PEPra: für ­Prävention in der Grundversorger-Praxis
Prävention mit ­Evidenz in der Arztpraxis

PEPra: für ­Prävention in der Grundversorger-Praxis

Arbeitsalltag
Ausgabe
2020/12
DOI:
https://doi.org/10.4414/phc-d.2020.10331
Prim Hosp Care Allg Inn Med. 2020;20(12):388-390

Affiliations
a Wiss. Mitarbeiterin / Projektleiterin Abteilung Public Health / Gesundheitsberufe, FMH;
b Mitglied des FMH-Zentralvorstandes, Departementsverantwortlicher Public Health und Gesundheitsberufe;
c Chefredaktor PHC, Leiter Chronic Care, Institut für Hausarztmedizin, Universität und Universitätsspital Zürich;
d Leiterin Abteilung Public Health / Gesundheitsberufe, FMH

Publiziert am 01.12.2020

Mit dem von der FMH und weiteren Partnern getragenen und von der Stiftung ­Gesundheitsförderung Schweiz unterstützten Projekt «PEPra – Prävention mit ­Evidenz in der Arztpraxis» soll bis 2024 ein koordiniertes Gesamtpaket für Prävention in der Arztpraxis geschaffen werden.

«Prävention ist ein wichtiges Thema bei der medizinischen Betreuung in der Grundversorgerpraxis. In jeder zweiten Konsultation geht es um Übergewicht, Dia­betes, Atemwegserkrankungen oder Suchtverhalten. Aber es sind oft schwierige und frustrierende Themen.» So oder ähnlich äussern sich viele Grundversorgerinnen und Grundversorger zum Thema Prävention in der Arztpraxis [1]. Dafür, dass die Themen oft als schwierig oder frustrierend empfunden werden, gibt es mehrere Gründe. Erstens: Präventive Massnahmen zielen meist auf die Reduktion von Risikofaktoren und auf die ­Stärkung von Schutzfaktoren, die beide oft nur über Verhaltensänderungen zu erreichen sind. Verhaltensänderungen zu erreichen ist insofern schwierig, als dass sie untrennbar mit der Motivation des Pa­tienten oder der Patientin verbunden sind und mit ­Rückschlägen und Misserfolgen einhergehen [2]. Sie benötigen entsprechend Geduld von allen Seiten. ­Zweitens braucht die Beratung in Zusammenhang mit Prävention Zeit – und diese wurde für die ärztliche Konsultation durch die bundesrätlichen Tarifeingriffe limitiert. Drittens gibt es zwar spezifische Tools, die in der Konsultation unterstützend eingesetzt werden können [3], sie sind aber oft nicht bekannt oder nur mit aufwändiger Suche auffindbar. Dasselbe gilt für vor- und nach­gelagerte Angebote im Bereich Prä­vention wie zum Beispiel Bewegungsförderungsangebote, Rauchstoppberatungen oder Suchtberatungs­angebote.
Trotz dieser Herausforderungen hat Prävention in der Arztpraxis Potenzial: Jene 75–80% der Schweizer Bevölkerung, die mindestens einmal jährlich eine Arztpraxis aufsuchen, können auf Präventionsthemen angesprochen werden. Ärztinnen und Ärzte können ihre Patientinnen und Patienten zu Verhaltensänderungen oder zu anderen präventiven Massnahmen moti­vieren, sie beraten und unterstützen, und so einen wichtigen Beitrag zur Reduktion von vermeidbaren Krankheiten leisten. Prävention ist Teil der ärztlichen Tätigkeit [4]. Sie kann und darf nicht komplett an ­andere Stakeholder delegiert werden, zumal die Glaubwürdigkeit der Ärzteschaft und der Rahmen der ­Arztpraxis sehr günstige Voraussetzungen für die Präventionsarbeit schaffen. Aus diesem Grund engagiert sich die FMH im Rahmen des Projekts PEPra.

Was braucht es also?

Damit Grundversorgerinnen und Grundversorger ­zusammen mit den medizinischen Praxis-Fach­personen (Medizinische/-r Praxisassistent/-in [MPA] / Medizinische/-r Praxiskoordinator/-in [MPK]) Prävention in der Praxis auch umsetzen können, gilt es, sich den eingangs genannten Schwierigkeiten anzunehmen. Auf struktureller und finanzieller Ebene müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Prävention in der Arztpraxis ermöglichen und begünstigen. Die Verbesserung dieser Rahmenbedingungen ist ein zentrales Anliegen von Fachgesellschaften und Ärztevereinigungen, dem auf politischer Ebene (noch) nicht genügend Gehör geschenkt wird. Der Ärzteschaft und den medizinischen Praxis-Fachpersonen muss ausserdem ein adäquates Instrumentarium zur Verfügung stehen. Das Projekt PEPra nimmt sich dieser zweiten Bedingung an: Zusammen mit der Ärzteschaft und den medizinischen Praxis-Fachpersonen wird ein koordiniertes Gesamtpaket für Prävention in der Arztpraxis geschaffen.

Was bietet PEPra?

Mit PEPra wird kein neuer Ansatz entwickelt, vielmehr baut das Angebot auf den bereits bestehenden und ­erprobten, von der Ärzteschaft entwickelten nationalen Programmen und Ansätzen für Prävention in der Arztpraxis auf. Dazu gehören insbesondere das «Gesundheitscoaching» des Kollegiums für Hausarzt­medizin (KHM), das Programm «Frei von Tabak», das von Unisanté angebotene Programm «Paprica», die ­beiden von der FMH entwickelten Programme «Krise und Suizid» und «Früherkennung Risikokonsum Alkohol», sowie die «EviPrev-Empfehlungen» des gleich­namigen Vereins. PEPra versucht dabei die Themen­stränge, in denen viele dieser Programme konzipiert sind, zu verbinden und durchlässig zu gestalten. Die Träger dieser Programme sind aktiv in die Entwicklung eingebunden. Ergebnisse aus den bisherigen Evaluationen der entsprechenden Programme werden dabei ­berücksichtigt, ebenso wie die Ergebnisse weiterer ­einschlägiger Umfragen und Studien zu den Bedürfnissen der Ärzteschaft bezüglich Prävention in der Arztpraxis [2, 5–10].
Das koordinierte Gesamtpaket besteht aus vier Produkten (Abb. 1):
Abbildung 1: Das PEPra-Gesamtpaket mit seinen vier Produkten/Teilprojekten. Die Pfeile symbolisieren das Zusammenspiel der verschiedenen Bereiche und Produkte.
Kernelement sind modulare Fortbildungen (Teilprojekt 1) für Grundversorgerinnen und Grundversorger und medizinische Praxis-Fachpersonen («Praxis als Team»). Dabei kommt dem «Motivational Interview» (MI) als klientenzentriertem Beratungsansatz mit dem Ziel, intrinsische Motivation zur Verhaltensänderung aufzubauen, eine zentrale Bedeutung zu [11]. Die «Motivierende Gesprächsführung» nimmt in all den oben genannten Programmen eine zentrale Rolle ein und kann als generisches Element betrachtet werden. Die Wirkung der «Motivierenden Gesprächsführung» wurde in über 200 kontrollierten Studien untersucht. Dass sie wirksamer ist als Standardinterventionen, konnte auch bei kurzen Gesprächen (<10 Minuten) nachgewiesen werden [12]. In Kombination mit dem ­Ansatz des vom KHM entwickelten «Gesundheitscoachings» wird das MI im Rahmen von PEPra als ein ­generisches Fortbildungsmodul für die Prävention in der Arztpraxis aufgebaut und positioniert. Ein weiteres generisches Element stellen die EviPrev-Empfehlungen dar, die aufzeigen, bei welchen Patientinnen und Patienten zu welchem Zeitpunkt gestützt auf die vorliegende wissenschaftliche Evidenz welches Präventionsthema angesprochen werden soll. Zusammen mit weiteren Kommunikations- und Beratungstechniken wie dem «Shared Decision Making» und der Kommunikation von Nutzen und Risiken sind sie Gegenstand eines weiteren generischen Moduls. Ergänzt wird das Fortbildungsangebot durch themenspezifische Module [13], bei denen bewährte Interventions- und Beratungsmethoden sowie konkrete Tools zum ­jeweiligen Thema im Zentrum stehen. In den Fortbildungen wird systematisch das «Was» (Theorie, wissenschaftliche Erkenntnisse) mit dem «Wie» (Kommunikations- und Beratungsmethoden, Haltungen, Tools etc.) verknüpft und ein Praxisbezug hergestellt. Das Fortbildungsangebot zielt somit auf die Vertiefung von Kompetenzen in den Bereichen, die so oft als schwierig empfunden werden: Das Ansprechen einer Thematik, das Motivieren, das Unterstützen und das Begleiten von Patientinnen und Patienten. Die Fortbildungs­module werden ab 2022 in vier Kantonen in Form von Pilotprojekten getestet.
Als weiteres Produkt wird eine einschlägige Informa­tionsplattform für Prävention in der Arztpraxis geschaffen (Landing-Page). Die Landing-Page dient als Zugang für Anwender zu PEPra und umfasst vorläufig die Themen der Programme, auf denen PEPra aufbaut, ist aber so konzipiert, dass laufend weitere Themen integriert werden können. Die Landing-Page wird insbesondere Tools, Leitfäden und Empfehlungen enthalten, die mit wenigen Klicks aufgefunden und im Praxisalltag im direkten Gespräch mit den Patientinnen und Patienten verwendet werden können. Sie dient auch als ­Einschreibeplattform für PEPra-Fortbildungen. Die Umsetzung erfolgt im 2021.
Gerade weil die Zeit in Konsultationen begrenzt ist und Verhaltensänderungen Zeit benötigen, kann es oft sinnvoll sein, Patientinnen und Patienten zu motivieren, bestehende Angebote im Bereich Prävention in- und ausserhalb der Gesundheitsversorgung (Rauchstoppberatung, Bewegungsförderungsangebote, Suchtberatung etc.) in Anspruch zu nehmen. Im Rahmen des Teilprojektes 4 erstellen die Pilotkantone Übersichten über die bestehenden vor- und nachgelagerten Angebote in ihrer Region (oder entwickeln ­teilweise bestehende Übersichten weiter) und stellen sie wenn möglich auf der Landing-Page zur Verfügung.
Steckbrief zum Projekt «PEPra – Prävention mit Evidenz in der Praxis»
Kontext:Nationale Strategie nicht übertragbare Krankheiten ­(NCD-Strategie), Massnahmenbereich 2 «Prävention in der Gesundheitsversorgung (PGV)»
Projektförderung:Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz (GFCH), Fonds ­«Prävention in der Gesundheitsförderung» (PGV), im Rahmen einer «direkten Zusammenarbeit» GFCH/BAG – FMH» ­(komplementär zur proaktiven Projektförderung)
Projektträger:FMH
Trägerschaftspartner:Kollegium für Hausarztmedizin (KHM), Unisanté, Praxis Suchtmedizin Schweiz, Verein EviPrev, Konferenz der ­Kantonalen Beauftragten für Suchtfragen (KKBS), Verband medizinischer Praxis-Fachpersonen (SVA) / Association ­romande des assistantes médicales (aram)
Projektdauer:2020–2024
Finanzierung GFCH:CHF 1,725 Mio. (inkl. Evaluation)
Gesamtbudget:ca. CHF 2,2 Mio. (exkl. FMH-interne Ressourcen ausserhalb Projektleitung)
Evaluation:Interface & IHAM & CC Luzern
Pilotkantone:Basel-Stadt, Freiburg, St. Gallen, Luzern

Fazit

Prävention in der Arztpraxis ist und bleibt anspruchsvoll. Mit dem im Rahmen des Projektes zu schaffenden koordinierten Gesamtpaket sollen die Ärzteschaft sowie die medizinischen Praxis-Fachpersonen in dieser Arbeit unterstützt werden. Die Projektevaluation wird zeigen, inwiefern das Projekt diesem Anspruch gerecht werden kann. Die Nachhaltigkeit aber hängt wesentlich davon ab, ob es parallel dazu gelingt, auch die verhältnispräventiven Bedingungen – die angesprochenen strukturellen und finanziellen Rahmenbedingungen – zu verbessern. Dieser politischen Arbeit nimmt sich die FMH weiterhin an.

Hinweis


Dieser Artikel erscheint zeitgleich in der Ausgabe 49 der Schweizerischen Ärztezeitung.
FMH
Abteilung Public Health / Gesundheitsberufe
Nussbaumstrasse 29
Postfach
CH-3000 Bern 16
public.health[at]fmh.ch
 1 «Prävention» wird hier als Oberbegriff für Primär-, Sekundär-, Tertiär-, und Quartärprävention verwendet.
 2 Cherix Zyska, A., 2014, Quelle perception ont les médecins de famille en Suisse de leur rôle dans la prévention et la promotion de la santé?, Université de Lausanne. http://serval.unil.ch.
 3 So z.B. die Gesundheitscoaching-Tools (https://www.gesundheitscoaching-khm.ch/), die EviPrev-Empfehlungen (https://eviprev.ch/), das Handbuch Praxis Suchtmedizin (https://www.praxis-suchtmedizin.ch/) u.v.m.
 4 MedBG, Art. 4 Abs.1, Art. 6. Abs 1 Bst .a,; Art. 8 Bst. h; PROFILES, https://www.profilesmed.ch/ (Zugriff am 10.11.2020)
 5 Zufferey-Caiata, M. / De Pietro C., 2018, Evaluation du processus de mise en œuvre du projet-pilote Girasole. Rapport final à l’attention de l’Office fédéral de la santé publique, SUPSI, Lugano/Manno.
 6 Oetterli, M. / Hanimann, A., Balthasar, A., 2019, Evaluation des Pilotprojekts im Kanton Tessin: Synthesebericht,Interface, Luzern.
 7 Neuner-Jehle, St., 2018, Schlussbericht über das vom BAG subventionierte Projekt «Gesundheitscoaching KHM» 2015–2018.
 8 Oetterli, M. / Hanimann, A., Büchler Ch., 2019, Zielgruppen­befragung zum Programm Gesundheitscoaching KHM. Bericht ­zuhanden des Stiftungsrats des Kollegiums für Hausarztmedizin, Interface, Luzern.
 9 Verein EviPrev, «FocusPrev I» und «FocusPrev II», 2006–2009, https://eviprev.ch/downloads/.
10 Steiger, Dominik / Brauchbar Mathis, 2018, Analyse IST-Zustand präventiver Angebote im Sinne der Prävention in der Gesundheitsversorgung (PGV) in der ambulanten Praxis, EvalueScience, im Auftrag des BAG.
11 Miller, William R. / Rollnick, Stephen, Motivational Interviewing. Preparing People for Change», 2002.
12 Gache, P. / Sommer, J., Rev Med Suisse 2018, No 591, Vol. 14: 229–30.
13 Die Themen dieser Module beschränken sich vorläufig auf die Themen der Programme und Ansätze, auf denen PEPra aufbaut, ­sowie weiteren ausgewählten Suchtthemen: Tabak, Alkohol, Drogenkonsum, Spiel- und Onlinesucht, Stress/Depression, Bewegung, Sturzprävention.