Neue Erhebung der Workforce
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Neue Erhebung der Workforce

Arbeitsalltag
Ausgabe
2020/04
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2020.10235
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2020;20(04):149-150

Affiliations
Universitäres Zentrum für Hausarztmedizin beider Basel (uniham-bb)

Publiziert am 31.03.2020

Das Ziel der Workforce-Umfrage ist, periodisch Daten zur Arbeitssituation der Schweizer Hausärzteschaft zu erfassen, um Trends zu erkennen.

Workforce Befragung der Schweizer Hausärzteschaft mit langer Tradition

Im Frühling 2020 werden im Rahmen der 4. «Workforce» Umfrage des uniham-bb bei Hausärztinnen und -ärzten* sowie neu auch Kinderärztinnen und -ärzten folgende zentrale Fragen erhoben:
– Wie sieht die aktuelle Arbeitssituation (Arbeitspensum, Arbeitsbedingungen) aus?
– Wie sehen die beruflichen Pläne bezüglich Arbeitspensum und Pensionierung aus?
– Empfinden Haus- und Kinderärzte einen Grundversorgermangel?
Das Ziel der Workforce-Umfrage ist, periodisch Daten zur Arbeitssituation der Schweizer Hausärzteschaft zu erfassen, um Trends zu erkennen. Seit 2005 werden Hausärzte aus der ganzen Schweiz alle fünf Jahre befragt. Folglich kann das uniham-bb bald schon Daten über einen Zeitraum von 15 Jahren präsentieren!
Der kurze Fragebogen beinhaltet grössten Teils einen gleichbleibenden Fragekatalog, um die Vergleichbarkeit über die Zeit zu gewährleisten. Die Befragung wird jeweils an eine repräsentative Auswahl von nieder­gelassenen Hausärztinnen und Hausärzten in allen Sprachregionen geschickt. Die aktuelle sowie die letzte Untersuchung im Jahr 2015 erfolgt(e) in enger Kolla­boration mit mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz. ­Aufgrund der bisher kaum untersuchten Workforce in der Praxispädiatrie, werden dieses Jahr erstmals auch Kinderärztinnen und -ärzte befragt.

Hier finden Sie den Online-Fragebogen:

Deutsch:
Französisch:
Italienisch:
Vielen herzlichen Dank im Voraus für Ihren geschätzten und hilfreichen Beitrag!

Wieso braucht es diese Umfrage?

Der Mangel an zeitnahen validen Daten – adäquate Analyse und Berichterstattung inklusive – zur Arbeitsbelastung und zukünftigen Arbeitsleistung der «alten» und «neuen» Generation von Haus- und Kinderärztinnen und -ärzten verunmöglicht eine faktenbasierte Zukunftsplanung wie auch die Ausarbeitung strategischer Überlegungen zur medizinischen Grundversorgung in der Schweiz. Insbesondere werden von politischer Seite sowohl in gewissen Kantonen wie auch auf Bundesebene ideologisch gefärbte Aussagen gemacht, die einer seriösen wissenschaftlichen Grundlage entbehren. So werden ein Globalbudget und Zielvorgaben, wie im umliegenden Ausland, in erster Linie die Haus- und Kinderärzte treffen und die Grundversorgung zusätzlich relevant gefährden. Um in unserem Land auch in Zukunft eine medizinische Grundversorgung auf Top-Niveau zu gewährleisten, sind verlässliche longitudinale Daten zu dieser Thematik erstrebenswert und vorteilhaft.
Seit einiger Zeit sind zwar mehr Bemühungen im Gange, die Arbeitsleistung der Grundversorger zu erfassen. Seit 2015 erhebt das Bundesamt für Statistik ­generelle statistische Datengrundlagen zur ambulanten Gesundheitsversorgung (MARS) und regelmässig Strukturdaten von Arztpraxen und ambulanten Zentren (Medical Ambulatory – Structure, MAS). Diese Daten dienen aber vor allem statistischen sowie auch aufsichtsrechtlichen Zwecken. In Lausanne wurde 2010 das Swiss Primary Care Active Monitoring(SPAM)-Projekt lanciert, das vor allem strukturelle und prozedurale Aspekte der Hausarztmedizin erfasst [1]. Auch das Berner Institut für Hausarztmedizin hat sich entschieden, die Grundversorger im Kanton Bern selbst zur ­Anzahl und der Workforce von aktiven Haus- und Kinderärzten zu befragen mit dem Ziel, die Versorgungs­situation über die nächsten fünf Jahre zu prognostizieren und Regionen mit einem Unterversorgungsrisiko zu identifizieren.

Mangel an Grundversorgern?

Die bisherigen «Workforce»-Erhebungen deuten auf eine Zunahme des Hausärztemangels in der Schweiz hin: Im Jahr 2010 gaben 44% der befragten Hausärztinnen und Hausärzte an, einen Hausarztmangel in ihrer Region zu verspüren, im Jahr 2015 waren es 61% [2]. Laut einer letztjährigen Umfrage bei Ärzten aus dem Kanton Bern ist die Hälfte der Antwortenden der Meinung, dass es aktuell an Haus- und Kinderärzten fehlt [3]. Ein weiteres Anzeichen für den Hausärztemangel ist die zunehmende Alterung der Hausärzteschaft; die Zahl der über 60-jährigen Hausärztinnen und -ärzte stieg von 12% im Jahr 2005 auf 27% im Jahr 2010 und auf 38% im Jahr 2015. Die International Health Policy Survey-Befragung bestätigt diesen Trend hin zur Überalterung in der ärztlichen Grundversorgung der Schweiz; ein Drittel der Grundversorger waren im Jahr 2019 über 60 Jahre alt [4]. In dieses Bild passt, dass 63% der 60- bis 64-Jährigen in dieser Umfrage angaben, dass sie nach Erreichen des 65. Lebensjahres weiterarbeiten wollen (oder müssen?).

Grundversorgerdichte laut Erhebung der FMH und des Bundesamtes für Statistik

Die verfügbaren Zahlen zum heutigen Grundversorgerbestand sind je nach Quelle widersprüchlich. Schaut man die MAS-Resultate aus dem Jahr 2017 an, dann kommt man mit 6 226 Vollzeitäquivalent-Grundversorgern (Haus- und Kinderärzten) auf 0,74 Grundversorger pro 1000 Einwohner [5]. Die FMH berichtet von durchschnittlichen 0,95 Grundversorgern pro 1000 Einwohner mit einer Abnahme in ländlichen Gebieten (<5000 Einwohnern = 0,72, <2000 Einwohnern = 0,5, <1000 Einwohnern = 0,23 Grundversorger pro 1 000 Einwohner) [6]. Die unterschiedlichen Zahlen zur Grundversorgerdichte erklären sich dadurch, dass sich die FMH für die Berechnungen auf die Anzahl (per capita) Grundversorger bezieht, unabhängig vom jeweiligen Arbeitspensum.

Wie sieht es in anderen Ländern aus?

Die Bezugsnorm für die angestrebte Anzahl Grundversorger pro Einwohner variiert je nach Land; die USA strebt zwischen 0,6–0,8 Grundversorgerinnen und Grundversorger pro 1000 Einwohner an [7–9].
Die aktuelle Hausärztedichte in der Schweiz laut FMH entspricht grundsätzlich dem europäischen Durchschnitt und ist vergleichbar mit den Ärztedichten der Nachbarländer Deutschland und Italien mit 0,99 resp. 0,88 Grundversorgern pro 1000 Einwohnern [10]. Orientiert man sich aber an den Vollzeitäquivalenten der MAS-Erhebung mit 0,74 Grundversorgern pro 1000 Einwohner, wäre die Schweiz im unteren Drittel der ­europäischen Länder, zusammen mit Rumänien, Spanien, UK und Lettland [10].
Mittlerweile hat England eine der tiefsten Hausärztedichten in Europa mit 0,58 Vollzeitäquivalent Haus­ärzten pro 1000 Einwohnern [11–13]. Trotz des Ziels der NHS, bis 2020 die Anzahl der Hausärzte um 5000 zu ­erhöhen, deuten die jüngsten Zahlen darauf hin, dass sich ein weiteres Defizit von 1300 Vollzeitäqui­valentstellen entwickelt hat [14, 15]. Dies hat die Arbeitslast für die praktizierenden Hausärzte erhöht: Dies vor allem in benachteiligten Gebieten (deprived areas) [16]. Auch in Deutschland ist ein Hausarzt­mangel ­spürbar; ein Drittel der Hausärzte sind über 60 Jahre alt und es wird geschätzt, dass bis 2025 etwa 20 000 frei werdende Hausarztstellen nicht besetzt werden können [17].

Wie entwickelt sich die Grundversorger­situation in der Schweiz?

Bei einer mittleren Praxisverweildauer von 30 Jahren wären in Zukunft jährlich ca. 207 neue Vollzeitstellen in der medizinischen Grundversorgung zu besetzen, nur um den Status quo zu halten, also ohne Berücksichtigung der zunehmenden Teilzeitarbeit der jungen Generation und der Zunahme der Überalterung und Polymorbidität der Bevölkerung. Gemäss SGAIM könnte es zu einem Mangel von 5000 Internisten und Hausärzten im Jahr 2025 kommen – falls nichts unternommen wird [18].

Gegenmassnahmen des Bundes

Anfang 2016 beschloss der Bund, die Universitäten im Rahmen eines gesamtschweizerisch koordinierten ­Sonderprogramms mit einem Zusatzkredit von 100 Millionen Franken zu unterstützen. Das Ziel war eine substanzielle Steigerung der Absolventen eines Medizinstudiums. Bis spätestens 2025 sollen jährlich 1350 Ärzte ihre Ausbildung abschliessen können. Im Jahre 2016 waren es bereits 900 Studierende, die das Staatsexamen ablegten. Diese Zahl ist notwendig, um den Bestand von 37 525 Ärztinnen und Ärzten beibehalten zu können [6]. Allerdings gibt es keine Garantie, dass sich der Ärzte-Nachwuchs für eine Grundversorgerkarriere als Haus- oder Kinderarzt entscheidet. Eine Umfrage der Universität Bern bei allen fortgeschrittenen Medizinstudierenden zeigte, dass 20% entschlossen sind, in die Hausarztmedizin einzusteigen, und sich 40% dafür interessierten [19]. Grundsätzlich erfreulich ist, dass die Zahl bedeutend höher ist als noch 2003, als nur 10% der Studierenden angaben, als Grund­versorger in einer Praxis arbeiten zu wollen [20].

Was können Sie tun?

Füllen Sie den «Workforce»-Fragebogen im Frühling aus und beantworten Sie unsere Fragen zu Ihrer Arbeitssituation und dem wahrgenommenen Grund­versorgermangel. Unser Wunsch ist, dass möglichst viele Haus- und Kinderärztinnen und -ärzte an dieser fünfzehnminütigen Erhebung teilnehmen. Sie leisten damit einen äusserst wertvollen Beitrag für eine zukunftsorientierte, moderne und nachhaltige Schweizer Hausarztmedizin. Dank Ihrem Mitmachen wird eine adäquate Darstellung der Situation der Haus- und Kinderärztinnen und -ärzte möglich sein.
Stéphanie Giezendanner
Universitäres Zentrum für Hausarztmedizin ­beider Basel
Kantonsspital Baselland Rheinstr. 26
CH-4410 Liestal
stephanie.giezendanner[at]unibas.ch
 1 Senn N, Ebert S, Cohidon C. Analyse et perspectives sur la base des indicateurs du programme SPAM. OBSAN Dossier 55. 2016:0–171.
 2 Neue Studie prognostiziert rasant steigenden Hausarztmangel mit hohen Kostenfolgen, (2016).
 3 Aerztegesellschaft des Kantons Bern. Engpässe in der medizinischen Grundversorgung. Presseportal. 2019.
 5 Bundesamt für Statistik. Arztpraxen BFS: BFS; 2017 [cited 2020 January]. Available from: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit/gesundheitswesen/arztpraxen.html.
 6 Hostettler S, Kraft E. Wenig Frauen in Kaderpositionen. Schweiz Arzteztg. 2019;100(12):411–6.
 7 Council on Graduate Medical Education. Recommendations to improve access to health care through physician workforce reform. Washington: U.S. Department of Health and Human Services; 1994.
 8 Simoens S, Hurst J. The Supply of Physician Services in OECD Countries. OECD Health Working Papers. 2006;JT00196948(Directorate for Employment, Labour and social affairs ).
 9 Secretary of State for Health. The NHS plan. A plan for investment. A plan for reform. London: 2000.
11 Majeed A. Shortage of general practitioners in the NHS. BMJ. 2017;358:j3191. doi: 10.1136/bmj.j3191. PubMed PMID: 28694250.
12 Nuffieldtrust. Number of general practitioners per 1,000 population 2014. Available from: https://www.nuffieldtrust.org.uk/chart/number-of-general-practitioners-per-1-000-population.
13 NHS Digital. GP Workforce Census as at September 30th 2014 2015. Available from: https://www.nhs.uk/Scorecard/Pages/IndicatorFacts.aspx?MetricId=100063.
14 Digital N. General and Personal Medical Services, England As at 30 September 2017, Provisional Experimental statistics. 2017.
15 Rolewicz L, Palmer B. The NHS workforce in numbers 2019 [cited 2020 January ]. Available from: https://www.nuffieldtrust.org.uk/resource/the-nhs-workforce-in-numbers.
16 Dayan M. Are parts of England ‘left behind’ by the NHS? 2018 [cited 2020 January]. Available from: https://www.nuffieldtrust.org.uk/news-item/are-parts-of-england-left-behind-by-the-nhs.
17 van den Bussche H. The future problems of general practice in Germany: current trends and necessary measures. Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz. 2019.
18 SRF News. Ohne Massnahmen fehlen bald Tausende Allgemeinärzte News – Schweiz2018. Available from: https://www.srf.ch/news/schweiz/hausaerzte-mangel-ohne-massnahmen-fehlen-bald-tausende-allgemeinaerzte.
19 Diallo B, Rozsnyai Z, Bachofner M, Maisonneuve H, Moser-Bucher C, Mueller Y, Scherz N, Martin S, Streit S. How Many Advanced Medical Students Aim for a Career as a GP? Survey among Swiss Students. Praxis. 2019;108(12):779–86.
20 Halter U, Tschudi P, Bally K, Isler R. Berufsziel von Medizin­studierenden. PrimaryCare. 2005;5(20):468–72.