Folge 3: Im Rasen wachsende Pilze – wie gefährlich sind sie?
Tox Info Suisse: Über 50 Jahre Beratung bei Vergiftungen

Folge 3: Im Rasen wachsende Pilze – wie gefährlich sind sie?

Fortbildung
Ausgabe
2019/08
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2019.10120
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2019;19(08):250-252

Affiliations
Tox Info Suisse, Assoziiertes Institut der Universität Zürich, Zürich

Publiziert am 31.07.2019

Kinder sind von Natur aus neugierig und nicht abgeneigt, einen Pilz aus dem Garten oder Park zu probieren. Dabei können sie im schlimmsten Fall einen Giftpilz erwischen.

Kinder sind von Natur aus neugierig und nicht abgeneigt, einen Pilz aus dem Garten oder Park zu probieren. Dabei können sie im schlimmsten Fall einen Giftpilz erwischen. Die problematischsten Giftpilze aus dem Rasen sind diejenigen, die das hepatotoxische Amatoxin (Synonym: Amanitin) enthalten, in erster Linie Pilzarten der Gattungen Galerina (Gifthäublinge) und Lepiota (Giftschirmlinge) und sehr selten Amanita phalloides (Grüner Knollenblätterpilz) [1].

Symptome einer Amatoxin-Intoxikation

– Meist heftiges Erbrechen und Durchfälle, die mit einer Latenz von 6–18 Stunden nach Verzehr auftreten.
– Leber- und Nierenversagen im weiteren Verlauf.

Einnahme eines Pilzfragments mit einer Hutoberfläche unter 1 cm2

Eine Hutoberfläche <1 cm2 ist eineunproblema­tische Pilzmenge bei Galerina- und Lepiota-Arten sowie Knollenblätterpilzen. Nach Verzehr eines Pilzfragments mit einer Hutoberfläche von 1 cm2 ist keine Hepatotoxizität zu befürchten. Ein solches Fragment wiegt 0,1–0,2 g und kann bis 360 µg alpha-Amatoxin pro Gramm Frischpilz enthalten [2]. Nach Einnahme eines solchen Fragments liegt die eingenommene Menge weit entfernt von einer gefährlichen Amatoxinmenge (LD50 Maus oral: 300 µg Amatoxin/kg Körpergewicht [3]). In ­dieser Situation sind keine spezifischen Massnahmen erforderlich. Bei Auftreten von Symptomen empfiehlt Tox Info Suisse jedoch sicherheitshalber eine ärztliche Kontrolle.

Einnahme eines Pilzfragments mit einer Hutoberfläche von mehr als 1 cm2

Bei Einnahme von mehr als 1 cm2 hat der Ausschluss einer Amatoxinvergiftung durch Bestimmung der Pilzart durch einen Pilzexperten oberste Priorität, da auch asymptomatische Patientinnen und Patienten behandelt werden müssen und die Therapie erst sistiert werden kann, wenn die Einnahme eines amatoxinhaltigen Pilzes ausgeschlossen werden kann [4]. Auch mit einem negativen Amatoxinnachweis im Urin kann Entwarnung gegeben werden. Diese Analyse ist aber oft nicht zeitnah möglich.

Vorgehen

­– Beizug eines Pilzkontrolleurs oder Notfall-Pilzexperten zur Identifikation der Pilze. Auf der Webseite der Vereinigung Schweizer Pilzkontrolleure sind Kontaktadressen aufgeschaltet. (www.vapko.ch → Massnahmen bei einer Pilzvergiftung → Liste der Notfallpilzexperten [5]).
– Falls ein nicht-amatoxinhaltiger Giftpilz identifiziert wird, sollte das weitere Vorgehen individuell nach Rücksprache mit Tox Info Suisse festgelegt werden.
– Bei ungiftigen Pilzen ist keine weitere Überwachung oder Therapie nötig.
– Falls ein amatoxinhaltiger Giftpilz identifiziert wird, resp. nicht sicher ausgeschlossen werden kann oder kein Pilzexperte zeitnah zur Verfügung steht, wird von Tox Info Suisse eine Hospitalisierung des Kindes zur Behandlung und eine Amatoxinanalytik empfohlen – auch beim Fehlen von Symptomen!

Therapie der Amatoxin-Intoxikation [6]

– Primäre Dekontamination mit Aktivkohle 1 g/kg Körpergewicht (KG) (Carbovit®) innert ein bis zwei Stunden.
– Wiederholte Kohleverabreichung (0,5 g/kg KG alle zwei bis vier Stunden) im Verlauf. Diese ist auch Stunden nach der Ingestion noch sinnvoll, da Amatoxine aufgrund ihres enterohepatischen Kreislaufes über längere Zeit im Darm an Kohle gebunden werden können.
– Antidotale Therapie mit Silibinin (Legalon® SIL) 20 mg/kg KG/24h auf vier Gaben verteilt jeweils als Kurzinfusion zur Hemmung der Giftaufnahme in die Leberzelle.
– N-Acetylcystein über 20 Stunden bei Patientinnen und Patienten mit gastrointestinalen Symptomen oder Zeichen der Hepatotoxizität ­(Dosierung analog des Prescott-Schemas für Paracetamolüberdosierung [6]).
– Unbehandelt oder verzögert behandelt droht ein Leberversagen mit der Notwendigkeit einer Lebertransplantation, daher ist bei einem schweren Verlauf eine frühzeitige Kontaktaufnahme mit einem Lebertransplantationszentrum erforderlich.

Nicht-amatoxinhaltige Rasenpilze: ­Symptome und Therapie

Die Einnahme nicht-amatoxinhaltiger Giftpilze aus dem Rasen kann zu ZNS-Symptomen führen, zum Beispiel zu einem anticholinergen Vergiftungsbild mit Mydriase, Tachykardie, Halluzinationen bei Ingestion von Fliegenpilz (Amanita muscaria). Ein cholinerges Vergiftungsbild mit Schweissausbrüchen, Schwindel, Miosis und Bradykardie ist nach Einnahme von Trichterlingen (Clitocybe sp.) und Risspilzen (Inocybe sp.) möglich. Müdigkeit, Schwindel, Halluzinationen und Rauschzustand treten kurz nach Einnahme psilocybinhaltiger Pilze («Magic mushrooms») auf, die gerne auf gedüngten Wiesen wachsen.
Gastrointestinale Symptome sind typisch für eine Vielzahl ungeniessbarer, meist aber wenig problematischer Pilzarten. Die Symptome beginnen innert ein bis zwei Stunden und sind selten mehr als milde.
Pilze mit Röhren als Fruchtschicht («Röhrlinge») können gastrointestinale Symptome verursachen, sind ­jedoch nie amatoxinhaltig.
In der Regel ist bei nicht-amatoxinhaltigen Rasenpilzen eine rein symptomatische Therapie ausreichend.
Heudüngerling (Panaeolina foenisecii) : eine häufige, nicht-amatoxinhaltige ­Pilzart im Rasen. Foto: Katharina Schenk-Jäger.

Rasenpilze – Daten von Tox Info Suisse

Tox Info Suisse erhält jährlich rund 150 Rasenpilzanfragen [7, 8], meist kann aufgrund der «1 cm2-Regel» oder der raschen Pilzidentifikation Entwarnung gegeben werden. In der Kasuistik (1997–2018) sind 230 ärztliche Rückmeldungen zu Kindern unter fünf Jahren mit Einnahme eines Rasenpilzes registriert. Die überwiegende Mehrzahl der Kinder (186 Kinder, 81%) ­blieben asymptomatisch. In 41 Fällen (18%) traten leichte Symptome (meistens Magendarmsymptome) auf. In drei Fällen (1,3%) kam es zu mittelschweren Verläufen (Agitation, ausgeprägte Magendarmsymptome). Schwere oder gar tödliche Vergiftungsverläufe wurden nicht registriert. Auch in grösseren publizierten Fallserien nach akzidenteller Einnahme von Pilzen aus dem Hausgarten bei Kindern sind meist nur asymptomatische oder leichte Verläufe beschrieben [9], es gibt jedoch auch Fälle von Kindern mit einer Amatoxinvergiftung, die nur dank rascher Therapie keine schweren Symptome entwickelt haben [10].

Hinweis

Diese Serie erfolgt in Zusammenarbeit mit Mitarbeitenden des Tox Info Suisse, die für Primary and Hospital Care ausgewählte Texte aus den «Giftinfos», die regelmässig auf der Website des Tox Info Suisse unter https://toxinfo.ch/giftinfos_de publiziert werden, aufbereiten. Für diese Zusammenarbeit möchte sich die Redaktion des PHC ganz herzlich bedanken!
Dr. med. Katharina Schenk-Jäger
Tox Info Suisse
Freiestrasse 16
CH-8032 Zürich
Katharina.Schenk[at]toxinfo.ch
 1 Schenk-Jäger KM, et al. Ein Bovist ist ein Bovist. Oder doch nicht? Ein Glückspilz trotz Giftpilz. Schweiz Med Forum. 2013;13:781–3.
 2 Enjalbert F, et al. Amatoxins in wood-rotting Galerina marginata. Mycologia. 2004;96:720–9.
 3 Vetter J. Toxins of Amanita phalloides. Toxicon. 1998;36,13–24.
 4 Kupferschmidt H. Die Beurteilung asymptomatischer Patienten mit akuten Vergiftungen. Swiss Medical Forum. 2017;17:64–5.
 5 Schweizerische Vereinigung amtlicher Pilzkontrollorgane www.vapko.ch (Zugriff 22.06.2019).
 7 Schenk-Jaeger KM, et al. Mushroom poisoning: A study on circumstances of exposure and patterns of toxicity. Eur J Intern Med. 2012;23:e85–91.
 8 Schenk-Jaeger KM, Hofer-Lentner KE, et al. No clinically relevant effects in children after accidental ingestion of Panaeolina foenisecii (lawn mower’s mushroom). Clin Toxicol. 2017;55:217–20.
 9 Beuhler MC, et al. The outcome of North American pediatric unintentional mushroom ingestions with various decontamination treatments: an analysis of 14 years of TESS data. Toxicon. 2009;53:437–43.
10 Thorsen J, et al. Death cap may thrive in playgrounds in urban areas – A case report. Clini Toxicol 2009; 47:5.