«Nachwuchsförderung heisst motivieren, begleiten, behalten»
Interview mit dem Präsidenten der SGAIM-Kommission für Nachwuchsförderung Prof. Dr. med. Dr. phil. Sven Streit:

«Nachwuchsförderung heisst motivieren, begleiten, behalten»

Themenschwerpunkt
Ausgabe
2020/11
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2020.10316
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2020;20(11):331-332

Affiliations
Stv. Generalsekretärin SGAIM

Publiziert am 03.11.2020

Der Präsident der Kommission für Nachwuchsförderung der SGAIM, Prof. Dr. med. Dr. phil. Sven Streit, spricht im Interview über sein Engagement für den Nachwuchs und was er jungen sowie bereits erfahrenen Ärztinnen und Ärzten auf den Weg mitgeben möchte.

Sven Streit, was ist Deine Motivation, Dich für den Nachwuchs in der Allgemeinen Inneren Medizin als Präsident der SGAIM-Kommission für Nachwuchsförderung zu engagieren?
Die Nachwuchsförderung in der Fachgesellschaft wird immer wichtiger und hat in der SGAIM einen sehr ­hohen Stellenwert. Die «competition for talents» ist in der Medizin ein wesentliches Thema, wobei uns die Qualität der Nachwuchsmedizinerinnen und -mediziner wichtig ist. Vielseitige, gutausgebildete, interdisziplinär-interessierte Menschen, die die Vielfalt in der Allgemeinen ­Inneren Medizin (AIM) leben und ihre Patientinnen und Patienten mit Empathie und Engagement behandeln, sind unsere Zielgruppe. Für Generalisten steht der Mensch und die interprofessionelle Zusammenarbeit im Zentrum. Nachwuchsförderung heisst für mich, junge Menschen für die AIM zu motivieren, sie auf diesem Weg zu begleiten und zufrieden und kompetent im Berufsleben zu behalten.
Im Alltag motiviert mich persönlich und viele meiner Kolleginnen und Kollegen die Überzeugung, dass der Generalismus, die Allgemeine Innere Medizin, die spannendste Fachrichtung – ja, Spezialisierung ist.
Als Universitätsprofessor und Arzt, was ist Dir besonders wichtig?
Ich bin einerseits in der Forschung und Lehre tätig und arbeite andererseits als Hausarzt. Durch diese verschiedenen Zugänge auf das Thema Nachwuchs in der AIM kenne ich die Bedürfnisse, aber auch die Anforderungen an junge Generalisten gut. Ich selbst habe zusammen mit meiner Frau eine Hausarztpraxis übernommen. Als Brückenbauer möchte ich meinen Beitrag dazu leisten, die spürbare Fragmentierung in der Medizin zu überwinden und die Forschung in den Alltag zu bringen. Forschung aus der Praxis in die Praxis bringen. Als Forscher stelle ich mir die Grundfragen: Warum ist das interessant und relevant für die Praxis? Wie ist die Patientensicht in der Situation zu gewichten?
Diese Erkenntnisse möchte ich weitergeben, auch in der Lehre, damit die nächste Generation Grundversorger einen kompetenten und auch kritischen Zugang zu Forschung hat und versteht, dass zur Evidenz-basierten Medizin die klinische Expertise und die Wünsche der Patienten in Bezug auf die Forschung gleich wichtig sind. Dies erlebe ich in der Praxis tagtäglich und es bereitet mir auch Freude, in der Komplexität den individuell besten Weg mit der Patientin zu finden und Über- wie auch Unterbehandlung zu vermeiden. Aber am Ende eines Praxistages geht es mir wie vielen anderen Hausärzten: Es ist einfach der beste Beruf, den man wählen kann und ich bin froh, dass ich mich in Praxen und Spitälern so gut auf diese Aufgaben vorbereiten konnte.
Was gibst Du einem jungen Mediziner auf den Weg?
Vertraue in deine Fähigkeiten! Mit dem Medizinstudium und der modularen, individuellen Weiterbildung wirst du in der Allgemeinen Inneren Medizin ein Zuhause finden, wo Spital und Praxis Hand in Hand arbeiten. Dazu sollten sich Nachwuchsmedizinerinnen und -mediziner folgende Fragen frühzeitig stellen: Welche Karriere bietet mir dieser Fachbereich? Wie und wo will ich arbeiten? Fachärztinnen und Fachärzten der AIM stehen vergleichsweise viele Möglichkeiten offen. Tätigkeiten in Praxen und Kliniken eröffnen verschiedene Profile, je nach dem, was einem wichtig ist, ambulant tätig sein in der Praxis oder stationär in der Klinik, in der Qualitätsförderung, in der Forschung, in der Lehre? Die jungen Medizinerinnen und Mediziner sollen sich rechtzeitig Gedanken machen, welchen Weg sie einschlagen möchten. Diesen Weg empfehle ich auch immer wieder mit einem guten Mentoring zu überdenken und wo nötig anzupassen.
Was sind die grössten Herausforderungen für junge Fachärztinnen und -ärzte AIM?
Wie in jeder beruflichen Tätigkeit ist die Weiterentwicklung wichtig, um die Begeisterung und die Freude an der Tätigkeit zu behalten. Die vielseitigen Weiter- und Fortbildungsmöglichkeiten leisten hier Abhilfe. Hier rate ich: Behaltet den breiten Horizont, die Vielfalt, auch wenn es sehr komplex ist und es verlockend erscheint, sich in einem Bereich Detailwissen anzueignen und sich darin zu spezialisieren.
Wie können bereits etablierte Ärztinnen und Ärzte Nachwuchsmediziner unterstützen?
Gebt das Feuer für den Beruf weiter, liebe Kolleginnen und Kollegen! Seid Rollenvorbilder, zeigt was den Beruf schön und einzigartig macht, erzählt was euch all die Jahre für diesen Beruf motiviert, von der Vielfalt, von der Erfüllung der ärztlichen Tätigkeit. Unterstützt den Nachwuchs mit Coaching, begleitet sie, bietet Mentoring an und gebt Karrieretipps weiter! Auch für erfahrene Medizinerinnen ist der Austausch mit ­Studenten und Jungärzten wertvoll, sie bringen oft neue Ideen mit; eine gewinnbringende Bereicherung für beide.

Kommission für Nachwuchsförderung der SGAIM

Die SGAIM wandelte 2018 die Arbeitsgruppe Nachwuchs in eine ständige Kommission um. Diese beschäftigt sich mit konkreten Massnahmen, um den Nachwuchs für die AIM zu gewinnen und auf dem Weg zum Facharzt zu fördern. Zu den Massnahmen gehören unter anderem eine Kampagne, die im Frühjahr 2021 lanciert wird und ein Leitfaden von Dr. med. Martin Perrig MME und Dr. med. Christine Rothen MME, der die Transition vom Assistenz- zum Oberarzt unterstützen soll. Daneben profitieren Jungärztinnen und -ärzte von verschiedenen Vorteilen wie einer Gratismitgliedschaft bei der SGAIM und zahlreichen Vergünstigungen. Zu den Mitgliedern der Kommission ­gehören gestandene Fachärzte, Professoren sowie Mitglieder der Jungen Haus- und KinderärztInnen Schweiz (JHaS) und den Swiss Young Internists (SYI).

Über die Person

Prof. Dr. med. Dr. phil. Sven Streit ist Hausarzt in Konolfingen und Professor für Grundversorgung Medizin und Mitglied des Management Board des Berner Instituts für Hausarztmedizin (BIHAM) an der Universität Bern. Er leitet zudem die Bereiche Nachwuchsförderung und Vernetzung Hausärzte sowie das Weiterbildungsprogramm «Berner Curriculum für Allgemeine Innere Medizin AIM». Er engagiert sich zudem für eine interprofessionelle Grundversorgung mit genügend Nachwuchs – dies auch als Präsident der Kommission für Nachwuchsförderung der SGAIM.
Claudia Schade
Kommunikationsverantwortliche und stellver­tretende Generalsekretärin
Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere ­Medizin (SGAIM)
Monbijoustrasse 43
Postfach
CH-3001 Bern
claudia.schade[at]sgaim.ch