Unvergessliche Begegnungen beim Einsatz in Namibia
Ein Erfahrungsbericht

Unvergessliche Begegnungen beim Einsatz in Namibia

Reflektieren
Ausgabe
2018/14
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2018.01785
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2018;18(14):254-256

Affiliations
a FMH Allgemeine Innere Medizin und Infektiologie; b Assistenzarzt Innere Medizin

Publiziert am 24.07.2018

Die ärztliche Tätigkeit in einem peripheren Spital in Afrika bedarf einer grossen Flexibilität. Ist man bereit, sich unvoreingenommen auf dieses eindrückliche Arbeitsumfeld einzulassen, wird man durch viele unvergessliche Begegnungen mit äusserst freundlichen Leuten belohnt.

Andara selbst ist ein kleines Dorf am Ufer des Kavan- gos. Das Spital (ca. 120 Betten) verfügt über verschiedene Bettenstationen (je eine Bettenstation für Frauen und Männer, eine pädiatrische Station, eine Station für Geburtshilfe, sowie eine Tuberkulosestation), eine Notfall­station sowie ein allgemein-medizinisches Ambulatorium, das einer schweizerischen Permanence entspricht. Es arbeiteten drei Ärzte im Spital, die aus Uganda, Nigeria und Zimbabwe stammen. Bei unserer Ankunft waren es jedoch nur noch zwei, die sich auch die Dienste teilen. Dies ist für ein kleines Spital selbst bei gut geschultem Pflegepersonal eine schwierige ­Situation, da der Chefarzt häufig wegen Sitzungen und Rapporten abwesend war und de facto das Spital von einem einzigen Arzt betreut wurde. Die tägliche Arbeit beginnt – je nach Verfassung und Anzahl der anwesenden Ärzte – mit einem Rapport. Hierbei werden kurz die relevanten medizinischen Fälle der Vornacht vorgestellt sowie komplexe Fälle besprochen. Anschliessend werden die Patienten auf den Bettenstationen visitiert, Notfälle behandelt sowie – mehrheitlich nachmittags – das allgemein-medizinische Ambulatorium betreut. Die Aufteilung der Verantwortlichkeiten wird relativ spontan definiert. Notfälle werden meistens von demjenigen übernommen, der an diesem Tag Dienst – oder Lust – hat.
Nico Weber (links) und Matthias Hoffmann in Namibia.

Geduldiges Warten ist Teil der Kultur

Die häufigsten Krankheitsbilder sind entgegen der vorherrschenden allgemeinen Vermutung häufig vergleichbar mit denjenigen, die wir von der Arbeit in der Schweiz kennen. Irritierender Husten, unspezifische Kopfschmerzen oder chronische Rückenschmerzen sind wiederholt anzutreffende Symptome. Beispielhaft ­stehen hierfür die täglich jeweils nachmittags durch einen Schulbus zu uns transportierten Schüler einer nahegelegenen Schule, die das allgemein-medizinische Ambulatorium (über-)eifrig nutzen. Trotzdem, die typischen infektiologischen Krankheitsbilder der Tropen sowie die hohe HIV-Prävalenz von lokal 22% führen zu einer hohen Morbidität und Mortalität der lokalen Bevölkerung. Während unseres Aufenthaltes zeigte sich insbesondere eine Häufung von neu diagnostizierten Malariafällen, da es in der letzten Zeit zu länger andauernden und von der lokalen Bevölkerung lang ersehnten Regenfällen kam. Auch kommen die Patienten, die oft grosse Entfernungen zurücklegen müssen, um ins Spital zu gelangen, häufig erst in ­einem bereits fortgeschrittenen Krankheitsstadium. Ins­gesamt ist von Seiten der Ärzte und entsprechend auch der Patienten ein hohes Mass an Flexibilität und Spontanität erforderlich, und geduldiges Warten ist Teil der (Spital-)Kultur.
Von den Mitarbeitern wurden wir am ersten Arbeitstag herzlich empfangen. Offensichtlich und auch erfreulicherweise sind sich die Leute die Mitarbeit durch das Mudiro-Personal gewöhnt. Entsprechend wurden wir rasch in die tägliche Arbeit integriert.
In Anbetracht der hohen Patientenanzahl und häufi- gen Dienstpflichten wurde unsere Mitarbeit zur Entlastung besonders geschätzt. Es ermöglichte zudem, dass Patienten intensiver betreut werden können. Es fand ein kontinuierlicher fachlicher Austausch ­zwischen den Ärzten und dem Pflegepersonal am Pa­tientenbett oder während der morgendlichen Be­sprechung statt. Insbesondere «Dr. James», ein ursprünglich aus Uganda stammender Chirurg, zeigte sich sehr interessiert, was aus der Erfahrung nicht immer selbstverständlich ist. Wie auch in der Schweiz ist der Austausch und das Interesse sehr individuell und von der Interaktion zwischen den «Mudiro»-Ärzten und den lokalen Mitarbeitern abhängig.
Matthias Hoffmann und Nico Weber bei der Arbeit

Ein beeindruckend breites medizinisches Spektrum

Die Ärzte in den kleinen, peripher lokalisierten Spitälern wie demjenigen in Andara müssen ein sehr breites medizinisches Spektrum abdecken, was uns sehr beeindruckt hat. Dies beinhaltet neben den internistischen Disziplinen, kleinchirurgische Eingriffe, pädiatrische Arbeit sowie Tätigkeiten der Geburtshilfe. Dies hat zur Folge, dass wir auch häufig die Expertise unserer afrikanischen Kollegen in Anspruch nehmen mussten. Demgegenüber konnten wir, nach vorgängiger Evaluation der Bedürfnisse, ­spezifische Weiterbildungen und Schulungen durchführen.
Die tägliche Visite und Arbeit am Patienten zeigte sich als geeignete Plattform, direkt Inhalte anzusprechen und die Gründe unseres Handelns zu erklären. Insbe- sondere das Pflegepersonal konnte so gut miteinbezo- gen werden. Während der ersten Wochen unseres Aufenthaltes waren mehrere Studenten der namibischen Pfleger/-innenschule auf den verschiedenen Stationen verteilt, die gerne Fragen stellten und sich über unser Bedside-Teaching freuten. Ein nach unserer Information bisher kaum benutztes EKG-Gerät wurde nach kurzer Schulung der Handhabung vermehrt angewendet und regelmässig als diagnostisches Basismittel ­genutzt.
Matthias Hoffmann am Ultraschallgerät.
Jeweils am Dienstagmorgen findet eine inter­disziplinäre Weiterbildung für das Personal aller Disziplinen statt. Diese wird meist durch einen der Ärzte durchgeführt und gestaltet. Als Infektiologe konnte Matthias in diesem Rahmen in mehreren Vorträgen die Grundlagen der Spitalhygiene, die rationale Antibiotikatherapie und die Basiskonzepte der Therapie häufiger infektiologischer Krankheitsbilder unter Berücksichtigung der lokalen Ressourcen vermitteln. Themenbereiche, wo sicherlich Aufklärungsbedarf besteht, denn die Antibiotikaverschreibungspraxis hat eine irrational hohe Zahl von Verschreibungen (90% aller Rezepte!) erreicht. Da der nicht adäquate Antibiotikaeinsatz zu Resitenzbildungen führt und die ­wenigen vorhandenen Basisantibiotika zu­nehmend unwirksam werden dürften, ist dies ein besonders wichtiges Anliegen, das zukünftig hoffentlich in den Alltag integriert werden wird.
Wir hatten die Möglichkeit, mit einer für die Umgebung verantwortlichen Sozialarbeiterin – bemerkenswerterweise die Einzige für die gesamte Region ­Kavango East – umliegende Dörfer und deren Dorfbewohner zu besuchen. Tragischerweise trafen wir dabei auf mehrere, offensichtlich an Lepra erkrankten Patient/-innen. Zudem konnten wir ein Barackendorf inmitten eines Naturparks im Caprivi-Streifen besuchen. Dessen Bewohner, die San (Bushmen), eine ursprünglich auf das Nomadentum und die Jagd spezialisierte Volksgruppe, wurde während den vergangenen militärischen Konflikten in dieses Dorf umgesiedelt. Hier ist es der Bevölkerung verboten, weiterhin der Wildjagd nachzugehen. Die Perspektivlosigkeit, insbesondere der jungen Bewohner, führt zu einer erschreckend hohen Rate an Alkoholismus. Zum Zeitvertrieb wird bereits früh morgens eine selbst produzierte Alkoholbrühe konsumiert, was die sozialen Spannungen unterhält. Sozialarbeiterin versucht geduldig und mit Hilfe eines lokal ansässigen Mitarbeiters, Problemfälle zu erkennen und durch wiederholte Besuche Alternativen anzubieten.
Die ärztliche Tätigkeit in einem peripheren Spital in Afrika bedarf einer grossen Flexibilität. Die einge- schränkten Ressourcen sowie eine unterschiedliche Spitalkultur forderten uns in der täglichen Arbeit. Ist man sich dessen bewusst und bereit, unvoreingenommen dieses eindrückliche Land und Arbeitsumfeld zu besuchen, wird man bei der Arbeit und in der Freizeit durch viele unvergess­liche Begegnungen mit äusserst freundlichen Leuten belohnt.

Mudiro «every life counts»

In Simbukushu heisst Mudiro «das Feuer». Leidenschaft, Geduld und Herzblut zeichnen das Feuer von Mudiro aus. Sie sind gefragt, um Ziele miteinander schneller zu erreichen.
Der Verein Mudiro wurde im Oktober 2014 in Münsingen 
gegründet. Wir arbeiten als Ausbildungsprojekt im Norden von 
Namibia in Rundu, Nankudu und in den beiden Buschspitälern Nyangana und Andara. Viermal jährlich reisen sogenannte Fieldteams, bestehend aus Schweizer Ärztinnen und Ärzten und medizinischem Fachpersonal, nach Namibia, um Schulungen für die lokalen Ärztinnen und Ärzte und das Pflegepersonal zu geben und ihre lokalen Kollegen in den Buschspitälern in ihrer täglichen schweren Arbeit zu unterstützen. Dabei bietet dieses Modell auch dem schweizerischen medizinischen Fachpersonal die Möglichkeit, sich anhand der Erfahrungen der Kollegen in einem Ressourcen-armen Gebiet weiterzubilden und diese Erfahrungen in den medizinischen Heimatalltag hineinzutragen.
Die Herangehensweise von Mudiro unterscheidet sich von vielen der grossen Hilfsorganisationen: Als Ausbildungsprojekt in einer eng umschriebenen Region auf verschiedenen Gebieten helfen. Nahe am Patienten und den Bewohnern sein, Erfolge und Misserfolge viel unmittelbarer sehen, die Effektivität seiner Arbeit direkt erkennen und reagieren.
Die Idee, ein medizinisches Ausbildungsprojekt aufzubauen, ist über viele Jahre gewachsen. Wir sehen es als grosse Herausforderung, Ärztinnen und Ärzte auf ihrem Weg durch das unbekannte Namibia zu begleiten und dadurch einen nachhaltigen Wissensaustausch und direkte Hilfe vor Ort zu realisieren. Medizinische Hilfe leisten heisst für Mudiro, dass die Ärztinnen und Ärzte aus der Schweiz einen freiwilligen Arbeitseinsatz an diversen Standorten in Namibia leisten. Sie geben ihr Fachwissen weiter, betreten aber neues, ungewohntes Terrain und nehmen so unzählige neue Erfahrungen und Eindrücke mit nach Hause.
Seit jeher ist das soziale Engagement für Mudiro eines der wichtigsten Ziele. Auch gerade in diesem Bereich sind Weiterentwicklungen in Gange, wie das Bauen von neuen Kindergärten und die Förderung der Gesundheit, indem wir zusammen mit den Einheimischen Hand in Hand die Wasserversorgung gewährleisten. So hoffen wir natürlich auch auf eine anhaltende Nachhaltigkeit bei der Verbesserung der Lebensumstände.
Für mehr Informationen und lesenswerte Erfahrungsberichte besuchen Sie unsere Homepage: www.mudiro.com. Interessieren auch Sie sich für einen Einsatz? «Mudiro» sucht qualifizierte ­Ärztinnen und Ärzte mit Ausbildnererfahrung und – wenn möglich – Auslanderfahrung, die sich einer bereichernden Herausforderung stellen möchten.
Barbara Müller
Dorfmattweg 43
CH-3110 Münsingen
barbara.mueller[at]mudiro.com