Dosisanpassung bei Eliminationsstörungen – Teil 2: Leberinsuffizienz
Renale oder hepatische Elimination?

Dosisanpassung bei Eliminationsstörungen – Teil 2: Leberinsuffizienz

Lernen
Ausgabe
2018/08
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2018.01731
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2018;18(08):134-136

Affiliations
a Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin, Inselspital, Universitätsspital Bern, Universität Bern
b Institut für Pharmakologie, Universität Bern

Publiziert am 25.04.2018

Die Leber gehört neben den Nieren zum wichtigsten Eliminationsorgan für Medikamente im menschlichen Körper. Fehlende Anpassung der Medikamentendosierung bei Leberinsuffizienz bzw. Zirrhose kann zu Akkumulation und Toxizitäts­erscheinungen führen. Kenntnisse über die Prinzipien der Dosisanpassung, aber auch über die Eigenschaften der entsprechenden Substanzen, sind deswegen essenziell für eine optimale Patientenbetreuung und zum Vermeiden von unerwünschten Medikamentenwirkungen.

Einleitung

Die Niere und die Leber sind die zwei wichtigsten Eliminationsorgane für Medikamente im menschlichen Körper. Bei Störungen bzw. Abnahme der Funktion kann es entsprechend zu Eliminationsstörungen und Akkumulation der betroffenen Substanzen mit gegebenenfalls schwerwiegenden Konsequenzen kommen.
Wie bereits im ersten Teil dieses Artikels (Dosisanpassung bei Eliminationsstörungen – Teil 1: Niereninsuffizienz), der in der letzten Ausgabe von Primary and Hospital Care publiziert wurde [1], erwähnt, beschreibt der Q0-Wert den Anteil der Dosis, der nicht als intakter Wirkstoff renal ausgeschieden wird. Entsprechend ist bei einem Q0>0,5 (Substanz vorwiegend metabolisiert) die Leberfunktion der wichtigste Faktor für die Elimination, und bei Leberinsuffizienz bzw. Zirrhose sollte eine Dosisanpassung in Betracht gezogen werden.
Im ersten Teil dieses Artikels wurden die wichtigsten Prinzipien zur Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz aufgeführt [1]. Am aktuellen Artikel (Teil 2) werden die wichtigsten Prinzipien zur Dosisanpassung bei Leberinsuffizienz präsentiert.

Leberinsuffizienz/Leberzirrhose

Im Gegensatz zur Kreatinin-Clearance bei der Niere ist für die Leber leider kein Parameter bekannt, mit dem sich die Organfunktion einfach abschätzen lässt [2]. Der Child-Pugh-Score wird im klinischen Alltag benutzt, um die Prognose bei Patienten mit Leberzirrhose abzuschätzen [3], er gibt aber keine direkte Auskunft über die Fähigkeit der Leber, Arzneistoffe aus dem Blut aufzunehmen und zu metabolisieren (hepatische Clearance, Clh). Die Clh ist definiert als das Blutvolumen, das pro Zeiteinheit durch die Leber gereinigt (ge-«cleared») wird. Die Clh ist proportional zum Blutfluss (Q) und zur hepatischen Extraktion (Eh) der jeweiligen Substanz. Die Clh wird anhand der folgenden Formel bestimmt:
Clh = Eh x Q = (fu x Cli) x Q / (fu x Cli) + Q
wobei Cli die Kapazität der Leber, einen Arzneistoff ohne jeglichen limitierenden Faktor zu metabolisieren und fu die ungebundene bzw. freie Fraktion eines Arzneistoffes ist [4].
Während einer normalen Konsultation sind die meisten der obengenannten Parameter jedoch nicht vorhanden, was eine Beurteilung der hepatischen Clearance praktisch verunmöglicht. Basierend auf den Kenntnissen über die Veränderungen, die bei Leber­insuffizienz bzw. Zirrhose stattfinden, können jedoch trotz diesen Einschränkungen in vielen Situationen empirische Empfehlungen bezüglich Dosisanpassung gemacht werden.
Bei Patienten mit einer Leberzirrhose ist nicht nur mit einem reduzierten Stoffwechsel zu rechnen, sondern auch mit einem reduzierten Blutfluss durch die Leber [5] und erhöhten Blutfluss an der Leber vorbei (sogenannte «Shunts») [4]. Dadurch kann es zu einer Zunahme der Bioverfügbarkeit von oral eingenommen Substanzen kommen. Vor allem betroffen sind Arzneistoffe, die bei normaler Leberfunktion bereits bei der ersten Passage durch die Leber zu einem grossen Teil metabolisiert werden (sogenannt hoher «First-Pass-Effekt»). Je nachdem, ob die verschiedenen Arzneistoffe eine hohe oder tiefe hepatische Extraktionsrate haben (bzw. ­einen hohen oder tiefen First-Pass-Effekt) können vorwiegend hepatisch eliminierte Substanzen (mit ­einem Q0>0,5) weiter unterteilt werden [2].
Für Arzneistoffe mit einer hohen hepatischen Extraktion (Beispiele in Tab. 1) nimmt bei Leberzirrhose nicht nur die Clearance ab, sondern auch die Bioverfüg­barkeit zu, da der First-Pass-Effekt wegfällt (Bioverfügbarkeit z.B. von Propranolol normalerweise ca 10%, bei Leberzirrhose >50% [6]). Für diese Substanzen sollte deswegen bei oraler Verabreichung sowohl die Anfangs- als auch die Erhaltungsdosis reduziert werden (um bis zu >50%).
Tabelle 1: Auswahl von Substanzen mit hoher hepatischer Extraktion (Eh >0,6).
AntidepressivaSertralin, Mianserin, Venlafaxin, Trimipramin
AntipsychotikaQuetiapin, Chlorprothixen
Opiate / AntagonistenMorphin, Hydromorphon, Tapentadol, Naloxon, Naltrexon
ImmunsuppressivaTacrolimus, Sirolimus, Ciclosporin
CalciumantagonistenNifedipin, Verapamil
BetablockerPropranolol, Metoprolol
HypnotikaMidazolam
Ausführliche Liste siehe [2].
Für Substanzen mit einer tiefen hepatischen Extraktion hingegen (Beispiele in Tab. 2) ist bei Leberzirrhose in der Regel keine klinisch relevante Zunahme der Bioverfügbarkeit zu erwarten, da diese bereits bei gesunden Menschen hoch ist, die hepatische Clearance kann aber ­vermindert sein [2]. Damit kann für diese Substanzen die initiale Dosierung normal erfolgen, die Erhaltungsdosis sollte aber reduziert und im Verlauf je nach Klinik vorsichtig angepasst werden. Diese Über­legungen gelten bei oraler Gabe eines Medikaments, bei intravenöser Gabe gibt es auch für Substanzen mit hoher hepatischer Extraktion keinen First-Pass-Effekt, da die Medikamente direkt in den systemischen Kreislauf appliziert werden; in diesem Fall muss auch für Substanzen mit hoher hepatischer Extraktion lediglich die Erhaltungsdosis angepasst werden [2].
Tabelle 2: Auswahl von Substanzen mit tiefer hepatischer Extraktion (Eh <0,3).
SchlafmittelZolpidem, Oxazepam, Lorazepam, Diazepam
AntidepressivaFluoxetin, Citalopram, Maprotilin, Trazodon
AntiepileptikaLevetiracetam, Lamotrigin, Valproat, Phenytoin, 
Carbamazepin
AnalgetikaParacetamol, Methadon
AntikoagulantienPhenprocoumon, Acenocoumarol
Ausführliche Liste siehe [2].
Zusätzlich zur hepatischen Extraktion ist auch der ­genaue Metabolisierungsweg der Substanz wichtig: Da Phase I-Reaktionen (Cytochrom P450-abhängig) bei ­Leberzirrhose stärker betroffen sind als Phase II-Reaktionen (z.B. Glukuronidierung) [4], sollten bei diesen Pa­tienten wenn immer möglich Arzneistoffe bevorzugt werden, die nur über Phase II-Reaktionen metabolisiert werden, zum Beispiel Oxazepam (Seresta®) anstelle von Diazepam (Valium®).
Weiter ist zu erwähnen, dass Patienten mit eingeschränkter Leberfunktion oft empfindlicher auf Medikamente reagieren, auch wenn sich die Pharmakokinetik (noch) nicht massiv verändert hat [2]. Dies gilt insbesondere für zentralnervös-wirkende Substanzen, die deshalb vorsichtig dosiert werden müssen. Ausserdem kann es auch bei Leberzirrhose zu einer Veränderung anderer Parameter kommen (z.B. Zunahme des Verteilungsvolumens bei Aszites, Abnahme der renalen Clearance – trotz normalem Kreatinin-Werten in manchen Fällen [7]), welche die Pharmakokinetik beeinflussen.

Zusammenfassung

Zusammenfassend gilt, bei Leberinsuffizienz bzw. Zirrhose ist der Metabolismus und die Elimination für viele Arzneimittel reduziert, eine genaue Vorhersage ist aber wegen grosser interindividueller Unterschiede schwierig. Substanzen, die über Phase II-Reaktionen metabolisiert werden, sind bei Verschlechterung der Leberfunktion weniger stark betroffen als Substanzen, die über Phase I-Reaktionen (Cytochrome) abgebaut werden. Bei Substanzen mit hoher hepatischer Extraktion nimmt die Gesamtexposition wegen der grösseren Bioverfügbarkeit und der langsameren Elimination zum Teil stark zu, deswegen sollten diese wenn möglich bei Patienten mit einer Leberfunktions­störung vermieden werden. Wenn das nicht möglich ist, sollte die initiale orale Dosis um 50% oder mehr reduziert und die Erhaltungsdosis durch sorgfältiges Titrieren ermittelt werden. Für Substanzen mit tiefer Extraktionsrate ist nur die Erhaltungsdosis zu reduzieren. Wenn keine Studiendaten vorhanden sind, kann als grober Richtwert die normale Erhaltungsdosis bei ­einer leichtgradigen Leberfunktionsstörung (Child-Pugh A) um 25–50% und bei einer mittelschweren Funktionseinschränkung (Child-Pugh B) um 50–75% reduziert werden.
Für viele Arzneistoffe sind Dosisempfehlungen zu finden unter www.compendium.ch →Arzneistoff auswählen →weitere Informationen →CDS-Profil (Clinical Decision Support Profile, siehe Abb. 1) .
Abbildung 1:Clinical Decision Support(CDS)-Profil. Beispiel für ein CDS-Profil mit Dosisempfehlungen bei Nieren- und Leberfunktionsstörung. Die ­Information ist für alle Gesundheitsfachpersonen der Schweiz mit einem Swiss-Rx Login kostenlos zugänglich unter www.compendium.ch.
Wenn immer möglich ist in komplexen Fällen oder bei Patienten mit schwerer oder schwierig einzuschätzender Einschränkung der Leberfunktion eine Spiegelmessung zu empfehlen. Grundsätzlich gilt für die meisten dieser Patienten: Tief dosiert starten und vorsichtig auftitrieren sowie Interaktionen und unerwünschte Wirkungen beachten.

Fazit für die Praxis

Der Q0-Wert eines Medikamentes gibt Auskunft darüber, ob dieses vorwiegend renal oder hepatisch ­eliminiert wird. Für Substanzen, die vorwiegend ­hepatisch eliminiert werden, ist bei eingeschränkter Leberfunktion vor allem die hepatische Extraktionsrate der Substanz ausschlaggebend für die Dosis­anpassung: Für Substanzen mit hoher hepatischer Extraktion sollte bei oraler Verabreichung die ­Anfangs- und Erhaltungsdosis reduziert werden, für Substanzen mit tiefer Extraktionsrate ist nur die ­Erhaltungsdosis zu reduzieren.
Dr. med. Evangelia Liakoni
Freiburgstrasse 8
CH-3010 Bern
evangelia.liakoni[at]insel.ch
1 Liakoni E, Haschke M. Dosisanpassung bei Eliminationsstörungen – Teil 1: Niereninsuffizienz. Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2018;18(07):122–4.
2 Delcò F, Tchambaz L, Schlienger R, Drewe J, Krähenbühl S. Dose adjustment in patients with liver disease. Drug Saf. 2005;28(6):529–45.
3 Pugh RN, Murray-Lyon IM, Dawson JL, Pietroni MC, Williams R. Transection of the oesophagus for bleeding oesophageal varices. Br J Surg. 1973;60(8):646–9.
4 Morgan DJ, McLean AJ. Clinical pharmacokinetic and pharmacodynamic considerations in patients with liver disease. An update. Clin Pharmacokinet. 1995;29(5):370–91.
5 Miyajima H, Nomura M, Muguruma N, Okahisa T, Shibata H, Okamura S, et al. Relationship among gastric motility, autonomic activity, and portal hemodynamics in patients with liver cirrhosis. J Gastroenterol Hepatol. 2001;16(6):647–59.
6 Taegtmeyer AB, Haschke M, Tchambaz L, Buylaert M, Tschöpl M, Beuers U, et al. A study of the relationship between serum bile acids and propranolol pharmacokinetics and pharmacodynamics in patients with liver cirrhosis and in healthy controls. PLoS One. 2014;9(6):e97885.
7 Takabatake T, Ohta H, Ishida Y, Hara H, Ushiogi Y, Hattori N. Low serum creatinine levels in severe hepatic disease. Arch Intern Med. 1988;148(6):1313–5.