Hyperlipidämie-Guideline von mednetbern
Was ist neu beim Update 2018?

Hyperlipidämie-Guideline von mednetbern

Fortbildung

Affiliations
a mednetbern, b beratender Kardiologe

Publiziert am 05.06.2019

Das Ärztenetzwerk mednetbern leistet mit der Erarbeitung von medizinischen ­Guidelines [1] zu den grossen Diagnosen, die in die Domäne der Grundversorgung gehören, einen Beitrag zur Verbesserung der Qualität der Hausarztmedizin.

Ausgangslage, Zielsetzung, Methodik

Fünf Jahre nach der Einführung unserer ersten Guideline zur Hyperlipidämie [2] war die Zeit reif für diverse Anpassungen. Unklarheiten, Lücken und Mängel der bisherigen Guideline sollten beseitigt, und uns wichtig erscheinende Neuerungen bekanntgemacht werden. Ein Projektteam revidierte die bisherige Richtlinie. In einem Vernehmlassungsverfahren konnten sich die 65 meist sehr erfahrenen Netzwerkmitglieder zu den vorgeschlagenen Neuerungen äussern. Die Feedbacks wurden analysiert und in die neue Guideline-Version integriert.

Nutzen, Ergebnisse

Wichtige Neuerungen sind die Charts zur Risiko­beurteilung und die Empfehlungen zu Lifestyle- und Diätmassnahmen, die speziell zur Verwendung im Patientengespräch gestaltet wurden. Die Pharmakotherapie wurde ebenfalls komplett überarbeitet.

Risikogruppen und deren ­LDL-­Cholesterin-Zielwerte

Die Behandlung unserer Patientinnen und Patienten ist abhängig vom Schweregrad der Hyperlipidämie, der im Kontext des individuellen kardiovaskulären Risikos ermittelt wird. Für die Therapie-Zielwerte ist nur noch das LDL-C (Low Density Lipoprotein-Cholesterin) relevant. Unsere LDL-C-Zielwertempfehlungen richten sich nach den aktuellen Empfehlungen der European Society of Cardiology (ESC) [3].
Die kürzlich publizierten neuen Empfehlungen der AGLA (Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose) wurden mit einem Mitglied des Ausschusses des AGLA-Vorstandes diskutiert. Insbesondere die geplante Empfehlung zur flächendeckenden Therapie aller Betroffenen von der Jugend an, die ein LDL-C >4,9 mmol/l haben, auch mit formal niedrigem bis mässigem Risiko, wird wegen noch fehlender starker Evidenz nicht in unsere Guideline aufgenommen [4–6].
Das Erreichen von LDL-C <2,6 mmol/l (Patient/-innen mit hohem Risiko), bzw. LDL-C <1,8 mmol/l (Patient/-innen mit sehr hohem Risiko) ist schwierig genug, wie der Alltag beweist. Die alternativ empfohlene Senkung des LDL-C um 50% des Ausgangswerts (Reduktion um 50% bei LDL-C-Ausgangswert zwischen 2,6 und 5,2 mmol/l in der Gruppe mit hohem Risiko, und ­Reduktion um 50% bei LDL-C-Ausgangswert zwischen 1,8 und 3,5 mmol/l in der Gruppe mit sehr hohem ­Risiko) ist eine neue Herausforderung, der wir uns nicht entziehen können.

Nichtmedikamentöse Therapie

Patientenschulung und -motivierung sind Kernkompetenzen der Hausärztin/des Hausarztes, und ihr Erfolg gründet auf ganz festen therapeutischen Bündnissen zwischen Arzt und Patient.
Prioritär ist die Aufklärung über die Situation. Zur Risikobeurteilung im Assessmentprozess empfehlen wir unseren mednetbern-SCORE-Chart, beruhend auf dem von der ESC empfohlenen SCORE-Chart. Er wurde von uns speziell für das Patientengespräch modifiziert ­(Kopiervorlage zum Ausdrucken finden Sie im Anhang an die Onlineversion dieses Artikels unter www.primary-hospital-care.ch). Alternativ empfehlen wir das Risikobestimmungs-Tool der AGLA (internetbasierte Formel mit Printmöglichkeit des Resultats) [7]. Hauptunterschied ist, dass die Prozentzahlen für das 10-Jahres-Risiko mit dem AGLA-Score drei- bis viermal höher sind als mit dem mednetbern-SCORE-Chart, da nicht nur die tödlichen, sondern auch die nicht-tödlichen atherosklerotischen Ereignisse Eingang finden.
Einen viel höheren Stellenwert als in der bisherigen Guideline räumen wir unseren Empfehlungen zu Lifestyle- und Diätmassnahmen ein (Kopiervorlage für das Patientengespräch oder zum Mitgeben nach Hause ebenfalls online im Anhang an diesen Artikel).
Wichtig: vor allem jüngeren Patientinnen und Patienten mit vielen Risikofaktoren muss eine ­sofortige ­Lebensstiländerung empfohlen werden (Gesamtrisiko scheinbar niedrig, aber in dieser Situation ist das Life-time-Risiko wichtiger als das 10-Jahres-Risiko).

Pharmakotherapie in der Primär- und ­Sekundärprävention

Weitgehend unbestritten – weil durch starke Evidenz untermauert – ist die medikamentöse Behandlung der Hyperlipidämie in der Sekundärprävention nach ­atherosklerotischen Ereignissen: LDL-C-Zielwert: <1,8 mmol/l oder Reduktion um mindestens 50% bei Ausgangs-LDL-C zwischen 1,8 und 3,5 mmol/l. Patient/-innen mit Diabetes mellitus [8] und Niereninsuffizienz ­müssen gleich behandelt werden, wobei die LDL-C-Zielwerte <1,8 oder <2,6 mmol/l vom Schweregrad des Grundleidens abhängig sind (siehe Guideline-Tabelle).
Mehr Mühe haben wir bei Therapieentscheiden in der Primärprävention bei Patient/-innen mit niedrigem bis mässigem kardiovaskulären Risiko. mednetbern fasst die Gruppen mit niedrigem Risiko (10-Jahres-Todes­fallrisiko <1%) und mässigem Risiko (10-Jahres-Todesfall­risiko ≥1% bis <5%) vereinfachend in einer Gruppe zusammen: Schweregrad 1. Dieser Schweregrad 1 entspricht etwa den AGLA-Risikokategorien «niedrig» und «moderat». Grund ist die Therapierelevanz: Beide sollen bestimmt eine Beratung erhalten, aber eine Zielwertempfehlung für LDL-C <3,0 mmol/l in der Gruppe mit mässigem Risiko hat lediglich den schwachen Evidenzgrad C. Wir formulieren deshalb unsere Therapieempfehlung offen: «Im Einzelfall zu entscheiden».

Medikamente

Statine sind Standard. Neu in unserer Guideline werden unter «in Spezialfällen» die Fixkombinationen ­Statin/Ezetimib, sowie die PCSK9(Proproteinkon­vertase Subtilisin/Kexin Typ 9)-Hemmer aufgeführt. Die PCSK9-Hemmer dürfen – wohl wegen des hohen Preises – von Hausärztinnen und Hausärzten gar nicht verordnet werden, sondern nur durch ausgewiesene Hypercholesterinämie-Expert/innen, sowie Fachärztinnen und -ärzte FMH für Angiologie, Diabetologie/Endokrinologie, Kardiologie, Nephrologie oder Neurologie [9].

Weitere Ergänzungen

Konkrete Empfehlungen zu Verlaufskontrollen, Laboruntersuchungen, Komorbiditäten und zum Vorgehen bei Therapieresistenz sollen der Praxistauglichkeit entgegenkommen und runden unsere Guideline ab.

Schlussfolgerung, Ausblick

Obwohl unsere Guideline aus dem Jahr 2013 retrospektiv betrachtet noch recht gut ist, versuchten wir, die wesentlichen Entwicklungen zu erkennen und zu berücksichtigen. Die Modifikation der Medikamentenvorschläge und die stärkere Gewichtung der nichtmedikamentösen Therapiemassnahmen werden unsere Behandlungsergebnisse zusätzlich verbessern. Rauchstopp und Behandlung der arteriellen Hypertonie ­dürfen im Behandlungskonzept Atherosklerose auf keinen Fall fehlen. Wir begrüssen sämtliche Anstrengungen der Akademie, mehr Evidenz in die Primär­prävention zu bringen und wünschen uns Antworten auf ungeklärte Fragen. Vor allem junge Menschen mit ­Hyperlipidämie mit formal niedrigem bis mässigem 10-Jahresrisiko sollten kostengünstig auf ihr Lifetime-Risiko untersucht werden können, damit gezielt die­jenigen schon früh in den Genuss einer Behandlung kommen, die auch davon profitieren werden. Bei Patient/-innen über 70 Jahre führte die Primärprävention zu keiner Reduktion von Gesamtmortalität oder kognitiver Dysfunktion, wobei die Rate der Herzinfarkte und Schlaganfälle reduziert werden konnte. Auch dieses Dilemma soll mit den Patient/-innen offen diskutiert und im jeweiligen Einzelfall gemeinsam entschieden werden.
Hinweis
Die «Guideline Hyperlipidämie» sowie den mednetbern-SCORE-Chart und die Empfehlungen zu Lifestyle- und Diätmassnahmen von mednetbern finden Sie in der Online-Version dieses Artikels unter www.primary-hospital-care.ch.
Dr. med. Amato Giani
Facharzt FMH für Allgemeine Innere Medizin
Sidlerstrasse 4
CH-3012 Bern
amato.giani[at]hin.ch
1 Giani A, et al. Qualitätsarbeit in einem Ärztenetzwerk die Erarbeitung von Guidelines. PrimaryCare. 2011;11(16):282–4. https://doi.org/10.4414/pc-d.2011.08962
2 Giani A, et al. Qualitätsarbeit in einem Ärztenetzwerk – neue ­Erkenntnisse bei der Erarbeitung einer Guideline zur ­Hyperlipidämie. PrimaryCare. 2014;14(01):7–10. https://doi.org/10.4414/pc-d.2014.00553
3 Alberico L. Catapano, et al. 2016 ESC/EAS Guidelines for the Management of Dyslipidaemias. European Heart Journal, Volume 37, Issue 39, 14 October 2016, Pages 2999–3058. https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehw272
4 AGLA 2018. https://www.agla.ch/
5 von Eckardstein A, et al. Empfehlungen zur Prävention der Atherosklerose 2018: Update der AGLA, Swiss Med Forum. 2018;18(47):975–80, https://doi.org/10.4414/smf.2018.03407
6 Rodondi N, Waeber G. Dyslipidämien: Wie sind die neuen Empfehlungen in der Praxis anzuwenden? Swiss Med Forum. 2018;18(47):973–4. https://doi.org/10.4414/smf.2018.03419
8 WHO: Guidelines for the management of dyslipidaemia in patients with diabetes mellitus. http://applications.emro.who.int/dsaf/dsa699.pdf
9 Swissmedic Arzneimittelinformation. http://www.swissmedicinfo.ch