Ich werde von der Pflegefachfrau Rita Beutler-Alessandrello in das Pflegeheim, das ich hausärztlich betreue, gerufen. Ein Bewohner, der infolge seiner demenziellen Entwicklung seit einiger Zeit kaum mehr schlucken kann und sich immer wieder verschluckt, liegt im Sterben – Pneumonie. Als ich am Abend ins Zimmer des Kranken komme, steht seine ebenfalls an Demenz erkrankte Ehefrau an seinem Bett, besorgt, froh, dass der Arzt kommt, und traurig. Mit ihrer reichen Lebenserfahrung versteht sie, dass der Bewohner bald sterben wird. Nur, der Sterbende ist für sie nicht ihr Ehemann. Er ist der Schwiegervater und sie sorgt sich, wie traurig es für ihre Schwiegermutter sein müsse. Sie habe es ihr noch nicht gesagt. Wie es wohl für sie sein müsse, denn sie verliere ihren einzigen Sohn. War der Sterbende jetzt gerade wieder ihr Ehemann? Sekunden später fragt sie uns besorgt, ob ihr Mann noch nicht nach Hause gekommen sei, sie erwarte ihn, er müsste jeden Moment da sein ... Ihr Blick und Tonfall zeigen ihre tiefe Besorgnis. Wir teilen ihre Gefühle von Sorge und Trauer und bestärken sie, dass wir dem Kranken helfen werden, damit er leicht sterben kann. Sollen wir darauf beharren, dass sie am Sterbebett ihres Ehemanns steht, dass er da ist und nicht kommen wird? Am kommenden Morgen war der Patient ruhig verstorben. Wir sprechen der Ehefrau unser herzliches Beileid aus, umarmen sie mit tröstenden Worten. Wir sehen, dass sie weiterhin zwischen den Welten pendelt. Wie und wann werden wir sie aus ihrer eigenen in die reale Wirklichkeit holen, damit sie verstehen kann, dass ihr Ehemann, mit dem sie so eng verbunden war, verstorben ist? Wir geben ihr Zeit dafür und werden sie behutsam dahin führen.