Koma nach Wasserpfeifenkonsum im Freien
Der Trend Shisha

Koma nach Wasserpfeifenkonsum im Freien

Case reports
Ausgabe
2019/11
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2019.10151
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2019;19(11):358-360

Affiliations
Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Spital Tiefenau, Inselgruppe AG, Universität Bern

Publiziert am 06.11.2019

Eine 17-jährige, bewusstlose, zierliche Patientin aus dem Mittelmeerraum wird im Winter von ihren ­Kollegen auf die Notfallstation getragen. Sie geben an, die ­Patientin habe nach einstündigem Wasserpfeifengenuss Schwindel verspürt und kurz ­darauf auf dem Boden sitzend das Bewusstsein verloren mit Sturz auf den Hinterkopf.

Zuweisungsgrund

Eine 17-jährige, bewusstlose, zierliche Patientin aus dem Mittelmeerraum wird im Winter von ihren ­Kollegen auf die Notfallstation getragen. Sie geben an, die ­Patientin habe nach einstündigem Wasserpfeifengenuss Schwindel verspürt und kurz ­darauf auf dem Boden sitzend das Bewusstsein verloren mit Sturz auf den Hinterkopf. Regelmässige Medikamenteneinnahmen oder Vorerkrankungen seien den Kollegen nicht bekannt.

Kommentar

Das Rauchen von Shisha ist in der westlichen Welt ein ­zunehmender Trend und besonders bei Teenagern und jungen Erwachsenen beliebt. Die Schädlichkeit des Rauchens von Zigaretten gegenüber der Wasserpfeife wird in der Literatur diskutiert, wobei die Schädlichkeit von 45–80 Minuten Shisha-Genuss etwa dem von 60–100 Zigaretten entspricht [1].

Anamnese und Status

Die Atemwege sind unauffällig, bei Normopnoe der ­Patientin mit unauffälliger Lungenbelüftung und peripherer Raumluftsättigung vom 98%. Kardial zeigt sich die Patientin peripher kühl bei unauffälligem Puls­status und Herzauskultation. Der Blutdruck ist 114/­70 mm Hg und eine Sinustachykardie von 118/min kann am EKG-Monitor festgestellt werden. Der Blut­zucker liegt bei 5,5 mmol/l und die Körpertemperatur auriculär bei 37,2 °C.
Neurologisch zeigt sich die Patientin initial soporös mit einem Glascow-Coma-Scale (GCS) von 7 mit gezieltem Wegziehen der Extremitäten auf Schmerzreiz ohne weitere Antwort. Das Anästhesie-Team wird für eine Intubation alarmiert, doch stieg der GCS unter repetitivem Schmerzreiz spontan auf 12 in ca. 3 Minuten an, sodass wir von einer Intubation absahen. 10 Minuten nach Ankunft war die Patientin wach und orientiert bei GCS von 15 ohne klinisch zu eruierende fokal-neurologische Ausfälle. Eine Traumafolge des Sturzes ist ebenfalls nicht auszumachen.
In der erweiterten Anamnese zeigt die Patientin eine Ereignisamnesie, leichten punktuellen occipitalen Kopfschmerz und leichten ungerichteten Schwindel. Pektanginöse Beschwerden oder Dyspnoe werden verneint und die Patientin sei bisher immer gesund gewesen. Weitere Drogeneinnahmen oder Alkoholgenuss waren nicht vorgekommen. Sie habe jedoch in den letzten Wochen täglich Wasserpfeife geraucht, wobei der heutige Konsum der längste gewesen sei.

Zusatzuntersuchungen

1. Arterielle Blutgasanalyse (ABGA): CO-Hb von 38,2%, pH 7,433, pCO2 37 mm Hg, pO2 97 mm Hg, Bicarbonat 24,0 mmol/l, Laktat nicht vorhanden
2. EKG mit normokardem Sinusrythmus ohne Ischämiehinweise, Troponin negativ
3. Hämatogramm, Elektrolyte, Metabolite und Leberparameter im Normbereich

Kommentar

Die Symptome einer Kohlenmonoxidvergiftung sind unspezifisch und werden deshalb oft nicht mit dem Rauchen in Verbindung gebracht. Eine klare Konzentrations­abhänigkeit mit der Schwere der Symptome ist nicht ­immer gegeben. Häufig sind Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Schwindel, Thoraxschmerzen, Atemnot oder Bewusstseinsverlust zu verzeichnen. Nicht selten führt ein kurzzeitiger Bewusstseinsverlust zur Spitaleinweisung, wobei in diesem Fall die Länge des Bewusstseinsverlustes unklar bleibt [2].
Die Hämoglobinderivate wurden spektrophotometrisch mit einem Cobas b 221 System wie anderweitig veröffentlicht gemessen [3].
Die Nicotine und Cotinine zur Suche nach einer zusätz­lichen Tabakvergiftung wurden nicht bestimmt.
In physiologischen Mengen wirkt endogenes Kohlen­monoxid (CO) als Neurotransmitter. Bei niedrigem Spiegel kann CO Entzündungen, Apoptose, und Zellproliferation günstig regulieren. Die zunehmende CO-Exposition führt zu Vergiftungen. CO verursacht Hypoxie durch Bildung von Carboxyhämoglobin und Verschiebung der Oxy­hämoglobindissoziationskurve nach links. Die Affinität von CO für Hämoglobin ist 250-fach stärker als die von Sauerstoff [4], was durch Konfirmationsänderung zur ­Bildung von Carboxyhämoglobin führt und selbst mit relativ geringen Inhalationsmengen von CO zu verzeichnen ist. Dies erhöht den zytosolischen Häm-Spiegel, führt zu oxidativem Stress und bindet an Blutplättchen-Häm-­Protein sowie Cytochrom-C-Oxidase. In Folge wird die Zellatmung unterbrochen und die Produktion reaktiver ­Sauerstoffspezies verursacht, was wiederum zu neuronaler Nekrose und Apoptose führt. Die zelluläre Atmung bewirkt eine Stressreaktion, einschliesslich der Aktivierung des durch Hypoxie induzierbaren Faktors 1α, was zu ­neurologischem und kardialem Schutz oder einer von der Kohlenmonoxiddosis abhängigen Verletzung mittels Genregulation führt. CO-Exposition verursacht Entzündungen auch auf multiplen Wegen, die unabhängig von den Pfaden zur Hypoxie sind, was zu neurologischen und kardialen Verletzungen führt [5].
Die Normwerte von CO im Blut gesunder Probanden schwankt von <3% bei Nichtrauchern bis zu 15% bei starken Rauchern [4].
Sobald die Diagnose einer CO-Vergiftung bestätigt ist, wird empfohlen, ein Elektrokardiogramm (EKG) zu er­stellen. Bei Patienten mit EKG-Nachweis einer kardialen ­Ischämie oder bekannter Herzerkrankung in der Anamnese ist eine Abnahme der kardiologischen Biomarker ­erforderlich [6].

Therapie

Wir begannen nach Diagnosestellung eine normobare Sauerstofftherapie per Gesichtsmaske mit 100% Sauerstoff. Bei Indikation zur hyperbaren Sauerstofftherapie (HST) wurde das nächste Krankenhaus mit entsprechender Einrichtung ausfindig gemacht und die Pa­tientin per Helikopter verlegt. Die Patientin erhielt drei Sitzungen HST mit 3.0 atm, die Weaver et al. beschrieben [7]. Es zeigten sich während der restlichen Betreuung keine neurologischen Ausfälle. Konsekutive CO-Hb-Bestimmungen wurden nicht abgenommen.
Leider kann nicht nachgeprüft werden, ob die Patientin an neurologischen Spätschäden leidet, da sie unter ­ihren Kontaktangaben nicht kontaktierbar war.

Kommentar

Die Halbwertszeit von CO unter Raumluft beträgt 320 Minuten und wird durch 100% Sauerstoff mittels Gesichtsmaske auf 80 Minuten reduziert [8]. Vorteile der Be­handlung mit hyperbarem Sauerstoff umfassen einen erhöhten Gehalt an gelöstem Sauerstoff im Blut und eine weiter beschleunigte Beseitigung von CO. Zu den potenziellen Vorteilen einer Behandlung mit hyperbarem Sauerstoff zählen die Verhinderung der Lipid­peroxidation im Gehirn und die Erhaltung der Adenosintriphosphat(ATP)-Spiegel in CO-exponiertem Gewebe.
Absolute Indikationskriterien zur hyperbaren Sauerstofftherapie sind bisher nicht beschrieben, doch die aktuelle Studienlage beschreibt mehrheitlich folgende Indikationskriterien [2]:
– Bewusstseinsverlust
– Hinweise einer myokardialen Ischämie
– Neurologische Ausfälle
– Signifikante metabolische Azidose (pH <7,2) oder ein CO-Hb >25%
Eine absolute Kontraindikation der HST ist ein unbehandelter Pneumothorax. Zu den relativen Kontraindikationen zählen obstruktive Lungenerkrankungen, asymptomatische Lungenbläschen oder Bullae im Thorax­-Röntgenbild, Infektionen der oberen Atemwege oder Nasenneben­höhlen, kürzliche Ohr- oder Thoraxoperationen, unkon­trolliertes Fieber und Klaustrophobie. Bei Patienten mit Krampfanfällen in der Anamnese besteht ein Risiko für Komplikationen im Zusammenhang mit der Toxizität des Zentralnervensystems aufgrund hoher Sauerstoffkonzentrationen [5]. Mildere Vergiftungen werden häufig individuell nach Ressourcenverfügbarkeit angepasst. Als Optio­nen stehen High-Flow-Sauerstoff­therapie, nicht-invasive Ventilation und Intubation zur Verfügung.
Eine signifikante Überlegenheit der HST gegenüber den oben genannten alternativen Optionen konnte bisher nicht gefunden werden. Es zeigt sich jedoch ein Trend hin zu hyperbaren Sauerstofftherapie, wenn es um die Re­duktion von neurologischen Schäden und langfristigem Überleben geht. Diese Überlegung kann pathophysio­logisch insofern nachvollzogen werden, als das Kohlenstoffmonoxid in Geweben teilweise längere Halbwertszeiten aufweist, als dass dies im Blut nachweisbar ist [5].
Die Relevanz der akzidentellen CO-Vergiftungen zeigen Daten aus Grossbritannien mit ca. 676 Todesfällen zwischen 1995 und 2017 sowie 5542 berichteten Vergiftungen mit 2250 behandelten Fällen [9].
Lisbona et al. konnten zusätzlich zeigen, dass 2007 bis 2016 in Schottland von 209 durch CO-Vergiftungen bestätigten Todesfällen mindestens 34% in suizidaler Absicht geschahen, wobei meistens Motorfahrzeugabgase, gefolgt von portablen Grills oder Kohlefeuer, benutzt wurden. Selten sind dabei chemische Kohlenmonoxidquellen verantwortlich [10].
Generell haben die Fälle der Kohlenmonoxidvergiftungen unter Wasserpfeiferauchenden in den letzten Jahren zu­genommen. In den Jahren 2001 bis 2017 wurden in den Vereinigten Staaten von Amerika 276 Fälle bei jugend­lichen oder jungen Erwachsenen gezählt [11].
Schlussendlich ist eine CO-Vergiftung nicht immer offensichtlich. Personen mit vermuteten kardialen oder neurologischen Symptomen in der Nähe alltäglicher fossiler Ver­brennungsquellen, wie z.B. Petrol-/Kohleöfen, portable Stromgeneratoren oder offenem Feuer, können primär vergiftet sein [9].

Take home message

1. Akute Kohlenmonoxid-(CO-)Vergiftungen werden in der Regel aufgrund einer suggestiven Vorgeschichte vermutet und sollte bei Verbrennungsvorgängen, die in der Umgebung stattfinden, erwogen werden.
2. Die Standard Pulsoxymetrie (SpO2) kann keine Aussage über eine mögliche CO-Intoxikation geben, da Carboxyhämoglobin so nicht von Oxyhämoglobin unterschieden wird.
3. Eine Kohlenmonoxidvergiftung kann zu dauerhaften Folgen primär für das Herz und Gehirn führen. Eine hyperbare Sauerstofftherapie sollte in schweren Fällen möglichst frühzeitig in Betracht gezogen werden. Eine nicht-invasive Beatmung kann in leichteren Fällen als Alternative evaluiert werden.
Dr. med. univ. Anca-Isabela Diaconescu
Dipl. Arzt Magnus Mansouri Taleghani
Spital Tiefenau
Tiefenaustrasse 112
CH-3004 Bern
anca-isabela.diaconescu[at]spitaltiefenau.ch
magnus.mansouri[at]spitaltiefenau.ch
 1 Nigel Masters, et al. Waterpipe tobacco smoking and cigarette equivalence. Br J Gen Pract. 2012;62(596):127.
 2 Neil B. Hampson, Claude A. Piantadosi, Stephen R. Thom, et al. Practice Recommendations in the Diagnosis, Management, and Prevention of Carbon Monoxide Poisoning. Am J Respir Crit Care Med. 2012;186(11):1095–101.
 4 Burney RE, Wu SC, Nemiroff MJ. Mass carbon monoxide poisoning: clinical effects and results of treatment in 184 victims. Ann Emerg Med 1982;11:394–9. 10.1016/S0196-0644(82)80033-4 7103154
 5 Jason J. Rose, Ling Wang, Qinzi Xu, et al. Carbon Monoxide Poisoning: Pathogenesis, Management, and Future Directions of Therapy. Am J Respir Crit Care Med. 2017;195(5):596–606.
 6 Daniel Satran, Christopher R. Henry, Cheryl Adkinson, et al. Cardiovascular Manifestations of Moderate to Severe Carbon Monoxide Poisoning. J Am Coll Cardiol. 2005;45(9):1513–6.
 7 Weaver LK, Hopkins RO, Chan KJ, et al. Hyperbaric oxygen for acute carbon monoxide poisoning. N Engl J Med. 2002;347:1057–67.
 8 Weaver LK. Clinical practice: Carbon monoxide poisoning. N Engl J Med. 360(12):1217–25.
 9 James Ashcroft, et al. Carbon monoxide poisoning. BMJ. 2019;365:l2299.
10 Lisbona, et al. J Forensic Sci. 2018;63(6):1776–82. doi: 10.1111/1556-4029.13790
11 Brian L. Rostron. J Adolesc Health. 2019;64(6):800–3. doi: 10.1016/j.jadohealth.2018.12.021