Bin ich anfällig für Höhenkrankheiten?
Abschätzung des individuellen Risikos

Bin ich anfällig für Höhenkrankheiten?

Lernen
Ausgabe
2018/03
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2018.01681
Prim Hosp Care (de). 2018;18(03):45-50

Affiliations
a Departement Innere Medizin, Universitätsklinikum, Heidelberg, Deutschland; b Medbase, Zürich

Publiziert am 07.02.2018

Was sind die Prädiktoren für Höhenkrankheiten wie die akute Bergkrankheit, das Höhenhirnödem oder das Höhenlungenödem? Und wie lässt sich das Risiko, an ­einer akuten Höhenkrankheit zu erkranken, am besten abschätzen?

Akute Bergkrankheit und ­Höhenhirnödem

Klinisch äussert sich die akute Bergkrankheit (ABK) durch unspezifische Symptome, die sechs bis zwölf Stunden nach einer akuten Höhenexposition über 2000–2500 m auftreten. Das Kardinalsymptom sind Kopfschmerzen, die von Inappetenz, Nausea oder Erbrechen, Abgeschlagenheit, Schwindel und Schlaf­störungen begleitet sein können. Diese Symptome verschwinden bei adäquatem Verhalten in ein bis zwei Tagen spontan, können aber bei weiterem Aufstieg in ein Höhenhirnödem (HHÖ) übergehen, das sich in Ataxie und progredienter Bewusstseinstrübung äussert und innerhalb von einem Tag letal sein kann. Die ­Therapie der ABK besteht in einem Ruhetag, einfachen ­Analgetika und eventuell Acetazolamid (Diamox®). Bei beginnendem HHÖ sind die Gabe von Dexamethason und Abstieg oder zusätz­licher Sauerstoff zwingend und oft lebensrettend [1].
In einer grossen epidemiologischen Studie, die in der Margheritahütte (4559 m) im Monte Rosa-Massiv an 827 Bergsteigern durch­geführt wurde [2], fanden sich drei unabhängige Determinanten für die ABK, die eine vergleichbare Stärke ­zeigten: Vorakklimatisation, Aufstiegsgeschwindigkeit und individuelle Anfälligkeit (Abb. 1). Andere Faktoren wie Alter, Geschlecht, Trainingszustand (Selbsteinschätzung), Alkoholkonsum, Nikotinabusus und Körpergewicht zeigten keine signifikante Assoziation mit der Prävalenz der ABK in 4559 m Höhe. Diese Ergebnisse stimmen sehr gut mit Daten überein, die an 3158 Touristen in den Rocky Mountains in Kurorten zwischen 1920 und 2956 m Höhe erhoben wurden [3], wenn man vom signifikanten Einfluss des Körpergewichtes auf die ABK absieht. Diese Diskrepanz kann damit erklärt werden, dass eine Untersuchung an Bergsteigern in 4559 m zu einer ­Selektion der Studienpopulation bezüglich der Leistungsfähigkeit und damit auch bezüglich des Körpergewichts führt. Eine prospektive Untersuchung an 1300 Bergsteigern und Trekkern identifizierte die ­Höhenanamnese und die Aufstiegsgeschwindigkeit ebenfalls als die wichtigsten Prädiktoren [4]. Der Einfluss der Vorakklimatisation wurde in dieser Studie nicht untersucht.
Abbildung 1: Prävalenz der ABK in 4559 m Höhe in Abhängigkeit von Aufstiegsgeschwindigkeit, Vorakklimatisation und Anfälligkeit für ABK bei 827 Bergsteigern. Langsamer Aufstieg wurde definiert als >3 Tage ab einer Höhe von 2000 m und Vorakklimatisation als >4 Tage über 3000 m in den letzten zwei Monaten. Als nicht anfällig für ABK wurden Berg­steiger klassiert, die selten oder nie Kopfschmerzen bei Höhenaufenthalten über 3000 m und einen Anamnesescore <4 haben. Daten aus [2].
Da Vorakklimatisation und Aufstiegsgeschwindigkeit bei einer Beratung bezüglich eines Höhenaufenthaltes in der Regel bekannt sind, hängt die Risikobeurteilung vom Grad der individuellen Anfälligkeit ab. Informa­tionen über das Befinden bei früheren Expositionen mit vergleichbarer Höhe, Vorakklimatisation und Aufstiegsgeschwindigkeit erlauben, das Risiko abzuschätzen. Weil solche Informationen oft nicht vorliegen, werden von einigen Experten Tests zur Erfassung der Höhentoleranz vorgeschlagen [5]. Die wichtigsten Ansätze zur Vorhersage der Höhentoleranz beruhen auf folgenden Befunden:
– Personen, die höhenkrank sind weisen in einer definierten Höhe im Durchschnitt eine niedrigere arterielle Sauerstoffsättigung (SaO2) auf als nicht kranke Kontrollpersonen;
– Ein niedriger hypoxischer Atemantrieb ist ein Faktor, der zur stärkeren Hypoxämie bei ABK beiträgt.

Messung der Sauerstoffsättigung zur ­Vorhersage der Anfälligkeit

Messungen der Sauerstoffsättigung bei definierter kurzdauernder Exposition in normobarer oder hypobarer Hypoxie zeigen im Durchschnitt niedrigere Werte bei ABK-anfälligen versus nicht-anfälligen Personen. Diese Unterschiede zwischen grossen Kollektiven sind zwar statistisch signifikant, aber die Über­lappung der Einzelwerte ist so gross, dass für den Einzelnen keine zuverlässige Prognose möglich ist. Abbildung 2 (linke Hälfte) zeigt, dass dies auch der Fall ist, wenn in einem Kollektiv von 500 Probanden mit bekannter Höhenanamnese nur diejenigen untersucht werden, die den Extremen bezüglich Anfälligkeit und Resistenz für die ABK zugeteilt werden können [6]. Die grosse Überlappung der Einzelwerte in einem so hoch selektionierten Kollektiv untermauert, dass statistische Signifikanz hier nicht mit klinischer Relevanz einhergeht.
Die grosse Verbreitung und der geringe Preis der Pulsoximeter führte dazu, dass heute auch Laien diese ­Geräte auf Expeditionen und Trekkings verwenden. Wenn solche Messungen durchgeführt werden, muss man sich im Klaren sein, dass auch beim Gesunden in der Höhe eine beträchtliche interindividuelle Variabilität der arteriellen Sauerstoffsättigung besteht, und dass der Normwert nicht nur von der absoluten Höhe, sondern auch vom Grad der ventilatorischen Akklimatisation abhängt, das heisst von der Geschwindigkeit des Aufstiegs und der Aufenthaltsdauer in dieser Höhe [7]. Deshalb muss der Normalwert immer in einer Gruppe mit vergleichbarem Aufstiegsverhalten ermittelt werden, und die Abweichungen vom ermittelten Normalwert sind immer im klinischen Kontext und unter ­Beachtung der Ursachen von Fehlmessungen zu beurteilen [8]. Pulsoximetrische Messungen mögen helfen, die klinische Verdachtsdiagnose Lungenödem zu erhärten, aber sie lassen keine zuverlässige Prognose bezüglich des ABK-Risikos für den weiteren Aufstieg zu. Dies wurde in prospektiven Studien in relativ kleinen Kollektiven für Messungen in 3080 m am Mount Rainier [9] und in 4200 m am Mount McKinley (Denali) [10] sowie in einem grossen Kollektiv von 1000 Personen in 2600 m und 3400 m [11] gezeigt.
Abbildung 2: Die linke Hälfte zeigt die Sauerstoffsättigung (Mittelwerte ± Standardabweichung) gemessen mit Pulsoximetrie 20–30 min nach Exposition in normobarer Hypoxie (FIO 2 0,10–0,15) oder 20–30 min nach Ankunft in 2000–4500 m Höhe nach passivem, schnellen Transport. 63 Personen mit schlechter und 83 Personen mit guter Höhentoleranz, die aus 500 Bergsteigern mit bekannter Höhenanamnese selektioniert wurden. Daten aus [6]. Die rechte Hälfte zeigt die Ventilation (Mittelwerte ± Standardabweichung) in normobarer Hypoxie (FIO 2 0,115) dargestellt als Zunahme der Ventilation in l/min pro Abfall von einem Sättigungsprozent, in Ruhe und unter Belastung mit 50%VO 2 max, n = 128. Daten aus [13].

Ventilationsmessungen in Hypoxie zur ­Vorhersage der Anfälligkeit

Mehrere Gruppen haben den Zusammenhang zwischen hypoxic ventilatory response (HVR) und der ABK untersucht. Während Studien mit bis zu 30 Probanden keine signifikante Assoziation der beiden Parameter finden [12], zeigt eine prospektive Untersuchung an 128 Bergsteigern [13], dass ABK signifikant mit einer geringeren Atemantwort auf normobare Hypoxie (FIO2 = 0,115, entspricht einem PO2 in 5000 m Höhe) in Ruhe und unter Belastung assoziiert ist. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind in Abbildung 2 (rechte Hälfte) dargestellt und zeigen, dass eine so grosse Überlappung der Einzelwerte vorliegt, dass dieser Test nicht geeignet ist, um im Einzelfall eine zuverlässige Prognose abzugeben. Obwohl eine statistische Signifikanz vorliegt, haben diese Unterschiede in der HVR als isolierter Parameter keine klinische Relevanz bezüglich Risikoerfassung.

Messung der aeroben Leistungsfähigkeit zur Vorhersage der Anfälligkeit

In prospektiven Untersuchungen korrelieren die maximale Sauerstoffaufnahme und die maximale Leistung, die bei einer Spiroergometrie erreicht werden, nicht mit den ABK-Scores, die auf Expeditionen und Trekkings erhoben werden [13, 14]. Hingegen erklärt die Variabilität der VO2max 20% des Gipfelerfolges [13], was ein beträchtlicher Effekt ist, wenn man bedenkt, wie viele Faktoren bestimmen, ob man einen Gipfel ­erreicht. Ausdauertraining ist deshalb eine sinnvolle Vorbereitung für solche Unternehmungen, auch wenn es nicht vor einer ABK schützt. Zur Beurteilung des Risikos für die ABK trägt das Ergebnis einer Ergometrie nichts bei, und die Leistungsfähigkeit lässt sich in der Regel ohne Ergometrie mittels Sportanamnese beurteilen. Wer in den Alpen problemlos in Höhen über 4000 m aufsteigt, kann bei guter Akklimatisation – etwas langsamer als in den Alpen – auch Höhen von 5000–6000 m erreichen.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Vor­akklimatisation, Aufstiegsgeschwindigkeit und individuelle Anfälligkeit die wichtigsten Prädiktoren der ABK sind. Die Anfälligkeit lässt sich am besten durch anamnestische Angaben abschätzen. Laborttests zur Erfassung der Anfälligkeit für eine ABK sind aufgrund der ungenügenden Trennschärfe solcher Tests nicht sinnvoll (siehe auch Abschnitt «Sind Belastungstest in Hypoxie zur Vorhersage der Anfälligkeit für schwere Höhenkrankheiten sinnvoll?»). Eine gute aerobe Leistungsfähigkeit schützt nicht vor einer ABK, ist aber eine wichtige Voraussetzung für Berg­steigen in gros-sen Höhen. Sie kann bei aktiven Bergsteigerinnen und Bergsteigern mittels Sportanamnese beurteilt werden, so dass sich die Durchführung einer Ergometrie erübrigt. Da das Höhenhirnödem sich in der Regel aus ­einer pro­gredient verlaufenden ABK entwickelt, gelten diese Aussagen auch für das HHÖ.

Höhenlungenödem

Das Höhenlungenödem (HLÖ) kann bei schnellem ­Aufstieg in Höhen über 3000 m auftreten. Es äussert sich initial in einem für die Höhe inadäquaten Leistungsabfall, Anstrengungsdyspnoe und Husten, gefolgt von Ruhedyspnoe, Orthopnoe und blutig tingiertem Auswurf. Das HLÖ ist ein potenziell letales, nicht kardiales, druckinduziertes Lungenödem, das gut auf pulmonale Vasodilatatoren wie Sauerstoff (→ Abstieg!), Nifedipin oder Phosphodiesterase-5 Hemmer anspricht [1].
Die Zahlen, die in Tabelle 1 zur Prävalenz des HLÖ aufgeführt sind, zeigen, dass diese abhängig ist von der Höhe, der Aufstiegsgeschwindigkeit und der individuellen Anfälligkeit. Das HLÖ ist umso häufiger, je schneller und je höher aufgestiegen wird. Der Einfluss der Vor­akklimatisation ist bisher nicht systematisch untersucht worden. Anekdotische Berichte vom Mount McKinley (Denali) über Bergsteiger, die nach einem HLÖ in 4200 m ins Basislager abgestiegen sind und nach Erholung den Gipfel (6195 m) erfolgreich bestiegen haben, weisen auf die Bedeutung der Vorakklimatisation hin. Weiter zeigen eigene Beobachtungen [15], dass Bergsteiger, die in den Alpen bei schnellem Aufstieg mehrmals ein HLÖ erlitten hatten, auf Expeditionen ohne Medikamente problemlos Höhen bis 7000 m erreichen können, wenn sie ab einer Höhe von 2000 m im Durchschnitt nur 300–350 m/Tag aufsteigen, oder wenn sie vorgängig in Höhen zwischen 3000 und 5000 m akklimatisieren. Diese Beobachtungen sprechen dafür, dass Aufstiegsgeschwindigkeit und Vor­akklimatisation sowohl beim HLÖ als auch bei der ABK wichtige Determinanten sind.
Tabelle 1: Prävalenz des Höhenlungenödems (HLÖ).
 HöheAufstiegPrävalenz
Alpen4559 m2–4 Tage 0,2%
Himalaya-Trekking5450 m6 Tage 2%
Alpen
(ohne HLÖ-Anamnese)
4559 m22 Stunden. 6%
Himalaya (Soldaten)5500 mFlug/Auto16%
Alpen
(mit HLÖ-Anamnese)
4559 m22 Stunden62%
Einfluss der Aufstiegsgeschwindigkeit, Höhe und Anfälligkeit auf ­Prävalenz des HLÖ. Daten aus [22, 28, 29].
Studien zur Prophylaxe des HLÖ mit Medikamenten, die den pulmonal-arteriellen Druck (PAP) senken [16, 17], belegen, dass der überschiessende Druckanstieg in den Pulmonalarterien ein entscheidender pathophysiologischer Faktor des HLÖ ist. Viele Studien haben ­gezeigt, dass Bergsteiger mit anamnestischem HLÖ bei kurzfristiger Hypoxie-Exposition einen überschiessenden pulmonal-arteriellen Druckanstieg aufweisen (zitiert in [18]), der auch in normobarer Hypoxie nicht invasiv mittels Doppler-Echokardiographie (Abb. 3) nachgewiesen werden kann [19]. Ein überschiessender Anstieg des pulmonal-arteriellen Druckes in Hypoxie findet sich wahrscheinlich in etwa 10% der kaukasischen Bevölkerung, wie eine multizentrische Studie aus Westeuropa vermuten lässt [20]. Dehnert et al. haben aber gezeigt, dass nur 4 von 29 (= 13%) Personen mit überschiessendem pulmonal-arteriellem Druck in Hypoxie, die noch nie in der Höhe waren, bei schnellem Aufstieg auf 4559 m ein HLÖ entwickeln [21], während Personen mit HLÖ-Anamnese und überschiessendem pulmonal-arteriellem Druckanstieg in Hypoxie bei gleicher Exposition in gut 60% an einem HLÖ erkranken (Tab. 1) [22]. Die Studie von Dehnert et al. [21] zeigt, dass es ausser dem überschiessenden Druckanstieg in Hypoxie noch andere Faktoren geben muss, die zur HLÖ-Anfälligkeit beitragen. Aus diesem Grund können PAP-Messungen in Hypoxie HLÖ-anfällige Personen nicht zuverlässig identifizieren.
Abbildung 3: Echokardiographisch bestimmter systolischer pulmonal-arterieller Druck bei 19 HLÖ-anfälligen und 18 nicht-HLÖ-anfälligen Personen bevor und nach zweistündiger Exposition in normobarer Hypoxie (FIO 2 = 0,12, PO 2 entspricht einer Höhe von 4500 m). Gestrichelte Linie gibt ­Cut-off Wert von 41 mm Hg an. Daten aus [19].
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass absolute Höhe, Aufstiegsgeschwindigkeit und individuelle Anfälligkeit die wichtigsten Determinanten für das Auftreten eines HLÖ sind. Ein HLÖ kann bei anfälligen Personen in der Regel auch in Höhen bis 7000 m ohne medikamentöse Prophylaxe vermieden werden, wenn langsam aufgestiegen wird (im Durchschnitt ab 2000 m 300–350 m/Tag). Obwohl der überschiessende pulmonal-arterielle Druckanstieg in Hypoxie ein entscheidender pathophysiologischer Faktor des HLÖ ist, kann er nicht zur Identifizierung von HLÖ-Anfälligkeit im Tiefland herangezogen werden, weil noch weitere, nicht genau bekannte Faktoren für die Anfälligkeit zum HLÖ hinzukommen müssen.

Sind Belastungstests in Hypoxie zur Vorhersage der Anfälligkeit für schwere Höhenkrankheiten sinnvoll?

In einer monozentrischen prospektiven Studie wurde über 17 Jahre bei 3994 Personen, die sich mehr als zwei Tage über 4000 m aufhalten wollten, die Anamnese ­erhoben und ein Hypoxietest in Ruhe und unter Belastung mit Messung der Ventilation, Herzfrequenz und Sauerstoffsättigung durchgeführt [4]. Die wichtigsten Risikofaktoren für eine schwere Höhenkrankheit, ­definiert als HLÖ, HHÖ oder ABK, die zu einer signifikanten Beeinträchtigung der Aktivität führt, sind in ­Tabelle 2 dargestellt. Mit Parametern, die mittels Anamnese erhoben werden können, lässt sich eine Vorhersagegenauigkeit von 0,84 bei bekannter und 0,72 bei fehlender Höhenanamnese erreichen. Der Einbezug der im Belastungstest gemessenen Ventilation und O2-Sättigung erhöht die Genauigkeit bei Personen mit bekannter Höhenanamnese um 8% auf 0,91 und bei fehlender Höhenanamnese um 24% auf 0,89 [23]. Die Empfehlung zur Durchführung solcher Tests [5] halten die Autoren dieser Übersicht selbst bei Personen mit fehlender Höhenanamnese aus folgenden Gründen für nicht sinnvoll [24]:
Das Vorhersagemodell von Canouie-Poitrine et al. [23] beruht auf monozentrischen Daten mit einer Antwortrate von nur 22% und auf lediglich subjektiver Einschätzung der Probanden. Ferner sind die Auswirkungen von Empfehlungen, basierend auf Testresultaten bei höhenunerfahrenen Personen, nicht geklärt, selbsterfüllende Prophezeiungen oder ein sich in falscher Sicherheit wiegen sind möglich. Solange die Auswirkungen solcher Labortests nicht mit jenen des im nächsten Abschnitt beschrieben «State of the Art»-­Vorgehens verglichen wurden und die Kosten-Nutzen-­Relation dieser Tests nicht geklärt ist, sollten solche Untersuchungen nicht ausserhalb kontrollierter Studien erfolgen. Schliesslich muss auch bedacht werden, dass schwere Höhenkrankheiten in der Regel durch ­adäquate Behandlung einer beginnenden ABK ver­hindert werden können. Aus diesem Grund sind ­eigentlich Labortests im Tiefland mit dem Ziel der ­Vermeidung schwerer Höhenkrankheiten nicht nötig. Viel wichtiger ist, den Ratsuchenden Regeln zur Vermeidung einer schweren Bergkrankheit mitzugeben (siehe Abschnitt «Empfehlungen zum praktischen ­Vorgehen»).
Tabelle 2: Risikofaktoren für schwere Höhenkrankheit über 4000 m.
 Adjustiere Odds Ratio
ABK in Anamnese12,9 (7,0–23,7)
HVRBelastung <0,79 6,7 (3,8–11,6)
Aufstieg >400 m/Tag 5,9 (3,8–9,2)
SaO2-AbfallBelastung ≥22% 2,5 (1,5–4,1)
Migräneanamnese* 2,3 (1,3–4,1)
Destination Ladakh, Aconcagua, 
Mont Blanc 2,2 (1,1–4,5)
HF/SaO2,Belastung 2,1 (1,4–3,3)
Regelmässige körperliche Aktivität* 1,6 (1,0–2,5)
Weiblich* 1,6 (1,0–2,4)
Alter <46 Jahre 1,6 (1,0–2,4)
Abkürzungen: HVR = hypoxic ventilaroy response in l/min pro 1% ­O2-Sättigungsabfall; HF/SaO2 = Herzfrequenzabfall pro 1% O2-Sättigungsabfall. Werte in Klammer geben das 95% Konfidnezintervall an. * bezeichnet Parameter, für die sich in der Literatur widersprüchliche Befunde finden. Daten aus [4].

Genetisches Screening zur ­Risikoerfassung

Bisher wurde eine Vielzahl von Genen untersucht, ­welche für Proteine codieren, die in die hypoxische pulmonale Vasokonstriktion, Regulation des Renin-­Angiotensin-Aldosteron-Systems, Synthese oder Freisetzung von Endothelin, NO-Synthese, Bildung oder Neutralisierung von Sauerstoffradikalen und Regulation des vegetativen Nervensystems involviert sind. Es wurden einige Polymorphismen gefunden, die mit ­einer ABK oder einem HLÖ assoziiert sein könnten [25]. Die Studien lassen wegen zu geringen Probandenzahlen in der Regel keine gesicherten Aussagen zu. Die ­Effekte einzelner Polymorphismen sind meist schwach und die Ergebnisse zwischen den verschiedenen ­Studien oft widersprüchlich. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Anfälligkeit für eine ABK und ein HLÖ polygenetisch bedingt ist, und dass zugrundeliegende Muster von Polymorphismen nicht identifiziert sind, so dass die Entwicklung von Gen-Chips, die an­fällige Personen identifizieren könnten, noch in weiter Ferne liegt.

Empfehlungen zum praktischen ­Vorgehen

Zur Beratung von Bergsteigern und Trekkern gehört der Ausschluss oder die Berücksichtigung von vorbestehenden Krankheiten, welche die Höhentauglichkeit beeinträchtigen könnten. Ferner soll aufgrund der Sportanamnese abgeschätzt werden, ob die Leistungsreserve für die geplante Unternehmung ausreicht. Aus der sorgfältigen Erhebung der Höhenanamnese sowie des geplanten Aufstiegsprofils und unter Berücksichtigung allfälliger Unternehmungen zur Vorakklimatisation wird eine Risikobeurteilung gemäss Tabelle 3 durchgeführt [26]. Bei moderatem und noch zwingender bei hohem Risiko sollen Massnahmen zur Risikoreduktion empfohlen werden. Diese bestehen aus einer Verbesserung der Vorakklimatisation, Modifikationen des Aufstiegsprofils oder aus einer medikamentösen Prophylaxe, wie sie bei Bartsch P et al. [26] oder in den Guidelines der Wilderness Medical Society [27] beschrieben steht. Schliesslich muss man sich vergewissern, dass die Symptome der Höhenkrankheiten und die entsprechenden therapeutischen Massnahmen den Personen bekannt sind. Gegebenenfalls sollen sie auf Internetseiten wie www.medex.org.uk, die gute Information für Laien in vielen verschiedenen Sprachen enthält, verwiesen werden.
Tabelle 3: Beurteilung des Risikos für akute ­Höhenkrankheiten.
Niedriges Risiko: – Langsamer Aufstieg (≤500 m/Tag über 2500 m)
 – Keine Anamnese von ABK, HHÖ oder HLÖ bei vergleichbaren früheren ­Expositionen
 – Aufstieg >500 m/Tag über 2500 m bei vorakklimatisierten Personen (Aufenthalte <3000 m in den vorangegangenen Wochen)
Moderates Risiko: – Unbekannte Höhenanamnese und ­Aufstieg >500 m/Tag über 2500 m
 – Unbekannte Höhenanamnese und ­Aufstieg über 3000 m in einem Tag
Hohes Risiko– Unbekannte Höhenanamnese und sehr schneller Aufstieg (deutlich >500 m/Tag) und Endhöhe >4000 m
 – Anamnese von ABK, HHÖ oder HLÖ bei vergleichbarer früherer Exposition
Nach [26]. Die angegebenen Höhen beziehen sich auf die Schlafhöhe.
Besonders wichtig ist zu wissen, dass auch ein geringes Risiko oder eine medikamentöse Prophylaxe das Auftreten einer akuten Höhenkrankheit nicht ausschliessen, und dass auch in diesen Fällen nach den ein­schlägigen Richtlinien verfahren werden muss, um das Auftreten einer schweren Höhenkrankheit verhindern zu können:
1. Ruhetage und symptomatische Therapie bei beginnender ABK;
2. Bei Persistenz der ABK-Symptome trotz Ruhetag und symptomatischer Therapie, absteigen;
3. Nie mit Symptomen der ABK zu einer grösseren Schlafhöhe aufsteigen;
4. Bei Verdacht auf ein beginnendes HLÖ oder HHÖ wenn immer möglich sofort absteigen;
5. Nie eine kranke Person alleine lassen.

Fazit für die Praxis

Absolute Höhe, Vorakklimatisation, Aufstiegsgeschwindigkeit und individuelle Anfälligkeit sind die wichtigsten Prädiktoren der akuten Bergkrankheit (ABK), des Höhenhirnödems (HHÖ) und des Höhenlungenödems (HLÖ). Die Anfälligkeit für akute Höhenkrankheiten lässt sich am besten durch anamnestische Angaben abschätzen. Messungen der Sauerstoffsättigung und der Ventilation in akuter Hypoxie zur Beurteilung der Anfälligkeit für eine ABK sind aufgrund der ungenügenden Trennschärfe nicht sinnvoll. Obwohl der überschiessende pulmonal-arterielle Druckanstieg in Hypoxie ein entscheidender pathophysiologischer Faktor des HLÖ ist, kann er nicht zur Identifizierung von HLÖ-Anfälligkeit im Tiefland herangezogen werden, weil noch weitere (unbekannte) Faktoren in der Pathogenese dieser Krankheit eine Rolle spielen. Ob Tests in Hypoxie bei fehlender Höhenanamnese eine Verbesserung der Vorhersage bringen und zu einer grösseren Reduktion von Höhenkrankheiten führen als ­Beratungen ohne Hypoxietests, wurde bisher nicht ­untersucht. Deshalb können Hypoxietests ausserhalb von kontrollierten Studien nicht empfohlen werden. Die Bestimmung genetischer Polymorphismen zur Erfassung der individuellen Anfälligkeit ist wegen fehlender Aussagekraft nicht sinnvoll. Eine gute aerobe Leistungsfähigkeit schützt nicht vor ABK und HLÖ, ist aber eine wichtige Voraussetzung für das Bergsteigen in grossen Höhen (>4000 m). Aus Berganamnese, geplanter Präakklimatisation und Aufstiegsprofil können das individuelle Risiko abgeschätzt und entsprechende Empfehlungen ausgesprochen werden.
Prof. Dr. med. Peter Bärtsch
Departement
Innere ­Medizin
Universitätsklinikum
INF 410
DE-69120 Heidelberg
peter.bartsch[at]med.uni-heidelberg.de
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