«Das grosse Thema der Zukunft? Der Nachwuchs!»
Interview mit der JHaS-Präsidentin und dem mfe-Präsidenten

«Das grosse Thema der Zukunft? Der Nachwuchs!»

Aktuelles
Ausgabe
2019/05
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2019.10074
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2019;19(05):141-143

Affiliations
a Präsident mfe; b Präsidentin JHaS; c Kommunikationsbeuftragte mfe

Publiziert am 08.05.2019

Ein Interview mit der JHaS-Präsidentin und dem mfe-Präsidenten.

Warum wurden vor zehn Jahren zwei Hausarztverbände gegründet? Was ist so anders an mfe und den JHaS?
Regula Kronenberg: Als der Verein JHaS vor zehn Jahren gegründet wurde, waren dessen Ideen schon drei Jahre gereift und der Name JHaS bestand bereits. Ein Zusammenschluss mit mfe kam 2009 nicht zustande aufgrund unterschiedlicher primärer Ziele.
2009 war es verpönt, als junger Arzt Sympathie mit dem Hausarztberuf zu bekunden. In der Weiterbildung war man insbesondere im Spital auf sich gestellt und mit seinen Interessen allein auf weiter Flur, der Austausch mit Gleichgesinnten war sehr schwierig. JHaS wollte dies ändern mit dem Ziel, junge Ärzt/-innen mit dem Berufsziel Hausärztin/Hausarzt untereinander und mit den für sie relevanten Organisationen und Verbänden zu vernetzen sowie sich für die Anliegen der zukünftigen Hausärzte einzusetzen.
Philippe Luchsinger: mfe als Berufsverband wurde primär gegründet zur ­offiziellen Vertretung der Schweizer Hausärzt/-innen gegenüber der Bevölkerung, Behörden, FMH und weiteren Institutionen.
Philippe Luchsinger (ganz links) und Regula Kronenberg (dritte von links).
Regula, du bist neu Präsidentin der JHaS – welche drei Hauptziele hast du dir für deine Amtszeit gesetzt?
RK: Meine Vorgänger/-innen haben alle hervorragende ­Arbeit geleistet. Ihre Nachfolge anzutreten, ist eine grosse Herausforderung – aber natürlich auch Ehre und Freude. Ein Ziel ist sicher, dieses vorgelegte hohe ­Niveau zu halten und dabei auch mich selbst zu bleiben.
Die zunehmende Grösse und Entwicklung des Vereins sind eine wahre Freude, bringen aber auch neue Herausforderungen. Die Vereinsführung wird aufwändiger und komplexer. Unsere Werte und Grundziele stets im Auge zu haben und gleichzeitig wichtige, auch interne strukturelle Entwicklungen nicht zu verpassen, ist ein weiteres Ziel.
Als Präsidentin möchte ich nahe bei den Mitgliedern bleiben, ihren Anliegen eine Stimme geben und möglichst viele zur aktiven Mitarbeit motivieren. Zusammen mit dem ganzen Vorstand möchte ich dem Verein auch weiterhin ein Gesicht geben, mit dem sich möglichst viele junge (zukünftige) Hausärztinnen und Hausärzte identifizieren können.
Ist die Hausarztmedizin der Zukunft weiblich?
RK: Persönlich wünsche ich mir mittel- und langfristig in allen medizinischen Fächern und auf allen Hierarchiestufen ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis. Die Arbeit als Ärztin wie auch als Arzt muss in allen Gebieten vereinbar mit nebenberuf­lichen Verpflichtungen und der Erhaltung der eigenen Gesundheit werden. Kurz- und mittelfristig denke ich aber tatsächlich, dass es in der Hausarztmedizin mehr Ärztinnen als Ärzte geben wird.
Wie sieht die Hausarztpraxis in zwanzig Jahren aus? Über was verfügt sie, was sie jetzt noch nicht hat?
RK: Ich hoffe, dass es nach wie vor erlaubt und auch wirtschaftlich möglich ist, ein Praxislabor, Röntgen und Ultraschall sowie eine Praxisapotheke zu führen. Aktuell gibt es auf verschiedenen Ebenen sehr grosse Hürden für Zertifizierungen, und ich wünsche mir, dass dies nicht so ausufert und sinnvolle Medizin in der Praxis machbar bleibt. Auch die Limitationen liegen mir auf dem Magen. Es gibt falsche Anreize, wenn man sich rechtfertigen muss, dass der Patient komplex ist oder sich schlicht mehrere Probleme «aufgespart» hat und man dafür längere Konsultationen benötigt. Wenn sie noch ein anderes Anliegen haben, bestellt man sie dann nochmals ein, was die Kasse mehr kostet, mehr Zeit braucht und auch für die Patientinnen umständlicher ist und eventuell mit einem nochmaligen Fehlen am Arbeitsplatz verbunden ist. Zusammenfassend wünsche ich mir mehr Fokus auf die Patienten, deren Bedürfnisse und ihr Umfeld als auf die Finanzen/Kosten. Gerade bei den Finanzen müssen wir wegkommen vom Gärtchendenken und uns auf die entstehenden Kosten für die Gesamtgesellschaft fokussieren.
IT-mässig wünsche ich mir kompatiblere Systeme und auch eine gut gelöste Schnittstelle mit den Patientensystemen der Spitäler.
Wenn du an Philippes Stelle wärst – was würdest du ändern bzw. dir von und für mfe wünschen?
RK: Ich wünsche mir für mfe eine noch breitere und solidere Abstützung. Alle Haus- und Kinderärztinnen und -ärzte der Schweiz sollen sich mfe anschliessen und so gemeinsam über eine noch stärkere Stimme verfügen. ­Philippe ist mit mfe auf gutem Wege.
Wo sind eure konkreten Schnittstellen? Wie sieht die Zusammenarbeit bzw. die Aufgabenteilung aus?
RK: JHaS fördert mit seiner Arbeit den Nachwuchs und pflegt ein positives Image der Hausarztmedizin. mfe profitiert von beidem und unterstützt uns dafür ideell und finanziell. Wir als junge (angehende) Hausärztinnen und Hausärzte profitieren im Gegenzug direkt vom politischen Engagement von mfe. Gemeinsam können wir standespolitisch mehr erreichen und bekommen medial mehr ­Gehör.
Die JHaS haben eine riesige Entwicklung hinter sich – wo steht ihr in zehn Jahren?
RK: Die Herausforderung wird sein, den hohen erreichten Stand zu halten. Die aktuelle Erfolgswelle kommt nicht von ungefähr. Die bereits sehr erfolgreichen und etablierten Hauptpfeiler, wie der JHaS-Kongress und die lokalen Stammtische, werden weiter wichtig bleiben und sollen ausgebaut werden. Zudem werden wir in zehn Jahren noch deutlich mehr Mitglieder haben. Wir sind mit anderen Verbänden sowie auch international noch besser vernetzt und haben intern unsere Anliegen noch mehr konkretisiert und dafür politisch grösseren Einfluss und Gehör.
Wann und wo steigt die grosse JHaS-Party?
RK: Wir feiern im Anschluss an den Kongress am 27. April in Thun im Wendelsee unser zehnjähriges Jubiläum. Zusätzlich kommen wir am 14. Juni am Jubiläumsstammtisch an den diversen lokalen Standorten zusammen. Bei den JHaS ist aber immer irgendwo Party.
Gibt es eine Frage, die du schon immer Philippe Luchsinger stellen wolltest?
RK: Ich bin beeindruckt von seinem Auftreten. Er wirkt immer ausgeglichen, voller Energie, Motivation und ­Enthusiasmus – gleichzeitig kompetent, differenziert und authentisch. Wie er das schafft, trotz vieler und manchmal auch mühsamer Arbeit, würde mich schon interessieren.
Philippe, kannst du dich noch an die Gründung von mfe erinnern?
PL: Sicher erinnere ich mich noch gut an den Enthusiasmus, die grossartige Aufbruchsstimmung, den Optimismus, obwohl die Gründung in den nüchternen Räumen des Basler Kongresszentrums stattfand. Und auch an den Stolz, im Rahmen des europäischen Hausärztekongresses, der WONCA, den Haus- und Kinderärztinnen und -ärzten der Schweiz eine politische Stimme zu geben, entsprechend dem deutlich erstarkten Selbstbewusstsein: Wir sind wer und wir stehen ­dafür ein!
Wenn du die Ziele der damaligen Gründung vergleichst mit dem, was mfe heute tut – ist dies noch dasselbe? Was hat sich hauptsächlich verändert?
PL: Das erste Ziel war unsere Initiative. Mit dem neuen Verband im Rücken und den fleissigen Kräften an der Arbeit wurde sie ja auch ein riesiger Erfolg. Die Grundziele sind die gleichen geblieben: Stärkung der Haus- und Kinderärztinnen und -ärzte in ihrer täglichen ­Arbeit. Dazu braucht es die intensive politische Wahrnehmung gegen innen wie aussen. Und dazu braucht es auch die starke Repräsentation innerhalb der Ärzteschaft. Der Unterschied: die Aufbauarbeit ist geleistet, es geht jetzt darum, die Position quasi zu justieren, unsere Stärken weiter auszubauen, unsere Schwächen zu beheben. Das können wir nur, wenn alle hinter uns stehen: «one voice, one structure».
Gibt es DAS grosse Thema bei mfe, das deine Arbeit in den nächsten Jahren massgeblich prägen wird?
PL: Die Antwort ist einfach: der Nachwuchs! Den Weg für den Nachwuchs zu ebnen, heisst, alle unsere Themen immer weiter zu bearbeiten und à jour zu halten. Wenn wir die Attraktivität unseres Berufs zeigen, erhalten und ausbauen wollen, müssen wir weiterhin dafür kämpfen. So müssen wir wissenschaftlich fundiert aufzeigen, was wir leisten und ­bewegen. Weiter sollten wir bei eHealth am Drücker bleiben, unsere Vorstellungen von Interprofessionalität weitertragen und ausbauen und unsere Visionen der Grundversorgung als Basis eines gesunden Gesundheitssystems konkretisieren. Auch werden wir uns weiterhin engagieren, damit unsere ­Arbeit im Tarif korrekt abgebildet wird.
Angesichts der multiplen Herausforderungen im Gesundheitswesen bezüglich Kosten, neuer Technologien, ethischer Fragen – wie müsste die Thematik aus politischer Sicht angegangen werden? Was muss geschehen, dass sich etwas ändert?
PL: Im Moment wird überall «gepflästerlet»: Die Ökonomen versuchen, an den Kosten zu schrauben oder sie zu deckeln, ohne die Dynamik des Gesundheitswesens in ihren Modellen abbilden zu können. Die Politik folgt ­ihnen mit Initiativen, die entweder zu fokussiert oder zu breit formuliert sind und für das gesamte Gesundheitswesen keine Lösungen beinhalten. Viele Versicherer und Teile der Ärzteschaft sehen überall Feinde und Gefahren, was schlicht eine konstruktive Arbeit ver­unmöglicht. Natürlich ist es schwierig, mit einem KVG, einem Krankenversicherungsgesetz, Gesundheitspolitik zu machen. Aber es gäbe Möglichkeiten. Eine wäre «Das Rezept für eine gesunde Schweiz», die wir von mfe lanciert haben. Gesundheitssysteme, die hausarzt­basiert sind, zeigen eine hohe Qualität bei vernünftigen Kosten. Man müsste sich halt darauf einlassen …
Wie feiert mfe das zehnjährige Bestehen? Gibt es etwas, das die Mitglieder nicht verpassen sollten?
PL: Begonnen zu feiern haben wir eigentlich schon mit der Image-Kampagne im letzten Herbst. Wir werden immer wieder mit unseren Statements aufzeigen, was es heisst, Haus- oder Kinderärztin zu sein. An zwei Daten möchten wir speziell feiern: an und nach der Generalversammlung am 27. Juni im KKL Luzern und am 26. September mit einem speziellen Symposium und hochkarätigen Gästen. Und natürlich würde es mich ­ausserordentlich freuen, wenn möglichst viele Mitglieder daran teilnehmen könnten.
Gibt es eine Frage, die du schon immer der Präsidentin der JHaS stellen wolltest?
PL: Ich bewundere bei den JHaS, und speziell bei Regula, mit welchem Enthusiasmus und welcher Zielstrebigkeit sie ihre Themen aufgreifen und portieren. Ich selbst habe erst im hohen Alter den Weg an die Spitze eines Verbands angetreten: Woher nimmst du den Mut, für die JHaS einzustehen?
Welches war euer persönliches Schlüsselerlebnis, das euch zur Hausarztmedizin gebracht hat?
RK: Es gibt kein spezielles Erlebnis, es waren mehrere einzelne Erkenntnisse und sicher auch Begegnungen mit prägenden Menschen. Zur Medizin kam ich dank Wissenshunger und breitem Interesse. Ich wollte verstehen, wie der Mensch funktioniert. Naturwissenschaften interessierten mich genauso wie Geistes­wissenschaften. Zudem wollte ich immer «etwas Sinnvolles» machen, am liebsten intellektuelle und praktische/manuelle ­Arbeit kombinieren. Zum Beruf Hausärztin bin ich schlussendlich gekommen, weil da viele dieser Interessen und Fähigkeiten gefragt sind und es damit das vielfältigste und spannendste Fachgebiet ist. Es braucht auch die Freude an einer teilweise «detektivischen» ­Arbeit. Zudem hat man dabei den grössten und nachhaltigsten Effekt auf die Gesundheit eines Menschen, man kann die Probleme besser bei der Wurzel packen und begleitet die Menschen in allen Lebenslagen. Sicher waren auch das Hausarztpraktikum im Studium sowie die Zeit in der Hausarztpraxis im Wahlstudienjahr prägend.
PL: Am Ursprung stand die Frage nach dem Sinn des Lebens, wie ihn Pubertierende häufig stellen. Um meinem Leben einen Sinn zu geben, wollte ich dank und aufgrund meiner privilegierten Position (sichere soziale ­Situation, gute Bildung, gute Gesundheit) anderen ­Menschen in ihrem Leben zur Seite stehen. Die Hausarztmedizin ist konkret, nah, unmittelbar, für mich schlicht ideal.
Sandra Hügli-Jost
Kommunikations­beauftragte
mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz
Geschäftsstelle
Effingerstrasse 2
CH-3011 Bern
sandra.huegli[at]hausaerzteschweiz.ch