«Die ärztliche Konsultation ist ein kommunikativer Vorgang»
Buch-Neuerscheinung

«Die ärztliche Konsultation ist ein kommunikativer Vorgang»

Arbeitsalltag
Ausgabe
2020/02
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2020.10178
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2020;20(02):79-80

Affiliations
Managing Editorin PHC

Publiziert am 05.02.2020

Die ärztliche Konsultation ist viel mehr als nur Anamnese, Status, Diagnose und Therapie. Wie eine personenbezogene und zielführende Konsultation gestaltet werden kann, beschreiben die Autoren Bruno Kissling und Peter Ryser in ihrem praktisch orientierten Buch «Die ärztliche Konsultation – systemisch-lösungsorientiert».

Bruno Kissling und Peter Ryser, wie kam es zur Zusammenarbeit für dieses Buch?
Bruno Kissling (BK): Wir haben uns vor 30 Jahren kennengelernt. Ich habe damals bemerkt, dass mein ärztliches Arbeiten mit dem herkömmlichen medizinischen Wissen schwierig geworden ist. Ich habe daraufhin bei Peter Kurse zur systemisch-lösungsorientierten Medizin besucht. In der Folge haben wir uns immer wieder in Gruppen-Supervisionen getroffen. Das Resultat dieser langjährigen Zusammenarbeit und gemeinsamen Erfahrung ist dieses Buch.
Peter Ryser (PR): Man kann sich nun ja fragen, wie ein Sozial­arbeiter zur Medizin kommt. Vor 30 Jahren kamen Hausärzte auf mich zu, denn sie stellten fest, dass sie bei medizinischen Problemen wüssten, wo sie sich Unterstützung holen können, aber sie hätten keine Anlaufstelle für die Fälle, bei denen die Zusammenarbeit mit dem Patienten schwierig wurde. Der Arzt trägt auch die Verantwortung für die Gestaltung des Therapieprozesses. Oft wussten sie auch nicht, wie sie mit den Patienten zielführend kommunizieren können. Wie kann ich meine Fragen formulieren, wie zuhören, um den Patienten aktiv in den Therapieprozess einzubeziehen und mich abzugrenzen. Die ärztliche Konsultation ist in erster Linie ein kommunikativer Vorgang.
Was bedeutet eine systemisch-lösungsorientierte Konsultation?
BK: Sie ist ein strukturiertes Experten­treffen auf Augenhöhe zwischen Ärztin und Patient mit ihren je eigenen Kompetenzfeldern. Der Patient ist Experte über sein Symptom/Problem, wie er es erlebt und es mit seinem Lebenskontext interagiert, sein Befinden, seine Bedürfnisse, seine Ressourcen – sein KrankSEIN. Die Ärztin ist die medizinische Expertin über die KrankHEIT. In allem­ wirken Ungewissheit und Angst. Diese bewältigen sie gemeinsam in kommunikativer Interaktion und in ­vertrauensvoller Beziehung. So finden sie einen gemeinsamen Weg in Richtung eines besprochenen Ziels.

Die Autoren

Bruno Kissling, Hausarzt mit Praxistätigkeit in Bern 1982 bis 2019, war Lehrarzt des Berner Instituts für Hausarztmedizin, Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin, Schweizer Delegierter beim Welthausärzteverband WONCA und Co-Chefredakteur des PrimaryCare von 2001 bis 2014.
Peter Ryser, Diplom-Sozialarbeiter HFS, Weiterbildung in Gesprächspsychotherapie, Gestalttherapie und Familientherapie, systemischer Berater und Supervisor, hat einen Master­studiengang MAS in systemischer Beratung am IAP Zürich sowie eine Weiterbildung für Ärzte in systemisch-­lösungsorientierter Beratung in der Medizin entwickelt und geleitet.
Ein Teil des Buches behandelt «Die Konsultation in 7 Schritten». Ist dies eure Erfindung oder eine bereits bekannte Kommunikationsstrategie?
PR: Ich glaube, diese 7 Schritte sind tatsächlich unsere Erfindung. Was wir entwickelt haben, ist, dass wir das medizinische Modell von Anamnese, Status, Therapie mit dem beraterischen Modell verlinkt haben. Es beginnt mit der Vorbereitung, das ist der erste Schritt. In Fallbesprechungen zeigte sich, dass Ärzte oft unvorbereitet in die Konsultation gehen. Das schafft eine schwierige Grundsituation. Denn wenn ich die Verantwortung für einen Prozess habe, dann muss ich doch wissen, was ich aktuell in diesem Prozess machen will. Der zweite Schritt ist der Aufbau einer systemisch-­lösungsorientierten Kooperation zwischen Ärztin und Patient.
BK: Bei diesem zweiten Schritt scheint mir etwas ganz wichtig. Was wir Ärztinnen und Ärzte viel zu wenig ­machen, ist, mit dem Patienten zu besprechen, wie wir zusammenarbeiten wollen. Mit einer verbindlichen ­Zusammenarbeitsvereinbarung können wir festlegen, wie wir miteinander umgehen wollen, auch wenn ­einer von uns nicht einverstanden ist, etwas nicht ­versteht oder Aufträge nicht erfüllt. Verbindlichkeit fördert das Vertrauen und verbessert die «Adherence» des ­Patienten.
PR: Der dritte bis fünfte Schritt sind die klassischen ­medizinischen Tätigkeiten, Anamnese, Untersuchung, Therapie und Prävention. Was wir immer wieder bemerkt haben, ist, dass das Ende der Konsultation – wie eben auch der Anfang – oft auf wackeligen Beinen steht. So besteht Schritt sechs darin, den Abschluss zu ge­stalten und Schritt sieben in der Auswertung der ­Konsultation.
BK: Das Neue daran ist, dass wir diese Reflexion auf ­verschiedenen Ebenen anschauen: auf der biologisch-­medizinischen, der interpersonellen – was ist abgelaufen zwischen dem Patienten und dem Arzt – und der persönlichen Ebene; welches ist meine Rolle, wo bin ich gegebenenfalls befangen, was hat es bei mir ausgelöst. Wichtig ist auch, dass diese 7 Schritte überall angewendet werden können, von der Hausarztmedizin bis zur Kardiologie, von akuten Bauchschmerzen bis zum Überbringen einer schlechten Nachricht.
Jeder Schritt enthält zwei graphisch unterschiedliche Teile, einer mit der Überschrift «Praktisches Vorgehen», der andere «Erweiterte inhaltliche Beschreibung des Ablaufes/Prozesses».
PR: Ausgangspunkt dieses Buches ist die praktische ­Arbeit des Arztes. Wir beschreiben bei jedem Schritt «was angestrebt wird», «wie Sie vorgehen ­können» und geben dann ein praktisches Set an «Fragenbeispielen», die so formuliert sind, dass sie die ­Patientin aktiv in den Prozess einbeziehen und zum Nachdenken über ihre ­Situation anregen.
BK: In der erweiterten inhaltlichen Beschreibung reflektieren wir, was in den einzelnen Schritten wirksam ist, was sie beim Patienten aus­lösen, was bei der Ärztin und was auf der interpersonellen Ebene. Sie ergänzen den praktischen Teil der 7 Schritte und vertiefen die Punkte nochmals.
Bruno Kissling (links) und Peter Ryser (rechts), die Autoren des Buches «Die ­ärztliche Konsultation – systemisch-lösungsorientiert».
Ein weiterer Teil des Buches beinhaltet «Thematische Schwerpunkte». Ein Kapitel heisst «Kunst des Fragens». Worin liegt die Kunst des Fragens?
BK: Darunter verstehen wir Themen, die bei allen Schritten der Konsultation gleichermassen wirksam sind. Zur Kunst des Fragens gehört immer auch das ­aktive Zuhören. Damit wird der Patient auf der sach­lichen und emotionalen Ebene verstanden und ermächtigt, an der Lösung aktiv mit­zuarbeiten, und zwar nicht an der Lösung der Ärztin, sondern einer gemeinsam ­erarbeiteten personenbezogenen Lösung.
PR: Traditionell sind die Fragen der Ärzte vertiefungs- und problemorientierte Fragen. Mit Fragen kann aber ganz Unterschiedliches bewirkt werden. Die Kunst ist zu wissen, wie fragen wir und welchen Einfluss haben wir damit auf die Kommunikation. Mit der Art und Weise, wie die Ärztin fragt, nimmt sie Einfluss auf den Therapieprozess.
Jetzt, da ihr ja ein ganzes Buch darüber geschrieben habt, was sind für euch die wichtigsten Punkte für eine erfolgreiche Konsultation?
BK: Die Konsultation ist ein interaktiver Prozess zwischen zwei Menschen mit ihrer eigenen ­Expertise und Kompetenz.
PR: Und da möchte ich gleich anhängen, beide mit grosser Ungewissheit, Unsicherheit oder sogar Angst. Und noch ergänzen möchte ich, dass der Arzt sich bewusst sein sollte, dass er für die Gestaltung des therapeutischen Prozesses verantwortlich ist.
BK: Wenn man so arbeitet, ist das ein Weg, der zur ­Qualität führt, nicht nur personenbezogen, sondern auch medizinisch-fachlich. Man tut weniger unnötige Dinge, weil man sie effizient, im Sinne von zielbewusst, tut. Und das wirkt letztendlich auch kostensparend. Eine ganz wichtige Erkenntnis ist für mich auch, dass Ärztin und Patient ihre je unterschiedlichen inneren Bilder über das Symptom/Problem zu einer gemein­samen Wirklichkeit gestalten und dadurch die Vor­aussetzung schaffen, zusammen Entscheidungen zu treffen, die bestmöglich auf den Patienten bezogen wirksam sind. Der Patient erhält somit auch die ­Möglichkeit, seinen Blick auf seine Situation zu er­weitern. Dies hat eine zusätzliche therapeutische ­Wirkung.
Die ärztliche ­Konsultation – systemisch-lösungsorientiert 296 Seiten, mit 4 Abbildungen, einer Tabelle und downloadbaren Frage­beispielen, kosten­losem Streaming der Dokumentarfilm­trilogie «Am Puls der Hausärzte» von ­Sylviane Gindrat, ­kartoniert
ISBN: 978-3-525-40394-5
2019, Vandenhoeck & Ruprecht
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