Lehren und Forschen
Welche Behandlung?
Lungenkrebs bei älteren Menschen in China
a Studierende im dritten Jahr, Bachelor, an der Fakultät für Biologie und Medizin der Universität Lausanne; b Studierende im dritten Jahr, Bachelor, an der Haute École de Santé La Source, Lausanne.
Einführung
Lungenkrebs ist weltweit die häufigste Todesursache; die grösste Zahl neuer Fälle wird derzeit in China diagnostiziert [1]. Das Auftreten von Lungenkrebs ist besonders bei Menschen über 65 Jahren verbreitet [1, 2]. Bei Lungenkrebs wird die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) oft in Kombination mit westlicher Medizin (WM) vorgeschlagen [3, 4]. Unsere Studie hatte zum Ziel, die Hauptgründe, welche die Wahl der Behandlung beeinflussen, sowie die Rolle des Patienten und die der Familie bei der Entscheidung für eine Therapie zu bestimmen.
Methode
Wir führten eine qualitative Studie durch, unter Einbezug semistrukturierter Interviews mit Akteuren des Gesundheitswesens und Studierenden in Wuxi, China. Unsere Partner der Medizinischen Fakultät der Universität Jiangnan wählten die Teilnehmer aus: 2 Direktoren medizinischer Institutionen, 14 Ärzte (davon 7 Onkologen, 2 Pneumologen, 3 TCM-Ärzte, 1 Neurologe, 1 Allgemeinmediziner), 6 Krankenschwestern, 1 Apotheker, 1 Reha-Therapeut und 6 Studierende der Krankenpflege und Pharmazie). Die Interviews wurden einzeln durchgeführt (n = 18) oder in «natürlichen Gruppen» (n = 5; 4 Gruppen von 2 und 1 Gruppe von 4 Teilnehmern) in einem kommunalen Krankenhaus, einer Apotheke und in TCM- (n = 3) und konventionellen (n = 1) Krankenhäusern. Die auf Englisch verfassten Fragen wurden von lokalen Studierenden der Krankenpflege in Mandarin übersetzt. Die gesammelten Daten wurden gemäss einem etablierten Analyseraster nach Themen klassifiziert.
Ergebnisse
In Wuxi nimmt die Familie in der Betreuung von älteren Menschen einen wichtigen Platz ein. Die Diagnose Lungenkrebs wird von den Ärzten zunächst den Angehörigen und nicht dem Patienten mitgeteilt (Abb. 1). Es ist die Regel, dass die Familie dem Elternteil gegenüber nicht die genaue Art der Krankheit offenlegt. Diese gut gemeinten Lügen («white lies») werden vom Pflegeteam und der Familie des Patienten getragen, die zusammen auch über die Wahl der Behandlung entscheiden. Zumeist geht es darum, WM und TCM zu kombinieren.
Unter den Faktoren, welche die Wahl der Behandlung von Lungenkrebs bei älteren Menschen beeinflussen, haben wir die Spezialisierung der Gesundheitsakteure, den kulturellen Kontext, die Eigenschaften der Behandlung sowie die biopsychosozialen Eigenschaften des Patienten, sein Zustand, seine Komorbiditäten und das Karzinom-Stadium, erhoben.
Diskussion
Unsere Interviews zeigen auf, dass die lokalen Gesundheitsakteure sich oft auf die Kombination von WM und TCM einigen. Dies dient der Maximierung der therapeutischen Wirksamkeit bei gleichzeitiger Verringerung des Stresses, verursacht durch die Krankheit. Unsere Ergebnisse erhärten die Argumente bereits veröffentlichter Literatur: Die Mehrzahl der Patienten nehmen neben der onkologischen Behandlung nach WM auch TCM in Anspruch [3]. Bei einem fortgeschrittenen Lungenkarzinom sind radikale, chirurgische Eingriffe kontraindiziert [1, 2, 4]. Der parallele Einsatz von TCM hat zum Ziel, die bestmögliche Lebensqualität für den Patienten zu erhalten.
Das geistige Wohlbefinden des Patienten ist ein Schlüsselelement für Familie und Pflegeteam. Letztere behelfen sich der «white lies» mit dem Wunsch, dass der Patient nur ein unklares Bild seiner Situation habe. Denn die Philosophie der TCM geht davon aus, dass negative Emotionen die Schwächung des Immunsystems des Patienten beschleunigen wie auch die Lebenserwartung und -qualität reduzieren [3]. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Befragten auch zugaben, gegenüber Patienten transparenter sein zu wollen. Es wäre daher interessant, auch die Ansicht der Patienten zu untersuchen.
Unsere Studie weist zwei wesentliche Limitationen auf. Einerseits waren die meisten der von uns besuchten Krankenhäuser solche des Typs TCM, andererseits können wir aufgrund der Sprachbarriere nicht ausschliessen, gewisse Informationen falsch interpretiert beziehungsweise unterschlagen zu haben.
Verdankung
Generaldirektion für Hochschulbildung des Kantons Waadt, Haute École de la Santé La Source, Universität Lausanne, Dr. Gaume & M. Kampel, Prof. Baumann und Frau Righetti, Prof. Yuyu & Prof. Shao Jing sowie unseren Übersetzerinnen.
Korrespondenzadresse
Dr. phil. Jacques Gaume
Responsable de recherche
Coordinateur du module B3.6 – Immersion communautaire
Département universitaire de médecine et santé communautaires CHUV
Avenue de Beaumont 21 bis, Bâtiment P2
CH-1011 Lausanne
Jacques.Gaume[at]chuv.ch
Literatur
1 Hong QY, Wu GM, Qian GS, Hu CP, Zhou JY, Chen LA, et al. Prevention and Management of Lung Cancer in China. Cancer. 2015;121:3080–88.
2 Xu W, Towers AD, Li P, Collet J-P. Traditional Chinese medicine in cancer care: perspectives and experiences of patients and professionals in China. Eur J Cancer Care. 2006;15:397–403.
3 Zhao J. Chinese Medicine in the Treatment of Cancer: The Principle of «Restoring Equilibrium through Fine-tuning». Wuxi: Carmen Poon. 2016.
4 Tang WR, Yang SH, Yu CT, Wang CC, Huang ST, Huang TH, et al. Long-Term Effectiveness of Combined Treatment with Traditional Chinese Medicine and Western Medicine on the Prognosis of Patients with Lung Cancer. J Altern Complement Med. 2016;22:212–22.
Copyright
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Modul «immersion communautaire» der Fakultät für Biologie und Medizin der UNIL
Studierende des dritten Studienjahres Medizin der UNIL forschten während vier Wochen an einem Community-Thema ihrer Wahl. Zweck dieses Moduls ist, den zukünftigen Ärzten und Ärztinnen die nicht-biomedizinischen Aspekte von Gesundheit, Krankheit und der medizinischen Tätigkeit aufzuzeigen: Lebensstil, psychosoziale und kulturelle Faktoren, Umwelt, politische Entscheidungen, wirtschaftliche Zwänge, ethische Fragen usw. In Fünfergruppen definierten die Studierenden zunächst den Gegenstand ihrer Forschung und konsultierten dazu die wissenschaftliche Literatur. Ihre Forschungsarbeit brachte sie in Kontakt mit dem Netzwerk von Akteuren der betroffenen Community, Berufs- aber auch Patientenverbände, deren Rollen und wechselseitige Einflüsse sie untersuchten. Jede Gruppe wurde von einem Tutor/einer Tutorin der Fakultät für Biologie und Medizin der UNIL begleitet. Zum Abschluss des Moduls unterbreiteten die Studierenden anlässlich eines zweitägigen Kongresses eine Zusammenfassung ihrer Arbeit. Sechs Forschungsarbeiten entstanden aus interprofessioneller Zusammenarbeit mit Studierenden der Pflege der Haute Ecole de la Santé La Source, zwei davon auch unter Mitarbeit von Studierenden der Anthropologie der Fakultät für Sozial- und Politikwissenschaften, finanziell unterstützt vom Amt für Hochschulbildung des Kantons Waadt. Vier der herausragendsten Arbeiten wurden für die Veröffentlichung in Primary und Hospital Care ausgewählt.
Leitung und Verantwortung des Moduls: Prof. Jean-Bernard Daeppen, Dr. Jacques Gaume (Koordinator), Prof. Patrick Bodenmann, Prof. Bernard Burnand, Dr. Aude Fauvel, Sophie Paroz, Dr. Daniel Widmer und Prof. Madeleine Baumann (HEdS «La Source»).