Teil 2: Hypogonadismus
Testosterontherapie, ja oder nein?

Teil 2: Hypogonadismus

Lernen
Ausgabe
2018/10
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2018.01750
Prim Hosp Care (de). 2018;18(10):176-179

Affiliations
Klinik für Innere Medizin, Spital Zollikerberg, Zollikerberg

Publiziert am 30.05.2018

Der Testosteronmangel bei Männern unter 50 Jahren muss immer abgeklärt und behandelt werden. Umstritten ist die Definition des Hypogonadismus beim alternden Mann und der Nutzen einer Therapie.

Der LOH beschäftigt die Öffentlichkeit und führt zu zunehmenden Testosteronverschreibungen. Im 2016 und 2017 wurden die Resultate der Testosterone Trials(T-Trials) publiziert, die in den USA durchgeführt wurden und doppelblind, randomisiert die Wirkung von Testogel vs. Plazebo bei Männern über 65 Jahren geprüft ­haben. Bis auf einen ­mässigen Effekt auf die Sexualfunktion konnte keine Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit oder Vitalität nachgewiesen werden. Eine Testosteronverschreibung beim älteren Mann kann erwogen werden, wenn er über den zu erwartenden Nutzen und mögliche Komplikationen aufgeklärt worden ist.

Symptome

Spezifische Symptome eines Hypogonadismus sind eine verminderte Libido und seltene oder fehlende Erektionen, verminderte Körperbehaarung und der Verlust der lateralen Augenbrauen, kleine oder schrumpfende Hoden, Infertilität, Abnahme der Muskelmasse und -kraft mit Zunahme des Fettanteils, ­Gynäkomastie und Osteopenie oder Osteoporose. Daneben können verschiedene unspezifische Symptome auf­treten, unter anderem verminderte Energie und nachlassende Motivation, depressive Verstimmung, reduzierte Leistungsfähigkeit oder Schlafstörungen.

Diagnose

Der Testosteronspiegel sinkt ab dem Alter von 30 Jahren um etwa 0,4% pro Jahr [1]. Basierend auf den Daten von 3369 Männer zwischen 40 und 79 Jahren wurde 2010 beim älteren Mann ein relevanter Hypogonadismus anhand der folgenden drei Kriterien definiert:
– Ein Gesamttestosteron unter 11 nmol/l (320 ng/dl);
– Ein freies Testosteron unter 220 pmol/l (6,4 ng/dl);
– Mindestens drei sexuelle Symptome (erektile Dysfunktion, seltene morgendliche Erektionen, seltene Gedanken an Sex) [2].
Diese Grenzwerte für das Gesamt­testosteron und das freie Testosteron wurden von den endokrinologischen Richtlinien übernommen, wobei die Grenzwerte des jeweiligen Labors mitberücksichtigt werden müssen, dessen Normbereiche geringfügig ­abweichen können [3].

Zeitpunkt der Testosteronmessung

Wichtig bei der Abklärung eines Hypogonadismus ist die Zeit, zu der die Blutentnahme erfolgt. Die Serumtestosteronspiegel folgen einem zirkadianen Rhythmus, mit einem Peak in den frühen Morgenstunden und einem Abfall am Nachmittag. Zudem wurden die Normbereiche für Testosteron anhand von morgend­lichen Blutproben festgelegt. Aus diesen zwei Gründen wird die Testosteronmessung morgens vor 9 Uhr empfohlen. Gemessen wird primär das Gesamttestosteron.

Wiederholung der Testosteronmessung

Wie bei allen Hormonen variiert der Testosteronspiegel von Tag zu Tag, so dass ein Hypogonadismus nie anhand nur eines Wertes diagnostiziert werden sollte, sondern anhand von mindestens zwei Messungen im Abstand von mehreren Wochen [4].

Freies Testosteron und SHBG

Testosteron wird mehrheitlich an Albumin und SHBG (Sexualhormon-bindendes Globulin) gebunden, nur ­0,5–3% des zirkulierenden Testosterons ist ungebunden (frei) und bioverfügbar. Die Bestimmung des freien Testosterons kann bei der Diagnosestellung eines ­Hypogonadismus hilfreich sein, wenn das Gesamt­testosteron knapp im Normbereich liegt, oder wenn Abweichungen der Bindungsproteine (SHBG) vermutet werden, zum Beispiel bei Adipositas (Tab. 1).
Tabelle 1: Einflussfaktoren auf das SHBG.
Einhergehend mit SHBG-Erhöhung
– Anorexie
– Alter
– Lebererkrankungen (Zirrhose)
– Hyperthyreose
– Östrogene, Antiepileptika
Einhergehend mit SHBG-Erniedrigung
– Übergewicht/Adipositas
– Nephrotisches Syndrom
– Diabetes mellitus
– Hypothyreose
– Glukokortikoide, Androgene
Der Goldstandard zur Messung des freien Testosterons ist die Equilibrium-Dialyse, die teuer, aufwendig und wenig verbreitet ist. Darum empfiehlt sich die Berechnung des freien Testosterons mittels der Vermeulen-Gleichung (http://www.issam.ch/freetesto.htm), wofür Albumin, SHBG und das Gesamttestosteron bekannt sein müssen.
Abbildung 1 fasst das empfohlene Vorgehen bei der ­Abklärung eines vermuteten Hypogonadismus zu­sammen.
Abbildung 1: Abklärungsschritte bei klinischem Verdacht auf Hypogonadismus.

Hypo- vs. hypergonadotroper Hypogonadismus

Bei bestätigtem Hypogonadismus weisen die Gonadotropine LH (luteinisierendes Hormon) und FSH (follikelstimulierendes Hormon) auf mögliche Differentialdiagnosen hin (Tab. 2). Ein MRI der Hypophyse wird empfohlen, wenn ein Gesamttestosteron von weniger als 5 nmol/l gemessen wurde, Gesichtsfelddefekte vorliegen oder Kopfschmerzen bestehen [3].
Tabelle 2: Differentialdiagnosen des hypo- und hypergonadotropen ­Hypogonadismus.
Hypogonadotroper Hypogonadismus
(LH + FSH normal/erniedrigt)
Hypergonadotroper Hypogonadismus
(LH + FSH erhöht)
– Stress, übermässiger Sport– Klinefelter Syndrom (Karyotyp)
– Prolaktinom / Hypophysenadenome*– Status nach Bestrahlung im Genitalbereich
– Empty sella-Syndrom– Status nach Chemotherapie
– Schwere Krankheit– Infekte (Mumpsorchitis)
– Adipositas– Traumata (Hodentorsion)
– Opiat-/Anabolikaabusus– Kryptorchismus
– Hämochromatose (Ferritin)– Varikozelen
– Kallmannsydrom (Anosmie)– Myotone Dystrophie
– Idiopathisch (Ausschlussdiagnose) 
* MRI der Hypophyse empfohlen erst bei Gesamttestosteron ≤5 nmol/l.

Therapie

Primär wird die zugrundeliegende Ursache angegangen, sofern möglich. Bei jungen Männern ist die Testosterontherapie notwendig und risikoarm, wenn sie richtig dosiert und überwacht wird. Ob eine Testo­sterontherapie beim älteren Mann verschrieben wird, hängt von der Reversibilität der Grunderkrankung und dem Leidensdruck ab, nachdem die zu erwartende ­Wirkung und mögliche Nebenwirkungen einer Therapie besprochen wurden (shared decision making, Tab. 3).
Tabelle 3: Mögliche Risiken und Vorteile einer Testosteronsubstitutionstherapie.
Mögliche Risiken einer Testosterontherapie
– Dyslipidämie (HDL-Abnahme) & kardiovskuläre ­Erkrankungen
– Polyzythämie (Thrombosen)
– Prostata-Karzinom (? grosse, kontrollierte Studien fehlen)
– Exazerbation eines obstruktiven Schlaf-Apnoe-Syndroms
– Male pattern baldness
– Gynäkomastie
– Akne
Mögliche Vorteile einer Testosterontherapie
– Verbesserte Sexualfunktion
– Abnahme erektile Dysfunktion (geringer Effekt)
– Zunahme der Knochendichte
– Zunahme der Muskelmasse und -kraft (geringer Effekt)
Es ist umstritten, ob ein Hypogonadismus Folge des physiologischen Alterungsprozesses, beschleunigt durch chronische Krankheiten, oder ein Verstärker von chronischen Krankheiten ist (zum Beispiel einer Adipositas) und darum behandelt werden sollte. In den USA hat die Verschreibung von Testosteron in den letzten Jahren stark zugenommen.
Mehrere dazu durchgeführte Studien konnten bisher keine abschliessende Antwort geben. Im 2016 wurden die ersten Resultate der Testosterone Trials (T-Trials), doppelblinde, placebokontrollierte, randomisierte ­Studien (je 394 Männer in der Therapie- und Plazebogruppe) publiziert. Die Teilnehmer waren über 65 Jahre alt und hatten bei Studienbeginn ein Gesamttestosteron von weniger als 9,5 nmol/l. Die Probanden wurden während einem Jahr behandelt und nachkontrolliert. Das Gesamttestosteron wurde in den Monaten 1, 2, 3, 6, und 9 gemessen. In der Behandlungsgruppe wurde Testosterongel verabreicht und so dosiert, dass der ­Testosteronspiegel zwischen 19–40 nmol/l lag. Analysiert wurden die Sexualfunktion, Vitalität, Kognition, Knochendichte, kardiovaskuläre Gesundheit und das Blutbild [6]. Es zeigte sich ein nur moderater, aber statistisch signifikanter Effekt auf die Sexualfunktion, nicht aber auf die körperliche Leistungsfähigkeit oder Vitalität. Im Februar 2017 wurden die restlichen ­Ergebnisse publiziert. Das Hämo­globin und die Knochendichte stiegen unter der Testosterontherapie an, auf die kognitive Funktion zeigte sich kein Effekt. In Computer­tomographien der Koronararterien nahm die Plaquebildung unter Testosterontherapie signifikant zu, wobei keine vermehrten kardiovaskuläre ­Ereignisse während der Studie auftraten.
Die Resultate der T-Trials konnten die Kontroverse über die Testosterontherapie beim älteren Mann nicht lösen, liefern aber zusätzliche solide Daten über zu erwartende Effekte und Risiken der Behandlung.

Präparatewahl

In der Schweiz sind verschiedene Testosteronpräparate erhältlich (Tab. 4). Testosteronkapseln sind einfach zu nehmen, werden aber wegen Spiegelschwankungen und möglicher Lebertoxizität kaum mehr eingesetzt. Tostran® und Testogel® sind leicht aufzutragen, Testosteron kann aber auf andere Menschen übertragen werden. Häufig werden intramuskuläre Präparate gewählt (Nebido® 1000 mg alle 10–12 Wochen oder Testoviron® 250 mg alle 2–4 Wochen). Den Abfall des Testosteronspiegels gegen Ende des Nebido®-Intervalls spüren ­einige Männer deutlich, mit Testoviron® ­werden die Testosteronschwankungen weniger stark empfunden. Für Testoviron® braucht es eine Kostengutsprache, da es nicht auf der Spezialitätenliste aufgeführt wird.
Tabelle 4: In der Schweiz erhältliche Testosteronpräparate.
NameVerabreichung VorteileNachteile
Nebido® 1000 mgi.m. alle 10–12 Wochenkonstante SpiegelInjektion
Testoviron® 250 mgi.m. alle 2–4 Wochenkonstante SpiegelInjektion
Testogel® 50 mg/5 gtgl. 5–10 g topischeinfache VerabreichungÜbertragung auf andere
Tostran®10 mg/ 0,5 gtgl. 3–4 g topischeinfache VerabreichungÜbertragung auf andere
Andriol® Testocapstgl. 1–4 Kapselneinfache Verabreichungvariable Spiegel
Bei erektiler Dysfunktion: Zuerst PDE-Inhibitoren versuchen.

Kontrollen

Ärztliche Kontrollen unter Testosterontherapie werden nach 3, 6 und alle 12 Monate empfohlen. Im Blut werden Hämoglobin, PSA und Gesamttestosteron (vor 9 Uhr) gemessen. Unter Behandlung mit Nebido® wird das Gesamttestosteron direkt vor der nächsten Injektion, beim Testoviron® in der Mitte des Intervalls (1–1,5 Wochen nach der Injektion), bei den Gelen nach 1–2 Wochen Therapie und bei Andriol®-Kapseln 3–5 Stunden nach der Einnahme gemessen. Ziel ist ein Gesamttestosteronspiegel zwischen 12–24 nmol/l (je älter der Mann umso tiefer).
Steigt der Hämatokrit über 54% oder entwickelt sich eine Polyglobulie, muss die Therapie unterbrochen werden.
Eine Messung des PSA wird bei über 40-jährigen Männern vor Beginn einer Testosterontherapie empfohlen. Ist das baseline-PSA bereits >0,6 ng/ml, wird eine ­urologische Untersuchung empfohlen. Unter Testosterontherapie wird das PSA nach 3, 6 und alle 12 Monate gemessen [3]. Eine urologische Überweisung sollte bei palpablen Prostataknoten, einem PSA >1,4 ng/ml, ­einem Anstieg von mehr als 0,4 ng/ml pro Jahr (ver­glichen mit dem PSA gemessen nach 6 Monaten Therapie) oder obstruktiven Miktionsbeschwerden (mehr als 19 Punkte im International Prostate Symptom Score) erfolgen.

Fazit für die Praxis

• Bei der Abklärung eines Hypogonadismus wird das Gesamttestosteron morgens vor 9 Uhr nüchtern gemessen und ein pathologisches Resultat mindestens einmal nach mehreren Wochen mit einer wiederholten Messung bestätigt. Die Berechnung des freien Testosterons hilft, die Diagnose eines Hypogonadismus bei Abweichung der Bindungsproteine (SHBG) zu stellen.
• LH und FSH differenzieren zwischen einem hyper- und hypogonadotropen Hypogonadismus. Ein MRI der Hypophyse wird bei normalem oder erniedrigtem LH/FSH und einem Gesamttestosteron <5 nmol/l, Kopfschmerzen oder Gesichtsfeldausfällen empfohlen.
• Eine Testosterontherapie ist beim jüngeren hypogonaden Mann immer indiziert. Beim Entscheid für oder gegen eine Testosterontherapie bei über 65-jährigen Männern helfen neue Studienresultate (T-Trials) und die Besprechung der zu erwartenden Effekte und Risiken.
Dr. med. Sibylle Kohler
Spital Zollikerberg
Trichtenhauserstrasse 20
CH-8125 Zollikerberg
sibskohler[at]gmx.ch
1 Hypothalamic-pituitary-testicular axis disruptions in older men are differentially linked to age and modifiable risk factors: the European Male Aging Study. Wu, et al. J Clin Endocrinol Metab. 2008;93(7):2737–45.
2 Wu, et al. Identification of Late-Onset Hypogonadism in Middle-Aged and Elderly Men. N Engl J Med. 2010;363(2):123–35.
3 Testosterone Therapy in Men with Androgen Deficiency Syndromes: An Endocrine Society Clinical Practice Guideline. J Clin Endocrinol Metab. 2010;95(6):2536–59.
4 Brambilla DJ, et al. Intraindividual variation in levels of serum testosterone and other reproductive and adrenal hormones in men. Clin Endocrinol. (Oxf) 2007;67:853–62.
5 Snyder PJ, et al. Effects of testosterone replacement in hypogonadal men. J Clin Endocrinol Metab. 2000;85(8):2670–7.
6 Snyder PJ, et al. Effects of Testosterone Treatment in Older Men. N Engl J Med. 2016;374(7):611–24.