Folge 1: Wie giftig ist der Oleander?
Tox Info Suisse: Über 50 Jahre Beratung bei Vergiftungen

Folge 1: Wie giftig ist der Oleander?

Fortbildung
Ausgabe
2019/06
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2019.10091
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2019;19(06):179-180

Affiliations
Tox Info Suisse, Assoziiertes Institut der Universität Zürich, Zürich

Publiziert am 05.06.2019

Neue Serie zu Vergiftungen.

Oleander (Rosenlorbeer, Nerium oleander) ist eine immergrüne Pflanze, die in allen Pflanzenteilen verschiedene herzwirksame Glykoside (u.a. Oleandrin, Digitoxigenin, Folineriin) enthält. Die Vergiftung entspricht im Wesentlichen einer Digitalisintoxikation, die sich mit Erbrechen, Diarrhoe, Schwäche und Verwirrtheit sowie kardialen Zeichen wie Brady- oder Tachyarrhyth­mien und Hyperkaliämie äussern kann [1].
In den im Handel üblichen Zuchtformen ist der Glykosidgehalt im Vergleich zu wildwachsenden Pflanzen jedoch stark reduziert. Der höchste Gehalt an Herzglykosiden ist prinzipiell in der Blütezeit zu finden (circa Juni bis Oktober). Getrocknete Blätter und Blüten enthalten etwas weniger Giftstoffe als frische Blätter [2].
Tox Info Suisse registriert pro Jahr rund 35 telefonische Anfragen zu Oleander-Intoxikation bei Menschen. Davon sind etwa zwei Drittel der Betroffenen Kinder, und der Verzehr ist in den meisten Fällen akzidentell.
Gemäss den 43 ärztlichen Rückmeldungen, die Tox Info Suisse im Zeitraum von 1997–2018 registrierte, verliefen über die Hälfte der Vergiftungen mit Oleander ohne Symptome (n = 24, 56%), bei 13 Patient/-innen (30%) traten leichte gastrointestinale Symptome auf. Dabei handelte es sich mehrheitlich um Kinderunfälle. Bei sechs erwachsenen Patienten (14%) kam es nach beabsichtigter suizidaler Einnahme mehrerer Blätter zu teils schweren, therapiebedürftigen Herzrhythmusstörungen. Bei den Kinderunfällen kam es hingegen nie zu mehr als leichten Symptomen.
Glücklicherweise sind Oleanderblätter recht hart und haben einen unangenehmen Geschmack, so dass Kleinkinder kaum grössere Mengen verzehren. Dennoch empfiehlt Tox Info Suisse die Pflanze sicherheitshalber nicht in Reichweite von Kleinkindern zu platzieren.

Symptome bei einer Intoxikation

Bis anhin sind sowohl in der Kasuistik von Tox Info ­Suisse als auch in grösseren Fallserien nach akziden­teller Einnahme von Oleander meist nur asympto­matische oder leichte Verläufe bei Kindern und ­Erwachsenen beschrieben. Schwere Verläufe mit the­rapiebedürftigen Herzrhythmusstörungen nach Einnahme grösserer Mengen in suizidaler Absicht sind ­jedoch möglich [1, 2].
Nach Verzehr kleinerer Mengen, beispielsweise einem einzelnen Blatt, werden lokale Anzeichen mit Brennen, Rötung und Taubheitsgefühl im Mundbereich beschrieben. Bei Hautkontakt mit Pflanzensaft können ebenfalls Juckreiz und Rötung auftreten.
Gastrointestinale Beschwerden wie Nausea, Erbrechen, Bauchschmerzen und Diarrhoe sind im weiteren Verlauf typische Symptome bei oraler Einnahme. Nach Einnahme einer grösseren Menge kann es zu bedrohlichen Herzrhythmusstörungen wie Sinusbradykardie, AV-Block, Vorhof- oder Kammerflimmern sowie zu Blutdruckabfall und Elektrolytstörungen (typisch Hyperkaliämie durch Hemmung der Na+/K+-ATPase) kommen [1–3].
Die Symptomatik manifestiert sich in der Regel innert zwei bis sechs Stunden, bei Einnahme von Teeaufguss, Wurzel- oder Blattextrakt jedoch rascher [1].

Massnahmen bei einer Intoxikation – Empfehlungen von Tox Info Suisse

• Nach Einnahme einer geringen Menge (bei Kindern zum Beispiel ein bis fünf Blüten, ein kleines Blatt oder Blattstück) reicht eine häusliche Beobachtung. Bei mehr als leichten Magendarmsymptomen wie Nausea, Bauchschmerzen oder einmaliges Erbrechen empfiehlt Tox Info Suisse eine ärztliche Kontrolle.
• Nach Einnahme mehrerer Blätter oder Pflanzensud wird eine primäre Dekontamination empfohlen: Endoskopische Entfernung von Blättern bei poten­ziell schweren Intoxikationen in der Frühphase (ein bis zwei Stunden nach Einnahme der Blätter). Anschliessend sollte eine Verabreichung von Aktivkohle ­erfolgen. Sonst wird primär Aktivkohle in der Dosierung von 1 g/kg (auch nach längerer Latenz bei Ingestion von Pflanzenteilen) empfohlen [2].
• Supportive Therapie, wie Kreislaufstabilisierung und Korrektur von Elektrolytstörungen.
• Bei schweren kardialen Störungen oder schwerer Hyperkaliämie können Digitalis spezifische Fab-­Antikörper eingesetzt werden [4, 5].
Dr. med. Katharina E. Hofer
Tox Info Suisse
Freiestrasse 16
CH-8032 Zürich
Katharina.Hofer[at]toxinfo.ch
1 Krenzelok EP. Nerium oleander ingestions are relatively benign. Clin Toxicol. 2015;53:113.
2 Bandara V, Weinstein SA, White J, Eddleston M. A review of the natural history, toxinology, diagnosis and clinical management of Nerium oleander (common oleander) and Thevetia peruviana (yellow oleander) poisoning. Toxicon. 2010;56:273–81.
3 Tatlisu MA, Çekirdekçi EI, Akyüz S, Nurkalem Z. A case of Mobitz type II atrioventricular block due to Nerium oleander poisoning successfully managed with digoxin-specific Fab antibody fragments. Turk Kardiyol Dern Ars. 2015;43:648–50
4 Safadi R, Levy I, Amitai Y, Caraco Y Beneficial effect of digoxin-­specific Fab antibody fragments in oleander intoxication. Arch Intern Med. 1995;155(19):2121.