Im Rahmen des Hausarztkongresses 2018 in Arosa fand ein Workshop Outdoormedizin statt, geleitet von Andreas Fischbacher und Edith Oechslin, beide Hausärzte in Graubünden. Das Ziel des Kurses war, einfache Tipps und Tricks zur Bewältigung von alltäglichen Notfallsituationen im Gelände zu vermitteln.
Einführung
Grundsatz
Bei Unfällen abseits der Zivilisation herrscht schnell einmal ein Chaos. In einer solchen Ausnahmesituation soll die erfahrenste Person die Führungsfunktion übernehmen.
Sicherheit
In erster Linie muss die eigene Sicherheit und die der Begleiter beurteilt werden, bevor man sich dem Verletzten oder Kranken widmen darf/soll. Erst wenn die objektive Sicherheit des Retters und des Verletzten gewährleistet ist, kann mit der Ersten Hilfe begonnen werden.
Alarm
Die Alarmierung soll möglichst früh erfolgen. Bei einfachen Verletzungen soll erst alarmiert werden, wenn definitiv klar ist, dass der Verletzte nicht mehr gehfähig oder der Weg für ihn nicht zu meistern ist. In abgelegenen Gebieten oder in den Bergen ist es denkbar, dass kein Handyempfang besteht, sodass der Retter vollständig auf sich alleine gestellt ist; in einer Gruppe kann idealerweise eine zweiköpfige Delegation zur Alarmierung freigestellt werden.
Ursachen
Es gibt viele Ursachen für Notfälle im Outdoorbereich: Nebst Unfällen, widrigen Witterungsbedingungen (Blitz, Kälte, Hitze, Sauerstoffmangel), Tierbissen und Infektionen, können auch Krankheiten (Myokardinfarkt, Insult, Blutungen) Grund für die medizinische Notfallsituation sein. Die Evaluation erfolgt nach dem gängigen ABC-Algorithmus. Wenn die Vitalfunktionen stabilisiert werden können, wird anschliessend ein Body-Check durchgeführt zur Erfassung weiterer bzw. zugrundeliegender Probleme/Verletzungen.
In unserem Workshop haben wir bewusst auf die Behandlung von vital bedrohten Patienten verzichtet. Hier gelten selbstverständlich die bekannten Richtlinien und Guidelines nach BLS (Basic Life Support), ALS (Advanced Life Support) und ATLS (Advanced Trauma Life Support).
Schutz vor Auskühlung
Auf Schnee oder kaltem Untergrund kann ein Patient in liegender Position rasch auskühlen. Deswegen ist es wichtig, möglichst rasch für eine Isolation zu sorgen. Dafür kann der Rucksack angelassen und ein zweiter Rucksack unter das Gesäss geschoben werden. Alternativ kann eine Aludecke auf den Boden gelegt, wärmende Jacken und Decken oder Rucksäcke daraufgelegt, anschliessend der Patient damit eingewickelt werden (Abb. 1). Die allseits empfohlene Aludecke alleine schützt überhaupt nicht vor Auskühlung, da die metallene Folie direkt auf dem kalten Untergrund eine Kältebrücke bildet. Wenn vorhanden, kann der Patient auch in Haushaltsfolie eingewickelt werden, ist leicht und praktisch anzuwenden.
Wundbehandlung im Gelände
Oberflächliche Wunden, die nicht stark bluten, können mit einer möglichst sauberen Kompresse abgedeckt und fixiert werden.
Stark blutende Wunden im Gelände sollen durch manuellen Druck auf die Wunde direkt oder durch Abdrücken des Gefässes gestillt werden. Wenn nötig kann ein improvisierter Druckverband angefertigt werden, um den Blutverlust möglichst gering zu halten. Beim Druckverband werden ein bis zwei straffe Bindetouren über die Wunde geführt, danach ein harter Gegenstand in Wundgrösse (Stein) auf die Wunde gelegt und mit weiteren straffen Bindetouren fixiert. Der Puls peripher sollte noch tastbar sein, damit der entferntere Teil der Gliedmasse nicht abstirbt.
Behandlung von Blasen
Nach Wundreinigung/Desinfektion (falls vorhanden) soll die Blase mit einem Stück eines Plastiksackes (nicht bedruckte Seite) oder Frischhaltefolie, wenn vorhanden, abgedeckt und fixiert werden. Dieser improvisierte Plastikverband muss alle zwölf Stunden gewechselt und die Wunde erneut gereinigt werden. Die Wunde soll zwischendurch auch möglichst offengelassen und erst wieder abgedeckt werden, wenn die Reise weitergeht.
Stabilisierung
Im Gelände ist eine Behandlung nur schwierig durchführbar. Mit einfachen Massnahmen kann der spätere Transport für den Patienten erleichtert und die Schmerzen können einigermassen kontrolliert werden.
Schienung mittels SAM-Splint
Der SAM-Splint wurde durch Sam Scheinberg, MD, einem amerikanischen Orthopäden entwickelt. Mit dieser Schiene können sowohl Halswirbelsäule, Ellbogen, Handgelenk, Finger sowie Knie, Unterschenkel und Füsse stabilisiert werden.
Gemäss ATLS-Richtlinien soll bei einem bewusstlosen Patienten nach Unfall immer die HWS immobilisiert werden. Mit dem SAM-Splint ist eine schnelle improvisierte Immobilisation der HWS möglich. Ein erster Helfer stabilisiert den Kopf und die Halswirbelsäule, während der zweite Helfer den flachen SAM-Splint unter dem Nacken durchschiebt und einmal um den Hals wickelt. Dabei muss das Kinn aufgeladen werden, so werden gleichzeitig auch die Atemwege offengehalten. Der erste Helfer, der den Kopf hält, muss diese Bewegung zulassen. Der restliche SAM-Splint wird um den Hals gewickelt. Der SAM-Splint am Hals ist erst stabil, wenn seitlich je ein Knick gemacht wird (Abb. 2).
Die Stabilisierung der Extremitäten mittels SAM-Splint ist ebenso einfach. Die Schiene muss initial halbröhrenförmig vorgebogen werden, damit sie die gewünschte Stabilität erreicht. Idealerweise wird die Schiene an der verletzten Extremität inklusive angrenzenden Gelenken angelegt. Die Schiene wird primär auf der gesunden Seite angepasst und vorgeformt, um die Manipulation an der schmerzhaften Extremität möglichst gering zu halten. Danach wird die SAM-Splint-Schiene angelegt und mit einer elastischen Binde oder einem Tape fixiert (Abb. 3). Die Ruhigstellung in der Schiene führt zu einer Schmerzlinderung. Selbstverständlich können gleichzeitig bzw. vor Anlegen der Schiene auch vorhandene Analgetika verabreicht werden.
Schuhe sollen nicht ausgezogen, die Schnallen oder Schuhbänder aber geöffnet bzw. gelockert werden. Bei offenen Frakturen soll die Fraktur möglichst steril abgedeckt und anschliessend mittels SAM-Splint ruhiggestellt werden.
Alternative Stabilisierungen
Der SAM-Splint eignet sich nicht zur Stabilisierung von Oberschenkelfrakturen. Behelfsmässig können die beiden Beine zusammengebunden werden.
Ebenso ist die Stabilisierung von Schulterverletzungen durch den SAM-Splint nicht ideal. Schultern können jedoch einfach mittels Jacke oder T-Shirt fixiert werden. Dabei wird die Jacke oder das T-Shirt von hinten soweit als möglich über die Schulter der verletzten Seite hinaufgezogen und der untere Teil der Jacke oder des T-Shirts wird dann vorne über den verletzten Vorderarm gestülpt (Abb. 4). Sollte diese Fixation noch nicht ausreichen, kann der Patient mit dem unverletzten Arm zuerst in die Jacke schlüpfen. Der Ärmel auf der verletzten Seite wird eingestülpt und wirkt somit zusätzlich als Polster. Die Jacke wird über den verletzten Arm gezogen ohne in den Ärmel zu schlaufen, da dieser ja eingestülpt ist. Anschliessend wird die Jacke unterhalb des verletzten Armes mit einem Gurt oder Seilstück straff angezogen (Abb. 5).
Luxationen
Schulterluxation
Wenn eine Humerusfraktur nicht sicher ausgeschlossen werden kann, ist ein Repositionsversuch absolut kontraindiziert. Wenn jedoch sicher keine Fraktur vorliegt, kann eine erfahrene Person einen Repositionsversuch wagen. Bei einer reinen Luxation kann im Gegensatz zur Humeruskopffraktur der Ellbogen nicht mehr an den Körper gebracht werden, und meist kann der ausgekugelte Kopf von aussen gesehen werden. Unbedingt mit der Gegenseite vergleichen. Es gibt unzählige Methoden zur Schulterreposition. Idealerweise wählt man die Methode, die man am besten kennt. Die Reposition gelingt nur, wenn der Patient schmerzfrei ist. Das beste Analgetikum ist eine schonende Technik und das Vertrauen des Patienten in den Arzt.
Ellbogenluxationen
Ellbogenluxationen sind selten und kaum im Gelände zu reponieren. Eine möglichst rasche Immobilisation und dann der Transport ins nächste Spital ist deshalb notwendig.
Fingerluxationen
Fingerluxationen sollen sofort reponiert werden. Meist luxiert der Finger nach dorsal, selten nach lateral oder ventral. Üblicherweise umgreift der Arzt/die Ärztin den betroffenen Finger mit beiden Händen und extendiert unter Zug das PIP-Gelenk. Darauf folgt die Flexion im PIP-Gelenk. Bei stabilen Verhältnissen genügt ein einfaches Taping des Fingers, bei instabiler Situation ist eine dorsale Schienung angezeigt
Fingerringe sollen bei jeder Handverletzung möglichst rasch entfernt werden, solange die Schwellung noch nicht zu gross ist (Abb. 6)!
Hüftluxationen
Hüftluxationen sind sehr schwierig zu reponieren, der Betroffene sollte deshalb auf dem schnellstmöglichen Weg ins Spital.
Patellaluxationen
Patellaluxationen sind relativ häufig. Zur Reposition der Patella kann das Knie durchgestreckt werden, gleichzeitig wird die Patella mit leichtem Druck von lateral reponiert. Anschliessend erfolgt die Stabilisierung des Kniegelenks.
Luxationen des oberen Sprunggelenks (OSG)
OSG-Luxationen sind meist mit einer komplexen Fraktur verbunden und sollten möglichst rasch reponiert und fixiert werden, um zusätzliche Weichteilschäden zu vermeiden. Der Patient wird von einem ersten Helfer festgehalten, der zweite Helfer bereitet den SAM-Splint zur Schienung am gesunden Bein vor. Er fasst dann den Fuss an Ferse und Fussspitze mit beiden Händen und zieht progressiv und stark, nicht ruckartig, in der Richtung der Luxation, und im Anschluss in Längsrichtung des Beines (Abb. 7). Nach erfolgreicher Reposition wird der Fuss möglichst rasch fixiert. Ist eine Reposition nicht möglich, sollen keine weiteren Versuche erfolgen, sondern der Fuss in der luxierten Stellung gut fixiert und der Patient möglichst rasch abtransportiert werden.
Transporttechniken
Rucksacktechnik
Ein nicht bewusstloser Patient kann mit Hilfe eines Rucksacks kurze Strecken getragen werden. Der Rucksack mit den längsten Riemen wird ausgewählt. Der Patient steigt mit Hilfe des Trägers in die Rucksacktragriemen, die möglichst lang gemacht werden. Daraufhin zieht der Patient den Rucksack möglichst hoch über seine Hüften. Der Träger schlüpft in die Tragriemen und stemmt sich hoch, dazu braucht er möglicherweise Hilfe einer Zweitperson, ansonsten kann er sich zum Beispiel an Bäumen, Zäunen oder Steinen aufziehen. Idealerweise polstert er zusätzlich seine Schultern mit Handschuhen, Mützen usw. Der Rucksack kann gefüllt bleiben, sofern das Gewicht nicht allzu gross ist. Der Patient kommt hoch über die Schultern des Trägers zu liegen (Abb. 8). Idealerweise schliesst der Träger den Hüftgurt unter den Beinen des Patienten, damit das Gewicht auf den Hüften aufliegt. Der Patient kann seinen Rucksack weiterhin tragen.
Seiltechnik
Mit einem Seil kann innert weniger Minuten ein praktisches Traggerät hergestellt werden. Das Seil wird zu einem Ring aufgenommen und halbiert, bzw. in Form einer Acht auf den Boden gelegt. Der Patient steigt in den Seilring und zieht den Seilsitz über seine Hüften. Der Helfer lädt die Last auf, während des Anhebens muss er das Seilpaket immer gegen den Hals drücken, damit es nicht über die Schultern abrutscht. Der Seilknoten soll am Rücken des Patienten liegen (Abb. 9). Achtung: die Seilringgrösse muss der Körpergrösse des Trägers und des Patienten angepasst werden.
Rucksacktrage
Bewusstlose Patienten können mit den obengenannten Methoden nicht getragen werden. Da eignet sich eine Rucksacktrage, die einfach aus drei bis vier Rucksäcken hergestellt werden kann. Die Rucksäcke müssen dabei nicht geleert werden, leichtes Füllmaterial ist sogar ideal (Daunenkleider usw.), nur spitze Gegenstände oder harte Flaschen sollten eventuell entfernt werden. Die Rucksäcke werden in einer Reihe auf dem Boden ausgelegt und mittels Tragriemen untereinander verbunden. Dafür müssen die Tragriemen ausgeschlauft, notfalls die Blockierungsnähte sogar aufgeschnitten werden. Die Beckengurte werden breit offengelassen. Die Trage wird möglichst nahe beim Patienten gebaut, dieser wird dann mittels Kleider- oder Brückengriff direkt auf die bereitliegende Rucksacktrage gelegt und mit den vorbereiteten Beckengurten fixiert (Abb. 10).
Fazit
Unvorhergesehene Ereignisse im Gelände können rasch in eine ausgeprägte Stresssituation ausarten. Durch einfache Massnahmen können Verletzte im Gelände provisorisch versorgt und abtransportiert werden. Es ist wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren, dann ist mit dem vorhandenen Material viel zu erreichen. Der Kreativität sind kaum Grenzen gesetzt, aussergewöhnliche Situationen erfordern auch aussergewöhnliche Massnahmen.
Verdankung
Herzlichen Dank an Urs Wiget für die kritische Durchsicht, Ergänzungen und diverse Fotos.
Korrespondenz
Dr. med. Edith Oechslin-Decurtins Fachärztin FMH Allgemeinmedizin Medizinisches Zentrum gleis d Gürtelstrasse 46 CH-7000 Chur E.Oechslin[at]mez-chur.ch
Literatur
1 Brunello A, Walliser M, Hefti U. Gebirgs – und Outdoormedizin. Erste Hilfe, Rettung und Gesundheit unterwegs. 2011, 2. Auflage
2 Hefti U, Walliser M, Fluri P, Walter D. Erste Hilfe für Wanderer und Bergsteiger. 2016, 4. völlig überarbeitete Auflage
3 Wiget Urs, div. Vorträge.
4 Zafren K, Wiget U. Expedition Self-Rescue and Evacuation. In Bledsoe GH, Manyak MJ, Townes, DA. Expedition and Wilderness Medicine. Cambridge University Press: New York, 2009.