Herausforderung ­Kreuzschmerzpatienten
Welche Diagnostik und welche Therapien sind sinnvoll?

Herausforderung ­Kreuzschmerzpatienten

Fortbildung
Ausgabe
2019/08
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2019.10105
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2019;19(08):241-245

Affiliations
a Ärztlicher Direktor Allgemeine Innere Medizin, Rheumatologie und muskuloskeletale Rehabilitation, Kliniken Valens; b Direktor Therapien, Kliniken Valens * Beide ­Autoren haben zu gleichen Teilen zum Artikel beigetragen

Publiziert am 31.07.2019

Muskuloskelettale Probleme sind in der Schweiz und in allen Industrienationen ein häufiges Gesundheitsproblem. Gemäss einer Erhebung des Bundesamtes für Statistik im Jahr 2012 litten 33% der Erwachsenen an leichten und zusätzliche 7% an starken Rücken- oder Kreuzschmerzen.

Hintergrund

Epidemiologie

Muskuloskelettale Probleme sind in der Schweiz und in allen Industrienationen ein häufiges Gesundheitsproblem. Gemäss einer Erhebung des Bundesamtes für ­Statistik im Jahr 2012 litten 33% der Erwachsenen an leichten und zusätzliche 7% an starken Rücken- oder Kreuzschmerzen [1]. Die Lebensprävalenz liegt je nach Studien zwischen 60–80%. Die meisten Kreuzschmerzen klingen innerhalb von sechs bis zwölf Wochen wieder ab [2]. Während einer ersten Rückenschmerzepisode werden 15–20% der Betroffenen kurzzeitig arbeitsunfähig. Bis zu 40% aller Patientinnen und Patienten leiden nach sechs Monaten immer noch an Kreuzschmerzen und sind zum Teil weiter krankgeschrieben [3].

Ätiologie und Klassifikation von ­Kreuzschmerzen

Weniger als 15% der Patient/-innen leiden an spezifischen Kreuzschmerzen. Spezifische Ursache für Kreuzschmerzen und deren Prävalenz sind wie folgt [4]:
– Neurogene Ursachen (radikuläre Syndrome), ca. 7–10% aller Fälle;
– Frakturen, ca. 2–3% der Fälle (bei Osteoporose ­10– 50%);
– Entzündliche oder neoplastische Ursachen, ca. 1% aller Fälle;
– Viszerale Ursachen, ca. 1–2% aller Fälle;
– Verschiedene und seltene Ursachen, <1% aller Fälle.
Die meisten Patient/-innen leiden an unspezifischen Kreuzschmerzen, definiert als Kreuzschmerzen, die keiner erkennbaren, bekannten, spezifischen Pathologie zuordenbar sind [5]. Aufgrund der diagnostischen Schwierigkeiten bei der Mehrzahl der Patient/-innen mit Kreuzschmerzen wird empfohlen, diese anhand der Dauer und Lokalisation der Symptome [6] mittels folgender Kriterien zu klassifizieren:
a) Dauer der Symptome
– Akute Kreuzschmerzen (<4 Wochen);
– Subakute Kreuzschmerzen (4–12 Wochen);
– Chronische Kreuzschmerzen (>12 Wochen).
b) Lokalisation der Symptome: Vier diagnostische Gruppen werden unterschieden:
– Lokale Kreuzschmerzen;
– Kreuzschmerzen mit Ausstrahlungen bis zum Knie,
– Kreuzschmerzen mit Ausstrahlungen bis unterhalb vom Knie, ohne neurologische Zeichen;
– Kreuzschmerzen mit Ausstrahlungen in ein präzises und vollständiges Beindermatom, mit oder ohne neurologische Zeichen.
Wenn in der diagnostischen Gruppe vier neurologische Symptome vorherrschen, muss von einer Nervenwurzelkompression ausgegangen werden. Somit handelt es sich in diesem Fall um spezifische Kreuzschmerzen.

Diagnostik

Anamnese

Wie überall in der Medizin ist der erste und auch wichtigste Schritt in der klinischen Evaluation von Kreuzschmerzen die Anamnese. Man darf ruhig postulieren, dass die Anamnese das wichtigste diagnostische Tool des Arztes bei Rückenschmerzen ist! 90% der Rückenschmerzen sind harmlos. Mit der Anamnese müssen aber möglicherweise schwerwiegende spezifische Erkrankungen an der Wirbelsäule erkannt werden, die umgehend weiter abgeklärt werden müssen und allenfalls auch spezifisch zu behandeln sind (red flags). Anamnestisch zu erfassen sind auch psychische und psychosoziale Belastungen (yellow flags) als mögliche Chronifizierungsfaktoren, damit das Risiko der Entwicklung von Langzeitarbeitsunfähigkeit und Arbeitsverlust reduziert werden kann. Hilfreich hierzu ist das Modell nach Main et al. (Tab. 1) [7]. Detailliert sollten in der Folge die Schmerzen in all ihren Facetten erfasst werden. Zu Fragen ist nach: Symptombeginn (akut, Trauma, schleichend), Tageszeitverlauf, Schmerzort- und art, Schmerz verstärkenden bzw. Schmerz lindernden Faktoren, Ausstrahlungen (ins Gesäss und in die Beine, entlang der Wirbelsäule nach kranial), Begleitphänomenen (motorisch, sensibel), Allgemeinsymptomen und früheren Rückenschmerzepisoden. Die beiden differenzialdiagnostisch wichtigsten Entitäten, radikulärer Rückenschmerz und entzündlicher Rückenschmerz, sind in Tabelle 2 detaillierter dargestellt.
Tabelle 1: Flaggenmodell nach Main et al. (adaptiert nach [7]).
Red Flags
Hinweise auf spezifische ­organische Pathologie
Yellow Flags
Hinweise auf mögliche ­Chronifizierung
Blue Flags
Arbeitsbezogene ­Faktoren
Black Flags
Sozio-berufliche ­Faktoren
Malignom in der Anamnese Niedriger Sozialstatus /Berufsqualifikation/geringe ArbeitszufriedenheitArbeitsstatusArbeitspolitisches Umfeld, Gesamtarbeitsverträge
Unerklärter Gewichtsverlust Körperlich schwere ­ArbeitenBerufsbezogene Kompen­sationsmöglichkeitenAllgemeine Arbeitsmarktlage
Trauma in der Vorgeschichte Arbeitsunfähigkeit von ­länger als vier MonatenBerufsbezogene Arbeits­zufriedenheitGesellschaftspolitisches Umfeld
Zunehmender Schmerz, ­neurologische Ausfälle Psychische und soziale Schwierigkeiten/depressive Störungen  
Keine Besserung im Liegen Passive Tendenzen mit ­gehäufter Bettruhe, sozialem Rückzug und Vermeidung normaler Alltagsaktivitäten   
Vorwiegend Nachtschmerzen Subjektive Überzeugung, dass der Schmerz schädlich und bedrohlich ist  
Morgensteifigkeit >1 Stunde Überprotektion durch ­Familienangehörige   
Blasen-/Darmfunktionsstörungen Frühere langdauernde ­Krankschreibung wegen Verletzung oder anderen Schmerzproblemen  
Gleichzeitige Urin- und/oder ­Hautinfektion    
Langdauernde Kortisonbehandlung   
i. v. Drogenabusus    
Tabelle 2: Wichtige anamnestische Angaben zum radikulären oder entzündlichen ­Rückenschmerz/Infekt und zu Frakturen.
Radikulärer Rückenschmerz Entzündlicher ­auto-­immun bedingter Rückenschmerz/­InfektionFraktur
Einseitiger oder beidseitiger ­Beinschmerz («sciatica»)Beginn <45. Lebensjahr (auto-immun)Häufig auslösendes ­Ereignis (auch Bagatelltraumata bei ­Osteoporose)
Taubheitsgefühl oder Schwäche in den Extremitäten
Taubheit im Bereich der ­«Reithose»
Langsamer Beginn, Dauer >12 Wochen (auto-immun)Schmerz bewegungs- und belastungsabhängig zunehmend, in Ruhe ­tendenziell weniger
BlasenfunktionsstörungenMorgensteifigkeit im ­Rücken >30 Minuten ­(auto-immun, Infekt)Schmerzen auch in der Nacht
Schmerzzunahme-/provokation durch Husten, Niessen oder ­ValsalvamanöverBesserung in Bewegung, keine Besserung in Ruhe (auto-immun, Infekt)Schmerzprovokation durch Heben und/oder Pressen
 Aufwachen in der ­zweiten Nachthälfte, ­Besserung nach ­Aufstehen und ­Bewegen (auto-­immun, Infekt)Begleitende neurologische Symptome (neuropathische ausstrahlende Schmerzen)

Untersuchung

Die Anamnese wird gefolgt von einer breiten körperlichen Untersuchung unter Berücksichtigung des internistischen, neurologischen und rheumatologisch-orthopädischen Status. Es muss hier darauf hingewiesen werden, dass bei der Abklärung von Rückenbeschwerden nicht nur die Wirbelsäule untersucht wird, sondern wegen der differenzialdiagnostischen und ­differenzialtherapeutischen Implikationen zusätzlich ein vollständiger internistischer und neurologischer ­Status erhoben werden muss. Die ausführliche Untersuchung ist notwendig, um klinisch ergänzend zur ­Anamnese spezifische, aber eher seltene Ursachen der Rückenschmerzen zu erfassen (z.B. Radikulopathien, seronegative Spondyloarthropathien, Entzündungen, Tumorleiden, etc.). In der Untersuchung lassen sich häufig umschriebene segmentale Haltungsveränderungen (Skoliose, Streckhaltung, verstärkte Kyphose oder Lordose bzw. ein Shift), segmentale Funktions­störungen oder Bewegungseinschränkungen («Blockaden») und Weichteilveränderungen wie Tendinosen, Tendomyosen, Myogelosen, Periostosen oder Ligamentosen finden. Diese Befunde sind aber in aller ­Regel in Bezug auf eine Pathologie an der Wirbelsäule irrelevant. Diagnostisch viel wichtiger sind dagegen die in der neurologischen Untersuchung nachweis­baren Befunde (positive neuromeningeale Dehnungs­zeichen, Reflexabschwächungen, Muskelschwächen, Muskelatrophien und Sensibilitätsverminderungen).
Bei chronischen Kreuzschmerzen ist häufig auch eine psychische Mitbeteiligung vorhanden. Deswegen sollten eigentlich alle Patientinnen und Patienten mit länger dauernden Kreuzschmerzen auch psychiatrisch abgeklärt werden [8]. Die europäischen Leitlinien für das Management chronischer Kreuzschmerzen [9] empfehlen ausdrücklich die Erfassung und Bewertung von psychosozialen «Yellow Flags». Ein weiteres bewährtes Werkzeug zur Erfassung psychosozialer Risiken ist das STarT Back Tool [10]. In einer randomisierten kontrollierte Studie, welche die klinische Wirksamkeit und Kosteneffektivität einer stratifizierten Physiotherapie (Intervention, n = 568) mit einer nicht-stratifizierten «best-practice» Physiotherapie (Kontrolle, n = 283) verglich [11], wurde das STarT Back Tool zur Triage in der Kontroll- und Interventionsgruppe verwendet. Die Patient/-innen der Kontrollgruppe erhielten Physiotherapie, unabhängig von der psychosozialen Belastungssituation. Die Patient/-innen der Interventionsgruppe wurden in drei Risikogruppen betreffend der psychosozialen Belastung unterteilt. Diejenigen mit niedrigem Risiko erhielten eine initiale Befundaufnahme, den Rat, körperlich aktiv zu bleiben, möglichst zur Arbeit zurückzukehren sowie eine Broschüre mit lokalen Übungs- und Selbsthilfegruppen und ein Büchlein über Rückenschmerzen. Die Patient/innen mit mittlerem Risiko erhielten eine standardisierte Physiotherapie mit dem Ziel, die Symptome und die Funktion zu verbessern, und diejenigen mit ausgeprägtem Risiko wurden einer psychologisch orientierten Physiotherapie zugewiesen, wo neben der Therapie auch psychosoziale Hindernisse für eine Erholung besprochen wurden. Die Behandlungsresultate aller drei Interventionsgruppen waren verglichen mit der Kontrollgruppe signifikant besser und kostengünstiger.

Ergänzende Abklärungen

Laboruntersuchungen sind in der Regel bei Rückenbeschwerden nicht hilfreich, ausser, es ergeben sich aus Anamnese und Untersuchung Hinweise auf eine entzündliche oder maligne Erkrankung der Wirbelsäule. In diesem Fall ist eine orientierende Blutuntersuchung mit Bestimmung der Entzündungszeichen (BSR und CRP), Hämatologie, Serumchemie und eventuell eine Eiweisselektrophorese sinnvoll. Auch eine Urinuntersuchung sollte in diesen Situationen durchgeführt werden.
Auf radiologische Untersuchungen kann in den ersten vier bis sechs Wochen der Rückenschmerzen verzichtet werden, sofern aus Anamnese und Klinik keine Hinweise auf eine spezifische Erkrankung an der Wirbelsäule vorliegen [12]. Falls dennoch eine radiologische Abklärung erfolgen soll, so sind in einem ersten Schritt konventionelle Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule ap und seitlich anzufertigen. Ergänzende weitere Zusatzabklärungen erfolgen dann entsprechend der klinischen Verdachtsdiagnose. Zu beachten ist aber, dass vor allem im MRI pathologische radiologische Befunde an der Wirbelsäule je nach Alter des Patienten in 60–80% auch bei Rückengesunden vorkommen [13]. Entsprechend vorsichtig sollte man somit in der Interpretation und insbesondere in der Kommunikation dieser Veränderungen zur Patientin sein. Nicht mit einem Infekt verwechselt werden dürfen degenerative Diskopathien Modic I im MRI. In der letzten Zeit wurde vermehrt das SPECT-CT der Wirbelsäule in die Diagnostik eingeführt, das gelegentlich bei Verdacht auf aktivierte Spondylarthrosen vor Durchführen einer infiltrativen Behandlung oder zur Abklärung anhaltender Rückenschmerzen nach Wirbelsäueneingriffen indiziert sein kann [14]. Die klinische Validität dieser Untersuchungsmodalität ist momentan aber noch nicht vollständig geklärt.

Behandlung

Die erste umfassende Literaturstudie zur Untersuchung und Behandlung von Kreuzschmerzen hatte bereits im Jahr 1987 festgestellt, dass nicht eine Schmerzlinderung, sondern die Verbesserung der Funktion, einschliesslich der Rückkehr zur Arbeit, das primäre Ziel in der Behandlung von unspezifischen Kreuzschmerzen sein soll [15]. Die modernen Behandlungsrichtlinien beinhalten daher die Empfehlungen, die Aktivität zu fördern, den Einsatz von Bewegungstherapie und eine möglichst frühzeitige Rückkehr zur Arbeit [6, 9]. Um diese Ziele zu erreichen, müssen initial meist zusätzlich medikamentöse Behandlungen erfolgen.

Medikamentöse Therapie

Die medikamentösen Behandlungen mit NSAR und/oder Opioiden zur Schmerzlinderung oder Muskelrelaxantien bei starken Muskelverspannungen sind in der akuten und subakuten Phase hilfreich (Symptomdauer <12 Wochen), um die empfohlene Verbesserung der all­gemeinen Funktionsfähigkeit durch den Abbau von Schmerzen und Verminderung der Bewegungsangst zu erreichen. Paracetamol wird nicht mehr empfohlen, da sich dieses Medikament in einer grossen randomisierten kontrollierten doppelblinden Studie [16] und in grossen Meta-Analysen nicht besser wirksam als Placebo erwiesen hat [17]. Steroide p.o. oder epidural sind nur beim radikulären Syndrom allenfalls einzusetzen. In der chronischen Phase (>12 Wochen) können NSAR, Tramadol, Duloxetin oder Opiate eingesetzt werden. Letztere sollten aber nur abgegeben werden, wenn eine Behandlung mit NSAR, Tramadol oder Duloxetin «versagt» hat [17].

Nicht-medikamentöse Therapie

Edukation zur Unterstützung des ­Selbstmanagements

Ängste, Befürchtungen und falsche Krankheitskonzepte sind wesentliche Barrieren für eine erfolgreiche Genesung von einer akuten Kreuzschmerzepisode. Demzufolge erhält die korrekte Beratung der Patientinnen und Patienten eine grosse Wichtigkeit und verfolgt verschiedene Ziele: Steigerung des Wissens und des Verständnisses für die Entstehung von Rückenschmerzen und Vermeiden negativer Folgen der Kreuzschmerzen wie Angst, allgemeine Vermeidungshaltung, Katastrophisieren und Kinesiophobie.
Kernelemente adäquater Information (basierend auf einem biopsychosozialen Modell) sollen die gute Prognose betonen, aufzeigen, dass initial keine Notwendigkeit für Röntgenuntersuchungen besteht, keine zugrundeliegende schwere Pathologie vorliegt und die Notwendigkeit vermitteln, möglichst rasch die üblichen körperlichen Aktivitäten und die Arbeit wieder aufzunehmen, auch wenn die Schmerzen noch nicht vollständig abgeklungen sind.
Leider spielen in der Behandlung nicht nur die Überzeugungen der Patientinnen und Patienten eine grosse Rolle, sondern auch diejenige der behandelnden Gesundheitsfachpersonen. Eine Studie aus Schweden hatte ergeben, dass mehr als zwei Drittel der befragten Hausärztinnen und Physiotherapeuten den Patient/-innen raten würden, schmerzhafte Bewegungen zu vermeiden, mehr als ein Drittel erachteten eine Schmerzreduktion als Voraussetzung für eine Rückkehr zur Arbeit und 25% der Befragten gaben zusätzlich an, dass sie eine Krankschreibung als adäquate Behandlung des Kreuzschmerzes ansehen [18]. Diese Arbeit zeigte einen Zusammenhang mit den Angstvermeidungs-Überzeugungen der behandelnden Fachpersonen. Sie stehen in deutlichem Wiederspruch zu den evidenzbasierten Behandlungsempfehlungen für Kreuzbeschwerden.

Bewegungstherapie

Bewegungstherapie wird in modernen Behandlungsleitlinien für unspezifische Kreuzschmerzen konsistent empfohlen [8, 9, 19]. Grundsätzlich können Bewegungstherapien mit einem verhaltenstherapeutischen oder einem sportmedizinischen-biomechanischen Ansatz durchgeführt werden.
Der verhaltenstherapeutische Ansatz verfolgt das Ziel, mittels Bewegung das Schmerzverhalten zu modifizieren. Die Patient/-innen sollen lernen, dass es sicher ist, sich zu bewegen, während sie die Funktion durch kontinuierliches Feedback und positive Verstärkung wiederherstellen. Der sportmedizinische-biomechanische Ansatz wird mit dem Ziel eingesetzt, die körperliche Funktion wiederherzustellen. Häufig ­angewendete valide Bewegungstherapien mit einem sportmedizinischen-biomechanischen Ansatz sind das McKenzie-Konzept, die medizinische Trainingstherapie und spezifische Dehnungs- und Kräftigungsübungen. Das McKenzie-Konzept versucht mittels spezifischen Selbstbehandlungsübungen, die Funk­tionsstörungen des Rückens zu beeinflussen und der Patientin eine Eigenverantwortung zu geben. Die medizinische Trainingstherapie ist auf die Ver­besserung der Ausdauer, Kraft und Kraftausdauer ­aus­gerichtet. Individuell gestaltete und unter the­rapeutischer Aufsicht ausgeführte Dehnungs- und Kräftigungsübungen sollen spezifische Funktions­einschränkungen korrigieren und so Schmerz und Funktion verbessern.
Neu empfiehlt das National Institute for Health and Care Excellence (NICE) in ihrer 2018 publizierte Behandlungsempfehlung für Kreuzschmerzen mit oder ohne Ausstrahlungen in die Beine, Übungsprogramme in Gruppen. Dies unabhängig davon, ob ein biomechanischer-, aerober-, Geist-Körper-Ansatz oder eine Kombination von Ansätzen verfolgt wird. Bei der Auswahl der Bewegungstherapie sollen die spezifischen Bedürfnisse, Vorlieben und Fähigkeiten der Personen berücksichtigt werden [19].
Welche Übungskonzepte am wirksamsten sind, bleibt trotz intensiven Forschungsbemühungen weiterhin offen [20]. Die bessere Wirksamkeit von Bewegungstherapien im Vergleich zu einer üblichen Behandlung ist bei Patientinnen und Patienten mit chronischen Kreuzschmerzen für die Rückkehr zur Arbeit jedoch erwiesen [20] und auch kosteneffektiv [21].

Behandlungspakete mit Massage oder ­manueller Therapie

Manuelle Behandlungsmethoden wie spinale Manipulation, spinale Mobilisation oder Weichteiltechniken (z.B. Massage) zur Behandlung von Kreuzschmerzen mit oder ohne Ischias, werden von NICE als mögliche Therapieformen empfohlen [19]. Dies aber nur als Teil eines Behandlungspaketes, einschliesslich Sport mit oder ohne psychologische Therapie, und nicht als alleinige Massnahme.
Die Empfehlung für Massage, kombiniert mit Bewegungstherapie und Edukation, wird im Ansatz durch eine Cochrane Review bei Patient-/innen mit chronischen Rückenbeschwerden gestützt [22]. Bezüglich der Empfehlung für manuelle Mobilisation und Manipulation besteht in verschiedenen anderen nationalen Behandlungsrichtlinien keine Einigkeit [8].

Psychologische Therapien

Verhaltenstherapeutische Behandlungsansätze wurden in verschiedenen früheren nationalen Behandlungsrichtlinien konsistent empfohlen [8] und werden weiterhin, in Kombination mit Bewegungstherapie, als valide Behandlungsmöglichkeit erachtet [19]. Diese Empfehlung erfolgt in Übereinstimmung mit einer 2010 publizierten Cochrane Review zur Wirksamkeit von Verhaltenstherapien bei Kreuzschmerzen [23]. Diese fand Hinweise, dass kurzfristig eine operante Therapie effektiv ist, und dass Verhaltenstherapie effektiver ist als eine übliche schmerzlindernde Behandlung. Es fanden sich aber keine ­Hinweise darauf, dass es Wirksamkeitsunterschiede zwischen den einzelnen Verhaltenstherapie-Arten gibt. Zwischen Verhaltenstherapie und Übungstherapien in Gruppen gab es ­mittel- bis langfristig wenig oder keinen Unterschied bezüglich der Reduktion von Schmerzen oder depressiven Symptomen.

Multidisziplinäre Behandlungsprogramme

Multidisziplinäre Behandlungsprogramme bestehen in der Regel aus einer umfassenden Kombination von körperlichen, beruflichen und verhaltensbezogenen Komponenten sowie der Anpassung der Medikation, und werden von Fachpersonen aus verschiedenen ­medizinischen Berufen betreut. Gewöhnlich werden solche Programme mit einer beträchtlichen Anzahl von Therapiestunden pro Woche durchgeführt, teilweise im stationären Setting.
Die Wirksamkeit von multidisziplinären Behandlungsprogrammen zur Verringerung von Schmerzen und ­Behinderungen ist bei Personen mit chronischen Kreuzschmerzen im Vergleich zu weniger intensiven Interventionen evidenzbasiert belegt [24]. Der optimale Behandlungsinhalt von multidisziplinären Behandlungsprogrammen ist jedoch noch nicht bekannt [9].

Nicht empfohlene Therapien

Die Behandlungsempfehlungen des NICE äusseren sich auch zu nicht-empfohlenen Therapien für Patitentinnen und Patienten mit Kreuzschmerzen, mit oder ohne Ausstrahlungen in die Beine [19]. Als nicht zu empfehlen genannt werden Akupunktur, Ultraschall, Transkutane Elektrische Nervenstimulation (TENS), ­Interferenztherapie, Traktion, Mieder und Korsette, Fussorthesen und Schock-absorbierende Schuheinlagen, spinale Injektionen, Bandscheibenersatz und spinale Fusionen.

Take-Home-Message

– Kreuzschmerzen sind häufig, in der Regel ungefährlich und in ca. 90% aller Fälle unspezifisch.
– Eine korrekte Anamnese inklusive der Erfassung von psychosozialen Risikofaktoren hilft, eine spezifische Erkrankung der Wirbelsäule oder die Gefahr einer Chronifizierung zu erkennen.
– Eine umfassende klinische Untersuchung muss vor der Durchführung von weiteren Abklärungen erfolgen.
– Radiologische Abklärungen sind in den ersten vier bis sechs Wochen einer Rückenschmerzepisode oder in der chronischen Phase sehr zurückhaltend durchzuführen, ausser, es ergeben sich aus Anamnese und Klinik Hinweise auf eine spezifische Wirbelsäulenerkrankung.
– Wichtigstes Ziel in der Behandlung von Kreuzschmerzen ist die Wiederaufnahme oder Intensivierung körperlicher Aktivitäten und das Wiedererreichen der Partizipation im Sozial- und Berufsleben. Dieses Ziel steht klar über der Schmerzfreiheit.
– Eine Kombinationsbehandlung mit Medikamenten (per os, infiltrativ) und Physiotherapien kann die Schmerzen und die Behinderungen durch die Kreuzschmerzen lindern und eine Rückkehr zur üblichen Aktivität erleichtern.
– Empfohlene nicht-medikamentöse Therapien sind: Edukation zur Unterstützung des Selbstmanagements, Bewegungstherapie mit oder ohne verhaltenstherapeutische Ansätze, mit oder ohne Massage bzw. manuelle Therapie und multidisziplinäre Behandlungsprogramme für Personen mit chronischen Kreuzschmerzen.
– Bei der Betreuung von Patientinnen und Patienten mit Kreuzschmerzen ist die Rolle der behandelnden Gesundheitsfachpersonen mehr diejenige eines Coaches als diejenige des Heilers.
Prof. Dr. med. ­Stefan ­Bachmann
Department of ­Rheumatology
Kliniken Valens
Taminaplatz 1
CH-7317 Valens
stefan.bachmann[at]kliniken-valens.ch
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