Hr. Dr. Sommer, Fr. Dr. Bergengruen und der fiebernde Planet
Ärztinnen und Ärzte als Vorbilder?

Hr. Dr. Sommer, Fr. Dr. Bergengruen und der fiebernde Planet

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Ausgabe
2018/23
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2018.10007
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2018;18(23):425-426

Affiliations
Ehemaliger Redaktor PHC, pensionierter Hausarzt, Ziefen BL

Publiziert am 05.12.2018

Der alternde Kollege Sommer, geplagt von Rheuma und gelegentlichen depressiven Schüben, nimmt für sich seit eh und je in Anspruch, im Winter so oft wie möglich an die Sonne zu gehen; was heisst gehen, fliegen natürlich.

(Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden Kolleginnen und Kollegen wäre reiner Zufall und ist nicht beabsichtigt.)
Der alternde Kollege Sommer, geplagt von Rheuma und gelegentlichen depressiven Schüben, nimmt für sich seit eh und je in Anspruch, im Winter so oft wie möglich an die Sonne zu gehen; was heisst gehen, fliegen natürlich. Interessant, diese Städte in Asien, die Landschaften in Afrika und das Tauchen im Roten Meer. Überall sind noch «Bildungslücken» auszumachen, Ägypten fehlt noch und Petra in der jordanischen Wüste, ach und noch vieles mehr. Und er hat nun ein Jahr nach der Pensionierung auch noch das Kreuzfahren entdeckt, natürlich nicht das christ­liche, sondern dasjenige der Reisebüros. Unterdessen kreuzt er die Weltmeere und bildet sich einiges darauf ein. Persönlich mag man ihm das gönnen, ökologisch wandelt er damit auf einem gigantischen Fuss. Sein «Ecological Footprint» misst sich bald mit dem ­eines grossen 40 Tönner LKWs, da die Traumschiffe zu den grössten Dreckschleudern gehören.
Nun hat er also ein Leben lang Leute zusammengeflickt und dazu noch das medizinische Evangelium der Vorsorge gepredigt. Ist es ihm jetzt plötzlich schnuppe, was mit seinen Enkeln passiert? Er hat zwar selbst das rasante Schmelzen der Gletscher beobachten können, den Einzug der Tigermücken im Tessin (und bald nördlich der Alpen?) und er müsste bald nicht mehr weg, um sich das Nil-Fieber zu holen; aber irgendwann hat er zwei gewaltige Scheuklappen temporal beidseits montiert und wohl gefunden, er habe doch so viel getan für die Menschheit, dass er etwas zu Gute hätte, ­etwas mehr als gewöhnliche Menschen. Nur, das muss man natürlich zugeben, ist Reisen keine elitäre Angelegenheit mehr, denn die Sommer’sche Putzfrau «muss» im November auch dringend auf Safari nach Kenia, mit einem Spezialangebot von Köbi-Reisen, zehn Tage inklusive für 1500.–.
Aber es gibt da noch seine Tochter, die einen Bergengruen (Gymnasiallehrer phil. II) geheiratet hat, und die zur Freude Sommers in seine Fussstapfen getreten ist. Nicht, dass sie seine Praxis übernommen hätte; «Papi, so einen muffigen Laden kann ich meiner Kollegin nicht zumuten», meinte sie. Die beiden jungen Ärztinnen arbeiten jetzt in einem Gesundheitszentrum in ­einem Vorort von Zürich. Alles in Ordnung also, nur hatte man seit Kurzem ein den weihnächtlichen Familienfrieden gefährdendes Thema. Klimawandel und Reisen! Der Stolz von Bergengruen-Sommers sind drei entzückende Mädchen, sechs-, vier- und zweijährig. Und damit verbunden die Sorge, was Opa Sommer & Co. – alle diese Kreuzfahrtritter also – diesen Menschlein einmal übrig lassen vom blauen Planeten. Am Heiligabend hält man sich noch etwas zurück, aber an Weihnachten kommt es zu einer ziemlich heftigen ­Diskussion, weil der alte Sommer andauernd von ­Sommer, Sonne und Wärme schwärmt und mit seiner Reiserei tüchtig angibt. Bereits 65 Länder im Sack, das sei doch eine Leistung. Irgendwann wird es der Tochter zu viel und sie beginnt ihrem alten Herrn Vorhaltungen zu machen, was nicht gut ankommt. Man habe schliesslich ein Leben lang hart gearbeitet und dürfe sich nun etwas gönnen. «Ja, aber Papa, wenn jeder so denkt und Du weisst, dass die Fliegerei und die Hotels in den warmen Ländern und die Pools»; und so weiter ...
Liebe Leserinnen und Leser. Auf die Gefahr, dass ich Ihnen Weihnachten verderbe, muss ich Sie jetzt alleine lassen mit Ihrer Haltung zum Thema. Die einfache Frage sei aber schon gestellt, ob sich Ärztinnen und Ärzte als Vorbilder verhalten sollen, oder halt einfach Personen wie andere sind? Cholesterin absenken ok, Diabetes behandeln ja klar, Nikotin ansprechen etc. alles lobenswerte Aktivitäten. Sollen wir Ärztinnen und Ärzte uns jetzt auch noch um den fiebernden Planeten kümmern oder fröhlich weiter so tun, als ginge uns das alles nichts an?
Dr. med. Edy Riesen
Hauptstrasse 100
CH-4417 Ziefen
edy.riesen[at]gmx.ch