Wie wirkt die Nutzung und die Strahlung von Mobiltelefonen auf Jugendliche?
Resultate der prospektiven HERMES Kohortenstudie

Wie wirkt die Nutzung und die Strahlung von Mobiltelefonen auf Jugendliche?

Lehren und Forschen
Ausgabe
2018/21
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2018.01852
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2018;18(21):386-388

Affiliations
a Swiss Tropical and Public Health Institute, Basel, Switzerland; b Department of Health Sciences and Health Policy, University of Lucerne, Lucerne, Switzerland; c Institute of Primary Health Care (BIHAM), University of Bern, Bern, Switzerland; d University of Basel, Basel, Switzerland

Publiziert am 07.11.2018

Praktisch alle Jugendlichen nutzen täglich ein Mobiltelefon. Die HERMES Studie hat untersucht, ob die Nutzung und die Strahlung von drahtlosen Kommunikationsgeräten einen Einfluss auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität, das Verhalten und die kognitiven Fähigkeiten von Jugendlichen haben.

Einleitung

Das Mobiltelefon ist allgegenwärtig, insbesondere bei Jugendlichen: 99% der Jugendlichen in der Schweiz besitzen heutzutage ein Mobiltelefon, und das Mobiltelefon stand bei medialen Freizeitaktivitäten an erster Stelle [1]. Mobiltelefone emittieren hochfrequente elektromagnetische Felder (HF-EMF). Zudem könnten andere Aspekte der Mobiltelefonnutzung wie nächtlicher oder exzessiver Gebrauch auch einen Einfluss auf die Gesundheit haben. Gesundheitsfolgen im Zusammenhang mit Mobiltelefonnutzung hätten aufgrund der häufigen und verbreiteten Nutzung eine grosse Relevanz für die Bevölkerung und das Gesundheitssystem. Um diese Wissenslücke in der Schweiz zu schliessen, wurde die HERMES (Health Effects Related to Mobile phonE use in adolescentS) Studie durchgeführt.

HERMES Studie

Die HERMES Studie ist eine prospektive Kohortenstudie mit Jugendlichen aus der Zentralschweiz und der Region Basel. Die Basis- und Folgeerhebung lagen etwa zwölf Monate auseinander. Die Studie hat den Zusammenhang zwischen Mobiltelefonnutzung und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität, dem Verhalten und den kognitiven Fähigkeiten von Jugendlichen untersucht. Die Studienpopulation bestand aus zwei Kohorten (Kohorte 1 und Kohorte 2). Die Datenerhebung für die erste Kohorte fand zwischen 2012 und 2014 statt, diejenige für die zweite Kohorte zwischen 2014 und 2016. Insgesamt wurden 895 Jugendliche der 7. und 8. Klassen (Alter: 12 bis 17 Jahre) und deren Eltern mittels eines Fragebogens zur Mobiltelefonnutzung, der gesundheitsbezogenen Lebensqualität, dem Verhalten sowie relevanten weiteren Einflussfaktoren befragt. Die kognitiven Fähigkeiten wurden mit standardisierten Computertests gemessen. Bei Zustimmung der Eltern und Jugendlichen wurden zudem die objektiven Mobiltelefonnutzungsdaten der Schweizer Mobilfunkanbieter für die ganze Studiendauer einbezogen. Die Strahlenexposition durch HF-EMF in der Umwelt wurde für den Schul- und Wohnort der Studienteilnehmenden individuell modelliert [2]. 148 Jugendliche nahmen während rund drei Tagen an einer persönlichen HF-EMF Messstudie teil [3, 4]. Weltweit zum ersten Mal wurde basierend auf diesen Nutzungs- und Expositionsdaten die kumulative Strahlendosis von Mobiltelefonen und anderen drahtlosen Kommunikationsgeräten für das Gehirn und den ganzen Körper berechnet [5].

Studienpopulation, Mobiltelefonnutzung und Strahlendosis

In die Kohorte 1 von HERMES wurden 439 Jugendliche (Rückantwortrate: 36,8%) aus 24 Schulen in der Zentralschweiz eingeschlossen, 456 Jugendliche (Rückantwortrate: 55,5%) aus 22 Schulen in der Zentralschweiz und den beiden Basler Halbkantonen in die Kohorte 2. Insgesamt nahmen 843 Jugendliche (94%) auch an der Folgeerhebung teil. Die 843 Teilnehmenden der ­HERMES Studie waren bei der Erstbefragung durchschnittlich 14,0 Jahre alt (Bereich: 10,3–17,0 Jahre) und 56% der Teilnehmenden waren weiblich. Bei der Erstbefragung haben 827 von 843 Studienteilnehmenden (98%) angegeben, ein Mobiltelefon zu besitzen.
Gemäss den Mobilfunkdaten von 322 Teilnehmenden telefonierten die Jugendlichen im Studienzeitraum im Durchschnitt 3,2 (Standardabweichung = 13,3) Minuten pro Tag mit einem Mobiltelefon [6]. Die selbstgeschätzte Nutzungsdauer war aber mit 17,2 (27,6) Minuten deutlich höher. Textnachrichten als SMS (short message service) wurden gemäss den Mobilfunkdaten kaum mehr geschrieben, dafür berichteten die Studienteilnehmenden, im Mittel (ganze Kohorte, n = 843) 35 (21) Textnachrichten pro Tag über andere Applikationen (z.B. WhatsApp) zu verschicken. Die Studienteilnehmenden gaben weiter an, das Mobiltelefon pro Tag 57 (34) Minuten für Datenverkehr und 43 (57) Minuten für Spiele zu verwenden. Die berichtete Schnurlostelefonnutzung war im Durchschnitt 6,2 (6,6) Minuten pro Tag.
Abbildung 1 zeigt die mittlere berechnete kumulative HF-EMF Dosis des Gehirns für einen HERMES Studienteilnehmenden. Die dosimetrischen Berechnungen ergaben, dass 94,0% der mittleren Gehirndosis von 858 (1027) mJ/kg pro Tag von Nahfeldquellen (Nutzung von drahtlosen Kommunikationsgeräten) stammte, hauptsächlich von Mobiltelefonanrufen (80,2%), von Anrufen mit dem Schnurlostelefon (8,3%) und vom Datenverkehr via Mobiltelefon (5,3%) [6]. HF-EMF in der Umwelt trugen nur 6,0% zur Gehirndosis bei. Davon stammen 56,8% von Mobilfunkbasisstationen (dies entspricht 3,4% der Gesamtgehirndosis), 34,2% von den Mobiltelefonen anderer Personen, 4,2% von Radio- und Fernsehantennen und 4,3% von WLAN (Basisstationen, z.B. zu Hause und in der Schule).
Abbildung 1: Anteil der verschiedenen HF-EMF-Quellen an der mittleren Dosis des Gehirns (858 mJ/kg pro Tag) eines HERMES Studienteilnehmenden für alle Quellen (links) und für die Fernfeldquellen (rechts). Abgeleitet von [6].
Auch für die mittlere kumulative Ganzkörperdosis spielten Emissionen der eigenen Geräte die Hauptrolle. Neben Mobil- und Schnurlostelefonanrufen waren zusätzlich WLAN (wireless local area network) von eigenen Geräten (Computer, Laptops und Tablets) und der Datenverkehr mit dem Mobiltelefon relevant [5].

Symptome sind nicht mit der Strahlen­dosis, aber mit verschiedenen Aspekten der Mobiltelefonnutzung assoziiert

In einer Querschnittsstudie der Kohorte 1 (n = 439) berichteten Jugendliche, die in der Nacht häufiger durch das Mobiltelefon geweckt wurden, öfters über Gesundheitssymptome wie Müdigkeit, schnelle Erschöpfbarkeit, Kopfschmerzen und schlechteres körperliches Wohlbefinden [7]. Die untersuchten kognitiven Fähigkeiten (verbales und figurales Gedächtnis, Konzentrationsleistungsfähigkeit) waren nicht mit der Mobiltelefonnutzung in der Nacht assoziiert [7]. Diese Ergebnisse konnten in der longitudinalen Analyse der gesamten HERMES Kohorte (n = 843) bestätigt werden [8]. Eine Zunahme der verbrachten Zeit vor Bildschirmen und häufigeres nächtliches Aufwachen zwischen Basis- und Folgeerhebung führten zum Neuauftreten oben genannter Symptome [8].
In longitudinalen Analysen der Kohorte 1 war das Auftreten von gesundheitlichen Symptomen weder mit der Strahlenexposition von Mobilfunkbasisstationen oder Radio- und Fernsehantennen [9] noch mit der kumulativen HF-EMF-Dosis des Gehirns oder des ganzen Körpers [10] assoziiert. Es zeigte sich jedoch, dass bei Jugendlichen, die das Mobiltelefon länger für Datenverkehr benutzten und solchen, die mehr SMS pro Tag verschickten, die das Mobiltelefon also mehr und länger nutzten, vermehrt gesundheitliche Symptome auftraten [10]. Da diese Tätigkeiten kaum zur Strahlendosis beitragen, deutet dies darauf hin, dass die Nutzung und nicht die Strahlenbelastung von Mobiltelefonen gesundheitliche Auswirkungen hat.

Geben Jugendliche mit Verhaltensproblemen eine höhere Mobiltelefonnutzung an?

Für Verhaltensprobleme wurde in der Kohorte 1 weder in Querschnitts- noch in longitudinalen Analysen ein Zusammenhang mit der kumulativen HF-EMF-Dosis des Gehirns oder des ganzen Körpers beobachtet [11]. Jedoch waren in den Querschnittsanalysen in Übereinstimmung mit anderen Studien [12, 13] Verhaltensprobleme mit selbsteingeschätzter Mobiltelefonnutzung assoziiert. Interessanterweise gab es jedoch keinen Zusammenhang mit den objektiven Daten der Mobilfunkanbieter, und in den longitudinalen Analysen gab es keine Hinweise, dass das Neuauftreten von Verhaltensproblemen mit der Mobiltelefonnutzung assoziiert ist. Dies deutet darauf hin, dass Kinder mit Verhaltensproblemen ihren Mobiltelefongebrauch überschätzen oder umgekehrt Jugendliche ohne Verhaltensprobleme eine zu tiefe Nutzung angeben («recall bias»). Alternativ könnten die beobachteten Resultate auch auf umgekehrte Kausalität zurückzuführen sein: Jugendliche mit Verhaltensproblemen nutzen häufiger Mobiltelefone, anstatt dass Mobiltelefonnutzung zu Verhaltensproblemen führt.

Hinweise, dass sich die figurale Gedächtnisleistung durch die Strahlen­dosis verschlechtert

In den longitudinalen Analysen der Kohorte 1 wurde ein negativer Zusammenhang zwischen der kumulativen HF-EMF-Dosis des Gehirns und der Entwicklung der figuralen Gedächtnisleistung zwischen Basis- und Folgeerhebung beobachtet [14]. Diese Ergebnisse bestätigten sich auch in der Kohorte 2 und in einer kombinierten Analyse [6]. Für die verbale Gedächtnisleistung und die Konzentrationsleistungsfähigkeit wurde dieser Zusammenhang nicht gefunden [6, 11, 14]. Das figurale Gedächtnis ist hauptsächlich in der rechten Hirnhälfte angesiedelt, das verbale Gedächtnis eher in der linken Hirnhälfte. Rund 80% der Jugendlichen gaben an, dass sie bevorzugt auf der rechten Seite telefonieren, und bei diesen war der negative Zusammenhang zwischen der HF-EMF-Dosis und der figuralen Gedächtnisleistung stärker ausgeprägt. Bei den Jugendlichen, die ihr Mobiltelefon auch auf der linken Kopfseite nutzen, wurde ein negativer Zusammenhang zwischen der Entwicklung der verbalen Gedächtnisleistung und der HF-EMF-Dosis des Gehirns, basierend auf den Nutzungsdaten von den Mobilfunkbetreibern gefunden. Das deutet darauf hin, dass bei links- und rechtsseitigem Telefonieren unterschiedliche Gehirn­areale bestrahlt werden und entsprechend andere kognitive Effekte auftreten können. Andere Aspekte der Mobiltelefonnutzung wie das Senden von Textnachrichten und das Spielen oder Surfen im Internet waren nicht mit der Entwicklung der Gedächtnisleistung assoziiert. Somit scheinen die beobachteten Zusammenhänge im Gegensatz zu den oben erwähnten unspezifischen Symptomen nicht auf solche anderen Nutzungsfaktoren zurückgeführt werden zu können.

Fazit

Die HERMES Studie zeigt, wie komplex die Untersuchung der langfristigen Auswirkungen der Mobiltelefonnutzung bei Jugendlichen ist. Ob beobachtete Zusammenhänge kausal sind oder methodisch bedingt (z.B. umgekehrte Kausalität), ist oft schwierig zu beurteilen und bedingt umfassende Daten zu allen Aspekten der Nutzung inklusive objektive Expositionsdaten. Die HERMES Studie zeigt, dass die Strahlendosis von Jugendlichen vom eigenen Mobiltelefongebrauch dominiert wird, während Dosisbeiträge von Mobilfunkbasisstationen und WLAN gering sind. Die Nutzung von Mobiltelefonen, vor allem in der Nacht, beeinträchtigt die Schlafqualität und führt zum Auftreten von unspezifischen Gesundheitssymptomen wie Müdigkeit und Erschöpfung. Für die Strahlendosis wurden grösstenteils keine Zusammenhänge mit den untersuchten Endpunkten gefunden. Einzig für die Entwicklung der figuralen Gedächtnisleistung fand die Studie Hinweise auf mögliche negative Auswirkungen der Strahlendosis. Die Effekte waren aber gering und der Wirkungsmechanismus ist nicht bekannt. Damit sind aus Public Health-Sicht nicht-strahlenbedingte Auswirkungen exzessiver Mobiltelefonnutzung, vor allem in der Nacht, für die Gesundheit von Jugendlichen wohl bedeutender. Ob kognitive Funktionen in den am stärksten durch Mobiltelefone bestrahlten Hirnarealen langfristig tatsächlich beeinträchtigt werden, muss mit weiteren Studien geklärt werden.
Die Studie wurde vom Schweizerischen Nationalfonds (Nr. 138190) und dem 7. Rahmenprogramm der EU (GERONIMO Studie, Nr. 603794) finanziert. Die Forschungsstiftung Strom und Mobilkommunikation finanzierte einen Teil der persönlichen Expositionsmessungen (Projekt Nr. 41). Keine Interessenskonflikte zu deklarieren.
Prof. Dr. phil. II Martin Röösli
Swiss TPH
Socinstrasse 57
CH-4051 Basel
martin.roosli[at]swisstph.ch
 1 Waller G, Willemse I, Genner S, Suter L, Süss D, JAMES: Jugend, Aktivitäten, Medien - Erhebung Schweiz, Ergebnisbericht zur JAMES-Studie 2016. 2016, Winterthur: ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
 2 Bürgi A, Frei P, Theis G, Mohler E, Braun-Fahrländer C, Fröhlich J, et al. A model for radiofrequency electromagnetic field predictions at outdoor and indoor locations in the context of epidemiological research. Bioelectromagnetics. 2010;31(3):p.226–36.
 3 Birks LE, Struchen B, Eeftens M, van Wel L, Huss A, Gajsek P, et al. Spatial and temporal variability of personal environmental exposure to radio frequency electromagnetic fields in children in Europe. Environ Int. 2018;117:p.204–14.
 4 Roser K, Schoeni A, Struchen B, Zahner M, Eeftens M, Fröhlich J, et al. Personal radiofrequency electromagnetic field exposure measurements in Swiss adolescents. Environment International, 2017;99:p.303–14.
 5 Roser K, Schoeni A, Bürgi A, Röösli M, Development of an RF-EMF Exposure Surrogate for Epidemiologic Research. Int J Environ Res Public Health. 2015;12(5):p.5634–56.
 6 Foerster M, Thielens A, Joseph W, Eeftens M, Röösli M. A Prospective Cohort Study of Adolescents’ Memory Performance and Individual Brain Dose of Microwave Radiation from Wireless Communication. Environ Health Perspect. 2018;126(7):p.077007.
 7 Schoeni A, Roser K, Röösli M. Symptoms and Cognitive Functions in Adolescents in Relation to Mobile Phone Use during Night. PLoS One. 2015;10(7):p.e0133528.
 8 Foerster M, Henneke A, Mhlanga S, Röösli M. Impact of adolescents’ screen time and nocturnal mobile phone related awakenings on sleep and non-specific health symptoms: a prospective cohort study. under review.
 9 Schoeni A, Roser K, Bürgi A, Röösli M. Symptoms in Swiss adolescents in relation to exposure from fixed site transmitters: a prospective cohort study. Environ Health. 2016;15(1):p.77.
10 Schoeni A, Roser K, Röösli M. Symptoms and the use of wireless communication devices: A prospective cohort study in Swiss adolescents. Environmental Research. 2017;154:p.275–83.
11 Roser K, Schoeni A, Röösli M, Mobile phone use, behavioural problems and concentration capacity in adolescents: A prospective study. Int J Hyg Environ Health. 2016;219(8):p.759–69.
12 Byun YH, Ha M, Kwon HJ, Hong YC, Leem JH, Sakong J, et al. Mobile phone use, blood lead levels, and attention deficit hyperactivity symptoms in children: a longitudinal study. PLoS One. 2013;8(3):p.e59742.
13 Zheng F., Gao P., He M., Li M., Wang C., Zeng Q., et al., Association between mobile phone use and inattention in 7102 Chinese adolescents: a population-based cross-sectional study. BMC Public Health. 2014;14:p.1022.
14 Schoeni A. Roser K. Röösli M. Memory performance, wireless communication and exposure to radiofrequency electromagnetic fields: A prospective cohort study in adolescents. Environ Int. 2015;85:p.343–51.