Teil 1: Auffälligkeiten der unteren Extremität
Entwicklung des Bewegungsapparates vom Kleinkind bis zum Jugendlichen

Teil 1: Auffälligkeiten der unteren Extremität

Fortbildung
Ausgabe
2019/04
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2019.10037
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2019;19(04):116-122

Affiliations
a Oberärztin Kinder- und Jugendorthopädie; b Leitender Arzt Kinder- und Jugendorthopädie, Schulthess Klinik Zürich

Publiziert am 03.04.2019

Im folgenden Beitrag werden verschiedene wichtige und häufige Auffälligkeiten im Bereich des Bewegungsapparates der unteren Extremitäten beschrieben und auf physiologische und pathologische Befunde eingegangen. Pathologien werden ­detailliert besprochen. Der Artikel soll helfen, mögliche Probleme frühzeitig zu ­erkennen, damit die kleinen Patientinnen und Patienten frühzeitig der richtigen Therapie zugeführt werden können.

Das Wissen über die normale Entwicklung des Bewegungsapparates während des Wachstums ist die Voraussetzung, um Befunde bei Kindern und Jugendlichen richtig einzuschätzen. Die Rotationswinkel und Achsen der unteren Extremitäten, die Fussformen und die Gangbilder ändern sich im Laufe des Heranwachsens.

Anamnese und klinische Untersuchung

Eine genaue Anamnese und körperliche Untersuchung ist wichtig. Folgende Fragen sollten geklärt werden:
– Was ist den Eltern aufgefallen? Sind diese Auffälligkeiten neu aufgetreten oder «schon immer» zu beobachten gewesen? Haben sie sich verstärkt oder sind sie rückläufig?
– Hat das Kind Schmerzen?
– Hat das Kind funktionelle Einschränkungen, zum Beispiel im Gangbild?
– Ist das Kind ansonsten gesund? (neurologische Auffälligkeiten?)
In der klinischen Untersuchung werden das Gangbild inklusive der Beinachsen, der genaue Gelenkstatus, eventuelle äusserliche Auffälligkeiten und die Muskelfunktionen untersucht und beurteilt.

Einwärts- und Auswärtsgang

Ein auffälliger Einwärtsgang ist ein häufiger Grund für eine Konsultation beim Kinderorthopäden. Die Kinder stolpern teilweise über Ihre eigenen Füsse; kleinere Kinder sind jedoch praktisch nie dadurch gestört.

Sichelfüsse

Bei der Analyse des Einwärtsganges werden drei Ebenen beurteilt. Primär wird die Fussstellung beurteilt. Handelt es sich um einen Pes adductus, also Sichelfuss (Abb. 1)? Sichelfüsse sind meist das Resultat eines Platzmangels im Uterus. Die Prognose bezüglich einer spontanen Verbesserung der Situation ist meistens sehr gut. Bei rigideren Sichelfüssen wird eine manuelle Redression oder Gipsredressionsbehandlung notwendig. Je älter das Kind aber ist, desto langwieriger und weniger erfolgsversprechend ist eine solche Gipsredressionsbehandlung. Erfreulicherweise resultieren jedoch aus dieser Fussform fast nie funktionellen Probleme. Oftmals besteht auch nur eine leichte funktionelle Vorfussadduktion, vor allem beim Gang, die sich durch den Untersucher redressieren lässt. Im Wachstum verschwindet diese meistens und bedarf keiner gesonderten Therapie.
Abbildung 1: A: Rigider milder rechtsseitiger Pes adductus beim Kleinkind und B: lagebedingter Sichelfuss, redressierbar beim Säugling.

Tibiakreiselung

Des Weiteren muss die Tibiakreiselung (Torsion) beurteilt werden. Das ist die Drehung des Unterschenkels zwischen Kniegelenk und der Knöchelgabel beziehungsweise dem Fussöffnungswinkel. Beim Säugling zeigt sich häufig noch keine Aussendrehung der Tibia beziehungsweise eine Tibiainnenkreiselung (Abb. 2). Bis zum ca.sechsten bis siebten Lebensjahr entwickelt sich die physiologische Tibiaaussenkreiselung, die dann im Durchschnitt 15–20°, bezogen auf die Fusslängsachse (Fussöffnungswinkel), beträgt. Ein gewisses Einwärtsgehen, ausgehend vom Unterschenkel, ist also im Kleinkindalter physiologisch und bedarf keiner weiteren Massnahmen.
Abbildung 2: Noch nicht entwickelte Tibiaaussenkreiselung bei einem zweijährigen Kind.

Femorale Antetorsion

Der kindliche Innendrehgang ist am Häufigsten durch eine erhöhte femorale Antetorsion bedingt. Hierbei ist zu beachten, dass die «Entdrehung» (spontane Detorsion) des Femur im Gegensatz zur tibialen Detorsion deutlich länger, bis zum Abschluss des Wachstums, dauert. Die femorale Antetorsion des Femurs beträgt beim Säugling ca. 30–50° (Abb. 3), beim Erwachsenen ca. 15°. Die Innendrehfähigkeit in der Hüfte nimmt also während des Wachstums ab. Bei noch deutlicher Innendrehfähigkeit der Hüftgelenke aufgrund einer hohen Antetorsion, zeigt sich beim Geradeauslaufen ein sogenanntes «kneeing-in» (femorales Einwärtslaufen), die Kniescheiben zeigen beim Laufen nicht nach vorne sondern nach innen. Dadurch zeigt sich dann auch ein «toeing-in», was am meisten auffällt und die Eltern am Häufigsten beunruhigt. Natürlich ist eine Einlagenversorgung in diesen Fällen unsinnig, da dadurch die Innendrehung des Femur nicht beeinflusst wird.
Abbildung 3: Durch die verstärkte femorale Antetorsion und damit erhöhte Innendrehfähigkeit der Hüftgelenke ist das Sitzen im umgekehrten Schneidersitz möglich.

Auswärtsgang sollte abgeklärt werden

Ein Kleinkind, das einwärts geht, zeigt also ein natürliches, physiologisches Gangbild. Weitere Abklärungen sind nicht notwendig. Zeigt ein Kleinkind hingegen einen deutlichen Auswärtsgang, so sollten weitere Untersuchungen erfolgen. Ursächlich könnte eine verstärkte tibiale Aussentorsion vorhanden sein, aber auch ein starker, behandlungsbedürftiger Knick-Senkfuss.

Wann ist der Ein- resp. Auswärtsgang ­pathologisch?

Beim Jugendlichen werden sich die Drehverhältnisse des Femurs und der Tibia nicht mehr wesentlich verändern. Eine zu starke femorale Antetorsion ist für einige Jugendliche vor allem beim Sport funktionell störend. Nicht selten wird ein Aneinanderschlagen der Kniegelenke beim schnellen Laufen und Stolpern angegeben. Teilweise werden auch funktionelle Schmerzen im Bereich der unteren Extremitäten angegeben. Die wohl klassische jugendliche femoropatelläre Beschwerdesymptomatik kann ursächlich in einer pathologisch erhöhten femoralen Antetorsion begründet sein. Die aufgehobene oder verminderte femorale Antetorsion (femorale Retrotorsion) führt zu einem Auswärtslaufen (kneeing-out) und ist als sogenannte Präarthose der Hüftgelenke zu werten. Bei Leistenschmerzen sollte daher auch eine eingehende Untersuchung der Drehverhältnisse der Hüftgelenke erfolgen.

Torsional malalignement

Eine Sonderform der Torsionsproblematik der unteren Extremität ist das sogenannte «torsional malalignement»: Eine verstärkte femorale Antetorsion, also zu starke Innenrotationsfähigkeit der Hüfte, besteht in Kombination mit einer zu starken Unterschenkelaussenkreiselung. Diese «gegensinnige» Drehung von Ober-und Unterschenkel führt zu einem deutlichen kneeing-in bei jedoch normalem Fussöffnungswinkel im freien Gang. Diese Problematik wird häufig verkannt. Nur eine eingehende Untersuchung ohne Beinkleid zeigt das deutliche kneeing-in. Wenn man den Patient zwingt, mit nach vorne gerichteten Kniescheiben zu gehen, zeigt sich auch die deutliche pathologische tibiale Aussendrehung anhand der stark nach aussen gerichteten Füsse. Diese Torsionsproblematik ist häufig funktionell störend, zum Beispiel beim Velofahren oder Laufen, teils mit entsprechenden Beschwerden vor allem im Bereich der Knie- und Sprunggelenke.
Einseitigkeiten können idiopathisch sein, können ihre Ursache aber auch in einer in Fehlstellung ausgeheilten Fraktur der unteren Extremität haben.

Behandlung von Torsionsfehlern

Die Korrektur von symptomatischen Torsionsfehlern ist praktisch nur chirurgisch durch Derotationenoperationen am Femur oder an der Tibia möglich. Natürlich muss korrekterweise am Ort der Fehlstellung korrigiert werden. Eine Physiotherapie oder Einlagen können diese Rotationsfehler leider nicht nachhaltig verändern.

Fehlstellungen der frontalen Beinachse: Genua valga (X-Bein) und Genua vara (O-Bein)

Die frontalen Achsen der unteren Extremitäten ändern sich während des Wachstums. Bei Geburt zeigen sich häufig O-Beine (Genua vara), die durch eine zeitgleich bestehende tibiale Innentorsion akzentuiert werden (Abb. 4). Sobald die Kinder anfangen zu laufen, gleicht sich die Beinachse üblicherweise schrittweise aus, im Stehen berühren sich dann bei zentrierter Patella die Femurkondylen und die Malleolen (Abb. 5). Bis zum dritten/vierten Lebensjahr entwickeln sich dann üblicherweise leichte X-Beine (Genua valga, Abb. 6). Diese X-Beinigkeit sollte sich wiederum bis zum Primarschulalter auskorrigiert haben.
Abbildung 4: Genua vara beim Säugling, vor allem durch in diesem Alter physiologische Crura vara.
Abbildung 5: Ausgeglichene Beinachse nach Gehbeginn, die Femurkondylen und die Malleolen berühren sich.
Abbildung 6: Physiologische Genua valga beim Kleinkind: Eine weitere Abklärung ist nicht notwendig.
Kleinkinder, die anstatt durch eine valgische durch eine varische Beinachse auffallen, sollten weiter untersucht oder zumindest nachkontrolliert werden. Teilweise beobachtet man bei frühem Gehbeginn anstatt einem Ausgleich der Beinachse im Wachstum zunächst eine Verstärkung des Varus, der sich dann üblicherweise rasch korrigiert. Differentialdiagnostisch muss jedoch auch an ein Vorliegen eines Morbus Blount oder eine rachitiforme Problematik gedacht werden.
Auch eine einseitige Fehlstellung ist abklärungsbedürftig. Ursächlich kann eine pathologische Veränderung der Epiphysenfuge vorliegen (posttraumatisch, Tumor, Infekt, kongenitale Fehlbildung). Daher sollten diese Patientinnen und Patienten zeitnah weiter abgeklärt werden.

Behandlung von Achsenfehlstellungen

Eine persistierende Achsenfehlstellung kann nicht nur funktionell störend sein, sondern ist auch mittel- bis längerfristig mechanisch ungünstig (Präarthrose, Abb. 7). Mit einem kleinen chirurgischen Aufwand ist es möglich, eine X- oder O-Beinfehlstellung während des pubertären Wachstumsschubes zu korrigieren. Nach genauer Analyse der Fehlstellung anhand einer Röntgen-Ganzbeinaufnahme wird ein Plättchen über die Wachstumsfuge implantiert und das Wachstum an dieser Fuge somit medial- beziehungsweise lateralseitig gebremst (sogenannte Hemiepiphysiodese, meist durch sogenannte eight plate, oder mittels anderen Techniken wie zum Beispiel Bohrhemiepiphysiodese oder mittels Stapler) (Abb. 8 und 9). Während des weiteren Wachstums gleicht sich so die Beinachse aus. Durch die Korrektur der Achsverhältnisse wird vor allem das Risiko, eine Gonarthrose zu entwickeln, deutlich verringert.
Abbildung 7: Genua valga beim Adoleszenten: Eine weitere radiologische Abklärung sollte durchgeführt werden.
Abbildung 8: Radiologisch zeigt sich bei dieser Valgusstellung eine Verlagerung der mechanischen Achse nach lateral, also eine Achsendeviation im Sinne einer Präarthrose, da das Kniegelenk im äusseren Kompartiment langfristig überbelastet wird.
Abbildung 9: Durch eine Hemiepiphysiodese (Wachstumslenkung) konnte die Beinachse mit geringem chirurgischen Aufwand ­korrigiert werden.
Sobald die Wachstumsfugen am Ende des Wachstums verschlossen sind, ist eine Korrektur durch diese sogenannte «Wachstumslenkung» nicht mehr möglich. Die Beinachse kann dann nur noch mit Osteotomien korrigiert werden, was ein erheblich grösserer Eingriff darstellt. Daher sollten Kinder, bei denen sich Genua vara oder Genua valga zeigen, noch vor dem pubertären Wachstumsschub der Kinderorthopädin vorgestellt werden, damit eine genaue radiologische Achsenanalyse durchgeführt werden kann.

Beinlängendifferenzen

Beinlängendifferenzen führen je nach Ausmass zu ­einem Beckenschiefstand und oft auch zu einer Schrägstellung des Sacrums und damit sekundären Skoliosierung der Wirbelsäule. Durch den Beckenschiefstand kann es des Weiteren zu einer ungünstigen asymmetrischen Überdachung der Hüftköpfe kommen. Beinlängendifferenzen können sich während des Wachstums verstärken. Daher sollte bei der körperlichen Untersuchung die Beinlängendifferenz auch bezüglich möglicher Ursachen beurteilt werden. Die meisten Beinlängendifferenzen sind idiopathisch, bei weniger als 1 cm sind diese meist unproblematisch und benötigen keine Therapie. Bei der Hemihypotrophie zeigt sich nicht nur eine Längen-, sondern auch eine Umfangsdifferenz. Auch Hüftluxationen, eine einseitige Achsabweichung und Fussmissbildungen sowie Fehlbildungen der unteren Extremität können zu einer einseitigen Beinverkürzung führen. Nach Frakturen im Bereich der Epiphysenfugen kann es zu einer Verkürzung und Fehlstellung durch frühzeitigen Fugenverschluss kommen, bei Schaftfrakturen zu ­einem Mehrwachstum des Knochens und damit ­Überlänge. Zeigt sich eine Hemihyperthophie, kann die Ursache in einer Gefässmissbildung liegen. Unterschieden werden müssen diese reellen Beinlängendifferenzen von funktionellen Differenzen zum Beispiel durch Gelenkkontrakturen.
Bei der Untersuchung wird zur Ermittlung des Ausmasses die Differenz durch Brettchenunterlage ausgeglichen, bis ein Beckengeradestand erreicht wird.

Behandlung von Beinlängendifferenzen

Beinlängendifferenzen von mehr als 1–1,5 cm werden zumindest partiell durch eine Talonette ausgeglichen. Bei Differenzen von mehr als 2 cm werden auch operative Massnahmen zum Beinlängenausgleich diskutiert (Wachstumsbremsung, sogenannte Epiphysiodese durch Bohrung oder Plättchen, Verkürzungsosteotomien, Verlängerungen der kürzeren Seite).

Der kindliche Vorfussgang

Bei vielen Kleinkindern zeigt sich, vor allem, wenn sie aufgeregt sind, ein Vorfuss- oder Zehenspitzengang. Diese Kinder gehen teilweise ausdauernd auf den Vorfüssen, man kann jedoch auch regelmässig einen normalen Fersen-Bodenkontakt beobachten. Bei der klinischen Untersuchung wird vor allem die Länge der Trizeps surae-Muskulatur beziehungsweise die Dorsal­extendierbarkeit des Fusses im oberen Sprunggelenk beurteilt. Diese Untersuchung wird bei gestrecktem Kniegelenk durchgeführt, da sich die Muskulatur bei gebeugtem Kniegelenk entspannt. Eine Dorsalextension sollte problemlos bei korrigierter Fussstellung (Korrektur eines möglichen Knicksenkfusses) über die Neutrale hinweg möglich sein (Abb. 10). Ist dies der Fall, handelt es sich meist um die häufigste Ursache des ­Zehenspitzenganges oder Vorfussganges: den sogenannten habituellen Vorfussgang. Diese Situation ist unproblematisch, die Prognose bezüglich der Entwicklung eines normalen Gangbildes ist sehr gut. In hartnäckigen Situationen, vor allem beim älteren Kind, ist es jedoch sinnvoll, eine Physiotherapie zur Gangschulung durchzuführen oder sogenannte ­Pyramideneinlagen zu verordnen und zudem regelmässig Stretchingübungen für den Trizeps surae-Muskel durchzuführen.
Abbildung 10: Beim gesunden Kind ohne muskuläre Verkürzungen sollte der Fuss im Sprunggelenk problemlos über die Neutrale hinweg nach dorsal extendierbar sein.
Ein Zehenspitzengang kann jedoch auch Zeichen einer echten Pathologie sein. Zeigt sich bei der klinischen Untersuchung eine verminderte Dorsalextendierbarkeit, also Verkürzung der Trizeps-Muskulatur, so kann diese Verkürzung angeboren oder erworben sein. Verkürzungen werden posttraumatisch, lagerungsbedingt oder nach Gipsruhigstellungen beobachtet, des Weiteren sekundär im Rahmen einer Beinlängendifferenz (funktioneller Ausgleich der Differenz) oder im Rahmen einer Klumpfussproblematik.
Nicht verpasst werden darf eine neurogene Ursache des Vorfussganges. Eine zumindest grobkursorische neurologische Untersuchung sollte bei jedem Kind mit Zehenspitzengang durchgeführt werden. Bei Verdacht auf eine neurogene Komponente sollte das Kind zusätzlich einem Neuropädiater vorgestellt werden.

Behandlung des Spitzfusses

Je nach Ausmass der muskulären Verkürzung beziehungsweise der Spitzfüssigkeit und deren Ursache wird das therapeutische Vorgehen bestimmt. Ziel aller Therapieformen ist das Erreichen einer plantigraden Stellung des Fusses oder noch besser einer guten Dorsalextensionsfähigkeit im oberen Sprunggelenk. Bei geringer muskulärer Verkürzung ist eine physiotherapeutische Behandlung, Gipsredressionsbehandlung oder Versorgung mit Pyramideneinlagen ausreichend. Bei starken Verkürzungen muss auch eine Achillessehnenverlängerung oder aponeurotische Verlängerung der Muskulatur diskutiert werden. Auch sollte eine möglicherweise vorliegende ossäre Komponente berücksichtigt und eventuell operativ korrigiert werden. Bei neurogenen Ursachen ist meist eine Orthesenversorgung notwendig, um einer Progredienz entgegenzuwirken oder nach einer weiteren Behandlung das Rezidivrisiko zu minimieren.

Der kindliche Knicksenkfuss

Eine Knicksenkfüssigkeit des Kindes, gegebenenfalls gepaart mit einem ungleichmässigen Ablaufen der Schuhe, ist ein häufiger Grund für Sorgen der Eltern und Grosseltern, die vor allem mit der Frage vorstellig werden, ob es nicht sinnvoll wäre, Schuheinlagen anzupassen. Doch wie sinnvoll ist diese Versorgung?
Die Mehrzahl der Kleinkinder hat Knicksenkfüsse, die aus einer noch vermehrt bestehenden Laxizität und ­einem verstärkten plantarseitigen Fettpolster ­resultieren. Diese Knicksenkfüssigkeit zeigt sich zusätzlich verstärkt durch die physiologische valgische Beinachse im Kleinkindalter. Bis etwa zum Einschulungsalter kommt es meist zu einer weitestgehenden Normalisierung der Fussform. Studien Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre konnten zeigen, dass sich die Fussform durch Schuheinlagen nicht nachhaltig beeinflussen lässt. Solange ein Fuss bei der klinischen Untersuchung flexibel ist, sich keine pathologische Beschwielung als Ausdruck einer echten Fehlbelastung zeigt, sich der Fuss im Zehenspitzenstand aufrichtet (Abb. 11) und anamnestisch keine Schmerzen bestehen, ist eine Therapie nicht notwendig.
Abbildung 11: Bei der flexiblen Knicksenkfüssigkeit zeigt sich eine Aufrichtung des ­Fusses im Zehenspitzenstand (Varisierung der Ferse und Aufrichtung des Längs­gewölbes).
Nicht verpasst werden sollten Coalitionen (pathologische angeborene Verbindungen zwischen zwei Fussknochen) im Bereich des Fusses als Ursache möglicher Schmerzen und einer sekundär im Verlauf zunehmenden Knicksenkfüssigkeit. Beschwerden treten meist im Jugendalter auf, nicht selten nach einem Distorsionstrauma, in dessen Rahmen die Coalitio traumatisiert wird. Bei der häufigeren talonavicularen Coalitio projizieren sich die Beschwerden auf den Sinus tarsi beziehungsweise das Chopard-Gelenk (vorne-aussen vor dem Sprunggelenk), bei der weniger häufigen subtalaren Coalitio auf den innenseitigen Bereich des unteren Sprungelenkes unterhalb des Innenknöchels. Hier besteht nicht selten die pathognomonische Vorwölbung des Sustentaculum tali. Klinisch imponiert oft eine zunehmende Knicksenkfüssigkeit, die sich rigide zeigt. Im Zehenspitzenstand richtet sich der Fuss nicht oder nur gering auf, die Ferse verbleibt valgisch. Die Beweglichkeit des unteren Sprunggelenkes oder des Chopard-Gelenkes zeigt sich reduziert oder aufgehoben und ist bei forcierter Bewegung schmerzhaft.
Coalitionen werden leider häufig übersehen. Dies führt für die Patienten häufig zu einer jahrelangen Leidensgeschichte. Bei persistierenden Rückfussbeschwerden und zunehmender oder steifer Knicksenkfüssigkeit muss der Patient daher bezüglich einer möglichen Coalition weiter abgeklärt werden.
Die Diagnose wird bei klinischem Verdacht mittels Röntgen (Schrägaufnahme des Fusses) und vor allem bei fibrösen Coalitionen mittels MRI gestellt.

Behandlung des Knicksenkfusses

Sollten sich bei einer Knicksenkfüssigkeit des Kindes im Verlauf Beschwerden zeigen, so wird entsprechend dem Ausmass der Fussfehlform primär eine Versorgung mit Fusseinlagen, weich bettend und nach Mass veranlasst. Ziel der Behandlung ist die Entlastung des Fusses und Erreichen einer Schmerz­freiheit.
Bei einer sehr ausgeprägten Knicksenkfüssigkeit und persistierenden Beschwerden trotz konservativer Massnahmen muss gegebenenfalls auch eine operative Aufrichtung diskutiert werden.
Bei dem Vorhandensein einer Coalition ist die Einlagenversorgung nicht zielführend, da der Fuss nicht flexibel ist. Die Einlagen werden häufig nicht vertragen. Bei entsprechender Schmerzhaftigkeit wird die Indikation zur Coalitio-Resektion oder USG-Arthrodese gestellt.

Hinweis

Teil 2 dieses Artikels mit dem Titel «Rumpfasymmetrien und Skoliose» erscheint in der nächsten Ausgabe des Primary and Hospital Care.
Dr. med. Sylvia Willi-Dahn
Oberärztin
Kinderorthopädie
Schulthess Klinik
Lengghalde 2
CH-8008 Zürich
Sylvia.Willi[at]kws.ch