen werden kann. Beim eher sauren Zigarettenrauch ist eine tiefe Inhalation zur pulmonalen Nikotinaufnahme nötig [1].
Unterschieden wird zwischen grossen und kleinen ­Zigarren sowie Zigarillos. Eine grosse Zigarre besteht aus getrockneten und fermentierten Tabakblättern und enthält in der Regel im Schnitt zwischen 7–14 g Tabak sowie keinen Filter. Die Zeit zum Rauchen beträgt ein bis zwei Stunden [8]. Zigarillos sind im Schnitt 10 cm lang, ohne Filter und enthalten durchschnittlich 3 g Tabak [8]. Kleine Zigarren unterscheiden sich in Aussehen und Inhalt nicht wesentlich von Zigaretten. Sie sind inklusive Filter 8,5 cm lang und enthalten weniger als 1 g Tabak (Abb. 1) [1].
Abbildung 1: Die unterschiedlichen Zigarren und Zigarillos. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von CDC, Office on Smoking and Health.

Geschmacksstoffe/Flavours

Das Rauchen von Zigarren war früher in der Regel älteren Männern vorbehalten. Studien in den USA zeigen aber, dass der Genuss von Zigarren/Zigarillos unter Schülern in den letzten Jahren kontinuierlich zunimmt [9]. Dies liegt zum einen an der Vermarktung, zum anderen an den unterschiedlichen Geschmackssorten, in denen Zigarren und Zigarillos erhältlich sind [10]. Minze, Vanille, Karamell etc. – die Auswahl ist gross (Abb. 2) [11]. Auch in der Schweiz werden Zigarren mit verschiedenen Geschmacksstoffen angeboten [12].
Zusätzlich sind diese Produkte in bunten, ansprechenden Verpackungen, mit geringerer Stückzahl und ­relativ günstig zu erhalten. Der Konsum von Tabak wird somit noch einladender, und Jugendliche, die herkömmliche Zigarren ablehnen, greifen zu Zigarren mit diversen Geschmacksstoffen. Damit können Zigarren oder Zigarillos zum Einstieg in die Tabak- bzw. Nikotinabhängigkeit beitragen.
Abbildung 2: Unterschiedliche Geschmacksbeschreibungen, die für Zigarren/Zigarillos verwendet werden.
Während Aromastoffe oder technische Merkmale, die Geruch, Geschmack oder Rauchintensität überdecken, für Zigaretten und Tabak zum selber Drehen nach der neuen EU-Tabakrichtlinie von 2014 verboten sind, sind diese für Zigarren und Zigarillos jedoch weiterhin erlaubt [13]. Die EU-Richtlinie hat keine unmittelbare Auswirkung auf die Gesetzeslage in der Schweiz, wo ­Tabakprodukte noch im Lebensmittelgesetz bzw. in der Tabakverordnung geregelt werden. Auch in der Vernehmlassung zum geplanten Tabakprodukte­gesetz wird gefordert, dass Zigarren anders geregelt werden als Zigaretten [14].
Es ist belegt, dass Jugendliche, die Nikotin konsumieren, durchschnittlich mehr zu Alkohol, Marihuana oder anderen Drogen greifen [15]. Tabakabhängigkeit bei Jugendlichen führt in hohem Masse dazu, dass der Nikotinkonsum im Erwachsenenalter fortgesetzt wird [15]. Ob Zigarren oder Zigarillos zu diesem Trend wesentlich beitragen, ist nicht geklärt.

Langzeitschäden

Es ist ein weitverbreiteter Glaube, dass das Rauchen von Zigarren weniger schädlich ist als Zigarettenrauchen. Unterstützt wird dies auch durch die Tatsache, dass Zigarren seltener konsumiert werden [16]. Die Annahme geringerer Schädlichkeit ist jedoch falsch [17]. Zigarren enthalten mehr toxische und karzinogene Inhaltsstoffe als Zigaretten [18]. Durch die Fermentation des in Zigarren enthaltenen Tabaks entstehen mehr krebserzeugende Nitrosamine. Zusätzlich ist der Gehalt an Teer pro konsumiertem Gramm Tabak höher. Der Zigarrenrauch enthält somit noch mehr toxische Inhaltsstoffe als Zigarettenrauch [18]. Durch die ­Zunahme des Zigarrenrauchens und der Inhalation ­toxischer Stoffe nähert sich in den letzten Jahren die Mortalität durch Zigarrenrauchen derjenigen der ­Zigaretten an [8]. Dennoch gibt es zwischen Zigaretten und Zigarren Unterschiede bezüglich der Mortalität bei ­bestimmten Erkrankungen (Tab. 1).
Tabelle 1: Mortalitätsrate mit 95% Konfidenzintervalle für ausgewählte Todesursachen in männlichen Konsumenten von ­Zigarren und Zigaretten in einer Krebspräventionsstudie über zwölf Jahre (vereinfacht nach Referenz [1]).
TodesursacheNichtraucher1–2 Zigarren/Tag3–4 Zigarren/Tag<20 Zigaretten/Tag20 Zigaretten/Tag
Tod jeglicher Ursache1,01,02 (0,97–1,07)1,08 (1,02–1,15)1,46 (1,43–1,49)1,69 (1,66–1,71)
Mund-und Pharynx-­Karzinom1,02,12 (0,42–6,188,51 (3,66–16,77)5,93 (4,28–8,02)6,85 (5,37–8,62)
Larynxkarzinom1,06,46 (0,72–23,27)keine Angaben8,7 (4,75–14,59)25,69 (18,66–34,48)
Lungenkarzinom1,00,99 (0,54–1,66)2,36 (1,49–3,54)6,75 (6,18–7,37)12,86 (12,14–13,60)
Pankreaskarzinom1,01,18 (0,69–1,89)1,51 (0,86–2,45)1,69 (1,41–2,00)2,17 (1,89–2,47)
COPD1,01,39 (0,74–2,38)1,78 (0,89–3,18)8,86 (7,96–9,84)12,51 11,48–13,60)
Koronare Herzkrankheit1,00,98 (0,91–1,07)1,06 (0,96–1,16)1,4 (1,36–1,45)1,58 (1,54–1,62)
Mortalitätsraten für 5 und mehr Zigarren/Tag und >20 Zigaretten/Tag wurden hier weggelassen.
Das Rauchen von Zigarren erhöht das Risiko an Lungen-, Mundhöhlen-, Pharynx-, Larynx- und Ösophagus-­Karzinomen sowie an COPD oder an kardiovaskulären Erkrankungen zu erkranken. Karzinogen wirkt hier­bei vor allem das im Tabak enthaltene NNK (4-(methylnitrosamino)-1-(3-pyridyl)-1-butanone) [19].Beim nicht-inhalierenden Rauchen von Zigarren ist das Risiko für Lungenkrebs, COPD und KHK im Vergleich zum inhalierenden Rauchen zwar etwas vermindert, im Vergleich zu Nichtrauchern jedoch signifikant erhöht [1, 20, 21]. Im Vergleich dazu erkranken Zigarrenraucher jedoch mehr an Mundboden- oder Ösophaguskarzinomen [1]. Es ist wichtig zu wissen, dass ehemalige Zigarettenraucher oder Raucher, die teils Zigaretten, teils ­Zigarren konsumieren, eher dazu neigen, den Rauch zu inhalieren (anstatt zu paffen), wobei sich die Morbidität derjenigen von Zigarettenrauchern annähert [1].

Passivrauchen

Seit der Umsetzung des Rauchverbots in Restaurants hat sich das Problem des Passivrauchens in der Öffentlichkeit reduziert. Zigarren werden jedoch nicht «zwischen Tür und Angel» auf der Strasse geraucht, sondern der Konsument nimmt sich dafür bewusst Zeit und Ruhe, und dies zu Hause oder in einem Fumoir. Die Luftverschmutzung durch Zigarren ist enorm. Das Rauchen von einer Zigarre setzt mehr polyzyklische ­aromatische Wasserstoffe (PAH) und Schwebeteile (respiratory suspended particulates) frei als bei der Zigarette. Misst man den Kohlenmonoxid-Gehalt an einer Zigarren-Feier, so gleicht der Gehalt dem einer viel befahrenen Strasse [1]. Hier wäre Aufklärungsarbeit notwendig, um Schäden durch Passivrauchen zu vermindern.

Packungsjahre und Entzugsbehandlung

Um die Rauchexposition von Personen einzustufen, ist die Berechnung der Packungsjahre (packyears) ein wichtiges Mittel. Um die Packungsjahre von Zigarren zu berechnen, wird eine Äquivalenznummer zu Zigaretten angegeben. Eine kleine Zigarre entspricht einer Zigarette, ein Zigarillo zwei Zigaretten und eine Zigarre vier Zigaretten [22]. Bezüglich der Entzugsbehandlung von Zigarren gibt es keine randomisierten Studien. Auch grössere Interventionsstudien fehlen. Man nimmt an, dass ähnliche Strategien wie bei Tabak­zigaretten wirksam sind.

Zusammenfassung

Die Toxizität des Zigarrenrauchens ist prinzipiell vergleichbar mit jener des Zigarettenrauchens, einerseits durch die Abhängigkeit vom Nikotin und andererseits durch einen erhöhten Gehalt des Zigarrenrauches an Nitrosaminen. Da beim Rauchen traditioneller Zigarren im Allgemeinen nicht inhaliert, sondern gepafft wird, überwiegen Mundhöhlen-, Pharynx- und Larynxkarzinome gegenüber Lungenneoplasien. Die Passivrauchexposition ist bedeutsam, da Zigarren meist in Innenräumen konsumiert werden. Wegen ihres Preises und der Umständlichkeit ihres Gebrauchs hat sich das Zigarrenrauchen bisher nicht zu einem mit der Zigarette vergleichbaren Problem der öffentlichen Gesundheit entwickelt. Dieser Unterschied verringert sich jedoch zunehmend aufgrund der Promotion von billigeren, durch Geschmacksstoffe für Jugendliche attraktiv präparierten kleinen Zigarren und Zigarillos.
PD Dr. med.
Macé M. Schuurmans
Universitätsspital Zürich
Klinik für Pneumologie
Rämistrasse 100
CH-8091 Zürich
mace.schuurmans[at]usz.ch
 1 National Cancer Institute. Cigars: Health Effects and Trends. Smoking and Tobacco Control Monograph No. 9. Smoking and Tobacco Control Monograph No. 9. Bethesda (MD): National Institutes of Health, National Cancer Institute, 1998 [accessed 2015 Oct 19].
 2 Delnevo CD, Giovenco DP, Miller Lo EJ. Changes in the Mass-merchandise Cigar Market since the Tobacco Control Act. Tobacco Regulatory Science. 2017;3(2 Suppl 1):S8–S16.
 4 Keller R, Radtke T, Krebs H, Hornung R. (2011). Der Tabakkonsum der Schweizer Wohnbevölkerung in den Jahren 2001 bis 2010. Tabakmonitoring – Schweizerische Umfrage zum Tabakkonsum. Zürich: Psychologisches Institut der Universität Zürich, Sozial- und Gesundheitspsychologie.
 5 Gmel G, Kuendig H, Notari L, Gmel C. (2016).Suchtmonitoring Schweiz – Konsum von Alkohol, Tabak und illegalen Drogen in der Schweiz im Jahr 2015. Lausanne: Sucht Schweiz.
 6 Delia Bachmann. Cigar 4/2016.
 7 American Cancer Society. Cigar Smoking (http://www.cancer.org/cancer/cancercauses/tobaccocancer/cigarsmoking/index). ­Atlanta: American Cancer Society [accessed 2015 Oct 19].
 8 Centers for Disease Control and Prevention. Smoking & Tobacco Use: Cigars. Available at: http://www.cdc.gov/tobacco/data_statistics/fact_sheets/tobacco_industry/cigars/. Accessed May 22, 2012.
 9 Singh T, Arrazola RA, Corey CG, et al. Tobacco Use Among Middle and High School Students – United States, 2011–2015. MMWR Morb Mortal Wkly Rep. 2016;65(14):361–7.
10 King BA, Tynan MA, Dube SR, Arrazola R. Flavored-Little-Cigar and Flavored-Cigarette UseAmong U.S. Middle and High School Students (http://www.jahonline.org/article/S1054-139X00415-1/fulltext) Journal of Adolescent Health 2013;54(1):40–6 [accessed 2015 Oct19].
13 Amtsblatt L127 der Europäischen Union
14 Bericht über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens betreffend das Bundesgesetz über Tabakprodukte (TabPG) 5. Juni 2015
15 U.S. Department of Health and Human Services. Preventing Tobacco Use Among Youth and Young Adults: A Report of the Surgeon General (http://www.cdc.gov/tobacco/data_statistics/sgr/2012/index.htm). Atlanta: U.S. Department of Health and Human Services, Centers for Disease Control and Prevention, Office on Smoking and Health, 2012 [accessed 2015 Oct 19].
16 Noblego Zigarren-Lexikon: Zigarrenrauch (http://www.noblego.de/lexikon/zigarrenrauch/)
17 Baker F, Ainsworth SR, Dye JT, et al. Health risks associated with cigar smoking. JAMA. 2000;284:735–40.
18 Hecht SS. Tobacco smoke carcinogens and lung cancer. J Natl Cancer Inst. 1999;91:1194–210.
19 American Cancer Society. Cigar Smoking (http://www.cancer.org/cancer/cancercauses/tobaccocancer/cigarsmoking/index). ­Atlanta: American Cancer Society [accessed 2015 Oct 19].
20 Shapiro JA, Jacobs EJ, Thun MJ. Cigar smoking in men and risk of death from tobacco-related cancers. J Natl Cancer Inst. 2000;92:333–7.
21 Boffetta P, Pershagen G, Jockel KH, Forastiere F, Gaborieau V, Heinrich J, et al. Cigar and pipe smoking and lung cancer risk: a multicenter study from Europe. J Natl Cancer Inst. 1999;91:697–701.