Guidelines für Grundversorgende: Asthma bronchiale
Richtlinien von mednetbern

Guidelines für Grundversorgende: Asthma bronchiale

Fortbildung
Ausgabe
2019/08
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2019.10094
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2019;19(08):246-249
Data Supplement
Asthma_Guideline.pdf

Affiliations
a mednetbern, b beratender Pneumologe

Publiziert am 31.07.2019

Patientenschulung zu Medikamenten-Inhalationstechnik, Schutz vor Allergenexposition und Luftverschmutzung, Verhaltensanweisungen bei Symptomverschlechterung, Motivation zum Rauchstopp, körperlicher Aktivität und Impfungen sind die Säulen der Behandlung unserer Patientinnen und Patienten mit Asthma bronchiale.

Ausgangslage, Zielsetzung, Fragestellung

Das Ärztenetzwerk mednetbern versucht, zwischen der realen Situation einer Gruppe erfahrener Grundversorger, und der idealen, von internationalen Experten empfohlenen Vorgehensweise zum Management des Asthma bronchiale (ICD 10: J45 Asthma bronchiale) im ambulanten Setting eine Brücke zu schlagen. Die Guidelines von GINA (Global Initiative for Asthma) [1], ERS (European Respiratory Society) [2] und SGP (Schweize­rische Gesellschaft für Pneumologie) [3] sind wegen ­ihres grossen Umfangs und ihrer speziellen Heran­gehensweise nur beschränkt praxistauglich. Die 2018 im Respiration erschienene Schweizer Guideline [4] war zum Zeitpunkt der Erarbeitung und Drucklegung ­unserer Guideline (Nov. 2017) noch nicht publiziert. In ­unserer Guideline legen wir grossen Wert auf die Differenzierung in die Schweregrade leicht, mittelgradig und schwer, um durch die exakte Applikation der medikamentösen Stufentherapie jedem Asthma-Patienten eine massgeschneiderte individuelle Behandlung zu ermöglichen. Der GINA-4-Fragen-Test und die Spirometrie mit Bronchodilatationstest erlauben uns, das Arsenal der hervorragenden Medikamente, die sich ­gegenwärtig auf dem Markt befinden, korrekt einzusetzen.

Beschreibung, Methodik

Das vorliegende Projekt gründet auf unseren früheren Guideline-Projekten für Hausärztinnen und Hausärzte. Die vertikale Verbindlichkeit der Guidelines (global GINA, kontinental ERS, national SGP) wird eingehalten und mit dem Wissens- und Erfahrungsschatz der 65 Netzwerkmitglieder aus zehn Qualitätszirkeln im Vernehmlassungsverfahren abgeglichen und ergänzt. Aufnahme in unsere Guideline finden nur Fakten, welche die Kriterien der evidenzbasierter Medizin (EBM) erfüllen (möglichst level of evidence A, recommendation class 1). Das Ergebnis ist eine Guideline in Form eines praktischen laminierten Faltblattes, neben einer allgemein und kostenlos zugänglichen elektronischen Version. Ein PDF der Guidelines finden Sie im Anhang an die Onlineversion dieses Artikels unter www.primary-hospital-care.ch.

Nutzen, Ergebnisse

Asthma bronchiale ist eine Erkrankung, die allein schon wegen ihrer Häufigkeit von grosser gesundheitspolitischer und -ökonomischer Bedeutung ist und in die Domäne der Grundversorgung gehört. Die weltweite Prävalenz beträgt 3,3%, mit über 200 Millionen betroffenen Menschen [5, 6]. Asthma bronchiale steht für 6% der Diagnosen in der Hausarztpraxis, und zusammen mit der COPD stehen diese beiden Atemwegs­erkrankungen mit 12% auf Rang 5 der hausärztlichen Diagnosenhäufigkeit [7]. Gewisse Erkenntnisse und Schlussfolgerungen sind überraschend und erhöhen die Behandlungssicherheit und -qualität. Wichtige Ergebnisse sind unter anderem:

Definition

«Entzündungsbedingte variable Atemwegsobstruktion, die in der Regel reversibel ist und zu Husten, pfeifender Atmung, Dyspnoe und thorakalem Engegefühl führt. Auftreten und Intensität der Symptome sind variabel.» Die COPD dagegen ist definiert als «Meist progrediente, persistierende Einschränkung des Atemflusses mit verstärkter chronischer Entzündungsreaktion der Atemwege auf schädliche Partikel und Gase, die zu Husten, Sputum und später Dyspnoe führt». Unsere Definition eignet sich besonders gut als Botschaft zur verständlichen Erklärung der Krankheit im Patientengespräch.

Anamnese

Beim Vorliegen der Kardinalsymptome Husten, pfeifende Atmung, thorakales Oppressionsgefühl, Anstrengungs- oder Ruhedyspnoe, häufige und prolongierte respiratorische Infekte, fragen wir gezielt nach genetischer Prädisposition für Asthma und Allergie, Atopie, Berufsanamnese (z. B. Landwirt, Bäcker etc.) sowie nach Triggern (Allergene, respiratorische Infekte, Anstrengung, Angst etc.).

Klinische Untersuchung

Auskultationsbefund: Giemen bei (forcierter) Exspiration. Verlängertes Exspirium. Im Intervall normal.

Spirometrie

Konsequenz bei auffälliger Anamnese und Klinik ist immer die Spirometrie mit Bronchodilatationstest. Ein spezieller Abschnitt unserer Guideline geht im Detail auf diese fundamentale apparative Untersuchung ein. Ein Tiffeneau-Quotient (FEV 1/FVC) <0,75–0,80 (Erwachsene) bzw. <0,90 (Kinder) spricht für eine Bronchoobstruktion. Eine Zunahme des Erstsekundenvolumens (FEV 1) um >200 ml und >12% im Bronchodilatationstest bestätigt die (Teil-)Reversibilität der Bronchoobstruktion durch Bronchodilatatoren.

Diagnose

Die Diagnose wird durch die Kombination von typischer Anamnese und mindestens einer der vier folgenden Untersuchungen gestellt:
– Spirometrie mit erniedrigtem Tiffeneau-Quotient;
– positiver Bronchodilatationstest;
– Lungenfunktionsverbesserung spontan oder nach vierwöchiger Therapie mit ICS (inhalative Cortico­steroide);
– Peak-Flow-Variabilität.
Da sich unsere Guideline explizit an Grundversorgende richtet, wird auf Bronchoprovokationstests (Mannitol, Methacholin etc.) und ausgeatmetes NO (FeNO) verzichtet, da diese Untersuchungen in die Domäne der Pneumolog/-innen gehören. In unklaren Fällen ist es notwendig, den Spezialisten zur Sicherung der Diagnose beizuziehen.

Differenzialdiagnose

Am wichtigsten sind COPD und ACO (Asthma-COPD-Overlap).

Assessment

Das vierteilige kombinierte Asthma-Assessment besteht aus einer Synthese von Symptomkontrolle, prognostisch ungünstigen Risikofaktoren, Komorbiditäten und dem Asthma-Schweregrad. Ziel ist die Erarbeitung einer patientenspezifischen Behandlungsstrategie.
1 Symptomkontrolle: Assessment der Symptome mit dem GINA-4-Fragen-Test (siehe in der Guideline-Tabelle unter Assessment → 1. Symptomkontrolle). Ergänzend ist auch der Asthma-Kontroll-Test (ACT) nützlich [8].
2 Prognostisch ungünstige Risikofaktoren: zum Beispiel Rauchen, chronische Allergenexposition, häufige Exazerbationen, tiefes FEV1 (<60%).
3 Komorbiditäten: zum Beispiel Adipositas, Schlaf­apnoesyndrom, Depression/Angststörung.
4 Asthma-Schweregrade: Nach mehrmonatiger Therapie gemäss Stufeneinteilung (siehe in der Guideline-Tabelle unter Therapiemassnahmen → Pharmakotherapie → Stufentherapie) erfolgt die retrospektive Beurteilung: Behandlungsstufen (steps) 1–2 sind ausreichend zur Symptomkontrolle = leichtes Asthma, Stufe 3 = mittelgradiges Asthma, Stufen 4–5 = schweres Asthma.

Behandlungsstrategie

Die Behandlungsstrategie resultiert aus den Erkenntnissen des Assessments. Ziel ist eine patientenspezifische Therapie zur Symptomkontrolle. Die Auswahl der für den Patienten idealen Therapie wird ergänzt durch ein möglichst rigoroses Angehen der prognostisch ungünstigen Risikofaktoren und eine konsequente Behandlung der Komorbiditäten.

Therapiemassnahmen

Therapiemassnahmen werden in nichtmedikamentöse Massnahmen, Impfungen und Pharmakotherapien unterteilt.
Nichtmedikamentöse Massnahmen: Rauchstopp ist essenziell. Bei Allergien Expositionsprophylaxe. Schimmelpilzsanierung: Evidenz A. Patientenschulung [9] zur Inhalationstechnik, Instruktion zur Führung des Asthmatagebuches zur Erfassung von Peak-Flow, Exazerbationszeichen, und individueller schriftlicher Asthma-­Aktionsplan zum Selbstmanagement. Bei gesichertem Berufsasthma: Umschulung.
Impfungen: Grippeimpfung (Evidenz D). Pneumokokkenimpfung: Bei schwerem Asthma [10].
Pharmakotherapie: Sie richtet sich nach den GINA-Stufen 1–5, wobei Stufe 1 mit der minimalen und Stufe 5 mit der maximalen Medikation behandelt wird (siehe in der Guideline-Tabelle unter Therapiemassnahmen → Pharmakotherapie → Stufentherapie). Unterscheidung zwischen Basistherapie (Controller) und Bedarfstherapie (Reliever). Für jede Stufe benennen wir eine Standard­therapie und optionale Therapien. Spezialfälle: An­strengungsasthma und reines saisonales allergisches Asthma.

Behandlungsalgorithmus

Behandlungsbeginn bei Stufe 2. Wenn jedoch Asthmasymptome fast täglich, nächtliches Erwachen ≥1×/Woche und Risikofaktoren für Exazerbationen bestehen, wird bei einer höheren Stufe begonnen. Ist das Asthma mit der installierten Pharmakotherapie nur teilweise kontrolliert, oder unkontrolliert, wird die Therapie um 1 oder 2 steps gesteigert. Bei Therapieresistenz Überweisung des Patienten an den Pneumologen/die Pneumologin. step down (Reduktion der Pharmakotherapie um eine Stufe) nur nach mehrmonatiger totaler Symptomkontrolle.

Asthma-Aktionsplan für Patientinnen und Patienten

Die Guideline enthält Beispiele für konkrete schriftliche Instruktionen im Asthmatagebuch, wie sich die Patientinnen und Patienten bei einem Peak-Flow-Abfall/einer Symptomverschlechterung verhalten sollen.

Notfallsituation Asthmaanfall

Dosier-Aerosol mit Vorschaltkammer (4–10 Hübe pro 20 Minuten) oder Feuchtinhalation mit SABA (kurzwirksame Beta-2-Agonisten) oder SABA plus Ipratropiumbromid. O2-Gabe bei SpO2 <93–95%. Prednisolon 1 mg/kg/Tag bis maximal 50 mg für 5–7 Tage; im schweren Anfall Methylprednisolon 80–125 mg i.v., evtl. zusätzlich Magnesium 2 g i.v. über 20 Minuten.

Medikamente

ICS sind die Mittel der Wahl. SABA haben ihren festen Platz als Reliever und als Monotherapie bei Stufe 1 [11]. LABA (langwirksame Beta-2-Agonisten) sind wegen erhöhtem Risiko für asthmabedingte Todesfälle nur in Kombination mit ICS erlaubt. Bei den ICS ist die korrekte Dosierung entscheidend: So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Unterschieden werden eine niedrige, mittlere und hohe Dosis zur Bedienung der steps 2–5. Deshalb wird die Guideline mit einer praktischen Tabelle zur Abschätzung der klinischen Vergleichbarkeit der ICS abgerundet. Diese ist hilfreich, damit wir uns beim Medikamentenwechsel sicher zwischen den steps hin und her bewegen können. Die ICS-Äquivalenz-Tabelle von mednetbern unterscheidet sich von derjenigen aus der GINA-Guideline. Begründung: Im Falle des Fluticasonfuorat (enthalten im Produkt Relvar®), bewog uns die Analyse von zwei publizierten Studien, die Einteilung von Fluticasonfuorat in die mittlere und hohe ICS-Dosis zu bevorzugen [12, 13]. Damit kann auch die Stufe 3 zuverlässig mit diesem Präparat bedient werden. mednetbern bevorzugt jedoch in der Stufe 3 das Symbicort®, da es sowohl als Controller und gleichzeitig auch als Reliver zugelassen ist. LTRA (Leukotrien-Antagonisten) und Biologika sind Spezialfällen vorbehalten.

Medikationstrend

Wir erkennen aus den Verschreibungen unserer Spezialisten, aber auch an den Marktanteilen, dass der Trend hin zu einmal täglichen Applikationen geht. Das scheint uns vernünftig, denn bei der Asthmabehandlung ist die Compliance das A und O. Jede Behandlungsvereinfachung ist zu begrüssen.

Schlussfolgerung, Ausblick

In der Behandlung des Asthma bronchiale ist die Notfallsituation Asthmaanfall glücklicherweise seltener geworden. Dies hauptsächlich dank dem flächen­deckenden weitgehend unbestrittenen Einsatz von ­immer besseren ICS. Dadurch können die meisten Asthma-Patienten eine sehr gute Lebensqualität mit insgesamt recht wenig Nebenwirkungen geniessen. Mit unserer Guideline möchten wir den Hausärztinnen und Hausärzten, die beim Management dieser ­Erkrankung eine Schlüsselposition einnehmen, eine alltagstaugliche Hilfestellung bieten. Eine kluge Anamnese, die leicht durchführbare Spirometrie mit Bronchodilatationstest, zusammen mit dem GINA-4-Fragen-Test, erlauben uns, jedem Patienten die korrekte Therapie zu verordnen. Regelmässige Kontrolle der Inhalationstechnik (Patient/-in muss das Device zu jeder Konsultation mitbringen und die Inhalation vordemonstrieren), Motivation zu Rauchstopp, körperlicher Bewegung und Allergensanierung, wie auch die Durchführung der Impfungen sind die Kernkompetenz der Hausärzt/-innen. Bei der Auswahl der Medikamente lassen wir unseren Mitgliedern sehr grossen Spielraum. Trotzdem empfehlen wir die Berücksichtigung der Medikamentengruppen der 1. Wahl, jeweils in der exakten Dosis gemäss Stufentherapie und Tabelle der geschätzten klinischen Vergleichbarkeit. Es ist noch zu früh, um sagen zu können, welche der zahlreichen ­Präparate und Devices sich längerfristig durchsetzen werden.
Hinweis
Die «Guidelines Asthma bronchiale» von mednetbern finden Sie in der Online-Version dieses Artikels unter
Dr. med. Amato Giani
Facharzt FMH
für Allgemeine
Innere Medizin
Sidlerstrasse 4
CH-3012 Bern
amato.giani[at]hin.ch
 1 2017 GINA Report, Global Strategy for Asthma Management and Prevention. http://ginasthma.org/2017-gina-report-global-strategy-for-asthma-management-and-prevention/
 2 International ERS/ATS guidelines on definition, evaluation and treatment of severe asthma https://www.thoracic.org/statements/resources/allergy-asthma/Severe-Asthma-CPG-ERJ.pdf
 4 Rothe T, et al. Diagnosis and Management of Asthma – The Swiss Guidelines. Respiration. 2018;95(5):364–80. doi:10.1159/000486797.Epub. 2018.
 7 Die 100 häufigsten ICD-10-Schlüssel und Kurztexte (nach ­Fachgruppen) https://www.kvno.de/downloads/verordnungen/100icd_12-1.pdf
 9 Dürr S, et al. The integrated care of asthma in Switzerland (INCAS)-study: Patients’ perspective of received asthma care and their interest in asthma education. J Asthma. 2016;53(9):955–63. doi:10.3109/02770903.2016.1170140. Epub 2016.
10 Schweizerischer Impfplan 2017
11 WHO Model Lists of Essential Medicines. http://www.who.int/medicines/publications/essentialmedicines/en/
12 Woodcock A, et al. Efficacy and Safety of Fluticasone Furoate/Vilanterol Compared With Fluticasone Propionate/Salmeterol Combination in Adult and Adolescent Patients With Persistent Asthma. A Randomized Trial. http://journal.chestnet.org/ article/S0012-3692(13)60666-2/fulltext
13 Lötvall J, et al. Efficacy and safety of fluticasone furoate 100 mg once-daily in patients with persistent asthma: A 24-week placebo and activecontrolled randomised trial. http://www.resmedjournal.com/article/S0954-6111(13)00450-2/fulltext