Genitalherpes – Update 2020 für die Praxis
Folge 3: Infektionen in der Praxis

Genitalherpes – Update 2020 für die Praxis

Fortbildung
Ausgabe
2020/03
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2020.10141
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2020;20(03):100-104

Affiliations
* diese Autoren haben gleichwertig zum Manuskript beigetragen; a Medizinische Universitätsklinik, Infektiologie und Spitalhygiene, Kantonsspital Baselland, Bruderholz, Universität Basel; b Gynécologie et Obstetrique FMH, Centre Médical de Lancy GE; c Médecine Générale FMH, Centre Médical de Lancy GE; d Allg. Innere Medizin FMH, Allschwil BL; e PROFA, Consultation de santé sexuelle – planning familial, Lausanne; f Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Universitätsspital Basel; g Allg. Innere Medizin FMH, FA Homöopathie (SVHA), Richterswil ZH; h Service des Maladies Infectieuses, Unité VIH/Sida, Hôpitaux Universitaires de Genève; i Infektiologie, Kantonsspital St. Gallen

Publiziert am 04.03.2020

Die meisten Ansteckungen mit Genitalherpes gehen von Partnern aus, die keine Symptome haben oder die nicht wissen, dass sie Herpes haben. Gute ärztliche Kommunikation und Begleitung sind das A und O eines erfolgreichen Herpes-­Managements. Die chronisch suppressive Therapie ist eine wichtige Option für stark betroffene Patient/-innen – durch sie werden Herpesepisoden und Partner­ansteckungen selten.

Infektiologie-Serie

Infektionen und Immun­abwehr sind in der Praxis wichtige Themen. Sie bieten hervorragende Gelegenheiten zu interdiszi­plinärer Zusammenarbeit, Überprüfung von gängigen Konzepten und Integration komplementärmedizinischer Sichtweisen. Philip Tarr ist Internist und Infektiologe am Kantonsspital Baselland und hat ein nationales Forschungsprogramm NFP74 zu Impf­skepsis. Ihm liegt viel an einer patientenzentrierten Medizin und an praxisrelevanten Artikeln, die wir in der Folge in Primary and ­Hospital Care regelmässig publizieren werden.

Einleitung

Genitalherpes ist häufig, chronisch und kann psychisch belastend sein. Ziel dieses Artikels ist es, wichtige epidemiologische Tatsachen zu klären und eine praktische Hilfe für die Kommunikation und die ­Begleitung von Patient/-innen mit Genitalherpes zu vermitteln. So kann die Hausärzt/-in den meisten Patient/-innen eine sehr gute Lebensqualität ermöglichen.

Epidemiologie

Früher hiess es: Lippenherpes = HSV-1, Genitalherpes = HSV-2. Stimmt das immer noch?

Die traditionelle Sichtweise besagt, dass sich eine Herpes-Simplex-Virus(HSV)-1-Infektion im Mund-Lippenbereich (labial), und HSV-2-Infektion im Genitalbereich manifestiert. Heute ist aber mehr Genitalherpes durch HSV-1 bedingt als vor 40 Jahren [1], und zum Teil häufiger durch HSV-1 bedingt als durch HSV-2 [1]. Ein Grund dafür scheint die zunehmende Verbreitung von Oralsex zu sein [2–4].Zudem haben Teenager heute, wenn sie das erste Mal Sex haben, weniger oft HSV-1-Anti­körper als früher (vermutlich wegen verbesserter Hygiene) – daher sind sie anfälliger für eine genitale HSV-1-Primärinfektion [1]. Denn HSV-1 wird hauptsächlich im Kindesalter erworben und zwar nicht sexuell, sondern orolabial (via Speichel, d.h. via Kontakt intra­familiär oder mit anderen Kindern, zum Teil über ­gemeinsam verwendete Gegenstände, z.B. Teddy­bären). HSV-1-Antikörper bieten einen Teilschutz vor sexueller Ansteckung mit HSV-2. HSV-1-seropositive Personen können sich zwar mit HSV-2 anstecken, aber die Symptomatik der Erstinfektion kann weniger stark ausfallen [1].

Wie häufig ist Genitalherpes?

Die Prävalenz von Genitalherpes wird üblicherweise indirekt gemessen, via die HSV-2-Seroprävalenz. In der Schweiz gibt es dazu wenig Daten. In einer Studie von 2004 waren 19–21% der Frauen und 16–18% der Männer HSV-2 seropositiv [5]. Frauen haben in den meisten Studien eine höhere HSV-2-Seroprävalenz als Männer. So ist gemäss WHO etwa 11% der Weltbevölkerung mit Herpes angesteckt, davon sind 150 Mio Männer und 267 Mio Frauen [6]. Dies könnte mit einer erhöhten biologischen Anfälligkeit von Frauen für eine HSV-Infektion zu tun haben, oder mit anderem Verhalten bezüglich der Wahl der Sexualpartner als bei Männern [6].

Kann man dem Partner Herpes ansehen?

Nur zum Teil. Bis zu 70% der Herpes-Übertragungen gehen von Personen aus, die nicht wissen, dass sie Herpes haben, oder momentan keine Symptome zeigen [1, 7]. Dies kann nicht genug betont werden (Kasten 1). Herpes verursacht zwar wiederkehrende Läsionen, kann aber auch ohne Läsionen ansteckend sein. In der Vagina und in der männlichen Harnröhre werden mehr HSV-Viren nachgewiesen, wenn die Betroffenen Herpessymptome haben, als an Tagen, an denen sie nichts spüren [8, 9].

Kasten 1: Ein Fallbeispiel

Keine Symptome, also keine Ansteckungsgefahr?
Er ist 42-jährig und hat einen bekannten Genitalherpes. In guten Jahren zeigt sich dies mit drei bis vier Episoden pro Jahr, in schlechten Zeiten kann es jährlich bis zu zehn Episoden geben. Er habe immer seine Freundinnen informiert und noch nie eine angesteckt. Sie ist 40, hat keinen bekannten Herpes. Wenn er ­Läsionen hat, verwenden sie ein Kondom, wenn er keine Läsionen hat, haben sie ungeschützten Sex. Ist das eine gute Idee?
Antwort
Nein, das ist keine gute Idee. Denn nun kommt sie mit schmerzhaften genitalen Bläschen auf den Notfall. Die HSV-2-PCR aus Bläscheninhalt ist positiv. Denn Personen mit Genitalherpes können auch an den Tagen ansteckend sein, an denen sie keine Symptome haben. Allerdings gibt es keine Methode, die HSV-Ansteckungen komplett verhindern kann, egal ob Symptome vorliegen oder nicht. Auch Kondome sind nicht 100% wirksam; HSV kann auch beim Vorspiel übertragen werden.

Bei wem ist das Risiko besonders hoch, sich mit Herpes anzustecken?

In Afrika sind doppelt soviel Personen betroffen wie in Amerika, und dort doppelt so viel wie in Europa. Herpes betrifft besonders Personen, die wechselnde Partner und andere Geschlechtskrankheiten haben (oder hatten) [10].

Ist eine Herpes-Erstmanifestation immer ein Erstinfekt?

Nein. Serologische Studien legen nahe, dass es sich beim «Erstinfekt» oft um eine Reaktivierung einer bereits etablierten Infektion handelt [11]. Personen mit geringen oder nicht erkannten Herpes-Symptomen sind potenziell ansteckend, obwohl sie nichts von ­ihrem Herpes wissen [1].

Diagnostik

Wenn die Läsionen aussehen wie Herpes, könnte es nicht auch Syphilis sein?

Meist ist die Unterscheidung relativ klar (Tab. 1). Herpes ist zudem 100–300-mal häufiger als Syphilis [12].
Tabelle 1: Klinische Manifestationen von Genitalherpes und Syphilis.
 HerpesSyphilis
Inkubationszeit*4–7 Tage10–90 Tage (durchschnittlich 3 Wochen) bis zur Primärsyphilis
Wieviele Läsionen sind es?Meist mehrere LäsionenOft nur eine Läsion
Wie sieht es aus?Bläschen, die aufplatzen ­können, zu einem Ulkus ­werden und dann verkrusten.
Oft mit Rötung und Schwellung [16]
Knoten, der ulzerieren kann ­(Ulcus durum, «harter Schanker»).
Meist nicht gerötet
Lokale SchmerzenOft Brennen, Schmerzen und/oder Juckreiz – oft Prickeln bevor Läsionen ­auftretenIn der Regel schmerzlos
DemographieF>MM>>F, vor allem Männer, die Sex mit Männern haben
ErregerHSV-1, HSV-2Treponema pallidum
TherapieFamiciclovir
Valaciclovir per os
Aciclovir i.v.
Benzathin-Penicillin als i.m.-Injektion (i.v. Penicillin falls ­Neurosyphilis) [17];
Doxycyclin bei Penicillin-Allergie
* Zeit von der sexuellen Ansteckung bis zu klinischen Läsionen.

Wie diagnostiziere ich Genitalherpes?

Bei typischer Klinik mit rezidivierenden anogenitalen Läsionen bestehen kaum diagnostische Zweifel. Differenzialdiagnostisch an Herpes Zoster denken: Dieser ist in der Regel klar monolateral und reaktiviert fast nie mehr als ein- oder zweimal [13]. Eine definitive Diagnose erfolgt via Nachweis von HSV-1- oder HSV-2-DNA mittels PCR, möglichst aus einem intakten Bläschen, da ein Virusnachweis aus offenen Läsionen oft nicht gelingt (mit Abstrichtupfer auf Bläschen drücken und Material eines Bläscheninhalts aufsaugen). Die PCR-­Diagnostik ist sehr zuverlässig, allerdings nicht ganz ­kostengünstig zu haben: HSV-1- und HSV-2-PCR, je 180 Taxpunkte, allenfalls (für ca. 360 Taxpunkte) im Rahmen einer «multiplex»-PCR-Testung erhältlich, die den gleichzeitigen Nachweis von mehreren sexuell übertragbaren Infektions(STI)-Erregern erlaubt.

Beweisen perianale Herpes-Läsionen, dass die Person Analsex hat?

Nein. Laut BAG geben etwa 3% der Männer in der Schweiz an, Sex mit Männern zu haben, und 10% der Frauen geben Analsex an [14]. Genital akquirierte ­Herpesviren persistieren in sakralen Ganglien und können genital und/oder perianal reaktivieren und umgekehrt [15].

Gibt es immer mehr Personen mit Genital­herpes?

Dafür gibt es keine guten Daten.

Soll ich bei meinem Patienten eine HSV-1/2-Serologie machen?

Nur sehr zurückhaltend. Es besteht zwar gelegentlich der Patientenwunsch zu wissen, ob man bereits infiziert ist oder wer wen angesteckt hat. Jedoch ist die Serologie unzuverlässig – falsch-positive Ergebnisse sind leider häufig, können stigmatisierend wirken und Paarbeziehungen gefährden [18, 19]. Zwar sind Spezifität und prädiktiver Wert der Antikörpertests heute besser als vor 20 Jahren, jedoch noch nicht ausreichend, um ein serologisches Screening bei asymptomatischen Personen oder bei Personen mit unklaren Symptomen empfehlen zu können [20]. Oft wird die Serologie nur kombiniert für HSV-1- und HSV-2-Antikörper gemacht; teilweise «typenspezifisch», also separate Messung der HSV-1- und HSV-2-Antikörper. Bei klar etablierter Diagnose (mittels Klinik oder PCR-Testung) braucht es keine Serologie.

Patientenmanagement, Kommunikation

Herpes macht weder Krebs noch unfruchtbar [21] – wieso soll Herpes so schlimm sein?

Die Folgen von Genitalherpes sollte nicht unterschätzt werden, da die Diagnose einer chronischen Geschlechtskrankheit stigmatisierend und psychologisch belastend sein kann. Übliche Reaktionen auf die Diagnose sind Wut, Scham, Trauer, Isolation, verringerte Libido, bis hin zu Depressionen und selbstzerstörerischen Gedanken – insbesondere bei der Erstmanifestation. Betroffene können sich sorgen, die Sexualpartner anzu­stecken, von ihnen abgewiesen zu werden, oder sie überhaupt kennenzulernen. Männer und Frauen reagieren grundsätzlich ähnlich auf die ­Diagnose [22, 23].

Wie und was sollen die Hausärzt/-innen ­kommunizieren?

Das A und O eines erfolgreichen Genitalherpes-Managements ist eine akzeptierende, nicht urteilende Haltung und eine gut informierende, verständnisvolle Kommunikation: Sich Zeit nehmen, Sorgen ernstnehmen, Stärkung und Unterstützung des Patienten und eine wirksame Behandlung anbieten (Tab. 2). Es geht darum, dass die Patientin sich nicht hilflos dem Virus ausgeliefert fühlt, sondern ein Gefühl der Kontrolle über ihre Situation zurückgewinnt. Die Ärztin soll Begriffe wie Herpes-«Attacken» vermeiden und von «Episoden» sprechen. Patient/-innen wissen oft, was eine Episode auslösen kann (Stress, Kummer in der Partnerschaft etc.). Die Ärztin unterstützt sie deshalb in der Selbstbestimmung und Eigenwahrnehmung.
Tabelle 2: Praktische Kommunikationshilfe zum Thema Genitalherpes [21].
• Genitalherpes ist häufig und kann durch HSV-1 oder HSV-2 verursacht werden.
• Ungefähr eine von sechs Personen in der Schweiz haben Genitalherpes (aufgrund von HSV-2).
• Ungefähr 80% der Infektionen werden nicht erkannt, da die Symptome schwach ausgeprägt sind oder ganz fehlen.
• Mehr als 50% der Personen, die Herpes haben, werden durch eine Person angesteckt, die nicht weiss, dass sie Herpes hat.
• Bei den meisten «Erst»-Infektionen handelt es sich um eine Reaktivierung einer bereits vorhandenen Infektion – der An­steckungszeitpunkt ist daher schwierig zu definieren (die Ansteckung könnte auch von einem früheren Partner stammen).
• Genitalherpes kann durch vaginalen, analen und oralen Sex übertragen werden, nicht zuletzt auch durch Cunnilingus.
• Wenn Herpesbläschen vorhanden sind, finden Ansteckungen leichter statt, als wenn keine vorhanden sind.
• Personen mit Genitalherpes können an einigen Tagen pro Monat Viren freisetzen, auch ohne Symptome.
• Übertragungen von Genitalherpes können auch in treuen Langzeitbeziehungen vorkommen.
• Die Erstepisode wird abheilen. Wiederkehrende Episoden sind normalerweise weniger stark ausgeprägt.
• HSV-2 kann häufiger reaktivieren als HSV-1.
• Es gibt die Möglichkeit einer längerfristigen, täglichen Behandlung: Diese ist oft sehr wirksam, denn sie führt meist zu ­weitgehender Symptom- und Episodenfreiheit und senkt das Ansteckungsrisiko beträchtlich.
• Kondome können das Ansteckungsrisiko deutlich senken, aber nicht zu 100%: Haut-zu-Haut-Kontakt sollte vermieden ­werden, wenn Läsionen sichtbar sind.
• Genitalherpes führt nicht zu Gebärmutterhalskrebs.
• Genitalherpes macht nicht unfruchtbar.
• Frauen mit Genitalherpes können gefahrlos schwanger werden und vaginal gebären. Vorsicht geboten ist besonders bei ­Neuinfektionen im ersten oder dritten Trimester (Genitalherpes während der Schwangerschaft ist eine Indikation für Kaiserschnitt und vorgeburtlich begonnene antivirale Therapie). Herpes bei Neugeborenen ist ernst zu nehmen, aber selten.

Macht es einen Unterschied, ob ich Genitalherpes mit HSV-1 oder HSV-2 habe?

HSV-1 verursacht etwas weniger klinische und sub­klinische Episoden von Genitalherpes als HSV-2. Im Jahr nach der Erstinfektion beträgt die Rate von erneuten symptomatischen Episoden bei HSV-1 20–50% und bei HSV-2 70–90% [1, 5].

Wie behandelt man Genitalherpes am besten?

Die Erstepisode sollte rasch und eher hochdosiert behandelt werden, da sich die Symptome auch in milden Fällen verschlimmern können (Tab. 3). Die Betroffenen sehen auch bei der Therapie der erneuten Episoden («episodische Therapie») oft einen Vorteil in einer rasch beginnenden Therapie, beispielsweise schon wenn es lokal juckt, zieht oder brennt, noch bevor Lä­sionen zu sehen sind [24]. Die episodische Therapie ist mässig wirksam. Sie verkürzt die Symptomdauer um ein bis zwei Tage [25] und die Dauer bis zur kompletten Abheilung der Läsionen um etwa einen Tag [25]. Ein­tagesbehandlungen sind möglich und wirksam [26, 27]. Naturheilkundlich orientierte Kolleg/-innen verwenden auch komplementärmedizinische Methoden, welche die Episoden deutlich reduzieren oder ganz zum Verschwinden bringen können, nach dem Prinzip: Stärke den Wirt, dann hat es der Erreger schwerer.
Tabelle 3: Dosierungsempfehlungen der antiviralen Medikamente*.
 Erstepisode **Wiederkehrende ­EpisodenChronisch suppressive ­ ­Therapie
Valaciclovir500 mg–1 g 2×/d × 5–10 Tage500 mg 2x/d × 3 Tage
oder
1 g 1×/d x 5 Tage
500 mg 1×/d, bei ­ungenügender ­Wirkung auf 1 g/d erhöhen
Famciclovir250 mg 3×/d × 7–10 Tage125 mg 2×/d x 5 Tage
oder
1 g 2×/d × 2 Dosen
oder
500 mg einmalig,
gefolgt von
250 mg 2×/d × 2 Tage[1]
250 mg 2x/d
* gemäss CDC: https://www.cdc.gov/std/tg2015/default.htm
** hier wird zunächst eine kürzere Therapiedauer verordnet, wobei gegen Ende der Behandlung die Situation neu beurteilt wird. Es empfiehlt sich, die Therapie fortzusetzen, wenn sich weiterhin neue Läsionen bilden, Komplikationen auftreten oder sich die Symptome nicht bessern [28].

Ist ein antivirales Medikament dem anderen vorzuziehen?

Grundsätzlich gelten Valaciclovir und Famciclovir als etwa gleich wirksam.

Darf ich damit rechnen, dass die Genitalherpes-Episoden mit der Zeit seltener werden?

Herpesviren persistieren lebenslang im Körper. Bei etwa der Hälfte der Betroffenen kommt es im Verlauf von einigen Jahren zu weniger und kürzeren symptomatischen Herpes-Episoden – vermutlich aufgrund ­einer gewissen immunologischen Kontrolle des Virusinfekts [9, 29]. Die in den Läsionen nachweisbare Virusmenge kann in diesem Kontext sinken, allerdings nicht unbedingt so tief, dass die Person nicht mehr ansteckend wäre [9]. Leider trifft dies nicht auf alle Be­troffenen zu; bei gewissen Betroffenen blieb in einer Studie die Zahl der Episoden über die Jahre stabil, und bei einem Viertel kam es gar zu einer Zunahme [29].

Trotz sofortig begonnener Therapie heilen meine Herpesläsionen erst nach acht bis neun Tagen und die Episoden werden jedes Jahr häufiger – ist mein Herpesvirus resistent auf die antivirale Therapie?

Vermutlich nicht. Bei Resistenz auf einen Wirkstoff ist zwar quasi 100% mit einer «Kreuzresistenz» auf die anderen Wirkstoffe zu rechnen, aber diese Resistenzen sind in der Praxis sehr selten: <1% der Patient/-innen mit Genitalherpes sind davon betroffen [30]. Viel eher hat die Patientin einfach Pech (ihr Immunsystem ist zwar gesund, kann aber das Virus nicht so gut bekämpfen wie andere Leute) oder die episodische Therapie kommt bei der betreffenden Person an seine Wirksamkeitsgrenze.

In welchen Fällen ist eine chronisch suppressive Therapie sinnvoll?

Sind die Episoden häufig, sehr schmerzhaft, psychisch stark belastend oder es treten (z.B. neurologische) Komplikationen auf, sollte eine chronisch suppressive Therapie erwogen werden. Diese senkt die Anzahl der Episoden um mindestens 70–80% [24]; eventuell ­dennoch auftretende Episoden sind milder und heilen rascher [31]. Viele Patient/-innen haben unter chronischer Suppression gar keine symptomatischen Epi­so­den mehr.
Zudem senkt die chronische Suppressionstherapie die klinische und subklinische Virusausscheidung und ­damit die Übertragung auf die Sexualpartner sehr deutlich [10, 32] – die US Behörden sprachen 1997, bei der Zulassung von einer Intervention von «enormer Bedeutung» für die öffentliche Gesundheit [33].
Entscheidend ist zudem, dass durch die Abnahme von Häufigkeit und Schweregrad der Episoden viele Be­troffene – nach eigener Aussage – viel besser mit ­ihrer chro­nischen Geschlechtskrankheit umgehen können – ­dadurch verbessert sich ihre Lebensqualität oft ­beträchtlich [24]. Falls trotz suppressiver Therapie Läsionen auftreten, soll das antivirale Medikament vor­übergehend in therapeutischer Dosis genommen und bis zur Abheilung komplett auf Sex verzichtet ­werden [32].

Darf ich unter chronisch suppressiver Therapie ungeschützten Sex haben?

Nein, denn die Übertragung auf die Sexualpartner wird nicht um 100% unterbunden. Viele Patient/-innen tun das aber trotzdem.

Ist eine topische Herpes-Therapie wirksam?

Verglichen mit oraler Therapie ist die Wirksamkeit bescheiden [34, 35]. Penciclovir scheint wirksamer als Aciclovir zu sein. Die Viren sind in den Nerven zu finden, die tiefer als die Penetrationstiefe der topischen Medikamente lokalisiert sind. Trotzdem gibt es Patienten, die sehr zufrieden sind mit dem Effekt der Medikamente, insbesondere bei Lippenherpes [31, 36–39].

Fazit für die Praxis

– Die meisten Übertragungen gehen von Personen aus, die nicht wissen, dass sie Genitalherpes haben oder im Moment keine Läsionen aufweisen.
– Auch mit Kondomen lassen sich Herpesansteckungen nur teilweise reduzieren.
– In der Schweiz sind etwa eine von sechs Personen betroffen
– Definitive Diagnose wird mittels PCR aus dem Bläschen-­Sekret gestellt. Die Serologie ist unzuverlässig – falsch-­positive Resultate sind nicht selten.
– Die Aussage «Lippenherpes = HSV-1 und Genitalherpes = HSV-2» ist heute nicht mehr korrekt. Genitalherpes kann auch durch HSV-1 bedingt sein und umgekehrt.
– Die Herpesdiagnose kann psychisch belastend sein – eine gute Kommunikation ist das A und O.
– Bei sehr schmerzhaften, häufig auftretenden und psychisch stark belastenden Herpes-Episoden, und um die Ansteckungsgefahr für Sexualpartner zu reduzieren, sollte eine chronisch suppressive Therapie erwogen werden.
Prof. Dr. med. Philip Tarr
Medizinische Universitätsklinik
Kantonsspital Baselland
CH-4101 Bruderholz
philip.tarr[at]unibas.ch
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