Die Ärzte und ihre verborgene Krämerseele
Marktplatz Gesundheitswesen

Die Ärzte und ihre verborgene Krämerseele

Reflektieren
Ausgabe
2018/18
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2018.01806
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2018;18(18):329-330

Affiliations
Ehemaliger Redaktor PHC, pensionierter Hausarzt in Ziefen BL

Publiziert am 26.09.2018

Der grösste Teil der Ärztinnen und Ärzte macht einen guten Job. Trotzdem nimmt der Hofnarr wieder einmal seine Rolle wahr. – Und dies sei auch noch erwähnt: In einem Land wo die Einwohner/-innen jährlich alleine für den Auslandtourismus über 15 Milliarden Franken ausgeben, ist immer noch Luft nach oben!

Ich muss immer wieder schmunzeln über die verschiedenen Statements von Fachgesellschaften in den letzten paar Jahren, wo betont wird, dass die innovative Methode X oder das neue Programm Y kostendämpfend wirke. Zum Beispiel die Neurologen in der SAEZ [1]. Aber auch wir Hausärzte betonen gerne immer wieder, dass wir die Sparsamen seien. Gewiss gibt es die störenden gewaltigen Einkommensunterschiede, und es besteht kein Zweifel, dass Kinder- und Hausärzte nicht zu den grössten Kostentreibern gehören. Aber bei jeder Tarifänderung kommt es auch in unserer ­Ärztegruppe zu angeregten Diskussionen, wie und wo man am meisten herausholen könnte. Stellt jeder Hausarzt pro Jahr Fr. 10 000.– mehr in Rechnung, resultieren bei geschätzt 8000 Kolleginnen und Kollegen Mehrkosten von 80 Millionen! Dass Ärzte «geschäften» ist menschlich und verständlich, da wir als «KMU» Löhne und Mieten bezahlen, Familien ernähren, in die Ferien gehen, die Altersvorsorge aufbauen und das Privileg beanspruchen, am Schluss einen guten Reingewinn zu erzielen.
Manchmal nervt mich aber das gebetsmühlenartige Herunterspulen von Beteuerungen von allen Seiten, dass man selbst spare und damit natürlich impliziert, dass die andern die «Teuren» seien. Das geht einfach nicht auf. Wir Hausärzte, da fresse ich einen Besen, verordnen zum Beipsiel heute viel mehr (ich schätze ­doppelt bis dreimal so viele) MRI als noch vor 15 Jahren. Wenn wir nun zum Beispiel also den Radiologen vorwerfen, sie würden viel mehr Untersuchungen ­machen, dann sind auch wir daran beteiligt. Trotzdem übertreffen uns andere Fachgesellschaften natürlich kostenmässig um ein Vielfaches. Ich möchte zwei ­Kostentreiber nennen, die mir besonders ins Auge stechen. Neue Therapien in der Rheumatologie und Onkologie. Als junger Mediziner in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts kannte ich für die Behandlung von rheumatischen Erkrankungen die NSAR (nicht-steroidale Antirheumatika), Steroide und einige Exoten wie Gold, Malariamittel u.a.m. Kostenpunkt: ein Pappenstiel. Heute dominieren die Immuntherapien, und sie zeigen erfreuliche bis fantastische Erfolge. Ich mag es den geplagten Arthritikern gönnen. Ich kenne einige Patienten, die nur deswegen immer noch ihrer ­Arbeit nachgehen können. Aber diese teuren Therapien ziehen immer grössere Kreise und Begehrlich­keiten nach sich. Ich weiss nicht, ob das jemand ­hochgerechnet hat, aber die Therapiekosten in der Rheumatologie dürften in den letzten 20 Jahren ­explodiert sein. In der Onkologie beobachten wir dieses Phänomen noch wesentlich verstärkt. Heute sind ­Therapiekosten von mehreren hunderttausend Franken pro Krankheit und Patient keine Seltenheit mehr, und eine Ende ist nicht abzusehen. Es gibt kein Fach, das ausgespart bleibt: Augenärztinnen, Urologen, Kardiologinnen, Orthopäden, Gynäkologinnen – überall Neuigkeiten in Diagnostik und Therapie. Begreiflicherweise verkündet kein Mensch die News, es werde dadurch noch teurer.
Im Gegenteil: Sobald sich ein Ökonome finden lässt (und der findet sich immer), der ausrechnet, wie viel man einspart an Hospitalisationen, Rollstühlen, Renten usw. wird dies hinausposaunt. Ich zitiere die Neurologen im erwähnten Artikel: «Auch wenn die neuen MS-Therapien kostspielig sind, erlauben sie in hohem Masse, indirekte Kosten zu vermeiden». Kurz gesagt, ich plädiere für mehr Bescheidenheit. Die Fachspezialisten sollten sowieso zurückhaltend sein mit der Behauptung, sie würden Kosten einsparen, da sie gerne sektoriell denken und rechnen! Beispiel: Wenn die Kardiologen vielen Menschen zu einem längeren Leben verhelfen (und das tun sie wirklich), hat das einen Einfluss auf die Kosten von Betreuung und Therapie von zehntausenden länger lebenden alten Menschen. Man denke nur an die Dementen.
Es sagt sich so einfach. Wir alle sollten bei uns selbst beginnen. Goethe: «Ein jeder kehre vor seiner Tür, Und rein ist jedes Stadtquartier.» [2] Davon sehe ich wenig, auch bei uns Hausärztinnen und Hausärzten nicht. Es ist halt einfach so, wir haben tief in uns verborgen eine Krämerseele. Achten Sie in den folgenden Wochen und Monaten einmal darauf, wie und von wem betont wird, was wegen ihm oder seiner Fachgesellschaft alles kostengünstiger ist oder wird. Man kann es auch humorvoll nehmen und sich einen Marktplatz vorstellen, wo Früchte- und Gemüsehändler ihre Produkte anbieten. Haben Sie jemals einen Marktverkäufer gehört, der rief: «Meine Damen und Herren, hierher, hier finden Sie die besten und teuersten Erdbeeren!»?
Dr. med. Edy Riesen
Facharzt für ­Allgemein­medizin FMH
Hauptstrasse 100
CH-4417 Ziefen
edy.riesen[at]hin.ch
1 Jung HH, Arnold M, Du Pasquier R, Hottinger AF, Kägi G, Kappos L, et al. Fulminanter Nutzenzuwachs in der Neurologie (Teil 1). Schweiz Ärzteztg. 2017;98(43):1394–1395.
2 Johann Wolfgang von Goethe, (1749–1832), Gedichte. ­Nachlese, Zahme Xenien, 9., «Bürgerpflicht».