Wie gehe ich mit der Impfskepsis meiner Patientinnen und Patienten um?
Praktische Ratschläge für direkt betroffene Gesundheitsfachpersonen.

Wie gehe ich mit der Impfskepsis meiner Patientinnen und Patienten um?

Fortbildung
Ausgabe
2020/12
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2020.10317
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2020;20(12):383-387

Affiliations
a Centre de pédiatrie, Clinique des Grangettes, 1224 Chêne-Bougeries; b Unité des internistes généralistes et pédiatres, Faculté de médecine, Université de Genève, 1211 Genève 4; c Service de médecine de premier recours, Département de médecine de premier recours, Hôpitaux Universitaires de Genève; d Bundesamt für Gesundheit, BAG, Abteilung Übertragbare Krankheiten MT, Bern

Publiziert am 01.12.2020

Trotz breiter Verfügbarkeit von Impfstoffen zum Schutz vor Masern traten 2018-2019 in mehreren Weltregionen, vor allem in Afrika und Asien, Epidemien auf. Zwischen Januar 2018 und Juni 2019 gab es in der Europäischen Region der WHO rund 170 000 Masernfälle und mehr als 100 masernbedingte Todesfälle, darunter zwei in der Schweiz.

Zusammenfassung für die Praxis

Nach dem weltweiten Wiederaufflammen der Masern im Zeitraum 2018–2019 hat die WHO im Jahr 2019 die Impfskepsis zu einer der zehn wichtigsten globalen Gesundheitsbedrohungen erklärt.
Die Metakognition, ein Zweig der Kognitionswissenschaften, die das menschliche Denken untersucht, kann Gesundheitsfachleuten helfen, Skepsis und ­Zögern ihrer Patientinnen und Patienten besser zu erfassen und zu verstehen. Wir schlagen einen Kommunikationsansatz mit impfskeptischen Patientinnen und Patienten vor, der auf der «motivierenden Gesprächsführung» basiert. Dieser patientenzentrierte, beziehungsorientierte Ansatz umfasst mehrere Schritte: das Explorieren von Ansichten und Vorwissen der Patientin/des Patienten über Impfungen auf Grundlage von Vertrauen und Empathie, das Herausbilden von Diskrepanzen, den Aufbau eines Diskurses zur Veränderungsbereitschaft (change talk), die Bereitstellung neutraler Informationen unter Ver­meidung von Konfrontation, und schliesslich die Stärkung der Selbstwirksamkeit.

Hintergrund

Trotz breiter Verfügbarkeit von Impfstoffen zum Schutz vor Masern traten 2018–2019 in mehreren Weltregionen, vor allem in Afrika und Asien, Epidemien auf. ­Zwischen Januar 2018 und Juni 2019 gab es in der ­Europäischen Region der Weltgesundheitsorganisation (WHO) rund 170 000 Masernfälle und mehr als 100 masernbedingte Todesfälle, darunter zwei in der Schweiz [1]. Unter anderem aufgrund dieses globalen Wiederaufflammens der Masern in den Jahren 2018–2019, erklärte die WHO die Impfskepsis als eine der zehn grössten ­Bedrohungen für die globale Gesundheit [2].

Impfskepsis

Impfungen sind ein wichtiger Pfeiler der Präventivmedizin. Jedes Jahr retten Impfungen rund 2,5 Millionen Leben, und sie vermeiden ebenso viele Komplikationen verschiedener Krankheiten. Impfungen sind – nach dem Zugang zu sauberem Wasser – diejenige ­Intervention der öffentlichen Gesundheit, die am meisten Leben rettet [3].
Trotz dieser eigentlich günstigen Ausgangslage ist aber offensichtlich, dass Impfskepsis derzeit zunimmt. Impfskepsis wird definiert als eine «verzögerte Akzeptanz bis hin zur Verweigerung von Impfungen, auch wenn diese breit zur Verfügung stehen». Es handelt sich um ein komplexes Phänomen, das je nach geo­graphischem, politischem und kulturellem Kontext variiert und von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird, zum Beispiel Vertrauen oder Unterschätzen von Krankheitsgefahren [4].
In der Regel werden Impfungen von schätzungsweise 70 von 100 Menschen breit akzeptiert. Von den übrigen 30 sind 28 unentschlossen und 2 sind von ihrer impfverweigernden Position fest überzeugt [5]. Eine Umfrage in Frankreich zeigte, dass ein Drittel der Bevölkerung der Meinung ist, Impfstoffe seien nicht sicher, und 19% denken, sie seien nicht wirksam. Lediglich 10% der Befragten fanden es nicht wichtig, dass Kinder geimpft werden – wobei ein solcher Anteil Ungeimpfter jedoch bereits ausreichen kann, um einen Masernausbruch auszulösen [6].

Weshalb so viel Skepsis und Zögern gegenüber Impfungen?

Impfskepsis wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst, eine Übersicht gibt die Tabelle 1.
Gemäss eines Berichts des Wellcome Global Monitor ist das Vertrauen in Impfstoffe/Impfungen weltweit im Allgemeinen hoch. Menschen in Ländern mit hohem Einkommen scheinen allerdings ein etwas weniger grosses Vertrauen zu haben [6]. Ein höheres Bildungsniveau und bessere wissenschaftliche Kenntnisse sind tendenziell sogar mit mehr Skepsis gegenüber Impfungen verbunden.
Tabelle 1: In der Literatur beschriebene Faktoren, die mit vermehrter Impfskepsis einhergehen.
Faktoren, die mit vermehrter Impfskepsis einhergehen
Land mit höherem Einkommen [6]
Höheres Bildungsniveau [6]
Falschinformationen – fake news [7, 8]
Menschlicher «Drang nach Skandal-Nachrichten» [8]
Misstrauen gegenüber Wissenschaft und Gesundheitsfachleuten [6–8]
Der Zugang zu Informationen ist daher kein «schützender» Faktor vor Impfskepsis. In der aktuellen «post-­faktischen» Ära sind Patientinnen und Patienten, die im Internet nach Informationen suchen, stets einer Überlastung, einem «Zuviel» an gefundener Information ausgesetzt [7]. Menschen neigen zudem zu einem ­gewissen «Drang nach Skandal-Nachrichten», und es wurde festgestellt, dass sich falsche Behauptungen sechsmal rascher verbreiten als wahre Informationen [8]. Die Verbreitung falscher Behauptungen in den Medien und im Internet erhöht tendenziell die Akzeptanz solcher alternativer Fakten (Falschinformationen). Und deren emotionale Wirkung scheint oftmals wichtiger als rationale Argumentation zu sein: die «gefühlte» Wahrheit wird somit zur (einzigen) Wahrheit [8,9].
Länder mit niedrigem Einkommen sind nicht etwa vor Falschinformationen geschützt. Auf den Philippinen zum Beispiel hatte die Einführung eines neuen Impfstoffs gegen Dengue-Fieber im Jahr 2017 zwar das Leben Tausender Kinder gerettet. Der Tod von 19 Kindern an einer durch die Dengue-Impfung verstärkten Dengue-Infektion liess jedoch das Vertrauen in die Sicherheit ­aller empfohlener Impfungen von 82% auf 21% im Jahr 2018 sinken. Aus Furcht erhielten seither zu viele Kinder ihre Basisimpfungen nicht mehr, und im Jahr 2019 starben mindestens 477 Kinder an einer Maserninfektion [10–12].
Schliesslich neigen Menschen mit mehr Vertrauen in Wissenschaft und in Gesundheitsfachpersonen dazu, Impfstoffe eher als sicher zu betrachten [13]. Die breite Öffentlichkeit hat nach wie vor grosses Vertrauen in ­Gesundheitsfachpersonen, ganz gleich, ob es sich um Allgemeinmediziner, Kinderärztinnen, Apotheker oder andere Gesundheitsfachpersonen handelt, die Präventions- und Informationsarbeit leisten [14]. Indem hier ein grundlegendes Vertrauensverhältnis besteht, sind Gesundheitsfachleute in einer guten Position, Menschen mit Impfskepsis Beratung und Begleitung anbieten zu können.

Wie können wir impfskeptischen Patientinnen und Patienten begegnen?

Lange Zeit reagierten Gesundheitsfachpersonen bei Impfskepsis mit dem Aufzeigen von Daten und Evidenz zur Wirksamkeit von Impfungen sowie deren ­guter Verträglichkeit und Sicherheit. Trotz dieses gutgemeinten Ansatzes berichten mehrere Studien, dass rein fachliche Überzeugungsversuche bei vielen Zielpersonen oft nicht sehr effektiv sind, ja teils sogar ­einen «Boomerangeffekt» («backfire effect») verur­sachen können [15]. Dieses scheinbar paradoxe, in der Kognitionswissenschaft gut bekannte Phänomen ­äussert sich dadurch, dass sich eigene feste Überzeugungen im Angesicht von widersprechenden faktischen Erklärungen verstärken [16]. Wenn ein Glaube einmal fest verankert ist, neigt die oder der Einzelne unbewusst dazu, diese Überzeugung zu schützen. Bei der weiteren Suche nach Informationen werden nur diejenigen Elemente beachtet, welche die eigenen Überzeugungen bestätigen («confirmation bias»). Wenn dann eine Fachperson davon abweichende Informationen liefert, ist es manchmal viel einfacher, an seinen eigenen Überzeugungen festzuhalten, anstatt sie in Frage stellen zu müssen. In solchen Situationen neigen impfskeptische Personen dazu, die Erklärungen von Fachpersonen teils gar nicht zu verstehen oder als ­urteilende Wertung aufzufassen. Dies mindert das Vertrauen und kann, insbesondere wenn die Fach­person Verärgerung zeigt, sogar dazu führen, dass ­abweichende Informationen als Zeichen für eine Verschwörungstheorie interpretiert werden [17].
Andererseits scheint das punktuelle Einbringen von persönlichen Geschichten und Anekdoten wirksam zu sein, um die Akzeptanz der Impfung bei impfskeptischen Personen zu erhöhen [18]. Dies bestätigt einerseits die Rolle von Emotionen bei der Entstehung und Aufrechterhaltung unserer Überzeugungen, und andererseits die Notwendigkeit, die Dilemmata, vor denen impfskeptische Personen oft stehen, besser zu verstehen, bevor wir einen rationalen, faktenbasierenden Ansatz vorschlagen.

Metakognition und kognitive ­Verzerrungen («cognitive biases»)

Die Metakognition, die vom amerikanischen Psychologen John Flavel begründet wurde, ist die kognitive Wissenschaft, die das menschliche Denken untersucht, die Art und Weise, wie wir überlegen und unsere Gedanken konstruieren [19]. Dieser Wissenschaftszweig ist daher auch für Gesundheitsfachleute nützlich, um impfskeptische Patientinnen und Patienten besser zu verstehen und deren Anliegen und Befürchtungen zu erfassen. Die Metakognition zeigt uns auch die Mechanismen von logischen Fehlern auf, die wir allzu leicht begehen können. Wir haben bereits den «backfire effect» und den «confirmation bias» erwähnt. Unter den vielen weiteren kognitiven Verzerrungen sei auch der «konzeptionelle Konservatismus» erwähnt, also der Fehler, eine blosse Hypothese bereits als Tatsache zu betrachten [17]. Wenn zum Beispiel von einem wissenschaftlichen Artikel, in dem ein allfälliger kausaler Zusammenhang zwischen Masernimpfung und Autismus untersucht wird, lediglich der Titel mit der Hypothese gelesen wird, könnte die Leserin/der Leser (und teils auch Fachpersonen) darin bereits einen Beweis für einen ursächlichen Zusammenhang sehen, ohne die Schlussfolgerungen des Artikels gelesen oder verstanden zu haben.
Während Angehörige der Gesundheitsberufe normalerweise über die jeweils beste Lösung für ihre Patientinnen und Patienten nachdenken, besteht der metakognitive Ansatz in einer Anleitung, sein eigenes Denken zu erforschen. Indem sie sich ihrer Zweifel, Widersprüche und auch kognitiven Verzerrungen bewusst werden, können die Patientinnen und Patienten den Veränderungsprozess aus eigenem Antrieb einleiten. Motivierende Gesprächsführung ermöglicht es, diesen Ansatz auf Grundlage von Vertrauen und Empathie in die Praxis umzusetzen.

Die Technik der motivierenden ­Gesprächsführung

Die motivierende Gesprächsführung ist ein klientenzentrierter Ansatz, der von S. Rollnick und W. Miller für die Behandlung bei Suchterkrankungen entwickelt wurde. In verschiedenen ihrer Bereiche wurde sie validiert, wodurch eine Änderung des Gesundheitsverhaltens bestätigt werden konnte. Erst vor kurzer Zeit hat sich dieser Ansatz nun auch bei impf­skeptischen Patientinnen und Patienten als wirksam erwiesen [18,20]. So zeigte eine Studie aus Kanada, dass auf einer Geburtsabteilung die Verwendung von Techniken der motivierenden Gesprächsführung die Impfbereitschaft um 20% erhöhte [21].
Motivierende Gesprächsführung ist ein patientenzentrierter, beziehungsorientierter Ansatz, der auf Zusammenarbeit, Patientenautonomie und der Evokation (dem «Wachrufen») eigener Meinungen und Lösungen durch die Patientin/den Patienten beruht. Sie verwendet Kommunikationselemente wie etwa (reflexive) Reformulierung, offene Fragen, Würdigung (bzw. Wertschätzung) und Zusammenfassungen, um die Patientinnen und Patienten in einer nicht-wertenden, vertrauensvollen, empathischen Umgebung zu begleiten und um Ambivalenzkonflikte aufzuspüren, und diese zu lösen. Die Fach­person wird dabei zu einer Art «Reiseführer», sie ­ermöglicht den Patientinnen und Patienten, Entscheidungen für die eigene Gesundheit zu treffen.
Die Technik basiert auf vier Grundprinzipien:
1 Einfühlungsvermögen (Empathie) zeigen: Die Ärztin/der Arzt tritt in eine emotionale Verbindung mit der Patientin/dem Patienten, fokussiert sich ohne Wertung oder Vorurteile auf die Gefühle und Darstellungen beim Gegenüber und versucht dabei, eine authentische Verbindung und gleichwertige Beziehung auf Augenhöhe (nicht als Autorität) herzustellen.
2 Herausbilden von innerer Diskrepanz: Nachdem die Ärztin/der Arzt die Darstellungen der Patientin/des Patienten erkundet (exploriert) und das Ein­verständnis zur Übermittlung von Informationen eingeholt hat, sollen Gegenargumente zunächst gänzlich vermieden werden. Es sollte versucht werden, gezielt neutrale Informationen zu vermitteln, die bei der Patientin/beim Patienten eine Spannung erzeugen zwischen dem bisherigen Geglaubten und den neu erhaltenen abweichenden Informationen. Ziel dabei ist, dass die Patientin/der Patient mit sich selbst in Konflikt gerät; es ist dieser Zweifel, der sie/ihn dazu bringen kann, die eigene Meinung zu ändern, solange sie/er sich nicht in eine Richtung gedrängt fühlt.
3 Vermeiden einer Konfrontation: Zu offensive Gegenargumente drängen die Patientin/den Patienten oft in eine defensive Haltung und verstärken so den Widerstand. Durch die neutrale Informationsvermittlung wird eine Blockade vermieden.
4 Das Gefühl der Selbstwirksamkeit bestärken: die Patientin/der Patient muss sich in den eigenen ­Fähigkeiten zur Entscheidungsfindung frei und wertgeschätzt fühlen; die Ärztin/der Arzt versetzt sich in eine unterstütztende Rolle, und stärkt auf diese Weise die Wahl- und Entscheidungsfähigkeit («self-efficacy»).
Um die Vorgehensweise zu veranschaulichen; die motivierende Gesprächsführung bedient sich dreier, an die Erwachsenen-Pädagogik angelehnter Schritte:
1 Explorieren von Ansichten und Darstellungen: Die Ärztin/der Arzt beginnt mit der Erkundung der Meinung, des Vorwissens und der Vorstellungen der Patientin/des Patienten über die Impfung.
2 Informieren: Die Ärztin/der Arzt gibt (nach Ein­holung des Einverständnisses) der Patientin/dem Patienten neutrale, nützliche Informationen. Auf den jeweiligen Vorkenntnissen aufbauend, ohne Verwendung von «Fachjargon», und wichtige Wissenslücken füllend.
3 Erneut Explorieren: Die Ärztin/der Arzt analysiert, wie die Patientin/der Patient die übermittelten Informationen aufnimmt, was sie/er darüber denkt.
Gelegentlich werden diese Schritte mehrmals wiederholt (Explorieren-Informieren-Explorieren-Informieren-Explorieren). Im Sinne der motivierenden Gesprächsführung ist es entscheidend, zu Beginn des Gesprächs die Patientin/den Patienten selbst sprechen zu lassen sowie am Ende das Wort zurückzugeben –und damit die Entscheidungsbefugnis.
Schauen wir uns ein Beispiel aus der Praxis an. Laura, in Ausbildung, geht zur Untersuchung in die Arztpraxis, um ein Gesundheitszeugnis für ihre bevorstehende Arbeit mit Kleinkindern zu erhalten. Am Ende der Konsultation überprüft die Ärztin/der Arzt ihren Impfstatus (siehe Interview Laura – Arzt im Anhang an die Online-Version dieses Artikels):

Welches Vorgehen bewährt sich bei impfskeptischen Patientinnen und Patienten?

Die wissenschaftliche Evidenz zu Kommunikations­aspekten, die das Vertrauen in Impfungen und/oder die Impfbereitschaft beeinflussen, ist in Tabelle 2 zusammengefasst.
Auf der Basis der aktuell verfügbaren wissenschaft­lichen Evidenz sowie unserer persönlichen Erfahrung schlagen wir die in Tabelle 3 dargestellten Ansätze für den Umgang mit impfskeptischen Patientinnen und Patienten vor.
Mehrere internationale Organisationen stellen spezi­fische Ressourcen für Angehörige der Gesundheitsberufe zur Kommunikation mit impfskeptischen oder impf­kritischen Patientinnen und Patienten zur Verfügung. [22–24].
Tabelle 2: In der wissenschaftlichen Literatur beschriebene Aspekte der Kommunikation, die das Vertrauen in Impfungen und/oder die Impfbereitschaft beeinflussen.
Erhöht das Vertrauen/die Impfbereitschaft Ändert das Vertrauen/die Impfbereitschaft nicht, bzw. verringert diese sogar
Bereitstellung von Informationen über Impfnebenwirkungen [27, 28].Dramatische Fakten und Bilder evozieren [13]
Sich die nötige Zeit nehmen, um über Impfstoffe zu sprechen [18] 
Ängste legitimieren [18] 
Einsatz von Techniken der motivierenden Gesprächsführung [21]. 
Tabelle 3: Vorgeschlagener Ansatz (und zu vermeidende Fallstricke) beim Umgang mit impfskeptischen Patientinnen und Patienten.
Vorgeschlagene Ansätze bei impfskeptischen Patientinnen und Patienten
VorgehenBeispiele
Sich für die Beratung Zeit nehmen, um die oft als schwierig empfundene Situation entspannt und nicht-wertend in einem Klima des Vertrauens anzugehen. «Impfungen sind ein wichtiges Thema, wären Sie bereit, sich ein paar Minuten Zeit zu nehmen, um darüber zu sprechen?»
Es ist häufig ungünstig, wenn man über «die Impfungen» im Plural spricht. Hingegen bewährt es sich, einzelne Impfungen individuell zu besprechen, je nach Priorität. Sie sind schliesslich so unterschiedlich voneinander wie Medikamente.«Es gibt viele Impfstoffe. Welcher ist derjenige, den Sie am meisten hinterfragen oder der für Sie am wichtigsten wäre?»
Befürchtungen, Ängste und Erfahrungen ergründen – und legitimieren. «Welche Befürchtungen haben Sie bezüglich dieses Impfstoffs? …wenn man diese Information hier liest, ist es eigentlich nur verständlich, dabei Angst zu entwickeln.»
Wertschätzung des Engagements der Patienten/Eltern für ihre Gesundheit.«Ihre Gesundheit/die Gesundheit Ihres Kindes ist Ihnen ganz wichtig.» «Sie haben sich die Zeit genommen, herauszufinden, was das Beste ist, und mit mir darüber zu diskutieren.»
Herausbilden von Diskrepanzen: einen Diskurs des Wandels (change talk) herbeirufen und somit Aufbau von Veränderungsbereitschaft.«Auf einer Skala von 0 bis 10, wie sicher sind Sie, dass dieser Impfstoff gefährlich ist?»
– Weshalb X und nicht 9 (eine höhere Zahl)?
– Was würde diese Zahl weiter senken?»
Bereitstellung von Informationen in angemessener Weise durch:
– Explorieren des Wissens der Patientin/des Patienten
– um Erlaubnis bitten
– Bereitstellung gezielter Informationen auf Wunsch der Patientin/des ­Patienten
– Explorieren des bisherigen Verständnisses und wie dadurch die Situation (neu) eingeschätzt wird
Sie können je nach Bedarf ein Informationspaket zur Verfügung stellen. ­Stellen Sie sich für weitere Diskussionen zur Verfügung.
«Sie fürchten sich vor den Nebenwirkungen dieser Impfung. Was wissen Sie daüber?»
«Wären Sie einverstanden, wenn ich Ihnen zu diesem Thema einige Informationen gebe?»
«Was denken Sie über diese Informationen? Wie verändern sich dadurch Ihre Ansichten?»
Unerwünschte Impferscheinungen antizipieren und benennen (je nach ­bestehenden Ängsten und Impfstoff)
– Schmerz bei Injektion
– Fieber*
«Sie werden kurz einen Schmerz am Einstichort haben, aber wir schauen, dass wir eine möglichst schmerzarme Technik verwenden.»
«Fieber nach einer Impfung ist etwas Häufiges, ich gebe Ihnen hier Informationen, was Sie in diesem Fall tun können.»
Geben Sie Ihrer Patientin/Ihrem Patienten Zeit zum Nachdenken, Veränderungen kommen oft nicht sofort.«Ich schlage vor, Ihnen einen Moment Zeit zu geben, um über all das nachzudenken, was wir gerade besprochen haben, und uns in zwei Wochen erneut zu treffen, um eine Bilanz der Situation zu ziehen. Was halten Sie davon?»
Zu vermeidende Fallstricke
– Bei Eltern Schuldgefühle hervorzurufen
– Die Informationen, Erfahrungen und Ängste, welche die Patientinnen oder Patienten (erhalten) haben, abzulehnen
– Die Patientin/den Patienten zu unterbrechen
– Die Diskussion zwischen «Pro» und «Kontra» zu polarisieren
«Sind Sie sich dem Risiko, dem Sie Ihr Kind aussetzen, bewusst?»
«Es ist absurd, dieser Geschichte Glauben zu schenken, wenn zahlreiche wissenschaftliche Studien die Sicherheit von Impfstoffen bewiesen ­haben.»
«Ich kann dem was Sie da sagen nicht zustimmen, jedes Jahr retten ­Impfungen weltweit 2 Millionen Leben.»
* Informationen auf Englisch für die Beratung von Eltern: https://www.cdc.gov/vaccines/parents/visit/index.html

Impfskepsis unter Gesundheitsfach­personen

Ein Bericht des ECDC (European Centre for Disease Prevention and Control) bestätigt nicht nur das Vorhandensein von Impfskepsis bei Angehörigen der ­Gesundheitsberufe, sondern auch, dass einige von ­ihnen ganz generell gegen Impfungen sind [25]. Ihre Bedenken gegenüber Impfungen stellen sich prinzipiell als die gleichen heraus wie die der Allgemeinbevölkerung: Angst vor einer Überlastung des Immunsystems, Nebenwirkungen, Zweifel am Nutzen bzw. an der Wirksamkeit ...
Gesundheitsfachpersonen, die wenig Vertrauen in Impfungen haben, entscheiden sich möglicherweise dafür, sich selbst oder ihre Kinder nicht zu impfen, und sie könnten ihren Patientinnen und Patienten die Impfung weniger empfehlen. Aufgrund ihrer Rolle als Vorbilder können sie durch eine impfkritische Haltung die Anstrengungen gefährden, das Vertrauen der Öffentlichkeit in Impfungen zu verbessern [26].
Die Umsetzung von Strategien im Bildungsbereich zur Verbesserung des Wissens bei Gesundheitsfachpersonen in Ausbildung sollte daher ein Ziel und zentrales Anliegen medizinischer Institutionen und Organisa­ionen der öffentlichen Gesundheit sein. Dabei muss auch genügend Platz sein, die bei Fachpersonen vorhandenen Bedenken gezielt zu erörtern.

Schlussfolgerung

Von der WHO als eine der zehn grössten globalen Gesundheitsbedrohungen eingestuft, ist Impfskepsis ein Thema, bei dem heute jede Gesundheitsfachperson angemessen reagieren können sollte.
Ein metakognitiver Ansatz hilft nicht nur, die zöger­liche Haltung einiger Patientinnen und Patienten zu verstehen, sondern auch, mit dieser auf gute Weise umzugehen.
Der Kommunikationsansatz, den wir für den Umgang mit Impfskepsis vorschlagen, basiert auf der motivierenden Gesprächsführung. Das primäre Ziel dieses Ansatzes besteht nicht darin, impfskeptische Patientinnen und Patienten zu korrigieren, sondern ihnen zuzuhören und sie zu verstehen.
Schliesslich sollte daran erinnert werden, dass es auch unter Gesundheitsfachpersonen Impfskepsis gibt. Die Stärkung des Vertrauens unter den Angehörigen der Gesundheitsberufe — insbesondere durch spezifische Schulungen zum Thema Impfskepsis — ist eine ausschlaggebende Strategie, die jedes Land mit grösster Zielstrebigkeit verfolgen sollte, weil Gesundheitsfachpersonen das Vertrauen und Potenzial haben, die Entscheidungen ihrer Patientinnen und Patienten zu beeinflussen.

Hinweis

Ein Beispiel eines möglichen Interviews finden Sie als Anhang an die Online-Version dieses Artikels unter
www.primary-hospital-care.ch.
Die Autorenschaft bedankt sich bei Christelle Closse für die Relektüre des Manuskripts sowie für ihre wertvollen Hinweise und Vorschläge. 
Dr méd. Alessandro Diana
Centre de pédiatrie
Clinique des ­Grangettes-Hirslanden
Chemin des Grangettes 7
CH-1224 Chêne-Bourgeries
alessandro.diana[at]unige.ch
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