Die Macht der falschen Überschriften
Kommentar zum Entscheid des Presserates vom 20.8.2018

Die Macht der falschen Überschriften

Kommentar zu einem aktuellen Thema
Ausgabe
2018/20
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2018.01835
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2018;18(20):353

Affiliations
Pensionierter Hausarzt und pensionierter Vorsteher des Institutes für Hausarztmedizin der Universität Basel

Publiziert am 24.10.2018

Ein Kommentar zum Entscheid des Presserates vom 20.08.2018.

Ich bin überzeugt, Sie haben diesen Text nur wegen dieser Überschrift zu lesen begonnen – und Sie haben ganz normal reagiert. Es kann davon ausgegangen werden, dass auf der Frontseite einer Tageszeitung (ausser bei krassen Layoutfehlern) alle Schlagzeilen gelesen werden. Die Lesequote einer Tageszeitung beträgt hingegen maximal 17–20%. Das heisst: Nur etwa 20% der Artikel werden zu 100% gelesen (Resultat von Readerscan-Studien, mit denen das Leseverhalten von Printmedien erforscht wird). Wenn wir diese Zahlen kennen, ist nachvollziehbar, warum die Printmedien «prägnante» Überschriften für ihre Artikel suchen. Auch ist klar, dass eine reisserisch aufgemachte Überschrift eher in Erinnerung bleibt als eine unverfängliche oder sachliche Schlagzeile.

«Hausärzte – So ungenau untersuchen sie» und «Dr. med. Unzuverlässig»

Am 7. Januar 2018 veröffentlichte die SonntagsZeitung einen Artikel mit dem Haupttitel «Dr. med. Unzuverlässig». Auf der Titelseite war der Artikel so ­angerissen: «Hausärzte – So ungenau untersuchen sie». Darauf hat Primary and Hospital Care mit einem Editorial von Chefredaktor Stefan Neuner reagiert [1]. Und ...? Sollten weitere Schritte unternommen werden? Sollen wir (Haus-)Ärztinnen und Ärzte solche Überschriften einfach tolerieren im Zeitalter, da viele Leute nur noch Überschriften lesen und Fake News überhand nehmen? Oder sollen wir den Finger darauf halten und verlangen, dass auch bei der (Haus-)Ärzteschaft die Überschriften sorgfältig zu gestalten sind? Mit dem Anriss und dem Titel des Artikels wird von unzuverlässigen Methoden auf die Unzuverlässigkeit der (Haus-)Ärzteschaft geschlossen. Somit wird eine ganze Berufsgruppe diffamiert. Da die SonntagsZeitung auf eine beantragte Berichtigung nicht einging, habe ich beim Schweizer Presserat eine Beschwerde eingereicht.

Rote Karte für die SonntagsZeitung 
oder 2x Gelb gibt Rot

Der Presserat behandelte die Beschwerde an der Sitzung vom 12. Juli 2018 sowie auf dem Korrespondenzweg und hat festgehalten (Wahrheit / Trennung von Fakten und Kommentar / Berichtigungspflicht, Stellungnahme des Schweizer Presserats 25/2018 vom 20. August 2018):
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.
2. Die SonntagsZeitung hat mit einem täuschenden Frontanriss zum Artikel «Dr. med. Unzuverlässig» vom 7. Januar 2018 die Ziffern 1 (Wahrheit) sowie 5 (Berichtigungspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.
3. Die SonntagsZeitung hat die Ziffer 2 der «Erklärung» (Trennung von Fakten und Kommentar) nicht verletzt.
Der Abschlussbericht des Presserates kann unter Stellungnahmen 25/2018 eingesehen werden:

Mut und Selbstvertrauen

Was sind meine Schlussfolgerungen:
– Auch als (Haus-)Ärztinnen und Ärzte müssen wir uns medial nicht alles gefallen lassen.
– Auch wir (Haus-)Ärzte müssen uns im Zeitalter von Fake News und Alternative Facts für einen seriösen und fundierten Journalismus einsetzen.
– Mut, Hartnäckigkeit und Zivilcourage sind Werte, die in der (Haus-)Ärzteschaft einen hohen Stellenwert einnehmen. Das Beispiel zeigt: Es lohnt sich, sich dafür einzusetzen, auch in der Medienlandschaft, und auch wenn der Weg zeitaufwendig und mühsam ist.
– Und was gewinnen wir damit? Positive Rückmeldungen aus der Bevölkerung und eine Steigerung des Selbstwertes und des Selbstvertrauens.

Kurz: Aufwand und Ertrag stimmen!

Prof. em. Dr. med. Peter Tschudi
Rosenweg 4
CH-4103 Bottmingen
Peter.Tschudi[at]unibas.ch
1 Neuner-Jehle S, Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Zeitung. Prim Hosp Care (de). 2018;18(02):23.