Hürden und Chancen der klinischen Forschung in der Hausarztmedizin
Mögliche Lösungen für auftretende Schwierigkeiten

Hürden und Chancen der klinischen Forschung in der Hausarztmedizin

Forschung
Ausgabe
2019/11
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2019.10113
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2019;19(11):342-344

Affiliations
Berner Institut für Hausarztmedizin (BIHAM), Universität Bern

Publiziert am 06.11.2019

Die hausarztmedizinische Forschung in der Schweiz befindet sich im Aufwind. Es gibt immer mehr hausarztmedizinische Institute an den Universitäten, und es werden zunehmend mehr Forschungsprojekte finanziert. Forschung im Bereich der Hausarztmedizin kann jedoch unter Umständen mit gewissen Schwierigkeiten verbunden sein.

Projektfinanzierung

Bis man den ersten Studienteilnehmer in ein Forschungsprojekt einschliessen kann, vergehen in der Regel mehrere Jahre. Auch im Falle der OPTICA-Studie (s. Kasten) hat dieser Prozess drei Jahre gedauert. Ein wichtiger Grund hierfür ist die Suche nach adäquater Forschungsfinanzierung, denn während einem mehrjährigen Projekt fallen verschiedenste Kosten wie zum Beispiel Lohnkosten an.

OPTICA-Studie

Die OPTICA(Optimizing PharmacoTherapy In the multimorbid elderly in primary CAre)-Studie ist eine nationale, randomisierte einfachverblindete kontrollierte klinische Studie. Es handelt sich um ein vierjähriges Projekt, das durch den Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen eines Nationalen Forschungsprogrammes (NFP) unterstützt wird. Ziel ist, durch die Anwendung eines softwarebasierten Hilfsmittels in der Hausarztpraxis, die Medikation multimorbider ≥65-jähriger Patient/-innen mit Polypharmazie zu optimieren. Insgesamt nehmen ca. 40 Hausärzt/-innen mit je acht bis zehn Patient/-innen teil. Die Pa­tientenrekrutierung hat im Dezember 2018 be­gonnen.
Doch welche Möglichkeiten stehen einem Forschenden hierfür zur Verfügung? Im Gegensatz zur Grund­lagenforschung stehen in der Hausarztmedizin noch immer wenig Mittel zur Verfügung. Zwar besteht die Möglichkeit, Anträge bei Stiftungen und Organisationen einzureichen (z.B. SGAIM Foundation oder KHM), doch lassen sich damit nur kurze und weniger auf­wändige Projekte finanzieren. Im Fall von OPTICA beantragten wir Fördergelder beim Schweizerischen ­Nationalfonds (SNF), der die Grundlagenforschung sowie auch den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Schweiz mit öffentlichen Mitteln fördert. Dazu mussten wir nicht nur Nachweisen, welche Bedeutung das Projekt hat und dass es unter den gegebenen Umständen machbar ist [1], sondern auch, weshalb dieses Projekt und nicht eines der vielen anderen Beantragten unterstützt werden soll. Wichtig war uns dabei, spezifisch zu schauen, welches Ziel der SNF mit diesem Förderinstrument (NFP 74) verfolgt und darauf zugespitzt unsere Studie zu planen, damit wir diese Ziele gemeinsam erreichen können.
Wird das Projekt vom SNF gutgeheissen und ein Beitrag zugesprochen, so muss die forschende Person innerhalb eines Jahres mit dem Projekt beginnen. Die Beiträge werden höchstens für vier Jahre gewährt, was für den Gesuchsteller einen gewissen Zeitdruck bedeutet. Während der Projektdauer muss die forschende Person regelmässig einen Bericht über den Status des Forschungsprojektes einreichen [2].

Rechtliche und ethische Voraussetzungen

In der Schweiz regeln das Humanforschungsgesetz (HFG) [3] sowie die Verordnung zur Durchführung klinischer Studien (KlinV) [4] alle klinischen Studien, weshalb alle Studienprotokolle diesen Gesetzesvorgaben entsprechen müssen. Dies beinhaltet beispielsweise, dass während der gesamten Studiendurchführung die international anerkannten Richtlinien der sogenannten Good Clinical Practice (GCP) [5] umzusetzen sind.
Das HFG und die KlinV beruhen auf einem risikoadaptierten Grundkonzept, das dazu dient, die Studien zu kategorisieren. Für jede Interventionsstudie muss eine Bewilligung der kantonalen Ethikkommission eingeholt werden. Bei der OPTICA-Studie handelt es sich per Definition um eine klinische Studie der Kategorie C mit Medizinprodukten, da die im Rahmen der Studie getestete Software noch kein Konformitäts­zeichen trägt. Und wird in einer klinischen Studie, wie im Falle von OPTICA, ein Medizinprodukt getestet, das noch kein Konformitätszeichen trägt, braucht es hierfür eine zusätzliche Bewilligung der Schweizerischen Arzneimittelbehörde Swissmedic. Während der Studiendurchführung muss die Sicherheit von Stu­dien­teilnehmer/-innen dokumentiert und rapportiert werden, was die Erstellung von regelmässigen Berichten für die Ethikkommission und gegebenenfalls auch Swissmedic beinhaltet, um die Sicherheit von Studienteilnehmenden zu gewährleisten und die Qualität der Studienergebnisse sicherzustellen.
Bei der Planung einer klinischen Studie im Bereich der Hausarztmedizin gibt es einige Besonderheiten zu beachten: Bei der Überprüfung eines Studienprotokolls gilt der Grundsatz der kantonalen Zuständigkeit. Insgesamt gibt es in der Schweiz sieben Ethikkommissionen, die jeweils für mehrere Kantone zuständig sind. Das Studienzentrum der OPTICA-Studie befindet sich am Berner Institut für Hausarztmedizin der Universität Bern (BIHAM), weshalb die Ethikkommission des Kantons Bern (KEK BE) für die Überprüfung und Bewilligung dieser monozentrischen Studie zuständig ist. Dennoch musste sich die KEK BE mit allen anderen ­betroffenen Ethikkommissionen absprechen, da sich einige der teilnehmenden Hausarztpraxen in den Zuständigkeitsbereichen anderer Ethikkommissionen befinden.
Das Gesetz besagt, dass alle in einer klinischen Studie involvierten Personen ein adäquates Training absolvieren müssen. In der Praxis bedeutet dies, dass ein GCP-Kurs besucht werden muss. Solche Kurse finden an verschiedenen akkreditierten Zentren wie beispielsweise an der universitären CTU (Clinical Trials Unit) Bern statt. Da es sich jedoch zeitlich und geografisch als schwierig erwiesen hätte, alle 40 Hausärztinnen und Hausärzte für einen solchen Kurs einzuladen, mussten wir eine Lösung finden, welche die geografischen Umstände der OPTICA-Studie berücksichtigt. Aus diesem Grund haben wir von der Ethikkommission die Erlaubnis erhalten, ein auf die Hausärzt/-innen zugeschnittenes Onlinetraining zu erstellen, das die für die OPTICA-Studie wichtigsten Bereiche der GCP-Richt­linien abdeckt. Dieses Training haben alle teilnehmenden Hausärztinnen und Hausärzte im Vorfeld der OPTICA-Studie von ihrem jeweiligen Standort aus absolviert. Um dieses Problem für zukünftige Forschungsprojekte zu eliminieren, sind wir zudem in Zusammenarbeit mit der Swiss Academy of Family Medicine (SAFMED), der Dachorgani­sation der Schweizerischen Institute für Hausarzt­medizin, daran, einen ­eigenen online GCP-Kurs für Hausärzt/-innen zu entwickeln.
Auszug aus dem GCP-Onlinetraining der OPTICA-Studie.
In der Vorbereitungsphase der OPTICA-Studie haben wir stets versucht, einen akzeptablen Kompromiss zu finden, der die Richtlinien zur Durchführung klinischer Studien befolgt aber auch die Durchführbarkeit der Studie im Kontext der Hausarztmedizin gewährleistet. Obwohl dies mit erheblichem zeitlichem Aufwand verbunden war, haben wir nun die Bewilligung zur Durchführung der OPTICA-Studie erhalten und mit der Patientenrekrutierung begonnen.

Nachwuchsforscher im Bereich der Hausarztmedizin

Um im Bereich der Hausarztmedizin zu forschen, braucht es natürlich auch ausreichend Personal. So gibt es in der OPTICA-Studie neben dem Studienleiter und den Partnern eine Projektkoordinatorin, eine PhD-Studentin sowie einen klinischen wissenschaft­lichen Mitarbeiter. Bei Letzterem handelt es sich meistens um junge Ärztinnen oder Ärzte, die eine mehr­monatige Forschungsrotation am BIHAM absolvieren, um ihre Dissertation zu erlangen. Bei diesen Forschungsrota­tionen geht es darum, mehr über die hausärztliche ­Forschung zu erfahren, da sich die meisten nur wenig unter dem Begriff vorstellen können, und im Laufe ihrer Ausbildung herausfinden möchten, wie Forschung praktisch umgesetzt wird. Aus Sicht des BIHAM ist es wichtig, interessierte Bewerber für diese Positionen zu finden. Langfristig werden es die Nachwuchsforscherinnen und -forscher im Bereich der Hausarztmedizin sein, die diesen Bereich weiterentwickeln werden. In einem Projekt wie OPTICA können Dissertant/-innen ihr klinisches Wissen einbringen und das Projekt hierdurch vorantreiben.
Da heutzutage fast alle medizinischen Entscheidungen auf «evidenzbasierter» Basis getroffen werden sollen, ist es für alle zukünftigen Hausärztinnen und Hausärzte von Bedeutung, den Bereich, in dem Forschung tatsächlich stattfindet, kennenzulernen, und nicht nur im Praxisalltag Forschungsresultate kritisch zu hinterfragen.

Schlussfolgerung

Trotz den Hürden, die es zu meistern gibt, sind wir sehr froh, Forschungsprojekte wie die OPTICA-Studie, durchführen zu dürfen. Mit viel Motivation arbeiten wir stets daran, die besten Lösungen für die verschiedenen Probleme zu finden und wir hoffen, dass unsere Vorgehensweise (insbesondere das Online-GCP-Training für Hausärztinnen und Hausärzte) dazu beigetragen hat, den Weg für die klinische Versorgungsforschung in der Schweizerischen Hausarztmedizin zu ebnen.

Praxis-Tipps für die Planung einer Studie

• Das Forschungsthema muss begeistern, denn die Dauer von der Planung bis hin zu den finalen Resultaten kann ­einige Jahre betragen und braucht Durchhaltevermögen.
• Sorgfältige und umsichtige Budgetplanung.
• Frühzeitige Vorbereitung der Einreichungsunterlagen an Ethikkommission/Swissmedic.
• Frühzeitiger Miteinbezug von den an einer Teilnahme interessierten Hausärzten und Hausärztinnen.
An dieser Stelle möchten wir uns herzlich bei allen teilnehmenden Hausärztinnen und Hausärzten für ihr Enga­gement und ihre Geduld während der Planungsphase bedanken. Wir schätzen es sehr, ­weiterhin mit Ihnen zusammenarbeiten zu dürfen.
Prof. Dr. med. Sven Streit
Berner Institut für Hausarztmedizin (BIHAM)
Leiter Nachwuchsförderung und Vernetzung Hausärzte
Universität Bern,
Mittelstrasse 43
CH-3012 Bern
sven.streit[at]biham.unibe.ch