Beleuchtung der wirtschaftlichen Aspekte interprofessioneller ­Zusammenarbeit
Eine bessere Definition der zukünftigen Rahmenbedingungen

Beleuchtung der wirtschaftlichen Aspekte interprofessioneller ­Zusammenarbeit

Aktuelles
Ausgabe
2020/01
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2020.10183
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2020;20(01):6-7

Affiliations
Geschäftsstelle mfe

Publiziert am 08.01.2020

Weniger als zwei Jahre nach der Schaffung der Plattform Interprofessionalität in Form eines Vereins, dem ein Dutzend Berufsverbände aus dem Grundversorgungsbereich angehören, fand am 19. November 2019 in Bern das erste Symposium statt. Bei dieser Gelegenheit ging es darum, zu demonstrieren, wie interprofessionelle ­Zusammenarbeit innerhalb des aktuellen Tarifsystems funktioniert und wie ­Finanzierungsschwierigkeiten der Arbeit im interprofessionellen Team innerhalb der geltenden Rahmenbedingungen zu lösen sind.

Positive Bilanz des ersten Symposiums

Der Saal war voll mit über 80 Personen, die ein breites Spektrum der Berufsverbände im Gesundheitsbereich repräsentierten. Es wurde deutlich, dass die Heraus­forderungen bezüglich der Anerkennung der interprofessionellen Praxis im Tarifsystem eine ­aktuelle ­Thematik darstellen, die für die Gesundheitsakteure von Interesse ist. Jede/r Interprofessionalitätserfahrene dürfte bestätigen, dass ein entscheidender Aspekt für gelungene Interprofessionalität darin besteht, seine Kollegen und deren Fachbereiche zu kennen. Diese Erkenntnis wurde auf dem Symposium auf originelle Weise in die Praxis umgesetzt. Die Teilnehmer/-innen erhielten ent­sprechend der ­Berufsgruppe, der sie angehörten, verschieden­farbige «Smarties». Die Aufgabe bestand darin, so viele verschiedene Farben wie möglich zu sammeln. Dies hatte zum Ziel, den Dialog und Austausch sowohl unter den Teilnehmer/-innen allgemein, als auch zwischen den einzelnen Berufsgruppen zu fördern.

Tarifsystem der interprofessionellen ­Zusammenarbeit

Ambroise Ecoffey präsentierte seine Masterarbeit mit dem Titel «Förderung der interprofessionellen Zusammenarbeit durch neue Tarifstrukturen», verfasst am Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern. In dieser zieht er folgendes Fazit: Die ambulanten Tarife müssen angepasst werden, um die Bedürfnisse des Gesundheitssektors zu erfüllen. Dies schliesst ebenfalls die Diskussion über die Tarifierung des interprofessionellen Austauschs ein, die auf nationaler Ebene von den beteiligten Akteuren, wie den Versicherern, der FMH, zahlreichen Berufsverbänden der Gesundheitsdienstleister und Politikern gemeinsam geführt werden muss. Interprofessionalität ist nicht auf die Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen des Gesundheitssektors beschränkt. Sie bietet ebenfalls wirtschaftliche Vorteile.

Demonstration des Mehrwerts ­interprofessioneller Zusammenarbeit

Barbara Zindel von der Rheumaliga Schweiz und dipl. Physiotherapeutin FH stellte das Programm zur Sturzprävention «Sicher durch den Alltag» vor. Bei diesem geht es darum, durch organisierte Hausbesuche von mehreren Partnern aus verschiedenen Berufen das Sturzrisiko älterer Menschen zu verringern.
Christine Sandoz, Ernährungsberaterin und Diabetes-Koordinatorin des Réseau Santé Nord Broye, Aurélie Blaser, Projektleiterin des Réseau Santé Nord Broye sowie Sébastien Jotterand, Hausarzt (Waadt), sprachen über interprofessionelle Pionierprojekte in ihrer Region. Durch die Einführung einer gemeinsamen Konsultation von Hausarzt, Advanced Practice Nurse und Patient/-in konnte die Compliance der Diabetiker/-innen verbessert und somit eine Verringerung ihres HbA1c-Werts von durchschnittlich 1% erzielt werden. Im Rahmen des Projekts «Organisation régionale diabète» der Generaldirektion Gesundheit des Kantons Waadt wurde durch den Ein­bezug der Patienten in ihre Versorgung und therapeutische Patientenschulungen eine Verringerung diabetesbedingter Komplikationen beobachtet.
Prof. Dr. med. Dagmar l’Allemand erklärte anhand ­ihrer Arbeit «Multiprofessionelle Gruppenprogramme (MGP) für Kinder und Jugendliche mit Übergewicht und ihre Familien» wie interprofessionelle Zusammenarbeit im aktuellen Tarifsystem funktionieren kann. Eine multiprofessionelle präventive Therapie verhindert, dass aus adipösen Kindern Erwachsene mit chronischen Erkrankungen werden. In diesen Fällen bedeutet Interprofessionalität, dass, wenn der Haus- und Kinderarzt bei einem Kind Übergewicht feststellt, die ­gesamte Familie von einem Team mehrerer Partner begleitet wird.

In Interprofessionalität und ambulante Versorgung investieren

Von Prof. Urs Brügger, Direktor des Departments ­Gesundheit der Berner Fachhochschule, wurde eine ­politische Podiumsdiskussion geleitet. Indem dieser sowohl r­elevante als auch leicht provokante Fragen stellte, die auf den Nutzen interprofessioneller Zusammenarbeit für die Patient/-innen, die Notwendigkeit neuer Entlohnungs­modelle und die Kosten interprofessioneller Versorgung abzielten, brachte er eine ­leidenschaftliche Debatte in Gang. Am runden Tisch sassen Stefan ­Spycher, Vizedirektor und Leiter des Direktionsbereichs Gesundheitspolitik des Bundesamts für Gesundheit (BAG), Annette Grünig, Projektleiterin der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK), Mario Morger, Verantwortlicher für den Fachbereich Tarife und Mitglied der Geschäftsleitung von curafutura, ­Sarah Wyss, Geschäftsleiterin der ­Stiftung Selbsthilfe Schweiz und Philippe Luchsinger, Präsident mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz.
Bei den Diskussionen wurde deutlich, dass sich die ­politische Debatte zu stark auf die Kosten fokussiert und dabei Aspekte des Patientenwohls ­vernachlässigt. Interprofessionalität stellt insofern eine Lösung des Problems dar, da diese eine patienten­zentrierte Versorgung fördert und gleichzeitig Gesundheitskosten verringert. Ferner stellte sich bei der Debatte heraus, dass die Silofinanzierung ambulanter Leistungen zugunsten von integrierten Versorgungsmodellen überarbeitet werden muss, die den ­zahlreichen Herausforderungen des Systems besser gerecht werden. Des Weiteren wurde während der Gespräche klar, dass die verschiedenen Akteure zwar den Nutzen interprofessioneller Zusammenarbeit sehen, jedoch Beweise für deren Wirtschaftlichkeit ­sowie Anfangsinvestitionen fehlen, um sie im System zu verankern. Daher ist es unerlässlich, dass die Politiker sich für die Einführung von Rahmenbedingungen einsetzen, die eine echte interprofessionelle Zusammenarbeit ermöglichen.
Pia Fankhauser, Präsidentin der Plattform Interprofessionalität, schloss das Symposium, indem sie deutlich machte, dass die verschiedenen Gesundheitsberufe durch interprofessionelle Versorgung nicht ersetzt, sondern ergänzt und aufgewertet werden. Zudem betonte sie die Wichtigkeit der Einbindung der Interprofessionalität in die Aus- und Weiterbildung aller Gesundheitsberufe zur Gewährleistung einer qualitativ hochstehenden Versorgung.
Sandra Hügli-Jost 
Kommunikations­beauftragte mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz
Geschäftsstelle
Effingerstrasse 2
CH-3011 Bern
Sandra.Huegli[at]hausaerzteschweiz.ch