Akute Methamphetamin-Intoxikation: ein Stimulanzien-Toxidrom
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Akute Methamphetamin-Intoxikation: ein Stimulanzien-Toxidrom

Fortbildung
Ausgabe
2020/02
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2020.10177
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2020;20(02):65-66

Affiliations
Tox Info Suisse, Assoziiertes Institut der Universität Zürich, Zürich

Publiziert am 05.02.2020

Methamphetamin, ein synthetisches Psychostimulans auf Amphetaminbasis, auch Crystal Meth genannt, wird zunehmend auch in der Schweiz konsumiert. Methamphetamin wirkt stärker als Amphetamin, und das Abhängigkeitspotenzial ist hoch.

Methamphetamin, ein synthetisches Psychostimulans auf Amphetaminbasis, auch Crystal Meth genannt, wird zunehmend auch in der Schweiz konsumiert. Die Droge, oft aus Osteuropa stammend, kann vergleichsweise einfach mit relativ preiswerten Inhaltsstoffen wie Pseudoephedrin, einem Bestandteil vieler Grippemedikamente, hergestellt werden. Methamphetamin wirkt stärker als Amphetamin, und das Abhängigkeitspotenzial ist hoch. Die Droge wird als Pille (Thaipille, Yaba), als kristallines Pulver (Crystal, «C», Ice, Pico) oder freie Base (Meth) vertrieben und wird meist oral eingenommen oder geschnupft, seltener geraucht oder intravenös appliziert [1].

Wirkmechanismus

Methamphetamin ist ein indirektes Sympathomimetikum mit hoher Liquorgängigkeit. Methamphetamin gelangt in die präsynaptischen Vesikel der Nervenendigungen, die Neurotransmitter Dopamin, Noradrenalin und Serotonin werden verdrängt und in der Folge vermehrt in den synaptischen Spalt ausgeschüttet. Des Weiteren kommt es durch Blockierung der Dopamintransporter zu verminderter Wiederaufnahme sowie zu reduziertem Abbau der Neurotransmitter durch die Hemmung der Monoaminooxidase [2]. Dies wiederum führt zur vermehrten Stimulation zentraler und peri­pherer alpha- und beta-adrenerger postsynaptischer Rezeptoren. Die serotonerge Aktivierung führt zu Veränderungen der Stimmung, des Hunger- und Durst­gefühls. Dopamin-Rezeptor-Stimulation resultiert in «Craving» und psychiatrischen Symptomen.
In den 1930er Jahren wurde Methamphetamin als Medikament (Pervitin®) zur Stimmungsaufhellung und als Wachhaltemittel in einer Dosierung von 3–5 mg in den Handel gebracht. Heutiger Methamphetamin-Konsum spielt sich im höheren und toxischen Dosisbereich ab [3].
Um gewünschte Effekte wie Euphorie, gehobenes Selbstwertgefühl, erhöhte Risikobereitschaft, Unterdrückung von Schmerzen, Hunger und Schlafbedürfnis sowie Enthemmung (Sexdroge) zu erreichen, ­werden gemäss Erfahrungsberichten von «Nutzern» 10–30 mg konsumiert. Bei höheren Dosen kann es zu ausgeprägter sympathomimetischer Stimulation («fight or flight») kommen [4]. Die Dosis für Effekte dürfte jedoch, wie bei anderen Stimulantien, grossen individuellen Unterschieden unterliegen. Nach wiederholter Einnahme kann es auch zu einer Toleranz­entwicklung kommen. Auch der Reinheitsgrad der Droge kann unterschiedlich sein. Bereits eine Dosis von 1,5 mg/kg (140 mg) Methamphetamin führte bei einem Erwachsenen zum Tod [5]. Wichtiger als die ­angegebene Dosis ist jedoch eine klinische Beurteilung der Symptome, um den Schweregrad einzu­ordnen.

Symptome der akuten Intoxikation

Häufige Symptome sind: Agitation, Mydriase, Tachykardie, Blutdruckerhöhung, Tachypnoe und Schwitzen. Hyperthermie mit möglicher disseminierter intra­vasaler Gerinnung, Rhabdomyolyse, Leber- und Nierenversagen bei schwerer Intoxikation [6–8].
– ZNS-Symptome: Tremor, Agitation, Halluzinationen, Angstzustände, Delir, Psychose, Hyperreflexie, Bruxismus (Zähneknirschen), Mydriase, selten Koma oder epileptische Krampfanfälle.
– Kardiovaskuläre Symptome: Tachykardie, arterielle Hypertension, auch Arrhythmien und plötzlicher Herztod sind beschrieben. Kardiale Ischämie, Myokardinfarkt, periphere Ischämie und zerebrovaskuläre Komplikationen bei Vasospasmen sind möglich [9]. Auch subarachnoidale und intrazerebrale Blutungen werden im Zusammenhang mit Methamphetamin-Intoxikationen diskutiert [6].
– Metabolische Störungen: Hyperkaliämie und Hyponatriämie, metabolische Azidose [7].
– Gastrointestinale Symptome: Erbrechen, Diarrhoe und Bauchschmerz (DD: Darmischämie durch Vasospasmen).
Entzugssymptome (Schwitzen, Fatigue, Schlafbedürfnis, Insomnie, Agitation, «Craving», vermehrter Appetit) können bei abruptem Absetzen auftreten. Sie ­entwickeln sich innerhalb der ersten Stunden mit typischem Gipfel innerhalb von ein bis zwei Tagen.

Vergiftungsverlauf/Pharmakokinetik

Methamphetamin wird rasch über alle Routen (oral, pulmonal, nasal, intramuskulär, intravenös, rektal und vaginal) resorbiert. Methamphetamin ist ­lipophil, passiert daher gut die Blut-Hirn-Schranke. Nach dem Rauchen oder einer intravenösen Applikation treten die Symptome innert Sekunden auf, nach Schnupfen innert fünf Minuten und nach oraler Einnahme innert 20–30 Minuten [7]. Die Wirkdauer beträgt ca. acht Stunden, auch bei längerdauernden Verläufen klingen die Symptome in der Regel innert 24 Stunden ab [2].
Die Elimination von Methamphetamin erfolgt über hepatische Metabolisierung und renale Ausscheidung. Methamphetamin wird über verschiedene Wege in der Leber metabolisiert, wobei auch Cytochrom CYP2D6 involviert ist. Polymorphismen dieses Cytochroms (CYP2D6 slow metabolizer) werden als Ursache unerwarteter Toxizität diskutiert. Die renale Ausscheidung ist abhängig vom Urin-pH; alkalischer Urin verlängert die Halbwertszeit. Die terminale Plasmahalbwertszeit beträgt ca. zehn Stunden [2].

Überwachung

– Überwachung von Körpertemperatur, Blutdruck, Puls, Bewusstsein.
– EKG-Kontrolle oder EKG-Monitoring bei ausgeprägter Symptomatik.
– Labor: je nach Symptomen Kontrolle von Elektrolyten, Glucose, Kreatinkinase, Troponin, ABGA, Leber- und Nierenwerte und Gerinnungsparameter [6]. Quantitative Bestimmungen von Methamphetamin korrelieren nur bedingt mit dem Schweregrad. Durch positiven Nachweis im Urin-Tox-Screen können die Symptome von anderen adrenerg-wirksamen Substanzen (z.B. Cocain) oder nicht-toxikologischen Ursachen (z.B. Hitzeschlag, Thyreotoxikose, Phäochromozytom) abgegrenzt werden. Die unmittelbare Behandlung sollte jedoch durch die Diagnostik nicht verzögert werden.
– CCT/Lumbalpunktion vor allem bei intrakranieller Blutung.

Therapie

– Nach akzidenteller Methamphetamin-Einnahme kann die Dekontamination mit Kohle (1 g/kg Körpergewicht) innert einer Stunde in Erwägung gezogen werden [7].
– Benzodiazepine sind die Therapeutika der ersten Wahl: wirksam bei Agitation, Tachykardie, Hypertonie, Hyperthermie und Krampfanfällen [6–9].
– Bei Persistenz von Hypertonie zusätzlich Alphablocker wie Urapidil, Phentolamin oder Nitroglycerin/ Nitroprussid. Betablocker sind zu vermeiden (Hypertonie bei ungehinderter Alpha-Stimulation und Beta-2-Blockierung).
– Bei Persistenz der Agitation zusätzlich Propofol oder Barbiturate.
– Physikalische Kühlung bei Hyperthermie. Antipyretika wie Paracetamol haben keine Wirkung, da die Hyperthermie durch periphere Muskelaktivität hervorgerufen wird!
– Korrektur möglicher Elektrolytstörungen oder Azidose. Hydrierung bei Rhabdomyolyse.
– Bei schweren therapierefraktären ventrikulären Dysrhythmien oder Kreislaufschock kann eine ­extrakorporale Kreislaufunterstützung (ECMO) lebensrettend sein. In einem Einzelfall wird ein ­erfolgreicher Einsatz der intravenösen Lipidtherapie beschrieben [10].

Hinweis

Diese Serie erfolgt in Zusammenarbeit mit Mitarbeitenden des Tox Info Suisse. Für diese Zusammenarbeit möchte sich die ­Redaktion des PHC ganz herzlich bedanken!
Dr. med. Katharina E. Hofer
Tox Info Suisse
Freiestrasse 16
CH-8032 Zürich
Katharina.Hofer[at]toxinfo.ch
 1 https://www.saferparty.ch/methamphetamin.html (­Zugriff ­September, 2019).
 2 Cruickshank CC, Dyer KR. A review of the clinical pharmacology of methamphetamine. Addiction. 2009;104:1085–99.
 3 Milin S, Schäfer I. Methamphetamin-bezogene Störungen: Diagnostik und Therapie Fortschr Neurol Psychiatr. 2019;87:385–98.
 4 Methamphetamine: Dose. Erowid. https://erowid.org/chemicals/meth/meth_dose.shtml (Zugriff September, 2019).
 5 Zalis EG, Parmley LF. Fatal amphetamine poisoning. Arch Intern Med. 1963;112:822–26.
 6 Lan KC, Lin YF, Yu FC, et al. Clinical manifestations and prognostic features of acute methamphetamine intoxication. J Formos Med Assoc. 1998;97:528–33.
 7 Schep LJ, Slaughter RJ, Beasley DM. The clinical toxicology of metamfetamine. Clin Toxicol (Phila). 2010; 48:675–94.
 8 Baalachandran R, Hypes C, Natt B, et al. Pipe dreams: concealed methamphetamine causing severe toxicity. Am J Med Sci. 2015;349:548–49.
 9 Paratz ED, Cunningham NJ, MacIsaac AI. The Cardiac Complications of Methamphetamines. Heart Lung Circ. 2016;25:325–32.
10 Tse J, Ferguson K, Whitlow KS, Erickson K. The use of intravenous lipid emulsion therapy in acute methamphetamine toxicity. Am J Emerg Med 2016; 34:1732.e3.